GERD's IRAK SHOW - der Spaß kann beginnen
DISKUSSION ÜBER KRIEGSEINSATZ
Schröder im Awacs-Streit ohne Peilung
Der Streit über einen möglichen Kriegseinsatz deutscher Soldaten in Aufklärungsflugzeugen vom Typ Awacs geht in die nächste Runde. Politiker der Union, der Grünen und auch der SPD widersprachen Kanzler Gerhard Schröders Behauptung, mit Awacs-Maschinen könne man nicht operativ Krieg führen. Die PDS will die Flugzeuge mit einer Klage stoppen.
Berlin - Der verteidigungspolitische CDU/CSU-Fraktionssprecher Christian Schmidt wies Schröder darauf hin, dass bei einem Krieg gegen den Irak deutsche Besatzungen der Awacs-Flugzeuge der Nato mit im Kampfeinsatz wären. Damit widersprach er am Donnerstag ausdrücklich der von Schröder geäußerten Auffassung, Awacs-Flugzeuge seien "keine Instrumente, mit denen man operativ Krieg führen kann". Sie würden im Ernstfall zum Schutz des Nato-Partners Türkei eingesetzt.
Schmidt erklärte, Awacs-Maschinen könnten gegnerische Flugzeuge oder Schiffe in weiter Entfernung erkennen und Gegenmaßnahmen steuern. Zu jeder Besatzung gehörten mehrere Jägerleitoffiziere, die zum Beispiel Zielzuweisungen an eigene Jagdbomber durchführen könnten. Das wäre eine aktive Beteiligung deutscher Soldaten, die einem Kampfeinsatz entspreche. Spätestens seit dem Awacs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 müsse Schröder dies wissen.
Auch der verteidigungspolitische Grünen-Sprecher Winfried Nachtwei räumte die von Schmidt beschriebene Einsatzmöglichkeit ein. Im WDR sagte Nachtwei, wenn die Awacs-Systeme eindeutig als Frühwarnsysteme eingesetzt würden, laufe das unter der Verpflichtung und Schutz des Bündnisraumes. Sollten sie allerdings als Feuerleitsysteme eingesetzt werden, "dann wäre damit in der Tat eine Verwicklung in einen etwaigen Irak-Krieg gegeben". Das dürfte nicht sein, und das habe Schröder "auch indirekt so festgestellt".
Der außenpolitische SPD-Experte Gernot Erler ging ebenfalls auf die Doppelfunktion des Awacs-Systems ein. Kontroll- und Beobachtungsflüge zum Schutz des Bündnisgebietes seien keine Kriegsbeteiligung, sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Bei allen militärischen Maßnahmen, die nicht dem Schutz des Nato-Gebietes dienten, stelle sich die Lage aber anders dar. Bei "Sonderanforderungen, die direkt mit dem Krieg-Szenario zu tun haben", müsse der Bundestag über den Einsatz deutscher Awacs-Besatzungen entscheiden.
Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) sagte, die Awacs-Soldaten seien als "spezifische Nato-Einheit im Einsatz". Sie würden am Boden und in der Luft ihren Teil zur Sicherung der Awacs-Missionen gewährleisten. "Das wird auch so bleiben, sofern es sich um einen Nato-Einsatz handelt." Die Bundeswehr werde darüber hinaus im Bedarfsfall dem Nato-Partnerland Türkei militärischen Beistand leisten, "wenn es um eine Nato-Operation zum Schutz der Türkei geht".
Verärgert reagierte Struck auf Debatten über US-amerikanische Hilfeersuchen im Zusammenhang mit einem Irak-Angriff. "Es gibt eine einzige offizielle Anfrage der USA, die wir auch offiziell beantwortet haben", sagte er der "Leipziger Volkszeitung". Darüber hinaus gebe es nur noch den Vortrag von US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, in dem dieser Szenarien beschrieben habe, die auch für die Nato entscheidend sein könnten. "Ärgerlich ist, dass solche internen Vorträge in der Öffentlichkeit gleich als inoffizielle Anfragen kommentiert werden. Die gibt es nicht."
Der neue Grünen-Chef Reinhard Bütikofer wies Spekulationen über einen Koalitionsstreit in der Frage der deutschen an Awacs-Aufklärungsflügen zurück. "Es existiert hier kein Dissens und kein Konflikt zwischen Rot und Grün", sagte Bütikofer. Trotz der Ablehnung einer aktiven militärischen Beteiligung an einem Irak-Einsatz sei die Bundesregierung an ihre Bündnisverpflichtungen und das internationale Recht gebunden. "Und das werden wir auch einhalten."
Bütikofer gab Schröder Recht, dass über deutsche Awacs-Einsätze die Bundesregierung und nicht der Bundestag zu entscheiden habe. So lange deutsche Soldaten im Rahmen der Bündnissicherung oder der Bündnisverteidigung tätig seien, sei eine Befassung des Bundestags nicht erforderlich. Diese Position hätten der Kanzler und Joschka Fischer deutlich gemacht. "Und die teilen wir", sagte Bütikofer.
Die PDS prüft unterdessen juristische Schritte gegen die Bundesregierung wegen der angekündigten Gewährung von Überflugrechten für die USA. Eine Entscheidung will der Vorstand am Montag treffen. Basis einer Klage dürfte das Grundgesetz sein, das Vorbereitungen für einen Angriffskrieg untersagt, sowie das Strafgesetzbuch, das dies mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht.
Ich würde ihn dann mit ins Flugzeug setzen. Nach der Landung könnte NTV wegen mir seine nasse Hose filmen.
GRÜNE BEER UND AWACS
Trotz Dissens kein Dissens
Die neue Parteichefin der Grünen, Angelika Beer, wurde vom Kanzler wegen ihrer Aussagen zum Irak und zu den Awacs-Flugzeugen gerüffelt. Eilig bemühte sich die Grünen-Spitze um Schadensbegrenzung. Dabei war Beer in der Vergangenheit eine loyale Unterstützerin des außenpolitischen Kurses der rot-grünen Regierung.
Berlin - Am Tag nach der Kanzlerschelte war die Parteivorsitzende fern der Heimat und mit der Ordnung ihres privaten Glücks beschäftigt. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten, einem bislang auf dem Balkan stationierten Bundeswehr-Offizier, löste Angelika Beer am Donnerstag eine Wohnung in Mazedonien auf. Am Abend zuvor hatte der Militärattache ihr im Stützpunkt Erebino vor 100 Gästen einen Heiratsantrag gemacht.
In der Grünen-Parteizentrale in Berlin wurde derweil darüber nachgedacht, ob die neue Parteispitze mit einer Erklärung auf die Worte des Kanzlers reagieren sollte. Denn in diesen Tagen der rot-grünen Dissonanzen gilt es, Streitigkeiten möglichst schon im Keim zu ersticken. Am Nachmittag war es dann soweit. Ihr Partner an der Parteispitze, Reinhard Bütikofer, versicherte: "Es existiert kein Dissens und kein Konflikt zwischen Rot-Grün." Was der Kanzler zu den Awacs-Maschinen gesagt habe, "teilen wir." Solange die Flugzeugen samt deutscher Besatzung zur Bündnissicherung oder der Bündnisverteidigung eingesetzt würden, müsse der Bundestag nicht befasst werden, so Bütikofer.
Beers Aufstieg
Wie wohl kaum eine Vorsitzende der Grünen zuvor hat es Beer geschafft, innerhalb kürzester Zeit von sich reden zu machen. Wer von ihr bis zum Mittwoch nichts gehört hatte, der kannte spätestens mit dem Kanzlerinterview ihren Namen. "Frau Beer", hatte Gerhard Schröder die neue grüne Parteichefin am Mittwoch in der ARD abgebügelt, "wird das nicht zu entscheiden haben." Der Zorn des Kanzlers richtete sich auf jenen Auftritt Beers am Montag in Berlin. Dort hatte die 45-Jährige vehement den Parteitagsbeschluss verteidigt, wonach bei einem "präventiven Angriff" der USA auf den Irak ohne Uno-Mandat Deutschland weder die Nutzung von US-Stützpunkten genehmigen noch Überflugrechte gewähren werde. Auch dürften deutsche Soldaten in den Awacs-Flugzeugen nicht mitfliegen, lautete eine Forderung der Grünen-Basis.
Beer hatte zwar bei diesem besonders heiklen Punkt - ein Drittel der Mannschaften für die Überwachungsflugzeuge stellt die Bundeswehr - eine klare Festlegung vermieden. In der "Welt" meinte sie anschließend: "Unser Grundgesetz erlaubt im Falle eines Angriffskrieges weder logistische Unterstützung noch die Beteiligung an Awacs-Einsätzen." So weit so gut. Denn eine klare Absage an Awacs-Einsätze im Rahmen der Nato war das auch nicht. Trotzdem hatte Beer öffentlich mit ihren Bemerkungen diesen Eindruck erweckt. Der Kanzler sah sich herausgefordert.
Awacs-Aufklärungsflugzeug: Ein Drittel deutsche Besatzungen
Am Mittwoch stellte Schröder klar, dass die deutschen Soldaten in den Awacs-Maschinen mitfliegen, sollten diese zum Schutz des Nato-Gebietes notwendig sein. Schröders Bemerkung zeigte, wie sehr sich der Kanzler über die Frau geärgert hatte, die erst vor wenigen Tagen auf dem turbulenten Parteitag von Hannover den Vorsitz der Grünen übernommen hatte. Hintersinnig merkte Schröder an, seine Aussagen zu den Awacs-Flugzeugen seien mit dem Außenminister abgestimmt.
Im Klartext lautete die Botschaft des Kanzlers also: Wer ist schon Frau Beer? Mit aller Deutlichkeit hatte Schröder in der ARD erklärt, dass die Entscheidung zu den Awacs-Flugzeugen eine Sache der Regierung sei. Wenn sie zu entscheiden sei, werde sie entschieden, "so wie ich es ihnen gesagt habe", stellte der Regierungschef klar.
Dass sich die Aufmerksamkeit in der Irak-Frage auf die Grünen-Chefin konzentriert, ist nicht ohne Grund: Beer war bis zu ihrem Ausscheiden aus der Grünen Bundestagsfraktion langjährige Verteidigungsexpertin. In ihrem Amt hatte sie, nicht zuletzt gegenüber ihrer linken Basis im Landesverband Schleswig-Holstein, die Auslandseinsätze verteidigt.
Als die gelernte Rechtsanwalts- und Notariatshelferin 1999 den Nato-Luftkrieg über dem Kosovo unterstützte, zog sie sich den Zorn vieler einstiger Weggefährten zu. Im Sommer darauf wurde sie von einem Unbekannten vor ihrer Wohnung in Berlin mit einem Messer angegriffen und am Arm verletzt - möglicherweise ein Racheakt aus der linksextremen Szene. Wie auch immer: Von da an wurde Beer von meistens drei Leibwächtern des Bundeskriminalamtes begleitet. Eine seelische Verletzung fügte ihr zudem die eigene Parteibasis in Schleswig-Holstein zu, die sie vor der Bundestagswahl auf einen aussichtslosen Listenplatz verbannte. "Rausgeekelt" habe sie ihr Landesverband, hatte sie im Sommer beklagt.
