GERD's IRAK SHOW - der Spaß kann beginnen
JUSO-CHEF NIELS ANNEN ÜBER DRUCK AUF DEN KANZLER
Den Jusos wird's zu bunt: "Den Drückeberger-Kurs tragen wir nicht mit"
43 Bundestagsabgeordnete haben eine so genannte "Hamburger Erklärung" zum Irak-Krieg unterzeichnet. Darin setzen die Jungsozialisten den Kanzler unter Duck, sein Nein zum Irak-Krieg zu zementieren. Juso-Chef Niels Annen erläutert im SPIEGEL-ONLINE-Gespräch, wie stark er Gerhard Schröder misstraut.
SPIEGEL ONLINE: Herr Annen, misstrauen Sie Gerhard Schröder? Eigentlich müsste Ihre "Hamburger Erklärung" doch längst überflüssig sein, so oft wie der Kanzler sein Nein zum Krieg inzwischen bekräftigt hat.
Niels Annen: Die 100-prozentige Festlegung auf ein Nein der Deutschen im Weltsicherheitsrat steht noch aus. Aber unsere Erklärung zeigt deutliche Erfolge: Die Position der Regierung ist wieder klar erkennbar. Nach den letzten Äußerungen des Kanzlers erscheint mir eine deutsche Zustimmung zu einem Krieg im Irak unvorstellbar.
SPIEGEL ONLINE: Warum wird dennoch weiter gesammelt?
Annen: Die Beunruhigung an der Basis ist groß; "Ihr dürft da nicht wackeln!" heißt es in einer wahren Flut von E-Mails, die uns täglich erreichen. Bis heute haben nicht nur 43 Bundestagsabgeordnete unsere "Hamburger Erklärung" für ein klares Nein zum Krieg unterzeichnet, sondern auch zahllose SPD-Mitglieder und Funktionäre von überall her, darunter die komplette SPD-Landtagsfraktion in Sachsen. Hinzu kommen viele Sympathisanten von Rot-Grün.
SPIEGEL ONLINE: Ist der Bundeskanzler darüber sauer?
Annen: Natürlich gab es hinter den verschlossenen Türen nicht nur Applaus. Aber Gerhard Schröder hat deutlich gemacht, dass er unsere Forderung nach einem klaren "Nein" weniger als Kritik, sondern vielmehr als Ermutigung seiner Position auffasst. Über den Anlass für diese "Hamburger Erklärung" war er offensichtlich genauso verärgert wie wir, eine Stellungnahme des deutschen Uno-Botschafters, Herrn Pleuger. Er hatte sinngemäß gesagt, dass er alles tun werde, damit es zu keiner Abstimmung im Sicherheitsrat komme, das erspare Deutschland ein Abstimmungsverhalten. Aber diesen Drückeberger Kurs tragen wir nicht mit. Diese Regierung sagt "Wir beteiligen uns nicht an einem möglichen Krieg im Irak." Dafür muss weiter offensiv geworben werden. Ich erwarte diese klare Positionierung auch vom Außenminister und seinem Personal.
SPIEGEL ONLINE: Als ein Nein auch zur Kostenbeteiligung an einem Krieg?
Annen: Wir verlassen uns auf die Äußerung des Bundeskanzlers, die Zeit der Scheckbuchdiplomatie sei endgültig vorbei. Unser Nein gilt für jede Form von Beteiligung.
SPIEGEL ONLINE: Nun werfen Stimmen aus der CDU, wie Friedbert Pflüger, dem Kanzler vor, dieses Nein sei nur eine Täuschung der Wähler bis zu den Landtagswahlen am 2. Februar. Fürchten Sie das auch?
Annen: Nein. Denn ein "Umfallen" würde die Glaubwürdigkeit gerade bei jungen Leuten unwiederbringlich zerstören, sowie im Osten. Ich bin mir aber sicher dass sich die Verantwortlichen dieser Konsequenzen sehr bewusst sind.
SPIEGEL ONLINE: Was macht Sie da so sicher?
Annen: Schröders Weg ist ein Überzeugungsweg. Davon abzurücken würde seine eigene Glaubwürdigkeit beschädigen. Die Union taumelt dagegen orientierungslos zwischen Bush und Pabst. Dort fehlt zwischen Nationalkonservativen und Transatlantikern jede Gemeinsamkeit in der Irak-Frage. Das ist jetzt schon ein Desaster für Angela Merkel.
SPIEGEL ONLINE: Sollte die Uno nach dem 27. September mehrheitlich für ein militärisches Eingreifen plädieren, würden aktuell wohl nur Syrien und Deutschland dagegen stimmen. Kann Rot-Grün sich diese Isolation überhaupt leisten?
Annen: Mein Eindruck ist vollkommen anders. International gibt es eine unglaubliche Unterstützung für die deutsche Position - leider noch nicht überall vor den Kulissen. Dass es die Uno-Resolution 1441 und keinen Freibrief für die US-Armee gibt, war auch ein Erfolg für die deutsche Außenpolitik. Wenn aber Deutschlands Haltung in dieser Situation aufweichen würde, dann wäre der Ansehensverlust groß, weil es auch um eine Frage der Kontinuität deutscher Außen- und Friedenspolitik geht.
SPIEGEL ONLINE: Aber isoliert sich Deutschland nicht in Europa?
Annen: Da es im Ernstfall kein plötzliches Nein gibt, sondern ein lange angekündigtes, gibt es auch keine Brüskierung von anderen. Außerdem ist die deutsche Grundhaltung auch kein Hindernis für weitere diplomatische Initiativen. Gegenwärtig sind Konsultationen mit Frankreich in vollem Gang. Und warum sollten die anderen Europäer nicht auf unseren Kurs einschwenken? Unsere ablehnende Haltung ist ja auch eine Reflektion dessen, was in anderen europäischen Nationen gedacht wird. Auf der anderen Seite steht Großbritanniens Premier Tony Blair nicht nur in Europa, sondern auch im eigenen Land zunehmend alleine da.
SPIEGEL ONLINE: Kann es nicht sein, dass sich Deutschland im Zweifelsfall lieber enthält?
Annen: In der Frage zwischen Krieg und Frieden kann man sich nicht enthalten. Diese Option steht für uns nicht zur Diskussion.
SPIEGEL ONLINE: Stützt die Bundesregierung mit ihrem Nein-Kurs nicht einen gefährlichen Diktator?
Annen: Soche Argumentationen sind für mich perfide. Jeder weiß, wie intensiv Deutschland sich für eine Stärkung des internationalen Systems einsetzt und für vorbeugende Entwicklungszusammenarbeit, auch um Terrorismus zu verhindern. Auch ich wäre natürlich froh, wenn Saddam Hussein stürzen würde. Aber das ist nicht die Aufgabe der Staatengemeinschaft. Was die Amerikaner zur Zeit machen, ist das internationale Sicherheitssystem zu unterminieren.
SPIEGEL ONLINE: Aber Sie halten sich doch gegenwärtig an die Uno-Bedingungen.
Annen: Aber sie nehmen sich das Recht heraus, jederzeit präventiv zuzuschlagen - auch ohne, dass eine Legitimation durch die Weltgemeinschaft vorliegt. Die Errungenschaften der Diplomatie aus den letzten 50 Jahren werden damit aufs Spiel gesetzt. Wie verlogen das ist, zeigt das Beispiel Nordkorea. Die USA messen selbst im exklusiven Club der Schurkenstaaten mit zweierlei Maß. Das stärkt Amerikas Glaubwürdigkeit wenig, aber festigt das Misstrauen, dass es vordringlich um wirtschaftliche und geopolitische Intertressen geht und schlimmer noch - um eine alte Rechnung, die George W. Bush für seinen Vater begleichen will.
SPIEGEL ONLINE: Wird im Ernstfall der Druck aus Amerika auf die Bundesrepublik nicht immens?
Annen: Davor habe ich keine Bange. 81 Prozent in Deutschland sind nach letzten Umfragen gegen den Krieg, das kann auch die teuerste PR-Kampagne der Supermacht der USA nicht in wenigen Tagen ändern. Im Gegenteil: Ich war gerade in den Staaten und habe den Eindruck, dass sich dort die Stimmung sogar dreht. Denn die Verbindung vom Irak zu al-Quaida, um die es ursprünglich gehen sollte, davon spricht die US-Regierung gar nicht mehr.
