HB WASHINGTON. Die US-Notenbank dreht im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit den Geldhahn abermals kräftig auf. Wie die Federal Reserve am Mittwoch in Washington mitteilte, will sie bis Mitte kommenden Jahres Staatsanleihen im Gegenwert von 600 Milliarden Dollar kaufen. Zusätzlich würden bereits der Fed gehörende, aber auslaufende Papiere ersetzt, so dass sich die neuen Ankäufe auf insgesamt 850 bis 900 Milliarden Dollar summierten.
Ziel der Geldspritze ist es, die Wirtschaft anzukurbeln und so mehr Jobs zu schaffen. Notenbankchef Ben Bernanke begründete den Beschluss des Offenmarktausschusses mit der enttäuschenden Entwicklung am Arbeitsmarkt. Den Leitzins beließ er wie erwartet bei 0 bis 0,25 Prozent und versprach erneut noch lange extrem niedrige Zinsen.
An den New Yorker Aktienbörsen sorgte die Aktion der Fed allerdings nur kurzfristig für Erleichterung. An der Wall Street zogen Dow Jones und Nasdaq kurzzeitig an, gaben ihre Gewinne aber umgehend wieder vollständig ab. Am Devisenmarkt gab der Dollar ebenfalls nur kurzfristig nach und erholte sich anschließend wieder.
Die Fed hatte auf dem Höhepunkt der Finanzkrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 ihren Zins auf annähernd null Prozent gekappt und Anleihen im Gesamtwert von rund 1,7 Billionen Dollar erworben - davon Staatsanleihen über rund 300 Milliarden Dollar.
Hintergrund für die neuen Schritte der Fed ist die für US-Verhältnisse hohe Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Rund 15 Millionen Amerikaner haben keinen Job und das Wachstum der Wirtschaft reicht bislang nicht aus, um diese Misere zu mildern. Am Mittwoch veröffentlichte Daten des privaten Dienstleisters ADP zeigten allerdings eine - wenn auch langsame - Belebung bei Neueinstellungen.
Doch der Fed sitzt nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit im Nacken: Parallel ist die Teuerung in den USA derzeit so niedrig wie seit den 60er Jahren nicht mehr. Viele Fachleute fürchten ein Abrutschen in die Deflation, also auf breiter Front fallende Preise. Das hätte volkswirtschaftlich desaströse Folgen.
Aktuell versuchen mehrere Zentralbanken nach massiven Zinssenkungen, mit anderen, unkonventionellen und noch kaum erprobten Mitteln ganze Volkswirtschaften zu kurieren. Das Mittel der Wahl heißt in diesem Fall im Fachjargon „quantitative easing“. Bei dieser Art von Geldpolitik erhöht die Notenbank künstlich die Geldmenge: Sie druckt de facto frisches Geld.
Heutzutage werfen Federal Reserve, Europäische Zentralbank & Co. aber längst nicht mehr die Notenpresse an, sondern schaffen neue Moneten ganz einfach per Mausklick. Sie kaufen von den Banken ihrer jeweiligen Länder Wertpapiere - idealtypisch Staatsanleihen und andere Bonds - und schreiben den Banken dafür jeweils den Kaupreis auf deren Konto bei der Zentralbank gut. Schon in normalen Zeiten haben Geschäftsbanken bei ihrer Notenbank ein Konto, auf dem sie die so genannte Reserve halten müssen. Das ist ein bestimmter Teil der Spareinlagen, den die Banken dort parken müssen. Drückt nun die Notenbank auf den Knopf und „druckt“ Geld, erhöhen sich die Guthaben der Banken bei der Zentralbank und es entsteht Überschussliquidität.
Diese Liquidität können die Banken nun auch in Zeiten knapper Kassen nutzen, um Kredite auszugeben - an Firmen und Haushalte im ganzen Land. Und das ist auch das Ziel der Zentralbank: Ihr geht es nämlich bei der ganzen Aktion nicht um die Banken, sondern um die so genannte Realwirtschaft - also Industrie, Handel und Gewerbe sowie Häuslebauer und Kreditnehmer. Das Kalkül: Je flüssiger die Banken sind, desto geringer ist die Gefahr einer Kreditverknappung und desto niedriger ist das durchschnittliche Zinsniveau, das in einem Land herrscht. Die Notenbanker hoffen, dass in so einem künstlich geschaffenen positiven Wirtschaftsklima die Konjunktur dann irgendwann von selbst wieder anspringt und zum Beispiel die Arbeitslosigkeit zurückgeht.
An sich ist eine von der Zentralbank gesteuerte Ausweitung der Geldmenge also eine gute Sache und kann gegebenenfalls helfen, eine Krise zu überstehen. Doch jede Arznei hat Risiken und Nebenwirkungen. Durch Milliarden und Abermilliarden Dollar, Euro, Yen, Franken oder Pfund, die die Zentralbank beim „quantitative easing“ in die Wirtschaft pumpt, steigt das Risiko, dass die Inflation angeheizt wird. Das kann allerdings nur dann passieren, wenn das frisch gedruckte Geld länger als nötig im Wirtschaftskreislauf bleibt. Damit es nicht so weit kommt, schöpfen Notenbanken - in der Theorie - die überschüssige Liquidität schnellstmöglich wieder ab. In der Praxis kann es jedoch passieren, dass die Zentralbank unter den Druck der Politik kommt, die den so genannten „Exit“ aus der Politik des billigen Geldes so lange wie möglich hinausschieben möchte. Politiker wollen schließlich wiedergewählt werden und ihre Chancen sind besser, wenn die Wirtschaft brummt - also wenn die Notenbank weiter aufs Gaspedal tritt und nicht im Interesse niedriger Inflationsraten die Bremse zieht.
In der Wirtschaftsgeschichte gibt es nur wenige Beispiele, bei denen Notenbanken zum „quantitative easing“ gegriffen haben. Der berühmteste Fall spielt im Japan der Jahre 2001 bis 2006. Doch obwohl die Bilanz der Bank von Japan am Ende gut sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach, also enorm angeschwollen war, kam Japan nicht aus der Stagnation heraus. US-Notenbankchef Ben Bernanke hat auf dem Höhepunkt der jüngsten Finanzkrise für 300 Milliarden Dollar Staatsanleihen und für mehr als eine Billion Dollar andere Wertpapiere in die Bilanz der Fed genommen. Das hat zwar gemeinsam mit den riesigen Konjunkturprogrammen der Regierung die Wirtschaft der Vereinigten Staaten aus der tiefsten Rezession seit vielen Generationen gezogen, doch das Wachstum schwächelt bereits wieder und die Arbeitslosigkeit ist für US-Verhältnisse nach wie vor sehr hoch. Deshalb legt Bernanke nun nach und kauft noch einmal bis Ende des zweiten Quartals 2011 weitere Staatsanleihen für 600 Milliarden Dollar.
Auch die EZB kauft seit Mai dieses Jahres den Banken der Euro-Zone Staatsanleihen von Euro-Ländern ab - offiziell, um Funktionsstörungen der Anleihenmärkte zu beseitigen, de facto stützt sie mit dem höchst umstrittenen Programm Schuldenländer wie Griechenland, Portugal und Irland.
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