Parteichefs Bütikofer und Beer: Mit Fischer ausgekommen
Ihre Rückkehr in Hannover hatte der "heimliche Vorsitzende" (Joschka Fischer über Fischer) mit einem gewissen Unbehagen beobachtet. Als einziger gratulierte er ihr nicht vor laufenden Kameras zum Sieg. Später holte er die Geste zwar nach - jedoch erst auf Drängen anderer Grüner.
Beers Verhältnis zu Fischer gilt als schwierig, auch wenn sie in der Sache in den vergangenen Jahren nie weit auseinanderlagen. Wie Fischer so beherrscht auch Beer die verschlüsselte Sprache der Diplomatie, mit der gelegentlich mehr Verwirrung als Klarheit gestiftet wird. Dazu passen auch ihre zweideutigen Aussagen zu den Awacs-Flugzeugen - das Reizwort reichte aus, um einen rot-grünen Konflikt heraufzubeschwören.
Dabei gilt Beer keineswegs mehr als Linke innerhalb der Grünen. Ab 1999 stützte sie den maßgeblich von Fischer geprägten Kurs zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Zugleich war sie darauf bedacht, den Kontakt zur Basis nicht ganz abreissen zu lassen. Das brachte sie manchmal in Konflikt mit dem Grünen-Übervater. So rückte sie etwa mitten in der Kosovokrise 1999 in einem Brief von Fischer ab und warf ihm vor, durch seine unangemessene Sprache die Ausweitung des Konflikts zu einem Bodenkrieges voranzutreiben. Diese öffentliche Kritik hat ihr Fischer nie ganz verziehen.
Auf dem Parteitag in Hannover war Beer bemüht, alle Fragen nach einem gestörten Verhältnis zum Außenminister ironisch abzuwehren. Zu den verspäteten Glückwünschen meinte sie, auch der Außenminister sei gelegentlich "ein Nachzügler". Die vergangenen vier Jahre in der Koalition hätten aber gezeigt, "dass wir zusammenarbeiten können."
Zurück - Stück für Stück
K.F. Am Anfang stand das Wort des Kanzlers, mit ihm werde es einen Krieg nicht geben. Ein Wort wie ein Monument, das allerdings einige Schönheitsfehler hatte. Denn es war nur um den Preis der Selbstisolierung und der Beschädigung des Verhältnisses zu dem als Kriegstreiber gebrandmarkten amerikanischen Präsidenten zu haben. Und trotz ihrer apodiktischen Wucht konnte derlei Rhetorik nicht den Verdacht verdrängen, daß auch ein von Rot-Grün regiertes Deutschland eine Eskalation des Konflikts am Golf, unter Beteiligung Amerikas und anderer Verbündeter, nicht von der Tribüne aus würde verfolgen können. Das, so ist anzunehmen, war dem Kanzler schon vor Monaten bekannt. Ahnungslosigkeit sollte man ihm nicht unterstellen.
Seither ist die Koalition auf eine Entdeckungsreise gegangen, die sie mit der politischen Wirklichkeit, mit UN-Resolutionen und bündnispolitischen Verpflichtungen vertraut macht. Was vor kurzem noch kategorisch ausgeschlossen wurde, wird nun Stück für Stück zugestanden - mit Verkrümmungen und auf eine Weise, die neue Verstrickungen nach sich zieht. Schröder hat sich nun jene bei den Grünen und in der eigenen Partei vorgenommen, die nur zu gern seinem "Mit mir gibt es keinen Krieg" Glauben schenkten oder die naiv oder so unbedarft waren, es zu glauben, und in der Widerstandspose erstarrt sind. Deutsche Soldaten werden an Bord von Nato-Aufklärungsflugzeugen natürlich bleiben, selbst während eines Irak-Krieges; denn es gehe nur um den Schutz des Bündnisgebiets, genauer: der Türkei. Mit "operativer" Kriegführung habe das nichts zu tun.
Wirklich nicht? Der Kanzler hat eine merkwürdige Vorstellung davon, was zu den Aufgaben eines luftgestützten Systems namens Awacs gehört. Im Krieg läßt sich zwischen Aufklärung, Führung und Feuerleitung nicht unterscheiden. Was werden deutsche Soldaten tun, wenn sie im Ernstfall über der Türkei Teil einer "operativen" Aktion werden und Angriffe gegen irakische Ziele koordinieren sollen? Mit dem Fallschirm abspringen? Das ist der Fluch einer griffigen Wahlkampfformel, die unter den Belastungen des Regierungs- und Koalitionslebens nach der Wahl zerfällt. Was man Partnerschaftsfähigkeit nennt, wird darüber immer weniger mit Deutschland in Verbindung gebracht werden. Denn was es anbietet, ist ein Programm des Gegenteils: der Unglaubwürdigkeit und Unberechenbarkeit.
Die Bundesregierung rückt weiter von ihrem strikten Anti-Kriegs-Kurs ab, den sie im Wahlkampf propagiert hatte. Im Uno-Sicherheitsrat könnte Deutschland sogar für einen Irak-Krieg stimmen, verkündet jetzt Außenminister Fischer.
Hamburg - Bundesaußenminister Joschka Fischer schließt die Möglichkeit nicht aus, dass Deutschland im Uno-Sicherheitsrat für einen möglichen Irak-Krieg stimmen wird. Im SPIEGEL-Interview erklärte der Grünen-Politiker, er könne das deutsche Votum nicht vorhersagen, "da keiner weiß, wie und unter welchen Begleitumständen der Sicherheitsrat sich hiermit befassen wird".
Der Krieg, betonte Fischer, sei jedoch ein letztes Mittel, von dessen Notwendigkeit er nicht überzeugt sei: "Wir haben mit dem Kampf gegen den Terrorismus genug zu tun. Da wäre es meines Erachtens falsch, wenn wir den Regimewechsel in Bagdad zur obersten Priorität erklären." Zudem stehe fest, "dass wir uns militärisch an einer Intervention nicht beteiligen. Ein Krieg gegen den Irak könnte die regionale Stabilität gefährden - das kann Europa als direkten Nachbarn nicht unberührt lassen".
Auf die Frage, ob Deutschland deshalb im Sicherheitsrat einem Krieg nicht zustimmen werde, antwortete Fischer: "Wir haben stets klar gemacht, dass wir keine Soldaten schicken werden. Allerdings stehen wir an der Seite der USA im Bündnis gegen den Terror und haben ein essenzielles Interesse daran, dass dieses Bündnis fortbesteht."
Unter anderem wegen der deutschen Skepsis gegenüber einem Irak-Krieg, so Fischer, hätten die USA "keinen Alleingang geplant und stattdessen den Sicherheitsrat eingeschaltet". Zur Rolle Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat erklärte der Minister: "Die entscheidenden Spieler sind nicht wir, sondern die fünf ständigen Mitglieder. Der Vorsitz hat eher organisatorische und vermittelnde Funktion." Anfang Februar übernimmt die Bundesrepublik den Vorsitz im Sicherheitsrat.
... oder wie sag' ich's meinem Kinde (Teil II)
Fischer provoziert linke Grüne mit Irak-Äußerung
Streit um Unterstützung der USA im Irak-Konflikt. Paul Spiegel: Krieg gegen einen Diktator mit Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt
Berlin rgr. - Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat mit Aussagen zu einem möglichen Irak-Krieg massiven Protest bei prominenten linken Grünen ausgelöst. Im „Spiegel" sagte er, das deutsche Votum im UN-Sicherheitsrat könne er nicht vorhersagen, da „keiner weiß, wie und unter welchen Begleitumständen der Sicherheitsrat sich damit befassen wird".
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Hans-Christian Ströbele, stellte sich deshalb gestern offen gegen ihn. Eine Zustimmung Deutschlands zu einem Irak-Krieg sei unvorstellbar, sagte Ströbele dem Sender NDR-Info. Auch die niedersächsische Grünen-Vorsitzende Heidi Tischmann sprach im „Tagesspiegel" von einem „völligen Sinneswandel" des Außenministers. „Eigentlich sollte Fischer die Stimme Deutschlands gegen den Krieg erheben. Ich erwarte, dass er sich an Zusagen hält." Der Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann kritisierte, politisch sei die Äußerung Fischers „unklug, weil sie leicht als das Abrücken von der klaren Haltung gegen den Krieg gedeutet werden kann".
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt warf unterdessen der Bundesregierung Wahlbetrug vor. SPD und Grüne hätten den USA längst logistische Unterstützung für einen möglichen Krieg gegen den Irak zugesagt, im Wahlkampf „in den Ländern erwecken sie hingegen den Eindruck, dass sie damit nichts zu tun haben. Insofern führen sie die Öffentlichkeit hinters Licht", sagt er. Zu den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen bereite die SPD damit „einen zweiten Wahlbetrug vor".
Heftigen Streit zwischen den Koalitionspartnern in Berlin sieht der CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer heraufziehen: „Schröder und Fischer versuchen jetzt wieder rückgängig zu machen, was sie im Wahlkampf gesagt und an Kriegsangst geschürt haben. Ich glaube, dass es zwischen SPD und Grünen, aber auch in der SPD noch heftigen Streit geben wird", glaubt Meyer. Die Position der Union zum Irak-Konflikt sei dagegen klar: „Wir tragen die UN-Beschlüsse mit."
Dagegen hält der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, einen Militärschlag gegen den Irak unter gewissen Bedingungen für gerechtfertigt: „Wenn der irakische Diktator Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hat, dann wird er sie benutzen." Die Konzentrationslager der Nazis seien „nicht von Demonstranten befreit worden", sagte er „Bild am Sonntag", „sondern von Soldaten, die zu Hunderttausenden ihr Leben gelassen haben".
Unbequemer Sitz im Sicherheitsrat / Von Karl Feldmeyer
BERLIN, 30. Dezember. Zum vierten Mal wird die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar für zwei Jahre Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, des Gremiums also, das die wichtigsten Entscheidungen der Weltorganisation zu treffen hat, insbesondere die über Krieg und Frieden. Zweimal, von 1977 bis 1978 und von 1987 bis 1988, war die Bundesrepublik als deutscher Teilstaat in diesem Gremium; von 1995 bis 1996 erstmals als Repräsentant der gesamten Nation. Nun rückt sie gemeinsam mit Angola, Chile, Pakistan und Spanien abermals in das Gremium ein. Ihm gehören außer diesen fünf neuen Mitgliedern Bulgarien, Guinea, Kamerun, Mexiko und Syrien noch für ein Jahr als temporäre Mitglieder an. Das Rückgrat des Sicherheitsrates aber bilden seine fünf ständigen Mitglieder: die Vereinigten Staaten, Rußland, China, Frankreich und Großbritannien. Nur ihnen steht ein Vetorecht zu. Ihre Vorrangstellung wurde zuletzt deutlich, als sie - und nur sie - den vollständigen Text des Berichts erhielten, mit dem die irakische Regierung der Aufforderung der UN nachkam, über ihre Waffen und Streitkräfte Rechenschaft zu geben.
