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Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 25.04.21 10:27 | ||||
Eröffnet am: | 03.08.06 13:24 | von: Monsterchen | Anzahl Beiträge: | 9 |
Neuester Beitrag: | 25.04.21 10:27 | von: Lisavqkka | Leser gesamt: | 6.407 |
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ifo Standpunkt Nr. 77 - Tourismusweltmeister Deutschland*
Die Weltmeisterschaft beim Fußball haben wir nicht geschafft, und dass die Exportweltmeisterschaft eine Ente ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Vorne liegen wir bekanntlich nur, wenn man von den Exporten die Dienstleistungen abzieht und sich auf den Teil der exportierten Leistungen beschränkt, die man mit den Händen fassen kann. Weder die Exporte von SAP noch die Auslandsverkäufe der deutschen Ingenieurbüros darf man mitrechnen.
Dafür ist Deutschland aber Weltmeister beim Tourismus. Mit einem Import touristischer Dienstleistungen in Höhe von 73,2 Mrd. Dollar lag Deutschland im Jahr 2005 vor den USA, die auf
69,2 Mrd. Dollar kamen, und das, obwohl in den USA dreieinhalb mal so viele Menschen wie in Deutschland leben. Von den Bahamas bis Barein, von Pucket bis Panama, vom Nordkap bis zum Kap der guten Hoffnung reichen die Routen der deutschen Urlauber.
Trotz des miserablen Wachstums und trotz der Massenarbeitslosigkeit lassen es sich die Deutschen gut gehen. Kein anderes entwickeltes Volk dieser Erde hat in Relation zu seiner Größe so wenig Kinder, keines schrumpft so schnell wie das deutsche. Doch kein Volk gibt so viel Geld für
Auslandsreisen aus wie wir. Die Deutschen investieren nicht mehr in ihre Zukunft, sondern genießen die Gegenwart. Rastlos durchkreuzen die deutschen Luxusliner die Weltmeere, die Lufthansa strebt von einem Gewinnrekord zum anderen, und die deutsche Sprache dringt in die letzten Paradiese diese Erde vor.
Man fragt sich, was die Gründe für den Tourismusboom sein mögen. Ein erster Grund könnte sein, dass wir trotz der aktuellen wirtschaftlichen Probleme immer noch vergleichsweise hohe Einkommen haben. Dieser Grund verliert aber an Bedeutung, bedenkt man, dass wir nur noch Mittelmaß unter den europäischen Ländern sind. Nicht nur die Engländer und
Franzosen haben uns beim Pro-Kopf-Einkommen überholt, auch die Iren, die Österreicher und die Holländer.
Ein zweiter Grund liegt vermutlich in den langen Ferienzeiten. Mit etwa 6 Wochen Urlaub gehört Deutschland zur Spitzengruppe der Welt, zwar hinter Schweden, Holland und Dänemark, doch vor
dem Durchschnitt Westeuropas und vor Ländern wie Frankreich und England, wo man nur 5 Wochen zur Verfügung hat.
Ein dritter Grund liegt in der Einkommensverteilung. Wenngleich die durchschnittlichen Einkommen im internationalen Vergleich nicht hervorstechen, tun es doch die Einkommen derer, die über reichlich Zeit für Ferien verfügen. Die deutschen Rentner sind besser gestellt als die Rentner fast aller anderen Länder dieser Erde. Sogar die Rentner der neuen Bundesländer verfügen über Spitzeneinkommen, die denen ihrer westdeutschen Landsleute um keinen Deut nachstehen. Ja, pro Kopf liegen die gesetzlichen Renten in Ostdeutschland sogar um ein Zehntel über den Westrenten. Auch die Arbeitslosen, die über viel freie Zeit verfügen, werden in Deutschland nicht gerade knapp gehalten. Und selbst Studenten, die fünf Monate im Jahr Semesterferien haben, können in der Regel auf ein
stattliches Transfereinkommen zurückgreifen. Insgesamt sind in Deutschland 41% der Erwachsenen Empfänger staatlicher Transfers. Geld und Zeit für Ferien im Ausland ist zur Genüge vorhanden. Der breite Gürtel von Hotels am Südrand Europas, von Teneriffa über Mallorca bis nach Rhodos, wäre ohne das Geld der deutschen Sozialsysteme so nicht entstanden.
Man fragt sich allerdings, warum die Deutschen ihren Urlaub im Ausland statt im Inland verbringen. Gerade auch die, die sich den Urlaub aus ihren Transfereinkommen gerade noch leisten können, zieht es in die Ferne.
Das mag am Wetter liegen, das anderswo meistens besser ist. Aber die deutschen Sommer werden dank des Global Warming auch immer schöner. Wärmer will man es gar nicht mehr haben.