SPIEGEL ONLINE: Drohen Sie dem Kanzler auch mit außerparlamentarischem Protest?
Annen: Wieso sollten wir eine außerparlamentarische Friedensbewegung nicht unterstützen, die im Sinne unserer Erklärung handelt? Als konsequente Friedenspartei könnte die SPD sogar viele junge Mitglieder gewinnen. Deshalb halten die Jusos mit Sicherheit am 15. Februar, wenn weltweit gegen einen Irak-Krieg demonstriert wird, auch mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Eine Demonstration gegen Schröder wäre das aber nicht. Denn ich habe keinen Anlass, momentan am Wort des Kanzlers zu weifeln.
NATO erwartet von Berlin Hilfe für Durchsetzung der Irak-Beschlüsse
Mons (dpa) - NATO-Generalsekretär George Robertson erwartet von Deutschland Unterstützung zur Durchsetzung der Irak-Resolution der Vereinten Nationen. Er sagte, Deutschland habe gemeinsam mit den anderen Bündnispartnern dem entsprechenden Beschluss des NATO- Gipfeltreffens im November zugestimmt. Über die einzelnen Vorschläge der USA zur NATO-Unterstützung im Falle eines Krieges sei aber noch nicht entschieden, sagte Robertson. Das deutsche Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat ist weiter offen.
NATO erinnert Deutschland an Verpflichtung aus Irak-Beschluss
Mons (dpa) - NATO-Generalsekretär George Robertson hat Deutschland an die eingegangene Verpflichtung zur Durchsetzung der Irak- Resolution erinnert. Er gehe davon aus, dass Deutschland diese Bündnis-Verpflichtung erfüllen werde. Das sagte Robertson bei der Einführung des neuen NATO-Oberbefehlshabers US-General James Jones im militärischen Hauptquartier der Allianz in Belgien. Vorher hatten die USA die NATO offiziell um Unterstützung im Falle eines Krieges gegen den Irak gebeten.
SPD strebt AWACS-Einsatz ohne Bundestagsmandat an
Berlin - Der Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen über der Türkei ist nach Ansicht des SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz ohne Zustimmung des Bundestages möglich. Er widersprach damit nachdrücklich den Auffassungen von Union und FDP. Beide hatten am Wochenende angekündigt, notfalls mit einer Verfassungsklage eine Bundestagsabstimmung über einen derartigen Einsatz bei einem Irak- Krieg erzwingen zu wollen. Nach Auffassung von Wiefelspütz muss der Bundestag nur bei bewaffneten Einsätzen zustimmen.
Neuer Erklärungsnotstand bei den Genossen?
Die SPD hat 1993 selbst per Verfassungsklage ein solches Bundestagsmandat erzwingen wollen. Damals ging es um Awacs-Flüge über Ungarn zur Überwachung des Luftraumes über Jugoslawien. Mitte 1994 hat das Verfassungsgericht die Notwendigkeit eines Bundestags-Beschlusses sowohl für Friedensmissionen als auch für Einsätze im Rahmen des Nato-Vertrages festgelegt.
Beteiligungszusage durch J. Fischer in New York
Äußerungen von Außenminister Fischer vor den Vereinten Nationen zu einem möglichen Irak-Krieg
Der Außenminister hat jetzt vor den Vereinten Nationen erklärt, dass militärischer Druck auf Saddam Hussein notwendig und eine Gewaltanwendung gegen ihn in letzter Konsequenz nicht ausgeschlossen werden kann. Außerdem sagt er - im Gegensatz zum Bundeskanzler und zu Verteidigungsminister Struck - das deutsche Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat sei offen. Das ist erneut eine Bewegung in die richtige Richtung.
Wenn man von den verschiedenen Äußerungen der Bundesregierung die Wahlkampfrhetorik abzieht und auf die Substanz reduziert, dann hat die Bundesregierung de facto mehrfach ein stattliches Angebot für eine Beteiligung Deutschlands an einem möglichen Irak-Krieg unterbreitet: Überflugrechte und Nutzung der US-Militärbasen für die Amerikaner, Schutz von US-Einrichtungen mit Bundeswehrsoldaten, deutsche Patriot-Flugabwehrraketen für Israel, Beteiligung deutscher Soldaten in den AWACS-Aufklärungsflugzeugen, Einsatz von ABC-Spürpanzern, Sanitätshilfe mit der fliegenden Intensivstation MEDEVAC.
Gab es vor den Wahlen am 22. September letzten Jahres noch ein klares "Nein" zu einem Irak-Krieg und erst recht zu einer deutschen Beteiligung, so wird jetzt eine Zustimmung nicht ausgeschlossen und ist eine Beteiligung Deutschlands bereits zugesagt worden. Am Tag nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen wird die Bundesregierung dies noch klarer zum Ausdruck bringen. Insofern versucht sie erneut, ihre Wähler zu täuschen.
Die Bundesregierung muss den Bürgern und unseren Partnern klar sagen, was sie will. Sie muss aufhören, zwischen innenpolitisch bestimmter Wahlkampftaktik und außenpolitischen, im deutschen Interesse gebotenen Notwendigkeiten hin- und herzulavieren. Der Frieden kann umso besser gewahrt werden, je entschlossener und geschlossener die Staatengemeinschaft Druck auf Saddam Hussein ausübt.
Deutschland geht es mehr um Wind
Auch eine Form der Zusammenarbeit: Wie Schröder und Chirac einander in die Hände spielen
Von Eckart Lohse
BERLIN, 23. Januar. Der Bundeskanzler schüttelte langsam den Kopf, als wollte er sagen, er verstehe gar nicht, was dieser junge Mensch ihm mitteilen wolle. Die junge Frau, Schülerin und Mitglied eines sogenannten deutsch-französischen Jugendparlaments, mit dem Schröder und sein französischer Gast, Präsident Chirac, am Donnerstag in Berlin diskutierten, ließ sich jedoch nicht beirren. Sie wollte von beiden wissen, ob sie im Falle einer weiteren Abstimmung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dort mit Nein stimmen würden. Für ihr forsches Auftreten bekam die junge Frau starken Beifall des Rest-"Parlaments".
"Hier kann jede Frage gestellt werden", sagte Schröder und antwortete: Er sei wie Chirac der Ansicht, Krieg dürfe nie unausweichlich sein. "Für Deutschland" habe er deutlich gemacht, daß eine Zustimmung zur Legitimierung von Krieg im Sicherheitsrat nicht in Frage komme.
Dann kam Chirac an die Reihe. Der nutzte die Lage, um in ungewohnter Kürze zu antworten und dabei Interpretationsspielräume offenzulassen. Der französische Präsident kommentierte Schröders Äußerungen mit der Feststellung, das sei "die gemeinsame Außenpolitik". Die Jugendlichen klatschten begeistert (wie fast bei jeder Äußerung der beiden Staatslenker) und waren offensichtlich entschlossen, die Äußerung Chiracs als Hinweis darauf zu interpretieren, auch Frankreich werde im Sicherheitsrat im Zweifelsfall mit Nein stimmen. So war es aber auch nicht gemeint, wie in Chiracs Umgebung später klargestellt wurde. Es bleibe dabei, daß Frankreich erst entscheide, wenn eine Entscheidung anstehe.
In Berlin ist wohlbekannt, daß eine der kürzesten Geschichten der Vereinten Nationen die der französischen Vetos ist. Sehr oft hat Frankreich ein solches im Sicherheitsrat noch nicht eingelegt. Zudem hat es bislang den Willen erkennen lassen, im Zweifelsfalle an der Seite Amerikas und Großbritanniens zu stehen, allemal, wenn es um kriegerische Auseinandersetzungen ging. Schließlich gibt es noch etwas, das die deutsche und die französische Haltung zu einem Irak-Konflikt fundamental unterscheidet. Frankreich bezieht in seine außenpolitischen Erwägungen die Ölvorkommen im Irak selbstverständlich mit ein, Deutschland konzentriert sich dagegen mehr auf die Windenergie.