Seit Deutschland wiedervereint ist, strebt es die Aufnahme in den Kreis der ständigen Mitglieder an. Wann dieser Wunsch erfüllt wird, ist bislang unabsehbar; nicht weil der Wunsch bisher auf eine breite Ablehnung gestoßen wäre, sondern weil seine Verwirklichung Teil einer umfassenden Reform der Vereinten Nationen sein soll. Zu ihr sollen aber nicht nur die Aufnahme Deutschlands und Japans in den Weltsicherheitsrat als ständige Mitglieder gehören, sondern auch der von jeweils einem Repräsentanten der großen Kontinente und Regionen: Südamerika, Afrika, Asien. Während sich der Anspruch Japans und Deutschlands schon aus ihrem herausragenden finanziellen Beitrag - Japan ist nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte, Deutschland der drittgrößte Beitragszahler - legitimiert und im wesentlichen unumstritten ist, ist eine Einigung der Staaten der Großregionen darüber, wer sie als ständiger Vertreter repräsentieren soll, bislang gescheitert. Deshalb ist die Reform praktisch auf unabsehbare Zeit vertagt - und damit auch die Entscheidung über den Aufstieg Deutschlands zum ständigen Mitglied des Sicherheitsrates.
Darüber, ob man das bedauern soll, dürfte man sich in Berlin nach Ablauf der jetzigen zweijährigen Mitgliedschaft neu Rechenschaft ablegen. Soviel läßt sich jetzt schon absehen: Die Herausforderung, die die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat für Deutschland unter den gegebenen Umständen beinhaltet, ist groß. Risiken birgt nicht nur das Irak-Problem. Auch der Palästina-Konflikt, der Balkan, der Kaukasus und Afrika sind voll von ihnen.
Die bis auf weiteres zentrale Thematik des Sicherheitsrates ist der Irak-Konflikt. Am 27. Januar, so sieht es die Resolution 1441 vom 8. November vor, hat das Inspektionsteam der Vereinten Nationen mit seinem Vorsitzenden Blix dem Sicherheitsrat einen Bericht über das Ergebnis seiner Arbeit vorzulegen. Der Sicherheitsrat hat aber inzwischen zusätzlich einen Zwischenbericht bereits für den 9. Januar angefordert. Ob der Rat schon aufgrund dieses Zwischenberichts Schlußfolgerungen ziehen wird oder ob das erst nach der Beratung des für den 27. Januar angeforderten Berichts geschieht, bleibt abzuwarten. Für Deutschland ist es aber nicht ohne Bedeutung, denn am 1. Februar übernimmt der deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger turnusmäßig für einen Monat die Funktion des Vorsitzenden des Sicherheitsrates. Zu dessen Aufgaben gehört nicht nur, die Tagesordnung festzulegen; er hat auch hinter den Kulissen eine wichtige Steuerungsfunktion. Das gilt sowohl für die inhaltliche Vorbereitung von Resolutionsentwürfen als auch für taktische Fragen, etwa die, wann ein Resolutionsentwurf eingebracht wird und welches Mitglied ihn vorlegt und sich für ihn einsetzt.
Es gibt wohl kein Thema, bei dem die Brisanz, die sich mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe verbindet, für Deutschland größer sein könnte, als den Irak-Konflikt. Das, was in der Vergangenheit völlig unvorstellbar war, ist nämlich inzwischen Wirklichkeit: In seiner grundsätzlichen Haltung zu einem militärischen Vorgehen gegenüber dem Irak - und damit in einer vitalen Frage für die amerikanische Politik - steht die Bundesrepublik nämlich erstmals seit ihrer Gründung in fundamentalem Widerspruch zu ihrer einstigen Schutzmacht und ihrem nach wie vor wichtigsten Verbündeten: den Vereinigten Staaten (und zusätzlich zu England). Aber auch auf Frankreichs Unterstützung kann Berlin bei seiner Haltung im Sicherheitsrat nicht zählen. Frankreich hat sich zwar in der Frage, ob es einen Krieg für erforderlich hält, noch nicht förmlich festgelegt (ebensowenig wie Amerika und England), doch läßt seine Haltung insgesamt nach Ansicht diplomatischer Beobachter den Schluß zu, daß es sich im Sicherheitsrat nicht gegen Amerika und England stellen würde, sondern die Verbündeten bei einer Beschlußfassung über einen Angriff unterstützen - und sich dann auch selbst militärisch an ihm beteiligen. Das ist noch nicht offizieller Beschluß, wird aber quasi antizipiert.
Wie groß die Schwierigkeiten sind, die sich für die Bundesregierung aus einer solchen Konstellation ergeben, läßt das Echo ahnen, das die Weigerung von Außenminister Fischer hervorgeruften hat, sich vorab auf ein Nein Deutschlands im Sicherheitsrat festzulegen. Schon in den nächsten Wochen kann sich die Bundesregierung in einer Situation wiederfinden, in der sie zwischen außenpolitischer Isolierung und dem Zerwürfnis mit den wichtigsten Verbündeten und ihrem vorzeitigen Ende zu wählen hat. Der Zwang zur klaren Entscheidung ist aber nicht auf die Irak-Thematik begrenzt. Die Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat macht es vielmehr für die Bundesregierung erforderlich, in vielen Fragen, die ihr unangenehm sind und die sie bislang ausweichend beantworten konnte und beantwortet hat, sich eindeutig festzulegen, sei es in der Beurteilung der Politik Israels, sei es zu Fragen des Balkans, der Konflikte in der Kaukasus-Region oder in Afrika. Bei jeder Abstimmung steht sie vor der Notwendigkeit, ja oder nein zu sagen - oder aber Enthaltung zu üben. Letzteres wäre für ein Land, das sich selbst dafür qualifiziert hält, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat zu werden, nur im Ausnahmefall möglich. Denn es impliziert den Verzicht auf aktive Mitgestaltung der Politik der Vereinten Nationen, und ist genau die Aufgabe, die dem Sicherheitsrat gestellt ist.
Dabei ist die Lage, in der sich Deutschland als temporäres Mitglied, insbesondere gegenüber seinen Verbündeten Frankreich und England, befindet, ohnehin schwierig. Sie sind als ständige Mitglieder politische Schwergewichte und verfügen über das Vetorecht, das Deutschland nicht zukommt. Nirgends ist die Ungleichheit gegenüber England und Frankreich, mit denen es auf europäischer Ebene von gleich zu gleich verkehrt, für Deutschland so groß wie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Diesen Unterschied bekam die deutsche Außenpolitik auch bisher schon gelegentlich zu spüren, etwa bei der Abstimmung auf eine gemeinsame europäische Linie und in der Bereitschaft der Partner, deutsche Vorstellungen dabei ebenbürtig zu berücksichtigen. Nun aber, unter der Vorgabe des deutschen Neins zu einem Irak-Krieg, könnte diese Ungleichheit dramatische Folgen zeitigen und zu einer Isolierung im Kreis der Verbündeten führen. Die bitteren Erfahrungen, die Deutschland seit Schröders Festlegung im Sommer dieses Jahres in Washington und in der Nato machen mußte, können sich hier wiederholen und mehr zerstören als die Hoffnung auf eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat. Die Gefahr, daß eine Fehleinschätzung der deutschen Möglichkeiten für Deutschland zum Debakel wird, ist unübersehbar.
Als Testfahrer ist der Kanzler nach China gereist; in dieser Rolle kann er sich einen Eindruck von den - hoffentlich segensreichen - Folgen deutscher Innovationskraft und des Technologieexports verschaffen. Das ist der traditionelle Aspekt. Schröder hat daneben auch einen Blick auf Segmente der Weltpolitik geworfen, mit deren Unübersichtlichkeit und störend unangenehmen Mißhelligkeiten es die Bundesregierung in den nächsten Jahren zu tun bekommt. Weil Deutschland vom 1. Januar an dem UN-Sicherheitsrat angehört, werden der Irak-Konflikt oder das widerspenstige, hochgefährliche Nordkorea für die deutsche Außenpolitik zu Themen von noch größerer Brisanz und Dringlichkeit.
Mit der Mitgliedschaft kommt Verantwortung, und sie verlangt Ernsthaftigkeit, weil Entscheidungen von großer Tragweite anstehen könnten. Von nun an reicht es eben nicht mehr, eine den Irak betreffende Friedenssehnsucht mit einer Politik des Ressentiments so zu vermischen, daß daraus maximaler Stimmungs- und Stimmenertrag nach innen erwächst. Jetzt hat sich die rot-grüne Bundesregierung von einem anderen, in Machtpolitik nicht ungeübten Publikum zu bewähren und zu behaupten. Daß ihr das nach Monaten einer sturen und fatalen Selbstisolierung nicht leichtfallen wird, liegt auf der Hand, zumal jede noch so geschmeidige Korrektur peinlich ist und der Opposition Kritikmaterial gäbe. Es wäre dem Land dennoch zu wünschen, daß Berlin auf einen Weg zurückfindet, den auch die Partner beschreiten. Auch dort lassen sich eigene Positionen und Interessen vertreten.
Der Außenminister und die Führung der grünen Fraktion scheinen das verstanden zu haben; zumindest kann man das aus ihren Andeutungen schließen, wie Deutschland sich im Sicherheitsrat verhalten werde, sollte es auf eine militärische Entwaffnung des Iraks hinauslaufen. Fischer muß schon von Amts wegen daran gelegen sein, jenen weltpolitischen Kredit nicht noch mehr zu verspielen, den sich Deutschland in der Vergangenheit erarbeitet hatte und an dessen Mehrung auch Rot-Grün eine Zeitlang gelegen war. Die Bundesregierung übernimmt jetzt Mitverantwortung für den Weltfrieden. Das ist eine Last, die zu schultern Weltpolitikfähigkeit erfordert. Die Fähigkeit schließt Einsicht in das Unangenehme ein. Ein "Das geht uns nichts an", ein realitätsblindes Verdrängen schließt sie aus.
Mal beiseite gesprochen: Was der Kanzler zu Krieg und Frieden meint
Beiseite gesprochen: Des Kanzlers Neujahrsansprache
Im Theater gibt es den schönen Brauch des Beiseitesprechens. Niemand auf der Bühne soll hören, was der Akteur zu sagen hat, er ist ganz bei sich und doch niemals sonst so nahe am Zuschauer. Eine persönlichere Situation ist nicht denkbar. Denn das Beiseitesprechen richtet sich ans Auditorium, an jeden einzelnen Besucher. Es ist die frontale Konfrontation mit den innersten Motiven einer Rolle, mit ihren Kommentaren zum Geschehen, und alle hören zu, und alle glauben, ihnen gelte es allein. Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode (sagt Polonius - natürlich nur beiseite).
So hält es auch der Kanzler, als er in seiner Neujahrsansprache mit einemmal zur Seite blickt, nach rechts zum Bildschirmrand, als säße dort ein neues Publikum. Dann kommt der Schnitt, der erste in der ganzen Rede. Ein neues Bild umfängt den Redner: nicht länger links das Blumengesteck und rechts der Weihnachtsbaum vorm Reichstag, statt dessen Autos auf den Straßen vor dem Kanzleramt und rechts das massige Gemäuer des Parlaments. Das heimelige Kanzleramt wird in das Leben selbst versetzt, ein Einschnitt ist markiert. Was jetzt gesprochen wird, gehört dem Rest der Rede nicht mehr an. Die Bühne soll nicht hören, was gesagt wird, denn jetzt geht es um alles.
