OFF TOPIC: Quellen des Fanatismus
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 22.10.15 09:55 | ||||
Eröffnet am: | 05.11.01 20:06 | von: DarkKnight | Anzahl Beiträge: | 9 |
Neuester Beitrag: | 22.10.15 09:55 | von: DarkKnight | Leser gesamt: | 1.413 |
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Durch die russische Revolution wurde eine säkularisierte Sinnerweiterung geschaffen, so daß wir neben der weiter bestehenden religiösen Bezeichnung alle möglichen Glaubensinhalte wie Ideologien und Überzeugungen, aber auch allgemein Interessen mit einbeziehen, wenn wir von Fanatismus sprechen.
Nach unserem heutigen Sprachverständnis kann man sich sowohl als fanatischer Tempeldiener wie auch als Erleuchteter eines fundamentalistischen religiösen Glaubens geben oder einer gesellschaftlichen, politischen Idee, aber auch eines Fußballclubs oder eines Popstars. Fans sind ihrem Ursprung nach fanatici, der Vergötterung Dienende, die sich oft erleuchtet wähnen und besessen sind. (...)
Angesichts der Vielfalt von Fanatismen wurde mir Angst und Bange, wie ich von da zu dem mir gestellten Thema, nämlich seinen Quellen gelangen sollte. Hilfreich fiel mir dabei BELA GRUNBERGER ein, der in einer kleinen Fußnote in seinem Narzißmus - Buch einen Patienten erwähnt, dessen größter Stolz darin bestand, in seinem Leben noch nie Kartoffeln gegessen zu haben. Mit diesem originellen Beispiel wollte er verdeutlichen, daß die Inhalte des Narzißmus, so skuril und absurd sie auch anderen erscheinen mögen, für die analytische Reflexion des Narzißmus sekundärer Natur sind.
Dieser Meinung schließe ich mich nun bei unserer Fragestellung an und werde nicht nach den Inhalten des Fanatismus forschen, die mir ähnlich, vielfältig und austauschbar wie beim Narzißmus erscheinen, sondern nach seiner Funktion im psychischen Apparat und in den Objektbeziehungen. (...)
...frage ich nun, wie und worin unterscheiden sich die Verhältnisse des Seifenblasenspiels in Bezug auf den Fanatismus? Auch Fanatiker sind von ihren Objekt oder Ideen beseelt und fanatische Massen entflammen sich ebenso an ihren Ideologien und Idolen, aber mit beträchtlichen Unterschieden hinsichtlich der eben geschilderten Verhältnisse (beim Seifenblasenspiel - JP).
Schwund des Realitätsbezugs:
Wenn es sich um Garnrollen statt um Seifenblasen handelt, kommt schon früher die Realität klärend und enttäuschend ins Spiel. Mit Seifenblasen können Illusionen und Allmachtsphantasien hartnäckiger aufrechterhalten werden. Aber spätestens, wenn Mutter ihr Kind beim Seifenblasenspiel mehrmals ermahnt, den Balkon zu verlassen und zum Essen zu kommen, schlüpft unser Held aus seiner enthusiastischen, verliebten Einnistung in sein Spiel und seine Seifenblasen wieder heraus und steht mit beiden Beinen auf dem Balkon, vielleicht verärgert, jetzt mit der Familie essen zu müssen. Möglicherweise hatte ihn aber schon vorher ein Hungergefühl in seinen Körper zurückgeholt, so daß er sich versöhnlicher oder sogar mit Lust dem gemeinsamen Mahl zuwenden kann.
Nicht so der Fanatiker! Er hat sich im Gegenteil ganz und fest in seiner Ideologie eingerichtet, wo er als fanaticus dem Tempel dienen muß, in den er sich selbst eingeschlossen hat oder eingeschlossen wurde. Seine Welt dort sieht anders aus als die draußen und hat sich eine eigene Sphäre bzw. Atmosphäre geschaffen.
Die Rückkehr vom Balkon zum familiären Mittagstisch geht weitgehend verloren, ja auch Wahrnehmung und Empfindung ihrer Notwendigkeit werden aus den Augen verloren. (...) Hier gibt es natürlich Übergänge zu Wahnsystemen.
Verlust von Erkenntnis und Anerkennung der eigenen Urheberschaft.
Auch wenn sich das Seifenblasen erzeugende Kind zeitweise ganz an und in seine Schöpfung verloren hat, ist es sich doch andererseits bewußt, daß es die Blasen erzeugt hat, und auch wie es dies tat. Diese Sicht auf die realen Wirkungszusammenhänge macht im Fanatismus einer Verblendung Platz. Die Frage, warum erfülle ich diese oder jene Objekte bzw. Ideen mit Leben und meiner Lebendigkeit, wird nicht mehr gestellt(...)
Verleugnung von Objektverlusten, Zerstörung und Katastrophen:
Das Seifenblasenspiel erfreut sich großer Beliebtheit, weil es auch ein Verleugnungsspiel ist. Denn zerplatzte Seifenblasen sind keine zerstörten Spielsachen oder verlorene Freunde und Familienangehörige geschweige denn Auslöser einer existentiellen Krise oder Katastrophe. (...)
Hingegen benötigen lebenswichtige Verluste und Zusammenbrüche die Verinnerlichung guter verläßlicher Begleiter, um diese zu verkraften, ohne in Depression zu fallen - oder im Sinne einer Reaktionsbildung in einen Fanatismus unter Verleugnung der Verluste... Dies ist individuell und kollektiv nur möglich, wenn beständige, gute Begleiter zur Verfügung standen und verinnerlicht wurden zur Schaffung einer kontinuierlichen Seins-Empfindung. Früh gestörten Patienten mangeln diese meist (...)
Verminderung der Ambivalenztoleranz zugunsten von Spaltungsvorgängen:
Das fanatische Eingeschlossensein und Umschließenwollen begünstigt frühe Abwehrmechanismen zugunsten reiferer. Kritiklose Idealisierung, Idolisierung, bis hin zur Vergötterung im Sinne einer omnipotenten Fusion (...) lassen kaum Raum für ambivalente Einstellungen dem idealisierten Objekt und Selbst gegenüber. Stattdessen regieren Spaltungsvorgänge, mit deren Hilfe entwertende und destruktive Gefühle nach außerhalb der fanatischen Selbstblase gebracht werden müssen. (...) Daher werden immer Sündenböcke zum Auslagern negativer Seiten benötigt, für die im jeweiligen fanatischen Universum kein Platz ist: Ausländer, Minderheiten und geschichtlich besonders geeignet wegen ihrer renitenten Eigenständigkeit, Juden. (...)
COLAS schreibt: ``Ganz gleich von welchem Prinzip er sich erleuchtet glaubt, ob sein Enthusiasmus ihm von einem allmächtigen Gott oder einem absoluten Wissen eingegeben ist, bekämpft der Fanatiker die unerträgliche Unordnung einer unvollkommenen, unreinen und ungleichen Welt. Zugleich ist der Fanatiker aber auch immer Gotteslästerer im Angriff auf den Tempel des Anderen, im Beschmutzen seiner Reliquien, im Brechen seiner Tabus".
PS: das war NICHT frauenfeindlich