Auch vor diesem Hintergrund war die Diskussionsrunde Schröders und Chiracs mit den Jugendlichen interessant. Denn der Gast aus Paris bestritt zwar nicht die Vorzüge alternativer Energien, wies jedoch ausdrücklich darauf hin, daß die noch lange nicht geeignet seien, andere Energieformen zu ersetzen. Zwar begegnete er mit diesen Äußerungen Forderungen der Jugendlichen, Frankreich möge wie Deutschland auf die Atomstromerzeugung verzichten, und bekräftigte das Festhalten seiner Regierung an derselben. Ebenso wies er auf die Nachteile fossiler Energien hin, die zur Erderwärmung beitrügen. Doch hieße es wohl abermals Chirac übertzinterpretieren, wollte man daraus ableiten, er habe kein Interesse an Ölreserven.
So könnte es denn sein, daß Paris und Berlin sich gegenseitig diplomatische Hilfestellung leisten und trotzdem im Sicherheitsrat unterschiedlich abstimmen werden. Schröder kann sein Nein in New York vor dem Rest der Welt leichter verteidigen, wenn er auf französische Bedenken gegen einen Krieg hinweisen kann. Chirac kann seine Hinhaltetaktik gegenüber Amerika und Großbritannien effektiver vertreten mit dem widerborstigen Deutschland im Rücken: auch eine Form der deutsch-französischen Zusammenarbeit.
Ratsvorsitz mit Lenkungsfunktion?
Ein Fragebogen statt einer zweiten Resolution
Wie Amerika im Sicherheitsrat vorgehen dürfte / Von Matthias Rüb
NEW YORK, im Januar. Wer in einer entscheidenden Frage nach zähem Ringen ein Traumergebnis von 15 zu null erreicht hat, gibt sich so rasch nicht mit weniger zufrieden. Deshalb ist es äußerst fraglich, ob sich die Vereinigten Staaten um eine zweite Resolution des UN-Sicherheitsrates in der Irak-Frage bemühen, wenn das zu erwartende Ergebnis nicht in etwa das gleiche sein würde wie bei der historischen Abstimmung vom 8. November 2002 über die Resolution 1441. Die in Europa geführte Debatte, wie man sich im Falle der Abstimmung über einen zweiten Resolutionsentwurf verhalten werde, findet daher in Amerika wenig Widerhall.
Frankreich hat seit mehr als 25 Jahren im Sicherheitsrat nicht gegen eine von den Vereinigten Staaten befürwortete Resolution gestimmt. Und wenig spricht dafür, daß es Paris wegen Bagdad auf eine Frontalkollision mit Washington ankommen läßt. Denn das hieße, daß sich Frankreich von seiner Rolle als globalem Spieler im Weltkonzert der großen Mächte vorerst in den Schmollwinkel verabschieden würde. In New York glauben westliche Diplomaten bei den UN deshalb, daß die Vereinigten Staaten unmittelbar nach der Vorlage des Berichts des obersten Waffeninspekteurs Hans Blix und des Direktors der Internationalen Atomenergiebehörde Mohamed El Baradei am Montag den Mitgliedern des Sicherheitsrates eine Art Fragebogen vorlegen werden. Die ständigen und temporären Mitglieder sollen feststellen, ob sich das Regime in Bagdad ohne Einschränkung an alle Auflagen der Resolution 1441 und der vorigen Resolutionen des Rates gehalten hat oder nicht.
Da selbst Blix und El Baradei, die für eine Fortsetzung des Inspektionsregimes über Wochen und Monate hinaus plädieren, öffentlich immer wieder Klage über die allenfalls passive Kooperation Bagdads erhoben und die irakische Regierung zu aktiver Zusammenarbeit aufgerufen haben, wird kein Mitglied des Rates Saddam Hussein die Absolution erteilen können. Damit wäre nach amerikanischer Lesart die Feststellung eines weiteren "schweren Verstoßes" (material breach) gegen die Resolution 1441 getroffen und mithin der "casus belli" gegeben - und zwar auf der völkerrechtlichen Grundlage einer einstimmig angenommenen Resolution.
Unter den ständigen Mitgliedern des Rates steht Großbritannien uneingeschränkt auf der Seite der Vereinigten Staaten. China wird sich wie üblich aus dem Streit herauszuhalten versuchen und am Ende mit Amerika gehen. Rußland hat sich zwar wiederholt gegen den Einsatz von Gewalt im Irak gewandt und die Fortsetzung der Inspektionen gefordert, doch die Pflege der guten Beziehungen zu Washington sind für Moskau wichtiger als das Verhältnis zum Regime in Bagdad, das zudem die Interessen russischer Ölfirmen in letzter Zeit nicht gewürdigt hat. Frankreich schließlich hat gar ein Veto gegen eine "Kriegsresolution" angedroht und verfügt mit dem Ratsvorsitz bis Ende Januar auch über einen wichtigen Hebel, um die Tagesordnung zu bestimmen; doch hat sich Paris anders als Berlin noch nicht auf eine Ablehnung eines Krieges festgelegt und kann ohne Gesichtsverlust die Seiten wechseln.
Unter den nichtständigen Mitgliedern, für die Anfang 2003 das zweite Jahr der Mitgliedschaft im Rat begann, dürften Bulgarien, Guinea und Kamerun auf amerikanischer Seite stehen. Auch von Mexiko wird trotz des Wechsels im Außenministerium und der allgemein abgekühlten Beziehungen zu Washington erwartet, daß am Ende das Verhältnis zum großen Nachbarn im Norden wichtiger ist als alles andere. Ob Syrien abermals mit den Vereinigten Staaten stimmen würde, wenn damit ein Krieg gegen den Irak vollends beschlossene Sache wäre, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen; bisher vertritt Damaskus die Position, der Irak habe alle Auflagen erfüllt, die Sanktionen müßten deshalb aufgehoben werden.
Unter den im Januar neu in den Rat gestoßenen Mitgliedern kann Washington auf die Unterstützung von Angola, Chile und auch Spanien zählen. Pakistan unter Präsident Musharraf ist ein wichtiger Verbündeter Amerikas im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und dürfte prinzipiell geneigt sein, Washington im Irak-Konflikt zu unterstützen; freilich wird die Regierung in Islamabad das Risiko weiterer Radikalisierung zumal in den von islamischen Fundamentalisten geprägten westlichen Landesteilen abwägen müssen.
Die schwierigste Position unter den UN-Botschaftern im Rat aber hat der deutsche Vertreter Gunter Pleuger. Er sieht sich durch die Politik Berlins, zumal des Kanzleramts, in eine schwierige Lage gebracht. Als turnusgemäßer Ratsvorsitzender herrscht er von Februar an über die Agenda des Rats, kann aber nicht die Rolle eines Mittlers einnehmen, sondern muß streng parteiisch gegen die amerikanische Haltung sein. Wie Deutschland auf den von den Vereinigten Staaten geplanten Fragenkatalog zum Verhalten Bagdads seit Wiederaufnahme der Inspektionen im vergangenen November antworten wird, ist noch unklar. Die einzig politisch konsequente Lösung wäre, dem Regime in Bagdad ausreichende Kooperation zu bescheinigen und damit auch für eine Aufhebung der Sanktionen zu plädieren, weil dies formal der einzige Weg wäre, einen Krieg abzuwenden.
Denn einen dritten Weg wird Washington nicht öffnen. Entweder wird kurz nach dem 27. Januar festgestellt, daß der Irak sich - anders als Südafrika 1989 sowie Kasachstan und die Ukraine in den neunziger Jahren - nicht aktiv an der Abrüstung von Massenvernichtungswaffen beteiligt und deshalb rasch gewaltsam zur Aufgabe seiner verbotenen Waffenprogramme gezwungen werden muß. Oder es wird dem Regime in Bagdad Absolution erteilt, und die seit mehr als einem Jahrzehnt wirksamen UN-Sanktionen werden aufgehoben. Allenfalls, so heißt es in New York, könnten die Vereinigten Staaten bereit sein, dem Irak einen allerletzten Aufschub von ein oder zwei Wochen zu gewähren - nicht jedoch über Ende Februar hinaus. Bis dahin wären die für einen Angriff erforderlichen Soldaten samt ihrem Kriegsgerät in der Region einsatzbereit. Von der kommenden Woche an geht es in jedem Fall Schlag auf Schlag: Einen Tag nach dem Bericht von Blix und El Baradei hält Präsident Bush im Kongreß seine Rede zur Lage der Nation. Tags darauf tritt in New York abermals der UN-Sicherheitsrat zusammen. Danach ist eine definitive Entscheidung, ob es Krieg gibt im Irak, eine Sache von Tagen, nicht von Wochen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.01.2003, Nr. 21 / Seite 3
INTERVIEW ZU SCHRÖDERS AUSSENPOLITIK
Mißbrauch der Irak-Frage für den Wahlkampf - "Ein schwerer Missgriff"
Der renommierte Historiker Karl Dietrich Bracher wirft dem Bundeskanzler vor, die Irak-Frage für innenpolitische Zwecke zu instrumentalisieren. Durch das Brüskieren der Amerikaner habe er sich jede Chance zur Einflussnahme verbaut. Die Franzosen würden viel klüger handeln und dabei die Deutschen für ihre Zwecke einspannen.