Es geht um Krieg, fürwahr ein Einschnitt in die acht Minuten Redezeit, die sich sonst allein mit innerdeutschen Themen beschäftigen. Verschwörerisch-beschwörend spricht Schröder ins Publikum, der staatsmännische Gestus der Totale ist aufgehoben zugunsten einer Nahaufnahme, die den Menschen zeigt. Dann kommt der zweite Schnitt - es wird der letzte bleiben -, die weihnachtliche Szenerie ist wiederhergestellt, und weiter geht es um die inneren Probleme. Was ist geschehen?
Neunzig Sekunden ist beiseite gesprochen worden, im Herzen der Redezeit und in immerhin anderthalb von jenen acht Minuten, mit denen induktiv die 525 600 des neuen Jahres vorbereitet werden sollen. Die Induktion ist das Prinzip der Politik, sie ist der Schluß vom Kleinen auf das Ganze, die Umsetzung persönlicher Gedanken in gesellschaftliches Handeln. Aus Ideen einzelner werden Parteiprogramme, aus Programmen wird Politik, die Politik gestaltet das gesellschaftliche Leben. Doch da, wo gerade persönliche Moral erforderlich wäre, beim Streit um Krieg und Frieden, in den neunzig Sekunden also, die der Kanzler jener Frage widmete, von der auch die inneren Fortschritte in Deutschland abhängig sein werden (denn niemand zweifelt, wie hart ein Krieg die Weltwirtschaft belasten würde), verzichtet Schröder auf das "ich" oder die Rede von der "Bundesregierung": Jetzt soll es die Geschichte weisen, es geht um "uns". Doch durch das Beiseitesprechen wird auch hier weiterhin die persönliche Kompetenz des Kanzlers gewahrt, die argumentativ hinter die überindividuelle Historiographie zurücktritt.
Nichts Größeres natürlich - als Schreckbild wie Lehrmeister - als die deutsche Geschichte: Wir Deutschen wissen, so der Kanzler, daß man Diktatoren bisweilen nur mit Gewalt entmachten kann. Wir wissen aber auch, so fährt er fort, um die verheerenden Folgen von Bombardierungen. Was also tun? "Ziel unserer Politik ist, die Durchsetzung der UN-Resolutionen ohne Krieg zu erreichen." Die Resolutionen aber fordern nicht den Sturz von Saddam Hussein. Wir kennen die Geschichte - die Lehren aus der deutschen Vergangenheit sind immer dieselben: reichlich zweideutig. Das macht sie so angenehm für Redner. Hätte das Wissen um die Opfer des Bombenkriegs den Krieg gegen Hitler politisch unmöglich gemacht?
Das muß den Kanzler nicht beschäftigen. Er ruft Assoziationen wach, von denen er weiß, daß sie ihm in die Hände spielen. Wie es Herman Melville unnachahmlich formuliert hat: "Nichts, was von außen kommt, vermag in uns Wunder hervorzubringen, wenn es nicht auf ein inneres Wunder trifft, das ihm entspricht." Schröder beherrscht wie kaum ein anderer die Kunst, Stimmungen aufzuspüren und sie scheinbar willfährig zu bedienen. Daß es im Falle eines Krieges keine deutsche Enthaltsamkeit geben kann, ist allen klar. Dafür muß man nicht beiseite sprechen. Wenn der Kanzler es dennoch tut, will er damit Hoffnungen wecken, das Unvermeidliche vermeiden zu können. Das hat Methode.
Daß Deutschland seit gestern einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einnimmt, erwähnt Schröder wohlweislich mit keinem Wort. Joschka Fischer ließ dazu gestern verlauten, darin liege eine große Chance. Wozu, das ließ er lieber offen. Hatte er doch gewiß noch das Kanzlerwort aus der Neujahrsansprache im Ohr: ",Sozial', das heißt für mich: Jeder hat gleiche Chancen. Das heißt aber auch: Jeder hat die Pflicht, seine Chancen auch zu nutzen." Wer so denkt wie der Kanzler, macht die Chance zum Zwang. Da muß man um die Chancen bangen. Wird man sie noch erkennen wollen, wenn man verpflichtet ist, sie wahrzunehmen? Da mag aus dem UN-Sicherheitsrat in deutschen Augen rasch ein Unsicherheitsrat werden.
Eine erstaunliche Parallele zu Schröders Neujahrsansprache liefert schließlich der Papst. Johannes Paul II. stellt in seiner Neujahrsmesse im Petersdom fest: "Der Friede ist möglich und eine Pflicht." Auch hier der Zwang zur richtigen Entscheidung angesichts des bevorstehenden Einschnitts im Jahr 2003, doch hier wird von hoher moralischer Warte herab argumentiert, mit dem höchstdenkbaren moralischen Anspruch. Der Papst spricht nicht beiseite. Der Kanzler tut es dauernd.
irak-resolution
Deutschland kann sich enthalten
Kommentar von BETTINA GAUS
Es wäre nett, wenn die rot-grüne Bundesregierung mal wieder Außenpolitik betriebe - also den Handlungsspielraum nutzte, den eine Situation bietet. Sie tut das Gegenteil. Um im rauen innenpolitischen Klima ihre Entscheidungen als Sachzwang erscheinen zu lassen, behauptet sie derzeit, überhaupt keinen Spielraum zu haben. Das ist ebenso verlogen wie die vor den Wahlen erzeugte Illusion, die Welt werde sich im Krieg und im Frieden nach ihren Wünschen richten.
Die Bundesrepublik wird bis 2005 dem UN-Sicherheitsrat angehören und im Februar sogar für einen Monat dessen Vorsitz übernehmen. Da könne man sich nicht gegen die Verbündeten stellen, heißt es nun in Berlin. Das ist nicht wahr. Es gibt gute Gründe dafür, dass der Vorsitz dieses Gremiums nicht nur seinen ständigen Mitgliedern vorbehalten ist. Diese Funktion erfordert nämlich vor allem die Fähigkeit zur Moderation. Deshalb wäre die Stimmenthaltung in einer so wichtigen Frage wie einem Angriff auf den Irak durchaus systemkonform.
Wahr ist allerdings, dass die USA der Bundesregierung diesen Ausweg versperren wollen. US-Präsident George Bush scheint es dem Kanzler nicht zu verzeihen, dass dieser die Wahlen mit einer - scheinbar - unnachgiebigen Gegnerschaft zum Irakkrieg gewonnen hat. Und was tut Gerhard Schröder? Er gibt nach. Nach einer überaus umfassenden Definition von Bündnispflichten lässt er nun sogar eine Zustimmung im UN-Sicherheitsrat zu einem möglichen Irakkrieg in Aussicht stellen.
Es gibt prominente grüne Politiker, die mit sophistischen Begründungen ihren bislang guten Namen für die Behauptung hergeben, das alles setze die Anti-Kriegs-Politik konsequent fort. Aber sie wären wohl notfalls auch bereit, die Welt zu einer Scheibe zu erklären. Die traurige Wahrheit ist: Ein Irakkrieg ohne neues Votum im Sicherheitsrat wäre das - vergleichsweise - Beste, was der Bundesregierung passieren könnte. Dann müsste sie einem Angriff auf Bagdad wenigstens nicht ausdrücklich zustimmen. So viel zu Männermut vor Herrscherthronen.
Joschka Fischer spielt in diesem Zusammenhang eine durchsichtige Rolle. Im Wahlkampf hat er sich ziemlich zurückgehalten - und sich somit als möglicher Partner eines schwarz-grünen Bündnisses empfohlen, sollte der öffentliche Zorn über den rot-grünen Betrug allzu groß werden. Die eigene Basis müsste er nicht fürchten. Die hat ja schon früher gezeigt, was sie für den Machterhalt zu tun bereit ist.
taz Nr. 6943 vom 2.1.2003, Seite 1, 85 Zeilen (Kommentar), BETTINA GAUS
Gerhard Schröder will die Kritiker in der SPD zum Schweigen bringen und die „abstrakte Debatte“ zur deutschen Rolle mit einem Machtwort beenden. Dies gelte vor allem bei der Frage nach dem Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat, in dem Deutschland seit Anfang Januar Sitz und Stimme hat, ließ er einen Sprecher am Freitag sagen.
Noch vor Wochen hatten Schröder und andere Regierungsmitglieder einen klaren Anti-USA-Kurs gefahren. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) deutete jedoch jüngst an, Deutschland werde sich im Sicherheitsrat vielleicht für einen Irak-Krieg aussprechen.
Schröder werde in der kommenden Woche in den Parteigremien an alle Beteiligten dringend appellieren, „Dinge nicht zur Unzeit zu diskutieren, sondern sich an die Fakten zu halten“, so der Sprecher. Noch wisse man nicht, ob es überhaupt zu einer Abstimmung im Sicherheitsrat komme.
Kritik aus den eigenen Reihen
SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer nannte Schröders Position „fatal“, sowohl aus Gründen der Glaubwürdigkeit als „auch aus der Einschätzung der Lage heraus“.
In den Landesverbänden ist die Stimmung unterschiedlich. Die Irak-Politik der Regierung sei „unschlüssig und nicht nachvollziehbar“, sagte der saarländische SPD-Chef Heiko Maas. Damit werde Schröders „konsequente Haltung“ aus der Zeit vor der Bundestagswahl aufgeweicht. Es sei öffentlich schwer zu vermitteln, gegen einen Militärschlag, jedoch im Sicherheitsrat dafür zu sein, „nur um die Partner nicht zu verprellen“.
Der thüringische SPD-Vorsitzende Christoph Matschie betonte dagegen, ein Krieg sei zwar der falsche Weg. Militärische Mittel könnten aber „nicht grundsätzlich und für alle Zeiten“ ausgeschlossen werden.
Unheimliche Begegnung mit der Macht: Die Lust am Diskutieren ist vorbei
Was der Krieg bedroht.
Unter den deutschen Bedrückungen in diesen Tagen rangiert der drohende Irak-Krieg weit oben. Aber es ist ein dumpfes Unbehagen; es artikuliert sich nur in Umfragen, kaum mehr in expliziter Kritik. Während früher schon geringfügigste Anlässe antiamerikanische Wortkaskaden in Gang brachten, ist die Präventivschlag-Doktrin, als deren erste Anwendung der Irak-Konflikt herhält, bisher nicht auf größeren Widerstand gestoßen. In den öffentlichen Kommentierungen verwendet man vielmehr allen Scharfsinn auf die Frage, ob Schröder wohl sein Nein gegen den Irak-Feldzug durchhalten könne oder nicht. Man verbreitet sich über die Gefahren einer deutschen "Isolierung" und berichtet im selben Atemzug über den militärischen Aufmarsch am Golf. Auf der einen Seite stehen also die notorischen Wortmeldungen der Medienleute, Politiker, Schriftsteller, auf der anderen Seite steht, säuberlich davon getrennt, das, was sich mit einer offenbar nicht mehr aufzuhaltenden Zwangsläufigkeit ohnehin vollzieht: der Krieg.
