Kiel/Hamburg - Das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein, das seit dem 1. Mai 2008 besteht, hat bislang genau ein Urteil gefällt. Im Februar dieses Jahres verpflichtete es den Landtag, eine neue Amtsordnung zu erlassen. Die alte werde der Bedeutung der Amtsausschüsse in Schleswig-Holsteins kleineren Gemeinden nicht gerecht. Am Montag werden die Richter den zweiten Spruch ihrer kurzen Karriere als Verfassungswächter verkünden. Es wird sehr viel spektakulärer ausfallen und womöglich vorgezogene Neuwahlen im Bundesland zur Folge haben. Aber nicht nur darüber ärgern sich die Kieler Regierungsparteien ganz erheblich.
Der Sprecher der CDU-Fraktion im Kieler Landtag, Dirk Hundertmark, lässt sich so zitieren: "Die Unionsfraktion kann sich nicht vorstellen, dass ein Verfassungsgericht derart unprofessionell handelt und den Tenor eines Urteils vorzeitig an die Medien durchsticht." CDU-Fraktionschef Christian von Bötticher mag sich zum Thema gar nicht äußern. Selbst der grüne Fraktionschef Robert Habeck spricht von einem "unerhörten Vorgang".
Dabei hatte die Zeitung "Schleswig-Holstein am Sonntag" unter Verweis auf "mehrere vertrauenswürdige Quellen" nur auf den Punkt gebracht, worüber in Kiel ohnehin seit Wochen getuschelt wird: Die sieben Verfassungsrichter des nördlichsten Bundeslandes werden der von Grünen und Linken eingereichten Normenkontrollklage gegen das geltende Wahlgesetz stattgeben und damit die derzeitige Zusammensetzung des Landtags für verfassungswidrig erklären. Dafür, so Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef und Jurist, zur WELT, "spricht sehr viel".
In der Tat ist die aktuelle Zusammensetzung des Landtags kein Ruhmesblatt der Demokratie. So haben Union und FDP eine, wenn auch knappe Mehrheit der Sitze, obwohl eine Mehrheit der Schleswig-Holsteiner mit ihrer Zweitstimme für die Oppositionsparteien - SPD, Grüne, Linke und SSW - gestimmt hat. Ursache für das Missverhältnis sind die zahlreichen Überhangmandate vor allem der CDU - Landtagssitze also, die CDU-Kandidaten aufgrund der meisten Erststimmen gewannen, ohne dass die Wähler im jeweiligen Wahlkreis eine vergleichbar hohe Zahl von Zweitstimmen für die CDU abgegeben hätten. Das geltende Wahlgesetz schreibt vor, dass solche Überhangsmandate nicht vollständig ausgeglichen werden. Schon mit einem Teilausgleich hat der Landtag 95 Abgeordnete, obwohl in der Verfassung nur 69 Parlamentarier vorgesehen sind. Wären sämtliche Überhangmandate ausgeglichen worden (was Grüne und Linke fordern), hätte der Landtag 101 Mitglieder - und die schwarz-gelbe Mehrheit wäre zur Minderheit geworden.
Eine Diskrepanz, so heißt es in Kiel, die die Richter quasi dazu zwinge, das geltende Wahlrecht für verfassungswidrig zu erklären.
SPD-Partei- und -Fraktionschef Ralf Stegner hat diesen schon eröffnet. Er ließ sich gestern mit der Feststellung zitieren, "dass diese Landesregierung die politische Mehrheit verloren hat. Jeder Tag weniger, den sie im Amt ist, ist gut für das Land." Frühzeitige Neuwahlen wären auch gut für Stegner, der in seiner Partei nicht unumstritten ist, aber umso alternativloser wäre, je eher gewählt wird.
Ganz anders ist die Lage bei der Union. Dort wollte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen sein Amt eigentlich 2012 an einen Nachfolger übergeben. Carstensen wird dann 65, einen neuen Wahlkampf mag er sich nicht mehr zumuten. Das, heißt es in der Union, wird er auch bei vorgezogenen Wahlen nicht tun. Müsste dann ein möglicher Nachfolger, aller Voraussicht nach Fraktionschef Christian von Bötticher, früher ins Amt kommen, um sich zu profilieren? Derartigen Spekulationen erteilte Carstensen gestern eine kategorische Abfuhr: Er kandidiere beim Parteitag am 18. September erneut für den Landesvorsitz. Im Übrigen wolle er "in Ruhe abwarten und auch nach dem Urteilsspruch nicht in Hektik verfallen". Ein Satz, der Angela Merkel gefallen dürfte, die bereits drei erfahrene Unionsministerpräsidenten ziehen lassen musste.
Keine Hektik käme sicherlich vielen Abgeordneten entgegen. Nicht wenige von ihnen hätten bei einer Neuwahl und einem kleineren Landtag keine Chance auf eine Rückkehr. Die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes durch eben diese Abgeordneten, mutmaßt nicht nur ein führender Unionspolitiker, wird nicht im Eiltempo geschehen. Auch die gerade von den Umfragen gebeutelte FDP dürfte an Eile kein übermäßiges Interesse haben. Fraktionschef Wolfgang Kubicki zeigte sich im Gespräch mit der WELT dennoch für alle Eventualitäten gerüstet: "Ich werde auf jeden Fall wieder antreten."