SPIEGEL ONLINE: Wie beurteilen Sie das Verhalten des Kanzlers in der Irak-Frage?
Karl Dietrich Bracher: Das war ein schwerer Missgriff, um nicht einen schlimmeren Begriff zu verwenden. Er hat bereits im vergangenen Sommer den "deutschen Weg" erfunden - eher aus der Not heraus, weniger als politisches Konzept. Durch Nachdenken hätte er darauf kommen müssen, was dieser "deutsche Sonderweg" schon als Begriff bei anderen auslöst. Er kommt davon nicht mehr runter, das hat sich verselbstständigt und damit eine fragwürdige Wende in der Außenpolitik eingeleitet, deren Folgen im Einzelnen noch gar nicht abzuschätzen sind.
SPIEGEL ONLINE: Bedeutet "Bündnistreue" und "deutsch-amerikanische Freundschaft" denn, dass man jede Entscheidung mittragen muss?
Bracher: Nein. Aber wer die Amerikaner so brüskiert, verspielt jede Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Zudem sehen die Amerikaner ja die Absicht dahinter: Es geht Schröder um Innenpolitik. Das zeigt doch auch der Wahlkampf in Hessen und Niedersachsen. Durch die vorzeitige Festlegung Deutschlands in der Irak-Frage nimmt sich die Bundesregierung jeden Spielraum und vergibt Vertrauen.
SPIEGEL ONLINE: Im Gegenzug bezeichnet Donald Rumsfeld die Kriegsskepsis in Deutschland und Frankreich als "altes Europa".
Bracher: Die Feiern zum 40-jährigen Bestehen des Elysée-Vertrages stehen in der Gefahr missbraucht zu werden. Denn man versucht das deutsch-französische Verhältnis auszuspielen gegen das deutsch-amerikanische. Rumsfelds scherzhafte Äußerung wurde viel zu wichtig genommen. Ich verstehe die Aufregung nicht.
SPIEGEL ONLINE: Könnte die deutsch-französische Position nicht der Kern einer europäischen Haltung sein, der dem Unilateralismus der USA ein politisches Gewicht entgegensetzt?
Bracher: Deutschland und Frankreich sind sich dabei gar nicht so nah, wie viele behaupten. Die Franzosen handeln viel klüger. Sie kritisieren zwar, aber am Ende entscheiden sie sich immer rational. Das deutsche Verhalten war irrational. Im Moment bedienen sich die Franzosen eher der Deutschen, als dass sie tatsächlich einig wären. Eine gemeinsame europäische Außenpolitik wäre in der Tat ein Erfolg - aber die muss man intelligent aufbauen. Diese Chance hat Schröder verspielt.
SPIEGEL ONLINE: Empfinden die Amerikaner Deutschland als undankbar?
Bracher: Ja schon. Sie sind enttäuscht. Der Schock in den USA über das deutsche Verhalten, das sie als illoyal empfinden, ist echt - und nur schwer zu heilen. Die Hauptschuld daran trägt ein Kanzler, der sich von wahltaktischen und innenpolitischen Motiven leiten ließ und weiter leiten läßt.
SPIEGEL ONLINE: Und Außenminister Joschka Fischer kehrt die Scherben zusammen?
Bracher: Fischer beweist einige Elastizität, um zu retten, was zu retten ist. Aber sein Spielraum ist durch die Festlegung Schröders mehr als begrenzt. Man hat auch nicht den Eindruck, dass es zwischen den beiden eine abgesprochene Linie gibt. Schröder macht Wahlkampf, Fischer schon eher internationale Politik.
SPIEGEL ONLINE: Andere sehen in der deutschen Haltung den Mut, sich einem möglicherweise völkerrechtswidrigen Angriffskrieg entgegenzustellen.
Bracher: Auf das deutsche Ja oder Nein kommt es nun leider kaum mehr an. Wir haben da was verpasst. Die Erfolge, die nun erreicht wurden im Uno-Sicherheitsrat, gehen eher auf die Briten und Franzosen zurück. Deutschland hat seine Möglichkeit, in den USA Gehör zu finden, derzeit verspielt.
Das Interview führte Markus Deggerich
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Karl Dietrich Bracher
Der Historiker Karl Dietrich Bracher ist emeritierter Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte der Universität Bonn. Er wirkte außerdem als Gastprofessor an den Universitäten Stanford, Princeton, Oxford, Tel Aviv und Washington. Für seine Verdienste um die Politischen Wissenschaften erhielt er 1997 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Er ist auch Mitglied im Orden "Pour le Mérite", dem nur herausragende Wissenschaftler und Künstler angehören.
Politik und Ethik
Die Entscheidung über Krieg und Frieden ist die schwerste, die es geben kann. Jetzt steht sie auch Deutschland im UN-Sicherheitsrat womöglich bevor. Ein Krieg zur Entwaffnung Saddam Husseins würde unschuldige Opfer fordern und schwer kalkulierbare Folgen haben. Aber auch der Verzicht auf die Entwaffnung des Diktators kann schlimme Folgen haben für unser Land, für Europa und für die Menschen im Mittleren Osten. Das ethische Dilemma zwingt zu grundsätzlichen Fragen und Überlegungen. Einfache Antworten gibt es nicht.
Die Perspektive eines Militärschlags gegen den Irak beunruhigt uns alle. Welche Auswirkungen könnten damit für uns, für die politische und die wirtschaftliche Entwicklung verbunden sein? Viele sind aber auch wegen damit verbundener Konsequenzen für die Menschen im Irak, wegen schwer abschätzbarer Auswirkungen in der dortigen Region, besorgt.
Dem viel erörterten Risiko eines Militärschlages steht bei uns aber kein reales Bedrohungsgefühl gegenüber. Denn es ist kaum im Blickfeld der öffentlichen Diskussion, mit welchen Entwicklungen wir rechnen müssen, wenn es zu keiner Entwaffnung von Saddam Hussein kommt. Das ist eine gefährliche Verzerrung der Situation, die leicht buchstäblich lebensgefährlich werden.
Die Entscheidung, ob man einen Krieg führt oder nicht, stellt eine der fundamentalsten ethischen Herausforderungen der Politik dar. Sie bedarf deshalb grundsätzlicher Überlegung und einer sorgfältigen, tragfähigen und überzeugenden Begründung. Darin liegt eine unabdingbare Bringschuld der Politik. Politiker dürfen sich dabei nicht auf reine Gesinnungsfragen zurückziehen, sondern müssen auch und vor allem die Folgen, die Chancen und Risiken, ihrer Entscheidungen im Blick haben.
Unser Ziel ist es zu verhindern, dass ein skrupelloser Diktator Massenvernichtungswaffen behält oder erhält. Klar ist dabei: Es müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, dieses Ziel ohne Kriegsführung zu erreichen. Aber: Was ist, wenn das auf einem solchen Weg nicht gelingt, weil sich dieser Diktator nicht darauf einlässt? Darauf geben die Verfechter der Position "keinesfalls Krieg" keine Antwort. Wer in der Politik Verantwortung trägt, muss dies aber tun. Und diese Antwort muss jetzt (oder sehr bald) gegeben werden.