Die deutsche Regierung ist, wie man weiß, dagegen, doch sie ist fern davon, das näher zu begründen oder gar eine langfristige alternative Politik zu entwerfen. Schröder begnügt sich mit der Voraussage, daß ein Krieg die Region weiter destabilisieren und außerdem Kräfte vom weiterhin notwendigen Kampf gegen den Terror abziehen werde. Kein Wunder, daß bei einer so schwachen argumentativen Basis alle Kriegsgegner in den Regierungsparteien mit Argusaugen darüber wachen, welchen Vorwand der Kanzler nutzen mag, um von seinem Nein abzurücken. Schröder hat an die SPD jetzt den "dringenden Appell" gerichtet, "Dinge nicht zur Unzeit zu diskutieren, sondern sich an die Fakten zu halten". Die Zeit, da man den Krieg "diskutieren" oder gar eine abweichende Position formulieren konnte, ist offenbar vorbei; wir befinden uns jetzt mitten in einer "Unzeit".
Doch das außenpolitische Programm der CDU macht keinen weniger konzeptionslosen Eindruck. Es läuft auf die Mahnung hinaus, sich auf keinen Fall zu "isolieren", um nicht an "Einfluß" zu verlieren. Einfluß auf was und welcher Grundlage, dazu wagt die Partei keine konkrete Meinung. Angela Merkel spricht gerne von der "Drohkulisse", in die sich einzugliedern Schröder versäumt habe; sie selber aber vermeidet tunlichst, sich dazu zu äußern, unter welchen Voraussetzungen denn nach aufgebauter Drohkulisse für eine christlich-demokratische Partei ein Präventivkrieg akzeptabel sei. Die FDP nimmt die Dinge auf ihre Weise und vermutet, ein Irak-Krieg werde der Bundesregierung als Begründung für eine Anhebung der Mehrwertsteuer dienen - was ja auch schon schlimm genug wäre.
Die Parteien und die anderen Träger der öffentlichen Meinung sehen dem Krieg wie einer Naturgewalt entgegen. Es ist, als erlebten die Deutschen heute zum erstenmal und schockartig eine unheimliche Begegnung mit dem, was "Macht" heißen kann. Diese Begegnung verschlägt ihnen die Sprache. Es ist nicht eine Macht, die man wohlfeil kritisieren kann, so wie die Achtundsechziger ihren Ressentiments gegen "Autoritäten" noch lustvoll-freien Lauf lassen konnten. Vor jener Macht, mit der die Vereinigten Staaten der Welt ihren Willen zum Krieg klarmachen, erstarrt alle Kritik und verstummt. Selten wurde ein Krieg so lange im vorhinein abgewogen und erörtert wie dieser; und doch würde niemand behaupten, daß die Entscheidungen von diesem Diskurs abhängig wären. Was vielmehr so beunruhigt, ist, daß die Macht ihre eigenen Gründe zu haben scheint, die mit denen der äußeren Welt nur zufällig verbunden sind.
Für einen kurzen Moment hatten sich die Deutschen im spätsommerlichen Wahlkampf der schönen Illusion hingegeben, der Macht allein kraft des Gedankens und der Moral die Stirn bieten zu können. Um so größer der Katzenjammer danach: Es scheint so, als hätte alle ein kalter Hauch erfaßt - was vermutlich nicht weniger zur derzeitigen Bedrückung beiträgt als der drohende Krieg selbst. So genau weiß man nicht und will vorläufig auch gar nicht wissen, was wäre, wenn Deutschland einmal tatsächlich in eine "Isolation" gegenüber Amerika und den anderen Nato-Staaten geriete - aber man ahnt, daß es furchtbar wäre. An der "Macht" hängt die "Sicherheit": ökonomische, militärische, politische Sicherheit. Bei Licht besehen, waren die bisherigen amerikanischen Sanktionen gegen Schröders Unbotmäßigkeit noch nicht allzu hart (kein Glückwunsch zur gewonnenen Bundestagswahl), und doch ließen sie auf der symbolischen Ebene keinen Zweifel daran, daß sie bitterernst gemeint waren. Indem sie das übliche diplomatische Spiel unter Freunden für einen Moment gezielt durchbrachen, öffneten sie blitzartig den Horizont auf einen Zustand hin, bei dem die Diplomatie keine Rolle mehr spielt.
Wo die Macht beginnt, hört die Freude am Diskutieren auf. Es genügt zu wissen, daß eine Macht, von der auf eine gar nicht so ferne Weise die eigene Gesellschaft, mit allem, was einem lieb und teuer ist, abhängt, diesen Krieg will und Abweichungen keineswegs als "Meinungsverschiedenheit unter Freunden" toleriert, um alle diskursive Abwägung als akademisches, letztlich also nichtiges Gewäsch abzutun. Als etwas also, das allenfalls in ausdifferenzierten Sondersphären wie "Moral", "Kirche" oder "Feuilleton" seine Berechtigung hat, nicht aber auf jener Ebene, auf der es um das tatsächliche Handeln geht. Also verzichtet man darauf, "naiv" zu sein, und schweigt lieber. Auf dem Boden dieses neuen Realismus blühen die Sumpfblüten der Ohnmacht: Verschwörungstheorien und Albernheit; zu den erfolgreichsten Büchern der Saison gehören Matthias Bröckers gesammelte Gerüchte zum 11. September und Michael Moores satirischer Schienbeintritt gegen das Bush-Amerika "Stupid White Men".
Das Ohnmachtsgefühl tritt deshalb so stark und schockartig auf, weil das Selbstbewußtsein des Westens doch von einer Herrschaft des Diskurses überzeugt war. Der demokratische Westen definierte sich selbst geradezu als den Raum, in dem der Diskurs über die wesentlichen Wegmarken entschied. Man übersah, daß auch diese Insel der rationalen Verständigung nicht vom Himmel gefallen war, sondern durch sehr konkrete Macht bewehrt ist. Die Sicherheit der Freiheit wird durch den politischen und auch militärischen Druck garantiert, der die Welt einigermaßen im Gleichgewicht hält. Der Druck war unsichtbar, solange es zwischen den Interessen der Macht und den Interessen des Diskurses keinen grundsätzlichen Konflikt zu geben schien.
Jetzt gibt es ihn, und schon schüttet das nun entstehende Ressentiment das Kind mit dem Bade aus: Es verkennt die schlichte Tatsache, daß Amerika natürlich auch heute für Demokratie, Menschenrechte und Gewaltenteilung eintritt. Die Macht, die mit der neuen Sicherheitsdoktrin Amerikas erscheint, ist keineswegs das schlechthin "Andere", das die freiheits- und friedensliebende Diskursgesellschaft nur noch aus vollem Herzen bekämpfen müßte. Sie bildet einen blinden Fleck ebendieser Diskursgesellschaft selbst. Die Macht ist ihr verborgener Kern, den sie erst verstehen und akzeptieren muß, bevor sie zu einer Kritik ihrer Politik gelangen kann.
Sowenig der Diskurs in der internationalen Politik herrschaftsfrei sein kann, so gefährdet ist auf Dauer jede Macht, die auf den Diskurs verzichten zu können glaubt. Deshalb ist gerade jetzt die Zeit gekommen zu diskutieren: jetzt, da sich die deutsche Regierung als Mitglied des Sicherheitsrats offenbar mit den Fragen von Macht und Gegenmacht zu beschäftigen beginnt. Es geht nicht um den Irak-Krieg allein. Keine außenpolitische Strategie wird Bestand haben, wenn sie sich nicht mit der Präventivschlag-Doktrin konfrontiert, die den Boden der seit dreihundertfünfzig Jahren den Diskurs sichernden Macht aufs Spiel setzt. Gäbe es gegen die Allianz von Tyrannen mit Terroristen kein anderes Mittel als Krieg, wäre der Westfälische Frieden immer noch nicht geschlossen.
Joschka Fischer gilt als der Superstar der Regierung. Seine Bilanz als Außenminister ist verheerend.
In der Diskussion darüber, ob die Regierung oder die Opposition die besseren Rezepte für das Land habe, gab es auf Seiten der Regierungsanhänger immer ein Totschlagargument: Joschka Fischer. Wenn Edmund Stoiber Kanzler geworden wäre, hätten wir Fischer als Außenminister verloren. "Wollt ihr etwa Klaus Kinkel zurückhaben?", hieß es, und nur ganz wenige Mutige wagten zu sagen: "Ja, das wollen wir."
Schließlich war Joschka der coolste Außenminister, den die Bundesrepublik je hatte. Der Jurist Kinkel galt als Mann vergangener Tage: bieder, vernünftig, schwäbisch und unerträglich langweilig. Kinkel und Fischer sind beide typische Vertreter ihrer Regierungen. In keinem Ministeramt fühlte man den im Jahre 1998 vollzogenen Generationenwechsel so deutlich wie im Außenministerium, das fast 30 Jahre lang von nur drei Ministern geleitet wurde, allesamt von der FDP: Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel.
Anders als Genscher war Kinkel kein großer Außenminister, aber er war ein guter Außenminister. Eines seiner politischen Ziele war die ständige Mitgliedschaft Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat. Das hat er nicht erreicht, und häufig wurde er - zu Unrecht - dafür kritisiert, dass er diesem Ziel eine derart hohe Priorität verliehen hat. Er hat sich heftig dafür eingesetzt, dass wichtige politische Verbündete, vor allem die USA, dieses Vorhaben unterstützen. Deutschlands Rückkehr zur außenpolitischen Normalität sollte mehr Verantwortung und mehr Macht bedeuten: Wenn sich die Bundesrepublik an internationalen Aktionen ähnlich offensiv beteiligt wie die USA, Großbritannien und Frankreich, dann ist es nur rechtens, dass sie auch über die gleichen politischen Entscheidungsrechte verfügt wie die Verbündeten.
Vielversprechende Anfänge
In der Europa-Politik stand Kinkels Zeit als Außenminister von 1992 bis 1998 unter dem Zeichen der Vollendung des Binnenmarktes und den Vorbereitungen für die Einführung des Euro, zwei der wichtigsten Integrationsprojekte der Europäischen Union überhaupt.
Im Vergleich dazu ist die Bilanz von Fischer trotz vielversprechender Anfänge enttäuschend. Zunächst haben deutsche Truppeneinsätze im Kosovo, in Mazedonien und später in Afghanistan das außenpolitische Gewicht Deutschlands weiter erhöht. Auch in der Europa-Politik hatte Fischer am Anfang einige positive Akzente gesetzt. Seine viel beachtete Europa-Rede in der Humboldt-Universität hatte eine längst notwendige politische Debatte über den weiteren Verlauf der europäischen Integration ausgelöst.
Dann kam der Absturz. Zwar war es Gerhard Schröder, der mit einem anti-amerikanischen Wahlkampf das Verhältnis zu Washington "vergiftet" hat. Aber Fischer hat diese Politik ausdrücklich unterstützt, ebenso wie die Ansage Schröders, dass sich Deutschland nicht an einem Krieg gegen Irak beteiligen wird. Man hatte im Wahlkampf den Eindruck, Schröder und Fischer hielten George W. Bush für gefährlicher als den Diktator und Massenmörder Saddam Hussein. Mit dieser Position haben sich die beiden nicht nur von den USA, sondern auch von den europäischen Bündnispartnern Frankreich und Großbritannien abgekoppelt.
Seitdem hat sich herausgestellt - und Fischer hat es selbst gesagt - dass die Wahlkampfrhetorik nicht so gemeint war, wie sie ausgesprochen wurde. Natürlich würde Deutschland im Sicherheitsrat nicht gegen die USA stimmen, und natürlich würde Deutschland im Fall eines Krieges die USA unterstützen, etwa durch die Gewährung der Überflugrechte oder die Nutzung deutscher Militärbasen. Der versuchte Spagat, nach außen loyal zu sein und nach innen die Anti-Kriegs-Rhetorik nur ein wenig zu relativieren, steht kurz vor dem Scheitern. Schröder und Fischer haben entweder vor der Wahl gelogen, oder sie müssten einen Irak-Krieg weiter konsequent ablehnen - und so den nationalen Interessen unseres Landes massiv schaden.
Auswegloses Dilemma
Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg. Für eine Pro-Kriegs-Politik hat Rot-Grün kein Mandat, und wahrscheinlich auch keine Regierungsmehrheit. Eine Anti-Kriegs-Politik kann sich Deutschland aus außenpolitischen Gründen nicht leisten. In so einem Loch steckte das Land schon lange nicht mehr.
Auch in der Europa-Politik ging es nach den guten Anfängen bergab. Unter Kinkel hatte sich das Verhältnis zu Frankreich schon abgekühlt. Unter Fischer aber haben sich die Beziehungen dermaßen verschlechtert, dass man von einer strategischen Partnerschaft nicht mehr sprechen kann. Das Verhältnis zu Großbritannien ist ebenfalls lauwarm, hauptsächlich wegen der unterschiedlichen Positionen zum bevorstehenden Militäreinsatz gegen Irak. Deutschland hat wichtige Verbündete verloren, ohne neue zu schaffen.
Eine Ausnahme ist vielleicht die Türkei. Fischer ist einer der stärksten Befürworter einer EU-Mitgliedschaft der Türken und Motor dafür, dass die Verhandlungen darüber nächstes oder übernächstes Jahr beginnen. Unabhängig davon, wie man zur EU-Mitgliedschaft der Türkei steht, ist auch dies eine falsche Prioritätensetzung. Deutschland hat in Brüssel primär wichtigere nationale Interessen durchzusetzen, etwa die Schaffung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und eine stärkere Koordination in der Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Die EU hat immer auf der Basis paralleler Erweiterung und Vertiefung funktioniert. Beides ist im deutschen Interesse. Die jetzt beschlossene Osterweiterung ist das bei weitem ambitiöseste Erweiterungsprojekt. Jetzt ist es an der Zeit und im dringenden deutschen Interesse, die Vertiefung der Gemeinschaft voranzutreiben. Hier geht es nicht allein um die im Konvent besprochenen institutionellen Fragen, sondern um politische Inhalte. Mit der übereiligen Forderung nach einer neuen Erweiterungsrunde wird Fischer die EU in eine tiefe Krise stürzen: Wer Ja zur Türkei sagt, kann nicht aus prinzipiellen Gründen Nein sagen zu Russland, Weißrussland, der Ukraine und den südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeeres. Dann wäre die EU politisch am Ende.
Noch nie hat ein Außenminister den nationalen Interessen der Bundesrepublik so massiv und auf so vielen Ebenen geschadet. Wenn die rot-grüne Koalition scheitern sollte, dann wäre der Abtritt von Fischer kein Verlust.
Einmütig beschlossen - Klares "JEIN" zum Irakkrieg
bko. Der Vorstand der SPD unterstütze einmütig die Irak-Politik des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers, hieß es am Dienstag, nachdem die SPD-Linke ihr Mütchen am Außenminister hatte kühlen dürfen, obwohl der im Grunde nichts anderes gesagt hatte als Schröder: daß noch nicht feststehe, wie Berlin sich im UN-Sicherheitsrat verhalten werde, falls dort über einen Krieg gegen den Irak abgestimmt werden sollte.
Die Regierung Schröder, die sich so sehr um den Einfluß der UN und deren Gewaltmonopol sorgt, müßte eigentlich auf eine zweite Irak-Resolution dringen, die auch den geringsten Zweifel an der Legitimität eines Feldzuges gegen Bagdad beseitigte. Doch dann zöge für Schröder die Stunde der Wahrheit herauf: Wenn, wie zu erwarten wäre, die Verbündeten mit Amerika stimmten, könnte Berlin nicht dagegen votieren, ohne sich vollends zu isolieren. Also für einen Krieg sein, an dem man sich nicht beteiligen will, weil er falsch sei?
Da müßte Schröder erklären, daß die Beteiligung an einem Beschluß keine Beteiligung ist. So setzt Berlin lieber darauf, daß es nicht zum Krieg, wenigstens aber nicht zur Abstimmung kommt. Allerdings erführe die SPD nur im letzteren Falle verläßlich, welcher Irak-Politik ihres Vorsitzenden sie so einmütig applaudierte.
Stolpe warnt Schröder vor Wortbruch
Berlin (dpa) - Erstmals hat ein Kabinettsmitglied Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor einem Abrücken vom strikten Nein Deutschlands zu einem Irak-Krieg gewarnt.
Der Ost-Beauftragte der Regierung, Manfred Stolpe (SPD), sagte dem Magazin 'Der Spiegel': "Das wäre eine schlimme Enttäuschung für den Osten, schlimmer noch als der Anstieg der Arbeitslosigkeit".
Die Ostdeutschen erwarteten, dass Berlin den USA "nicht nur Gefolgschaft leistet". "Bei einer Zustimmung wäre der Schaden für die Glaubwürdigkeit der SPD und des Bundeskanzlers kaum zu ermessen."
Im Osten komme eine deutsche Zustimmung im Sicherheitsrat zum Irak-Krieg einem "Befreiungsschlag für die PDS" gleich. "Ich vermute, wir würden ein Dankeschön bekommen", sagte Stolpe mit Blick auf die SED- Nachfolgepartei, die strikt gegen jede Kriegsbeteiligung ist.
Der Wähler mag es eben emotional:
Grüne üben scharfe Kritik an US-Regierung
Regierungspartei ruft zu Demonstrationen gegen einen drohenden Irak-Krieg auf. Außenminister Fischer trägt Resolution mit. In der SPD kritisiert Kanzler Schröder Minister Stolpes Anti-Kriegs-Meinung
von Stephan Haselberger
Berlin - Die Grünen rufen mit Unterstützung von Außenminister Joschka Fischer zu Demonstrationen gegen einen Irak-Krieg auf. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Grünen-Parteirat am Montag in Berlin mit der Stimme Fischers. „Uns geht es darum, jetzt die Menschen zu mobilisieren“, sagte Grünen-Chefin Angelika Beer nach der Gremiensitzung. Ihr Co-Vorsitzender Reinhard Bütikofer ergänzte, die Grünen betrachteten sich „als Speerspitze der Friedensbewegung“.
Ein neuer Irak-Krieg hätte verheerende Folgen, heißt es in der Parteiratsresolution. Ein Militärschlag würde die internationale Koalition gegen den Terror sprengen und die Situation im Nahen Osten weiter destabilisieren. Ziel der Koalition sei es, den Verzicht Saddam Husseins auf Massenvernichtungswaffen ohne militärische Gewalt durchzusetzen. Dies werde „auch die Haltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat bestimmen“. Die Bundesrepublik werde nicht von ihrem Nein zum Krieg abrücken.
Beer machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass für die Grünen eine Zustimmung Deutschlands zu einer Kriegsresolution im Sicherheitsrat nicht infrage komme. „Wenn die USA jetzt eine Resolution vorlegen und sagen, wir haben keine Lust mehr, wir hauen drauf, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass wir zustimmen.“ Bütikofer wollte sich nicht festlegen, erklärte aber, es gebe bisher „keinen Grund für ein militärisches Vorgehen“.
Nachdrücklich warnen die Grünen vor einem Kriegsautomatismus, der durch die Entsendung von US-Truppen in die Region entstehen könne. Der UN-Sicherheitsrat müsse Herr des Verfahrens blieben. Die UN-Waffeninspekteure müssten ihre Arbeit fortsetzen. Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates ruft die Grünen-Führung auf, eine entsprechende Forderung von UN-Generalsekretär Kofi Annan zu unterstützen.
In der einstimmig verabschiedeten Resolution zur friedlichen Lösung der Irak-Krise üben die Grünen auch scharfe Kritik am Kurs von US-Präsident George W. Bush. Es sei „nicht akzeptabel, dass Teile der US-Regierung die Inspektionen für wenig wirksam erklären und für militärisches Vorgehen trommeln, aber die angeblich beweiskräftigen Geheimdienstinformationen den Inspekteuren nur höchst selektiv zur Verfügung stellen oder zurückhalten“. Zugleich stellt sich der kleine Koalitionspartner demonstrativ an die Seite der Kriegsgegner in den USA: „Auch in der US-amerikanischen Öffentlichkeit gibt es keine Mehrheit für einen bedingungslosen Kriegskurs, wie ihn manche Falken in der Bush-Administration verfolgen.“ Den Vorwurf, die rot-grüne Koalition habe Deutschland durch ihre Antikriegspolitik international isoliert, weisen die Grünen zurück. Die klare Ablehnung habe europaweit Anerkennung gefunden, die internationale Opposition gegen den Irak-Krieg sei stärker geworden.
Unterdessen hat Kanzler Gerhard Schröder Verkehrsminister Manfred Stolpe (beide SPD) wegen dessen Äußerungen zu Irak kritisieren lassen. Der Kanzler habe Stolpes Äußerung vom Wochenende zur Kenntnis genommen, sagte Regierungssprecher Béla Anda. Solange niemand wisse, was wann zur Abstimmung stehe, verböten sich jegliche Spekulationen und jegliche Empfehlung oder Ermahnung. Stolpe hatte ein Nein zu einem Irak-Krieg im Sicherheitsrat gefordert und den Kanzler vor „Wortbruch“ gewarnt. Schröder bekräftigte gestern Abend bei einer SPD-Veranstaltung, das Nein zu einer deutschen Beteiligung werde sich bei Abstimmungen in den internationalen Gremien „exakt“ widerspiegeln.
Artikel erschienen am 14. Jan 2003
Allein in New York
Der deutsche UN-Botschafter Pleuger ist nicht zu beneiden. Daß er in seiner Position die Wetterlage in den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat keinen Moment aus den Augen lassen darf, brauchte man dem erfahrenen Diplomaten bei seiner Rückkehr nach New York nicht zu sagen. Neu für ihn dürfte jedoch gewesen sein, daß auch die politischen und rhetorischen Wendungen im heimatlichen Berlin schärfster Beobachtung bedürfen. Denn der Mann - ein guter, wie man früher sagte - soll ja die deutschen Interessen vertreten. Allerdings nur in der Auslegung durch den Bundeskanzler und den Außenminister, da wird es dann kompliziert.