In der hierfür notwendigen Debatte niemand kann automatische Gefolgschaft verlangen müssen die Fakten und Hintergründe umfassend erörtert werden. Dabei ist festzuhalten und immer wieder deutlich zu machen, dass es keinen Konflikt mit der Perspektive einer kriegerischen Auseinandersetzung gäbe, wenn Saddam Hussein und sein Regime die UN-Resolution 1441 in vollem Umfang akzeptieren und umsetzen würden. Die Weltgemeinschaft hat hierin über ihre demokratischen Entscheidungswege eine eindeutige Position bezogen im Hinblick auf die Notwendigkeiten und den Maßstab gegenüber dem Regime im Irak. Hier handelt es sich nicht um einen Alleingang der USA. Vielmehr liegen hier Positionen zugrunde, die alle verantwortlichen Staaten teilen.
Hierzu gehört die Einschätzung der Person von Saddam Hussein, die vor allem durch ihre Skrupellosigkeit und ihre Gefährlichkeit charakterisiert ist, die er durch sein ganzes politisches Handeln bis hin zum Giftgaseinsatz gegenüber dem eigenen Volk dokumentiert hat. Hier handelt es sich nicht um Vermutungen, sondern um leider belegte Tatsachen. Über seine Skrupellosigkeit und die Gefahren, die von ihm deshalb ausgehen, kann und darf es keinen Zweifel geben.
Einigkeit besteht auch darüber, dass die Bringschuld für die Entschärfung des Konfliktes bei Saddam Hussein liegt. Wenn er der UN-Resolution 1441 nachkommt, hat sich der Konflikt erledigt. Wenn der Irak und Saddam Hussein ihre Verpflichtungen zur Abrüstung nicht erfüllen, drohen "ernsthafte Konsequenzen" bis hin zu einem präventiven Militärschlag. Der Sicherheitsrat hat auch insoweit einstimmig und völkerrechtlich einwandfrei klare Maßstäbe gesetzt.
Beim Ringen um diese Resolution, bei der auch die USA manches Zugeständnis machen mussten, bestand Übereinstimmung darüber, dass ein so skrupelloser Diktator zum Einlenken nur zu bewegen ist, wenn im Falle der Verweigerung konsequent gehandelt wird. Wer dies unterläuft, indem er das konsequente Handeln mit einem Militärschlag als dann einzig verbleibende Möglichkeit von vornherein und für jede Situation ausschließt, überlässt das Gesetz des Handelns Saddam Hussein. Das Katz- und Mausspiel, das der Irak mit seinem Bericht an die UNO und durch den Umgang mit den Inspektoren nicht zum ersten mal treibt, wird eine unendliche Fortsetzung finden, bis ja bis dieses Handeln auch zur Erpressung der freien Welt führen kann.
Die Bedrohung aus dem Irak hat dabei einen zweifachen Charakter. Da ist einmal die Gefahr, dass sich Saddam Hussein mit terroristischen Gruppen verbündet, diesen chemische, biologische oder atomare Materialien überlässt. Die andere Gefahr besteht in direkten Kriegshandlungen des Irak gegenüber den unmittelbaren Nachbarländern (wozu auch Israel gehört), die angesichts seiner höchstwahrscheinlich vorhandenen waffentechnischen Möglichkeiten schon heute nicht ausgeschlossen werden können. Bei einer ungestörten Fortsetzung seiner Rüstungsanstrengung wäre für ihn in wenigen Jahren auch Europa mit Mittelstreckenraketen erreichbar.
Die Entscheidung über den richtigen Umgang mit Saddam Hussein wird voraussichtlich in wenigen Wochen getroffen werden müssen. Die Beratungs- und Entscheidungsebene ist die UN. Dies kann nicht die Entscheidung eines Landes, auch nicht der USA allein, sein. Es wird einmal um die Feststellung gehen, welche Massenvernichtungsmittel wahrscheinlich jetzt schon zur Verfügung stehen und/oder in absehbarer Zeit von Saddam Hussein eingesetzt werden können, wenn jetzt nicht gehandelt wird.
Es wird sich die Frage stellen, wie zu entscheiden ist, wenn es bei den Lücken im irakischen Rüstungsbericht für die Uno bleibt. Das 12000 Seiten lange Dokument schweigt sich über den Stand des Raketen- und Atomwaffenprogramms aus, wie auch über den Verbleib von Material, das für die Anreicherung von Uran benötigt wird. Es fehlen Angaben über je 1,5 Tonnen VX-Nervengas und Nährlösung für die Züchtung von Milzbranderregern, die Inspektoren bei früheren Kontrollen registriert haben. Es ist unklar, was mit 550 mit Senfgas gefüllten Artilleriegranaten und mit 400 biowaffenfähigen Bomben geschehen ist.
Was wäre die Alternative zu einem Militärschlag? Unter den Staaten einer zivilisierten Welt die Verhandlungs- und Vertragslösung. Eine solche Konfliktprävention durch Verhandlung funktioniert jedoch nur, wenn sich alle Beteiligten an Spielregeln und Verträge halten. Am Beispiel Nordkorea sehen wir jetzt, wohin es führt, wenn diese Grundregeln eines zivilisierten Zusammenlebens ignoriert werden: Vertragsbrüche, Erpressungspolitik, Drohungen, mit den unbestritten schon vorhandenen Atomwaffen und Raketen, Lieferung dieses Know-hows an terroristische Gruppen oder andere Staaten als erklärte Möglichkeit (wahrscheinlich schon Praxis) der Regierungspolitik.
Wie ist die Situation für die Welt und gerade für uns in Europa, wenn auch Saddam Hussein morgen oder übermorgen mit solchen Möglichkeiten, wie sie jetzt schon Nordkorea hat, politisch operieren kann? Was bedeutet es für die weitere Entwicklung in der Welt, wenn die Uno nicht in der Lage oder nicht Willens ist, zu handeln notfalls, ja notfalls auch militärische Aktionen zu befürworten. Was bedeutet dies für das Verhalten der politischen Hasardeure dieser Welt, wenn Drohungen mit der äußersten Konsequenz nicht als glaubwürdig angesehen werden und damit nicht zwingend zu berücksichtigen sind? Nur ein Hinweis: Selbst wenig entwickelte Länder besitzen heutzutage Raketen von circa 1500 Kilometer Reichweite, allein 35 Staaten besitzen Raketen vom Typ "Scud" oder ähnliche Trägersysteme. Gegenwärtig können rund 70 Länder der Welt Raketen oder Marschflugkörper herstellen und in zwölf Staaten gibt es Industrien, die Raketentechnologie exportieren.
Der einzelne Bürger kann sich der Brisanz einer solchen Entscheidungssituation entziehen, politische Verantwortungsträger können und dürfen dies nicht. Dies gilt nicht nur für die Regierenden, die in diesem Prozess eine unmittelbar aktive Rolle haben, es gilt auch für die politische Führung Deutschlands.
Der Entscheidungssituation mit ihren möglicherweise bitteren Konsequenzen kann man sich auch nicht dadurch entziehen, dass man Amerikanern oder Engländern allein vordergründige Interessen unterstellt, wie etwa an den Ölfeldern im Irak. Wäre dies der Maßstab, hätten die Amerikaner schon 1991 konsequent bis nach Bagdad marschieren müssen. Nein, es gibt keine Ausreden und keine Auswege bequemer Art aus dieser Situation.
Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, wenn sich Deutschland einer gemeinsamen Entscheidung in der UN entziehen und aus dem Kreis der Verbündeten ausscheren will? Wer diesen Weg vertritt, muss sich über die Konsequenzen für die Menschen in unserem Land im klaren sein:
Schon jetzt haben wir die Situation, dass Deutschland durch die Kriegsangst-Demagogie des Wahlkampfes beinahe jeden Einfluss auf die internationale Meinungsbildung verloren hat. Die deutsche Regierung hat international kaum mehr Glaubwürdigkeit und somit auch wenig Gewicht. Wenn wir uns nun einer gemeinsamen Meinungsbildung im UN-Sicherheitsrat und unter unseren europäischen Verbündeten entziehen, sind wir international noch stärker isoliert. Das hätte katastrophale Wirkungen, wenn es um deutsche Interessen geht. Warum sollten andere dann, sei es in sicherheitsrelevanten oder in wirtschaftlichen Fragen, auf deutsche Interessen noch Rücksicht nehmen, wenn Deutschland in der jetzigen existenziellen Situation einen bequemen Sonderweg sucht?
Und schließlich: Was bedeutet ein solches Verhalten für die Sicherheitsinteressen der deutschen Bürger? Ein wirksamer Schutz gegen den Terrorismus, sei es in der Form des Staatsterrorismus oder durch terroristische Gruppen anderer Art, ist nur in internationaler Solidarität und Zusammenarbeit möglich. Das Engagement auf dem Balkan oder in Afghanistan würde international nicht aufwiegen können, was wir bei einem deutschen Alleingang im Irakkonflikt an politischer und moralischer Legitimation in den Augen der freien Welt verlieren würden. Und: Mittelstreckenraketen mit biologischen, chemischen oder atomaren Sprengköpfen, die auf Europa gezielt würden, würden um Deutschland keinen Bogen machen. Es gibt keinen Schutz durch Sonderwege.
Und schließlich gibt es noch eine besondere deutsche Erfahrung zu bedenken: Wäre der Welt und Deutschland nicht viel erspart geblieben, wenn die Regierenden der westlichen Länder gegenüber Hitler nicht über eine längere Zeit eine Politik des "Friedens um jeden Preis" praktiziert hätten, sondern deutlich früher politisch und militärisch vorgegangen wären?
Die komplexe Situation entzieht sich einer einfachen Schwarz-Weiß-Betrachtung. Man wird je nach Faktenlage unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen müssen. Rigoroser Pazifismus ist jedoch ganz gewiss nicht die einzig ethisch vertretbare Position. Sie wird Gewalt und Unterdrückung nicht reduzieren, sondern in der gegebenen Situation zunächst zementieren und weiterem Unheil den Weg bereiten. Drohung ist in diesem Fall ein notwendiges Mittel der Politik. Ohne dieses Mittel hätten die Inspekteure nie in den Irak zurückkehren können. Wohl alle sind sich einig, dass (wenn überhaupt) nur damit ein Einlenken des Regimes zu erreichen ist.
Drohungen wirken in einer solchen Situation aber nur, wenn sie auch glaubwürdig sind. Wann sind sie glaubwürdig? Wohl nur, wenn im äußersten Fall der Krieg als allerletztes Mittel nicht ausgeschlossen wird. Will man zu diesem Mittel greifen, muss man eine überzeugende Begründung dafür geben, dass damit die konkret drohende Gefahr eines noch größeren Übels abgewendet wird.
Dies von vornherein auszuschließen, birgt die Gefahr in sich, dass letztlich die UNO in ihrer Wirkung "entwaffnet" wird und nicht Saddam Hussein. Diese Dilemmasituation kann niemand auflösen. Jede Entscheidungsalternative bedarf der ethischen Begründung. Ein Blick zurück: Die Grundsatzfrage der Zulässigkeit eines Präventivkriegs stellte sich auch für das Kosovo und Afghanistan. Die Entscheidungen und ihre Wirkungen sind bekannt.
29.01.2003: «Patriot»-Raketen für Israel werden in Nordenham verladen
Nordenham (dpa) - Im Hafen von Nordenham hat am Morgen die Verladung deutscher «Patriot»-Flugabwehrraketen für Israel begonnen. Zunächst würden Fahrzeuge und Material an Bord gebracht, sagte ein Bundeswehrsprecher. Die Raketen werden zuletzt verladen. Insgesamt werden Israel nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums 128 Flugabwehrraketen für zwei Jahre geliehen. Israel hatte die Bundesregierung um die Lieferung zum Schutz israelischer Städte im Falle eines Irak-Krieges gebeten
Entscheidungen zum Irak gehören laut Fischer in Sicherheitsrat (Ausnahme: Deutschland)
Berlin (dpa) - Nach der Rede von US-Präsident George W. Bush hat Bundesaußenminister Joschka Fischer die Bedeutung des Weltsicherheitsrats im Irak-Konflikt hervorgehoben. Es sei wichtig, dass die Entscheidungen im Sicherheitsrat bleiben, sagte Fischer in Berlin. Bush hatte angekündigt, sein Land werde der UNO am kommenden Mittwoch Beweise über irakische Massenvernichtungswaffen und Bagdads Unterstützung für den internationalen Terrorismus vorlegen. Mehrere rot-grüne Politiker reagierten mit Skepsis auf die Rede.
Wie groß wird der Druck auf Gerd und Joseph?
Für Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Koalition brechen schwere Zeiten an. Was passiert, wenn die USA erdrückende Beweise präsentieren? Schließlich hofft US-Außenminister Colin Powell bereits auf deutsche Zustimmung
Rund 30 000 Chemiewaffenträger, dazu Kampfstoffe en masse – über den Verbleib von 25 000 Litern Anthrax, 38 000 Litern Botox sowie 500 Tonnen Sarin, Senfgas und VX-Nervengas soll der Irak noch immer keine Rechenschaft abgelegt haben. „Der Diktator des Irak rüstet nicht ab. Im Gegenteil, er betrügt.“ So lautet die Anklage gegen Saddam Hussein, erhoben von US-Präsident George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation. Vor dem Kongress kündigte Bush am Dienstag Beweise für die Existenz des irakischen Waffenprogramms an. US-Außenminister Colin Powell werde das Geheimdienstmaterial am Mittwoch dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorlegen, dessen Präsidentschaft Deutschland am Samstag übernimmt. Powell äußerte bereits die Hoffnung, dass Deutschland einem Krieg gegen Irak nach der Vorlage neuer Informationen doch noch zustimmen wird. „Wir hoffen, dass in den kommenden Tagen, wenn wir das gemeinsam diskutieren, die deutsche Öffentlichkeit und ihre Führer das Ganze in einem anderen Licht betrachten und, so unangenehm wie Krieg auch ist, verstehen, dass es manches mal nicht möglich ist, Krieg zu vermeiden, wenn man dem Bösen gegenübersteht, wie es Saddam Hussein verkörpert“, sagte Powell im ZDF.
Bange Tage brechen für Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine rot-grüne Koalition an: Was, so müssen sich die Partner fragen, passiert eigentlich, wenn die USA eine erdrückende Beweislast präsentieren? Wie will Schröder dann noch bei seiner Position bleiben? Wie groß wird der Druck auf die Koalition, wenn Deutschland im Sicherheitsrat als einziges Mitglied neben Syrien seine Zustimmung verweigert, während Frankreich, Russland und China angesichts neuer Kriegsgründe umschwenken?
Nach der weit gehenden Festlegung des Kanzlers auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung in Goslar („Rechnet nicht damit, dass Deutschland einer den Krieg legitimierenden Resolution zustimmt“), hat bisher nur Grünen-Chef Reinhard Bütikofer die Möglichkeit einer Kursänderung ins Spiel gebracht. Zwar könne er sich „unter den obwaltenden Umständen kein Ja“ vorstellen, sagte er am Montag. „Mit schwarzer Fantasie“ seien aber Szenarien vorstellbar, die zu einer anderen Entscheidung führen könnten – etwa irakische Bombenangriffe auf Israel.
Dass das Geheimdienstmaterial ausreichen könnte, um die Bundesregierung zur Kurskorrektur zu zwingen, gilt in den Reihen von Rot-Grün jedoch als unwahrscheinlich. „Wenn Bush sichere Beweise in der Hand gehabt hätte, hätte er sie auf den Tisch gelegt, zeigte sich SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt gestern überzeugt. Auch der grüne Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei rechnete nicht damit, „dass wirklich triftiges Material vorgelegt wird“. Und Grünen-Chefin Angelika Beer fragte, „warum Beweise, die laut Bush vorliegen, nicht längst der UNO zur Verfügung gestellt worden sind?“
Keine Frage: Die Bush-Rede hat bei SPD und Grünen die großen Zweifel am Willen der USA zu einer friedlichen Lösung der Irak-Krise noch bestärkt. Schmidt sprach von einer „klaren Hinwendung auf einen solchen Feldzug“. Beer äußerte den Verdacht, der US-Präsident wolle den Sicherheitsrat am 5. Februar zu einem Ja zwingen oder den Militärschlag selbst durchführen. Für SPD-Fraktionsvize Gernot Erler war klar, dass der US-Präsident einen Krieg legitimieren wolle. Bush rechne nicht mehr damit, im Rahmen der UNO zu seinem Ziel zu kommen. „Warum sonst hält er zurzeit vermeintliche Geheimdienstinformationen zurück, um sie dann in der kommenden Woche wie ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern?“
Die Bundesregierung reagierte in diplomatischem Ton, pochte aber auf das Entscheidungsmonopol des Sicherheitsrates. Dort, „und nur dort“, so Schröder, müsse die Frage behandelt werden. Ähnlich äußerte sich auch Außenminister Joschka Fischer (Grüne), der die Sicherheitsratssitzung am Mittwoch selbst leiten wird.