Für die Wiedergabe von Fischers Ansicht, eine weitere Irak-Resolution sei nicht unbedingt nötig, wurde Pleuger von Schröder öffentlich gerüffelt. Jetzt versteht man auch, warum: Der Kanzler will einen zweiten, von Europa herbeigeführten Beschluß. Weil Schröder - von seinem Minister Stolpe an die alten Versprechen erinnert - bekräftigte, er sei weiterhin gegen einen Krieg, muß man jetzt wohl folgern, daß der Kanzler eine Resolution gegen ein militärisches Eingreifen wünscht. Oder sollte er zur Praxis der bedeutungslosen Irak-Beschlüsse zurückkehren wollen? Hoffentlich sagt jemand unserem Mann in New York, daß am 2. Februar Landtagswahlen sind.
Wahlstrategie "Anti-Kriegs-Resolution" - Fischer als Friedensfürst
Die Unterzeichnung der Anti-Kriegs-Resolution war keine Sentimentalität. Es war Strategie von Stephan Haselberger
Es kommt nicht oft vor, dass Astrid Rothe strahlt, wenn sie nach Parteiratssitzungen mit Außenminister Joschka Fischer die Berliner Grünen-Zentrale verlässt. Am vergangenen Montag aber trug die linke Landesvorsitzende aus Thüringen nach der Sitzung der Parteiführung ein zufriedenes Lächeln zur Schau. Gerade hatte sie gemeinsam mit zwölf weiteren Mitgliedern des Parteirats eine zweiseitige Resolution verabschiedet, die den kleinen Koalitionspartner in der Debatte um den drohenden Irak-Krieg dort verortet, wo er nach Meinung Rothes und anderer Parteilinker naturgemäß hingehört: an die Seite der Friedensbewegung. Und das Tollste: Fischer hatte zugestimmt.
Der Außenminister als Friedensfürst, der sich im Schulterschluss mit der USA-kritischen Parteibasis gegen eine Intervention im Irak stemmt und zu Demonstrationen gegen den Krieg aufruft –das hätte die Linke vor ein paar Wochen nicht zu träumen gewagt. Nach Weihnachten hatte Fischer in einem „Spiegel“-Interview noch ganz anders geklungen. Damals mochte er ein Ja zu einem Militärschlag bei einer möglichen Abstimmung im UN- Sicherheitsrat nicht ausschließen. Nicht nur in den Ohren der Rothes und Ströbeles hörte sich das an, als bereite da einer den Kursschwenk der Bundesregierung vor. Der Opposition wärmte sich schon das Herz beim Gedanken an eine neue Strophe in ihrer Ballade vom Wahlbetrug.
Spätestens seit Montag kann von Zweideutigkeiten Fischers nicht mehr die Rede sein. Ein Ja zu einem Angriff scheint nach der Grünen-Resolution nicht mehr möglich, will der kleine Koalitionspartner seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren. So bekräftigt das mit Fischers Stimme verabschiedete Papier das Nein der Bundesregierung zum Krieg und macht diese Position zur Grundlage für das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat. Als sei dies nicht deutlich genug, übt die Grünen-Führung darüber hinaus scharfe Kritik an Teilen der Bush-Administration („bedingungsloser Kriegskurs“, inakzeptable Informationspolitik gegenüber den UN-Waffeninspekteuren) und stellt sich an die Seite der amerikanischen Friedensbewegung („das andere Amerika“).
Nun ist Fischer beileibe nicht zur pazifistischen Glaubensgemeinschaft konvertiert. Das könnte man zwar folgern, wenn Parteichef Bütikofer die Grünen zur „Speerspitze der Friedensbewegung“ erklärt. Doch der Star der Grünen wittert wohl eher einen doppelten Sieg. Noch nie standen die Chancen so gut, einen Krieg zu verhindern, wie jetzt, da der Widerstand auch in anderen europäischen Ländern wächst und den USA die Zeit für einen Angriff davonläuft. Deshalb drängen Fischer und Kanzler Schröder auf eine Verlängerung der UN-Waffeninspektionen. In Grünen-Kreisen malt man sich bereits den Erfolgsfall aus: Fischer stünde als Friedensbewahrer da, der Europa entschlossen auf Antikriegskurs geführt hat. Zugleich bliebe Deutschland eine Abstimmung im Sicherheitsrat vorläufig erspart.
Mit dem Stimmungswechsel in Europa und der sinkenden Kriegswahrscheinlichkeit erklären Parteifreunde auch Fischers Unterstützung für die scharfe Antikriegsresolution vom Montag. Ohne Gefahr zu laufen, Deutschland zu isolieren, habe der Außenminister drei Wochen vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen den friedensbewegten Teil der Grünen- Klientel eingesammelt, der den Grünen nach der deutschen Beteiligung an den Kriegen im Kosovo und in Afghanistan verloren gegangen war. „Das wird sich auszahlen“, heißt es in Parteikreisen.
Zweite UN-Resolution
Kommentar von BETTINA GAUS
Bagdad liegt nicht in Niedersachsen
Bundeskanzler Gerhard Schröder hält eine zweite UN-Resolution zum Thema Irak für vernünftig. Außenminister Joschka Fischer hat hingegen durchblicken lassen, dass er die bestehende Resolution 1441 unter Umständen als hinreichende Legitimation für einen Militärangriff auf das Land betrachtet. Vorboten einer Koalitionskrise? Aber nein. In erster Linie ein Hinweis darauf, dass die Meinungen deutscher Politiker in dieser Frage eine ziemlich untergeordnete Rolle spielen.
Ob es eine zweite Resolution geben wird, entscheiden die USA. Wenn überhaupt, dann interessieren sie sich allenfalls für die Haltung der Vetomächte. So etwas nennt man Machtpolitik. Berlin kann Washington an gar nichts hindern, muss jedoch auch nicht gleich bei allem mitmachen, was die jeweilige US-Regierung beschließt. Vor diesem Hintergrund ist das ganze Gerede vom angeblich so großen Einfluss der deutschen Regierung, der leichtfertig verspielt worden sei, nichts anderes als ein Symptom für eine milde Form des Größenwahns.
Die etwas unterschiedlichen Positionen von Schröder und Fischer erfüllen Funktionen, die deutlich unterhalb der Schwelle einer Entscheidung über Krieg und Frieden liegen. Der Kanzler hat dem französischen Verbündeten die Reverenz erwiesen. Dessen diplomatischem Geschick war das Zustandekommen der UN-Resolution zugeschrieben worden, die seinerzeit einen militärischen Automatismus auszuschließen schien. Die Haltung von Fischer erlaubt es der Bundesregierung zugleich, sich nicht brüskiert zeigen zu müssen, falls es keine weitere Entschließung gibt. Schließlich hält auch Schröder eine zweite Resolution lediglich für "vernünftig" - nicht aber für zwingend.
Hinsichtlich des möglichen Abstimmungsverhaltens der Bundesregierung in der UNO ist Schröder übrigens auch gestern vage geblieben. Allerdings formuliert er Unverbindlichkeiten zunehmend markig und entschlossen, je näher die Landtagswahlen rücken. Offenbar will er erneut mit dem Image eines Friedenskanzlers punkten. So einfach wie im Bundestagswahlkampf wird das allerdings nicht werden. Es mag ja Leute geben, die Rot-Grün tatsächlich deshalb gewählt haben, weil sie die Friedenspolitik der Koalition überzeugend fanden. Aber diejenigen, die an den Einfluss von Niedersachsen und Hessen auf die Weltpolitik glauben, dürften doch eine recht kleine Minderheit sein.
taz Nr. 6954 vom 15.1.2003, Seite 1, 85 Zeilen (Kommentar), BETTINA GAUS, Leitartikel
taz muss sein
Grass (SPD) geißelt die USA und ihren "gewollten Krieg"
„Es geht wiederum ums Öl.“ Der Literatur-Nobelpreisträger prangert außerdem die moderne Kriegsberichterstattung in den Medien an
Hamburg - Der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass wirft den USA und ihren Verbündeten im Irakkonflikt „Heuchelei“ und „Hybris“ vor. „Dieser drohende Krieg ist gewollt“, schrieb Grass in einem Exklusiv-Beitrag für die Deutsche Presse-Agentur (dpa). „Es geht wiederum ums Öl.“
Seine Erfahrung sage ihm, „daß diesem gewollten Krieg weitere Kriege aus gleichem Antrieb folgen werden“, warnte Grass (75). Er hoffe, „daß die Bürger und die Regierung meines Landes unter Beweis stellen werden, daß wir Deutschen aus selbstverschuldeten Kriegen gelernt haben und deshalb Nein sagen zu dem fortwirkenden Wahnsinn, Krieg genannt“.
Nach Einschätzung von Grass geht es bei dem Truppenaufmarsch am Persischen Golf nicht um eine bloße Drohgebärde gegen „einen von zwei Dutzend weltweit herrschenden Diktatoren“. Vielmehr finde der gewollte Krieg in planenden Köpfen, auf den Börsen aller Kontinente, in „wie vordatierten Fernsehprogrammen“ bereits statt, schrieb Grass. „Der Feind als Zielobjekt ist erkannt, benannt und eignet sich, neben anderen noch zu erkennenden und benennenden Feinden auf Vorrat, für die Beschwörung einer Gefahr, die alle Bedenken nivelliert. Wir kennen die Machart, nach der man sich einen Feind, sollte er fehlen, erfindet.“ Bekannt sei „gleichfalls jene bildgesättigte Spielart des Krieges, nach der zielgenau daneben getroffen wird“. Grass kritisierte auch die westliche Sicht, „nur die relativ wenigen Toten der herrschenden Weltmacht“ zu zählen, „während die Masse der toten Feinde samt deren Frauen und Kindern ungezählt bleibt und keiner Trauer wert ist“.
Ohne den Golfkrieg von 1991 direkt zu erwähnen, prangerte der Nobelpreisträger die moderne Kriegsberichterstattung in den Medien an. „Weil wir seine vom detaillierten Schrecken gesäuberte Bilderflut kennen und auch die Fernsehrechte an den uns bekannten Sender der drei abkürzenden Buchstaben (dpa: CNN) vergeben sind, erwarten wir eine Fortsetzung des Krieges als Seifenoper, unterbrochen nur von Werbespots für friedliche Konsumenten.“
Der Nobelpreisträger erinnerte daran, dass der Westen Saddam Hussein im Krieg gegen Iran (1980-1988) noch unterstützt hatte und dieser nun als Diktator geächtet werde. Dass Saddam Hussein derzeit über Massenvernichtungsmittel verfüge, sei nicht bewiesen, meinte Grass. Die offizielle Zielsetzung der USA, nach einem Sieg über Saddam Hussein im Irak Demokratie einzuführen, wirkt für den Schriftsteller nicht überzeugend. Denn die Nachbarstaaten Saudi-Arabien und Kuwait, die dem Westen verbündet sind und ihm als militärische Aufmarschbasis dienen, würden gleichfalls „diktatorisch beherrscht“. „Sollen diese Länder Ziel der nächsten demokratiefördernden Kriege sein?“
„Ich weiß, diese Fragen sind müßig; die Arroganz der Weltmacht gibt Antwort auf jede“, fährt Grass fort. Das Herrschaftsgefüge zeige sich jetzt „nackt“. „Schamlos stellt es sich dar und gemeingefährlich in seiner Hybris. Der gegenwärtige Präsident der USA gibt dieser Gemeingefährlichkeit Ausdruck.“ Grass äußerte Sorge, „ob die Vereinten Nationen standhaft genug sind, dem geballten Machtwillen der Vereinigten Staaten von Amerika zu widerstehen“. dpa
Neue Peinlichkeiten durch Bundestagsmandat?