Schröder und Fischer begrüßten Bushs Ankündigung, im Sicherheitsrat Geheimdienstinformationen vorzulegen. Dies könne die Arbeit der UN-Waffeninspekteure nur befördern, so Fischer. Schröder sagte, alle Informationen müssten auf den Tisch. Die Frage, ob die Erkenntnisse der US-Dienste zu einer Positionsänderung Deutschlands führen könnten, beantwortete der Kanzler, als seien ihm frühe Festlegungen völlig fremd: „Man kann zu Informationen nur Stellung nehmen, wenn man sie kennt.“
Bundesregierung darf US-Einsätze untersagen
Laut einem Pressebericht haben Bundestags-Rechtsexperten festgestellt, dass Washington US-Militärbasen in Deutschland bei einem Krieg gegen Irak nicht nach Gutdünken nutzen kann. Die Bundesregierung müsse dies explizit erlauben.
Die USA sind einem Bericht der «Berliner Zeitung» zufolge nicht berechtigt, im Fall eines Kriegs gegen Irak ihre militärischen Stützpunkte in Deutschland und den deutschen Luftraum ohne ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung zu nutzen. Diese Einschätzung vertrete der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten, schreibt die Zeitung unter Berufung auf das ihr vorliegende Papier.
Demnach verfügen die US-Streitkräfte nicht über das Recht, «eigenständig präventive Angriffshandlungen über das Territorium der Bundesrepublik zu führen». Dagegen hatte US-Präsident George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation betont, notfalls im Alleingang ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats Trupppen gegen Irak zu mobilisieren.
Automatismus nur bei Übungen oder Bündnisfall
«Der Kurs dieses Landes hängt nicht von den Entscheidungen anderer ab», sagte Bush wörtlich. Dem widerspreche das Bundestags-Gutachten, berichtet die Zeitung. Die Studie argumentiere, dass das Nato-Truppenstatut sowie einschlägige Zusatzabkommen den Amerikanern Überflug- und Nutzungsrechte nur dann automatisch einräumen, wenn es sich um normalen Übungsbetrieb oder einen Fall von Bündnisverteidigung handele.
Sollte es zu einem Krieg gegen Irak ohne UN-Mandat kommen, könne von einem Bündnisfall nicht die Rede sein, so das Blatt. In einem weiteren Gutachten kommt der Wissenschaftliche Dienst zu dem Ergebnis, die bisherigen UN-Resolutionen stellten «keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für ein künftiges militärisches Vorgehen gegen den Irak» dar. Dafür sei ein erneuter Beschluss des Sicherheitsrates erforderlich. (nz)
Opposition: Regierung verschweigt BND-Informationen über Iraks Waffen
Nach Angaben der Opposition liegen der Bundesregierung brisante Informationen über Massenvernichtungswaffen im Irak vor. Diese habe sie der Öffentlichkeit bislang vorenthalten.
Union und FDP haben die Bundesregierung aufgefordert, ihr vorliegende Geheimdienstinformationen über Massenvernichtungswaffen in Irak offenzulegen. Die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses seien am 13. November über diese Daten informiert werden. Diese «beunruhigenden Informationen» dürfe er als Abgeordneter aber nicht weitergeben, weil er an die Geheimhaltungspflicht gebunden sei, sagte CDU/CSU-Fraktionssprecher Friedbert Pflüger.
«Wenn wir unseren Diensten vertrauen, und das tue ich, dann wissen wir, dass es im Irak Massenvernichtungswaffen gibt» sagte Pflüger. Auch dass die Bundesregierung für mehrere Millionen Impfstoffe gegen Pocken kaufe, deute daraufhin, dass es eine reale Gefährdung gebe. Ansonsten sei die Anschaffung überflüssig. Auch darüber werde er gerne mehr erfahren, sagte Pflüger.
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, die Daten seien entscheidungserheblich. Es sei unverständlich, warum sie von der Bundesregierung unter Verschluss gehalten würden. (nz)
R.
SPD-AUSSENEXPERTE KLOSE ZUR US-POLITIK
Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose wirft der Bundesregierung vor, mit ihrer Haltung in der Irak-Krise zur Spaltung der Europäer beigetragen zu haben. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE äußert er sich zur Politik des Kanzlers, zur Loyalität des Außenministers und zur Haltung der Deutschen gegenüber den USA.
SPIEGEL ONLINE: Herr Klose, acht west- und osteuropäische Staaten geben eine Solidaritätserklärung für die USA ab. Europa ist geteilt - in Skeptiker und Solidaritätsbekunder. Hat die Bundesregierung durch ihren Kurs nicht erheblich dazu beigetragen?
Hans-Ulrich Klose: Ich fürchte ja. Aber nicht durch die Argumentation des Kanzlers und des Außenministers, wonach sie Bedenken gegen eine militärische Intervention im Irak haben. Dafür gibt es ernste Gründe. Eher durch die Tatsache, dass Deutschland seine Position ohne Konsultationen mit seinen europäischen Partnern festgelegt hat.
SPIEGEL ONLINE: Muss für Saddam Hussein die Erklärung der Acht nicht wie ein Offenbarungseid der Europäer klingen?
Klose: Ob die acht Staaten klug gehandelt haben, lasse ich offen. Es war wohl nicht der Weisheit letzter Schluss. Tatsache bleibt, dass Saddam Hussein sich weniger zum Nachgeben gezwungen sieht, je uneiniger die Europäer sind.
SPIEGEL ONLINE: Im Osten Polen, das solidarisch ist mit dem US-Kurs, im Westen Frankreich, das sich die Option für einen Militärschlag offen lässt. Ist Deutschland wieder in einer isolierten Mittellage?
Klose: Ich vermeide das Wort Mittellage - das weckt ungute historische Erinnerungen. Das Zeitalter der Geopolitik haben wir hoffentlich überwunden. Wir sollten jetzt auch nicht dramatisieren.
SPIEGEL ONLINE: Aber was geschieht, wenn Frankreich sich dem Kurs der US-Regierung am Ende doch anschließt?
Klose: Ich möchte darüber nicht spekulieren. Die Schwierigkeiten würden deutlich größer, wenn sich am Ende auch die Übereinstimmung mit Frankreich als brüchig erwiese. Ich hoffe nicht, dass es zu einer solchen Situation kommt.
SPIEGEL ONLINE: Die EU hat ja mit Javier Solana einen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik. Müsste er nach der Erklärung der Acht nicht seinen Hut nehmen?
Klose: Solana ist der beste Mann, den die EU für diesen schwierigen Posten hat. Er ist viel zu anständig und engagiert, um in dieser Situation aufzugeben.
SPIEGEL ONLINE: Sie reden häufiger mit Joschka Fischer. Ist er wirklich mit dem Kanzler in der Irak-Frage einer Ansicht?
Klose: Der Außenminister ist ein loyaler Mann; er ist keiner, der hinterrücks falsch redet. Ich könnte mir aber denken, dass er in der einen oder anderen Frage nicht ganz und gar glücklich war über jedes Wort aus dem Kanzleramt.
SPIEGEL ONLINE: Der Kanzler hatte im Sommer für einen kurzen Augenblick vom "Deutschen Weg" gesprochen. Interessiert Schröder überhaupt die Außenpolitik?
Klose: Es wird gelegentlich vermutet, dass für den Kanzler die Außenpolitik nur eine Ergänzung zur Innenpolitik darstellt. Vielleicht wurde ja auch deshalb die Wirkung von der Formel vom "Deutschen Weg" so unterschätzt. "Deutscher Weg" - das macht besorgt. Denken Sie daran, wer die Wiedervereinigung mit Misstrauen, auch Widerstand begleitete. Das waren Francois Mitterand in Frankreich und Margaret Thatcher in Großbritannien. Ohne den Glücksfall Michail Gorbatschow und den damaligen US-Präsidenten George Bush, dem Vater des heutigen Präsidenten, ohne die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice wäre es schwierig geworden.
SPIEGEL ONLINE: Sollten die Deutschen also dankbarer sein? Oder gehört das nicht in die Außenpolitik?
Klose: Ich finde schon. Man sollte sich einen Rest an natürlichen Verhaltensweisen und Gefühlen erlauben. Ich war ein Jahr lang in den fünfziger Jahren Austauschschüler in den USA - das hat mich natürlich in meinem Verhältnis und meinem Verständnis diesem Land gegenüber geprägt.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommt die Bundesregierung aus ihrer Isolation wieder heraus, gesetzt den Fall, der Krieg wird geführt und der Irak besetzt?
Klose: Das persönliche Verhältnis zwischen Schröder und Bush ist nicht zu reparieren - fürchte ich. Aber die Amerikaner waren immer pragmatische Politiker. Deutschland ist Teil ihrer Interessenspolitik. Was der deutsche Irak-Kurs aber für die europäische Sicherheits- und Außenpolitik bedeutet, ist noch nicht abzusehen.
SPIEGEL ONLINE: Also ist der Traum einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ausgeträumt?
Klose: An eine gemeinsame europäische Außenpolitik in naher Zukunft glaube ich nicht. Dafür sind die Interessen zu unterschiedlich. Allenfalls kann es vertiefte, bessere Absprachen zwischen den EU-Staaten geben. Wenn es aber so weitergeht wie derzeit, kommen wir dazu erst in 30 oder gar 50 Jahren.
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Der SPD-Politiker Klose, 65, gehört zu den "Individualisten" in seiner Partei. Der frühere Hamburger Bürgermeister war eine Zeitlang auch als Nachfolger von Verteidigungsminister Rudolf Scharping im Gespräch - bis er klar vom Schröder-Kurs in der Irak-Frage abrückte
Läßt Gerd die Amis fliegen oder nicht?
31. Januar 2003 Expertengutachten zum Irak-Konflikt haben zu einer Kontroverse zwischen Kanzleramt und Bundestag geführt. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte am Donnerstagabend, er halte einen Angriff der USA gegen den Irak ohne eine zweite UN-Resolution für „völkerrechtswidrig“. Die Sicherheitsratsresolution 1441 biete keine ausreichende Grundlage. Sie drohe zwar ernsthafte Konsequenzen an. Wie diese aber aussehen könnten, sei eine „Frage sehr weit gehender Interpretationen“.
Thierses Position wird von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag gestützt. Die Juristen urteilten, das die bisherigen UN-Resolutionen „keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage“ für einen Militärschlag seien. Darüber hinaus stellten sie fest, dass die Bundesregierung den Amerikanern bei einem Alleingang gegen den Irak die Nutzung der hiesigen Militärbasen und des deutschen Luftraumes untersagen könne.
Kanzleramt: Resolution 1441 ausreichend
Das sehen die Rechtsexperten des Bundeskanzleramts ganz anders. Sie haben nach Angaben des stellvertretenden SPD-Fraktionschefs Gernot Erler diese Probleme ausdrücklich geprüft und kamen zu dem Schluss, dass die im Herbst verabschiedete Resolution 1441 ausreiche, um einen Krieg zu legitimieren. Deswegen habe Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) der US-Regierung unbeschränkte Überflug- und Transitrechte für den Kriegsfall zusagen können, sagte Erler am Freitag. Eine weitere UN-Resolution sei nicht notwendig. Auf diese Lesart könne sich die Bundesregierung stützen, falls Kriegsgegner sie wegen angeblicher Unterstützung eines illegalen Angriffskrieges verklagen wollten.
Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) hatte zuvor betont, Deutschland werde den USA im Fall eines Alleingangs die Nutzung von Luftbasen in Deutschland gestatten, Überflugrechte und Truppen-Transporte durch die Bundesrepublik zu Seehäfen genehmigen. „Wir haben die Rechtslage geprüft, und wir haben entschieden. Dabei wird`s bleiben“, betonte Struck.
Ströbele: Völkerrechtswidriger Krieg
Der Vize-Fraktionschef der Grünen, Hans-Christian Ströbele, hält einen Krieg ohne neue UN-Resolution ebenfalls für „völkerrechtswidrig“. Deswegen dürfe die Bundesregierung ein solches Vorgehen weder direkt noch indirekt unterstützen, sagte er. Dies bedeute auch, dass den USA bei einem militärischen Alleingang ohne neue Resolution die Nutzung ihrer Militärbasen in Deutschland untersagt werden müsse.
Karriereknick - Der Außenminister in der Rolle des Außenseiters
Von Christian Thiele
Joseph Fischer, Bundesaußenminister Joseph Fischer leitet heute die Sitzung des Uno-Sicherheitsrats, wenn US-Außenminister Colin Powell Irak belastet. Der Auftritt hätte die Krönung seiner internationalen Karriere sein können. Das kategorische Nein des Kanzlers zu einem Irak-Krieg macht Fischer zum Buhmann.
Was hätte das für Tag sein können: Der einstige Straßenkämpfer sitzt im Dreiteiler im Sicherheitsrat in New York. Mit sorgenzerfurchter Mine leitet er die Sitzung, die entscheidend sein kann für Krieg und Frieden in Irak. Telefonheiser ringt er um einen Kompromiss.
Was wird das für ein Tag: Fischer durchlebt einen diplomatischen Albtraum. Er ist gefesselt an das kategorische Nein seines Bundeskanzlers Gerhard Schröder zu einem Krieg gegen Irak. Zuletzt hat Schröder das deutsche Stimmverhalten in der Stadthalle von Goslar festgezurrt. Fischer wird ausgelacht für den vermeintlich ehernen Bund der Deutschen mit der Vetomacht Frankreich - in Wahrheit ist er aus Pappmaché.
Weltpolitische Isolation
Vielleicht hat Fischer geahnt, dass der Kanzler ihn, den gewieften Staatsmann, mitreißen könnte in die weltpolitische Isolation in Sachen Irak. "Der Außenminister als Außenseiter" ist eine Rede überschrieben, die Fischer Anfang 2000 in Gedenken an Gustav Stresemann gehalten hat. Seine Eloge auf den Staatsmann und Friedensnobelpreisträger aus den Zeiten der Weimarer Republik ließ wenig Zweifel daran, dass Stresemanns Schicksal den Ober-Grünen vor allem an sich selbst erinnerte.
Der 54-Jährige Fischer wähnte sich auf dem Höhepunkt seiner Macht: Seit Ewigkeiten ist er der beliebteste Politiker im Land. Mit einem noch nie da gewesenen Kraftakt haben Fischer und Schröder im Tandem die bereits verloren geglaubte Bundestagswahl gewonnen. Großmütig durfte Fischer sogar Gerüchte dementieren, er wolle Schröder an der Spitze von SPD und Regierung beerben. Fischer verhinderte, dass die europapolitischen Befugnisse des Auswärtigen Amts beschnitten wurden. Stattdessen nahm er den deutschen Stuhl im verfassungsgebenden EU-Konvent ein.
Mehr Uno und mehr Europa - das waren stets Fischers Mantras. "Eine handlungsfähige Uno ist unverzichtbar zur Lösung der großen Menschheitsaufgaben", sagte Fischer kurz nach seinem Amtsantritt. Den deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat wollte er zu einem europäischen machen, sich stets mit den drei anderen EU-Ratsmitgliedern abstimmen.
Nun haben neun Hauptstädte aus dem alten und dem neuen Europa mit einem offenen Brief Front gemacht gegen das deutsche Nein. Fischers Traum von einem außenpolitisch schlagkräftigen Europa scheitert durch sein Zutun. Heute ist kein guter Tag für den Staatsmann Joseph Fischer.
Gipfeltreffen: Fischer spricht mit dem Papst über Irak-Krieg
Rom (dpa) - Außenminister Joseph Fischer wird mit dem Papst über den drohenden Irak-Krieg sprechen. Wie in Rom bekannt wurde, trifft Fischer am Freitag im Vatikan mit Johannes Paul II. zusammen. Der Kirchenführer lehnt einen militärischen Angriff auf Bagdad strikt ab. Bereits morgen trifft Fischer in Rom mit seine italienischen Amtskollegen Franco Frattini zusammen. Italien gehört zu den acht europäischen Regierungen, die sich im Irak-Konflikt jüngst an die Seite der USA gestellt haben.