In Brüssel sind nach offiziellen Angaben Vorschläge zur Beteiligung der alliierten Streitkräfte eingegangen. In Deutschland steht der Streit um den Einsatz der Bundeswehr an
Berlin - Nachdem die USA bei der Nato offiziell Hilfe bei einem möglichen Irak-Krieg angefragt haben, steht ein neuer Streit um die Beteiligung deutscher Soldaten bevor. Die USA hatten am Mittwoch unter anderem um Nato-eigene Awacs-Maschinen gebeten, um bei einem Krieg den Luftraum über der Türkei zu schützen. Ein Nato-Sprecher bestätigte der WELT den Eingang von „offiziellen Vorschlägen“ der USA in Brüssel.
Der außenpolitische Sprecher der Union, Friedbert Pflüger, hält einen Beschluss des Bundestages zur Genehmigung einer deutschen Beteiligung an Awacs-Flügen für „zwingend“. Die SPD habe 1993 selbst per Verfassungsklage ein solches Bundestagsmandat erzwingen wollen. Damals ging es um Awacs-Flüge über Ungarn zur Überwachung des Luftraumes über Jugoslawien. Mitte 1994 habe das Verfassungsgericht die Notwendigkeit eines Bundestags-Beschlusses sowohl für Friedensmissionen als auch für Einsätze im Rahmen des Nato-Vertrages festgelegt. „Wir bestehen deshalb auf einem Bundestagsmandat“, sagte Pflüger gegenüber der WELT.
Sollte ein Bundestagsbeschluss tatsächlich nötig sein, kommt die Bundesregierung in politische Nöte: Kanzler Gerhard Schröder hatte am Dienstag jede Beteiligung an einem Irak-Krieg ausgeschlossen, die einen Beschluss des Bundestages erfordern würde. Damit könnten deutsche Soldaten nicht an den möglichen Awacs-Einsätzen teilnehmen.
Bereits vor einigen Wochen hatte es auch innerhalb der Regierungskoalition heftige Debatten um einen Awacs-Einsatz gegeben. Schließlich einigten sich Grüne und SPD darauf, dass für solche Awacs-Einsätze ein Bundestagsmandat nicht nötig sei. Der Bundeskanzler erklärte, dass bei Flügen über der Türkei die deutschen Soldaten an Bord blieben. nik./has
Lieferung deutscher «Patriot»-Raketen an Israel Ende des Monats
Berlin (dpa) - Deutschland will Ende des Monats zwei Flugabwehrsysteme vom Typ «Patriot» an Israel liefern. Der Leihvertrag für die 128 Raketen soll im Laufe des Tages im Verteidigungsministerium unterzeichnet werden. Das bestätigte ein Sprecher. Die «Patriot»-Systeme würden Israel für zwei Jahre überlassen, heißt es. Zurzeit würden mehrere israelische Experten an den Flugabwehrraketen in Deutschland ausgebildet. Der «Patriot»- Lieferung musste der Bundessicherheitsrat zustimmen.
Friedensbewegung gegen Vereinnahmung durch Grüne - Offene Kritik an Joseph Fischer
Die Grünen wollen sich an die Spitze der Kriegsgegner stellen. Das sieht die Friedensbewegung gar nicht gern. Außenminister Fischer wird offen kritisiert.
Angesichts des drohenden Irak-Krieges besinnen sich die Grünen neu auf ihre Wurzeln in der Friedensbewegung. Doch Friedensaktivisten selbst verhalten sich reserviert gegenüber der Ankündigung der Partei, die «Speerspitze der Friedensbewegung» bilden zu wollen. «Die offizielle Position der Grünen ist nicht sehr friedenstauglich», sagte Kristian Gilla vom Netzwerk Friedensinitiative der «Berliner Zeitung». Auch Frank Uhe, Geschäftsführer der deutschen Sektion für die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), vermag die Nähe der Grünen zur Friedensbewegung «in der konkreten Politik nicht zu erkennen».
Deutlich wurde die Kritik an der Bundesregierung auch in einem am Mittwoch veröffentlichten Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Darin wird Außenminister Joschka Fischer vorgeworfen, dass er «mit der Behauptung, die Sicherheitsresolution beinhalte schon jetzt ein völkerrechtliches Mandat für einen Krieg, sich quasi der US-Position anschließt». Damit falle die Regierung «allen Anstrengungen der UNO und der Kriegsgegner im Sicherheitsrat in den Rücken». Der Brief wurde von der «Koalition für Leben und Frieden formuliert», einer Initiative des IPPNW und dem Global Challenges Network (GNC). Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, im Weltsicherheitsrat eine Militäraktion gegen Irak abzulehnen. Unterzeichnet haben das Schreiben 250 Wissenschaftler und Friedensaktivisten.
Trotz der Kritik bekräftigte der Grünen-Vorstand am Donnerstag seine ablehnende Haltung zu einem möglichen Irak-Krieg. «Unter den derzeit absehbaren und vorstellbaren Bedingungen kann niemand von einem deutschen Ja zum Krieg im UN-Sicherheitsrat ausgehen», sagte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer am Donnerstag am Rande einer Klausurtagung des Vorstandes in Potsdam. An der Ablehnung werde sich auch nichts ändern, wenn die UN-Waffeninspektoren im Irak Hinweise auf Massenvernichtungswaffen entdecken würden, sagte die Vorsitzende Angelika Beer: «Sie können den Irak nicht entwaffnen, indem sie ihn bombardieren.» Stattdessen könne eine Abrüstungspolitik nur mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden.
Die Friedensabsichten von Rot-Grün soll auch die «Hamburger Erklärung» unterstreichen, die inzwischen von 34 Bundestagsabgeordneten der Koalition unterzeichnet worden. Wie die beiden Initiatoren des Aufrufs, Juso-Chef Niels Annen und der Grünen-Parlamentarier Uli Cremer, am Donnerstag in Berlin mitteilten, sei die Erklärung insgesamt von mehr als 500 Mitgliedern der beiden Regierungsparteien unterschrieben worden, darunter auch von einer Reihe von Landtagsabgeordneten.
In der «Hamburger Erklärung» wird die Bundesregierung aufgefordert, «den deutschen Vertreter im UN-Sicherheitsrat anzuweisen, alles zu tun, um eine Ermächtigung zum Krieg gegen den Irak zu verhindern». So werde erwartet, dass Deutschland im Falle einer solchen Beschlussvorlage mit «Nein» stimme. Unter den Unterzeichnern sind auf Seiten der Grünen unter anderem Ex-Parteichefin Claudia Roth und Hans-Christian Ströbele, auf Seiten der SPD unter anderem Vorstandsmitglied Andrea Nahles. (nz)
oder: 's ist leider wieder Wahlkampf
Die Meinungsoffensive - Günter Grass (SPD) und der Krieg
Als Preußen und Österreich gegeneinander in den Krieg zogen, saß ein kleiner Journalist, der ein großer Dichter war, in Wandsbek und blickte in eine düstere Zukunft. Er sah Tod und Unglück, er sah die Geister der Erschlagenen, wie sie blutig, bleich und blaß sich im Staube vor ihm wälzen und ihm fluchen in ihrer Todesnot. Der Mann litt, denn er fühlte sich schuldig an einem Krieg, zu dessen Ausbruch er nicht das Geringste beigetragen hatte. Und er begehrte, nicht schuld zu sein an all dem Leid, das ihm vor Augen stand. In seiner Not schrieb er ein paar Verse nieder: Mit dem Gedicht "Kriegslied" hat Matthias Claudius seine Angst und seine Gewissensqualen unsterblich gemacht. Claudius lebte und schrieb in einer Zeit, da mancher Dichter noch glaubte, ein Gott habe ihm die Gabe verliehen, zu sagen, wie er leide.
Heute sagen die Dichter, die oft auch große Journalisten sind, viel lieber, was sie meinen. Weil das Meinen aber keine rechte Kunst ist, taugt das Gedicht zur Übermittlung wenig. Wieviel besser eignet sich da die Deutsche Presse-Agentur!
Um 9.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit gab sie gestern der Welt bekannt, daß Günter Grass sich zur Irak-Krise geäußert hat und stellte für 10 Uhr nähere Informationen in Aussicht. Punkt zehn folgte getreulich eine zweite Agenturmeldung mit einer Vorhut von Zitaten. Um 10.15 Uhr griff die Hauptstreitmacht ins Geschehen ein: Der volle Wortlaut des "Exclusiv-Beitrags" wurde übermittelt. Und weil der angekündigte Zeitplan mit generalstabsmäßiger Präzision eingehalten wurde, konnten pünktlich um Viertel nach zehn die Redakteure aller Tageszeitungen, Magazine, Wochenblätter, Radiosender und Fernsehanstalten im Lande einen Text von Günter Grass lesen, in dem der Nobelpreisträger den Vereinigten Staaten Hybris und Gemeingefährlichkeit vorwirft und unterstellt, es ginge der Weltmacht nicht um die Verbreitung der Demokratie, sondern vor allem "ums Öl". "Oder genauer: Es geht wiederum ums Öl."
Am Anfang und am Ende des Textes zitiert Grass ausführlich aus dem "Kriegslied" von Matthias Claudius: "'s ist leider Krieg - und ich begehre nicht schuld daran zu sein!" Völlig überraschend, weil von keiner Vorausmeldung angekündigt, erreichte die Redaktion am frühen Nachmittag dann noch die Mitteilung, daß am Abend ein weiterer Schauplatz eröffnet werde: im Fernsehen nämlich, wo der Nobelpreisträger am Abend ein Gespräch mit Ulrich Wickert über den drohenden Krieg im Irak führen wolle.
Gegner wie Befürworter des Kriegs werden nicht umhinkommen, die taktische Finesse im Arrangement dieser Meinungsoffensive zu bemerken. Verwerflich ist an diesem Vorgehen nichts. Auch Dichter dürfen meinen. Und selbstverständlich dürfen Dichter, von Günter Grass über Peter Handke bis Martin Walser, die Medien und ihre Mechanismen attackieren und verdammen - 's ist leider eine Medienwelt, in der wir leben. Aber ob unsere Dichter, die oft auch große Journalisten und Strategen sind, begehren dürfen, nicht schuld zu sein an diesen Mechanismen, daran wird man zweifeln dürfen.
Deutsches Votum zu Irak im Sicherheitsrat weiter nicht festgelegt
Berlin (dpa) - Das deutsche Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat bleibt weiter offen. Ein Sprecher der Bundesregierung hat Äußerungen von Verteidigungsminister Peter Struck dazu als «persönliche Einschätzung» bezeichnet.
Struck hatte in einem Interview gesagt, dass ein deutsches Ja zu einem Irak-Krieg «im Grunde nicht mehr vorstellbar» sei. Es gebe in der Irak-Frage weiterhin keine Festlegung, so lange die Rahmenbedingungen einer Abstimmung in dieser Frage nicht bekannt seien, sagte nun der Sprecher in Berlin.