Der wichtigere Erklärungsgrund liegt in den Lohnstrukturen. Touristen kaufen Dienstleistungen, und der Preis solcher Dienstleistungen hängt unmittelbar vom Lohn und den staatlichen Abgaben ab. Deutschland hat eine im internationalen Vergleich sehr stark eingeebnete Lohnstruktur mit extrem hohen Lohnkosten für einfache Dienstleistungen. Das hat die Binnennachfrage nach diesen Dienstleistungen kaputt gemacht.
Die Lohnkosten sind selbst das Ergebnis der staatlichen Transferleistungen. Einerseits erzwingen diese Transferleistungen die Abgaben, die die Arbeit verteuern. Andererseits schaffen sie eine staatliche Lohnkonkurrenz, die die Marktlöhne für einfache Serviceleistungen nach oben treibt. Die Transferleistungen sind in aller Regel als Lohnersatz definiert, fließen also nur dann in vollem
Umfang, wenn man nicht arbeitet, und versiegen in dem Maße, wie man es tut. Sie bilden eine Lohnuntergrenze im Tarifgefüge, die die gesamte Lohnverteilung von unten her hochgedrückt und zusammengestaucht hat.
Die Transferzahlungen des Staates haben Massenkaufkraft geschaffen, aber zugleich haben sie die einfache Arbeit verteuert und damit die Nachfrage nach touristischen Dienstleistungen ins Ausland gelenkt. Dies ist die einfache Erklärung für die Weltmeisterschaft beim Tourismus.
Die Erhöhung der Löhne für einfache Arbeit ist auch die Erklärung dafür, dass sich die Kundschaft der deutschen Feriengebiete gewandelt hat. Während sich der Massentourismus von Deutschland abgewendet hat, nehmen die besser Verdienenden nach wie vor die hochwertigen Leistungen der deutschen Hoteliers in Anspruch. Früher konnten sich nur reiche Leute den Urlaub auf Mallorca leisten. Arme Leute fuhren, wenn überhaupt, gelegentlich einmal an die Nordsee oder in die Alpen.
Heute ist es umgekehrt. Die Reichen dinieren in Norderney oder Garmisch, doch die Massen müssen nach Mallorca.
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
* Erschienen unter dem Titel "Sylt oder Mallorca“, Wirtschaftswoche, Nr. 31, 31. Juli 2006, S. 138.
Monsterchen: ifo Institut: Positive volkswirtschaftliche Effekte der Verwendung von Bioethanol aus deut
20.09.06 12:34
ifo Institut: Positive volkswirtschaftliche Effekte der Verwendung von Bioethanol aus deutscher Produktion
Für das Jahr 2010 erwartet die Bioethanolbranche eine Zunahme der inländischen Erzeugung auf einen Produktionswert von ca. 1,1 Mrd. Euro bzw. 1,9 Mill. Tonnen. Dies stellt im Vergleich zu den Produktionsplänen für das Jahr 2007 eine Verdreifachung dar. Die vom Münchener ifo Institut mit Hilfe der Input-Output-Rechnung ermittelte inländische Wertschöpfung, die direkt oder indirekt auf die Ethanolerzeugung und deren Einsatz im Kraftstoffsektor zurückzuführen ist, wird sich auf etwa 2,1 Mrd. Euro belaufen. Dieser Wertschöpfung liegt eine gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung von insgesamt 3,7 Mrd. Euro zugrunde.
Diese Entwicklung ist verbunden mit der Bildung von Nettobetriebsüberschüssen in den Unternehmen (0,6 Mrd. Euro) und Arbeitnehmerentgelten in Höhe von knapp 1 Mrd. Euro. Die Beschäftigungswirkung kann insgesamt mit etwa 31.000 veranschlagt werden, wobei etwa 40 Prozent auf die Multiplikatoreffekte zurückzuführen sind. Auch die öffentlichen Haushalte werden profitieren: Die Staatseinnahmen aus Steuern, Abgaben und Gewinnanteilen belaufen sich unter den formulierten Rahmenbedingungen auf 369 Mill. Euro. Die Sozialversicherungsträger erzielen zusätzliche Einnahmen in Höhe von 252 Mill. Euro, und bei der Arbeitslosenunterstützung können 341 Mill. Euro eingespart werden. Weitere Einsparungen können auch bei den Marktordnungskosten für die überschüssigen Getreidemärkte der EU erwartet werden, denen allerdings gezahlte Energiepflanzenprämien gegenüberstehen. Der durch den geringeren Energiegehalt bedingte Mehrverbrauch von Ottokraftstoffen sowie der ethanoleinsatzbedingte Preisanstieg sind Sondereffekte, die zu zusätzlichen Steuereinnahmen bei der Mineralöl- und der Mehrwertsteuer in Höhe von zusammen 687 Mill. Euro führen. Insgesamt können die öffentlichen Haushalte mit Mehreinnahmen in Höhe von 1,67 Mrd. Euro rechnen. (vgl. angehängte Tabelle)
Die so ermittelte Wertschöpfung berücksichtigt nicht nur die Erzeugung von Bioethanol und der Nebenprodukte, sie erfasst vor allen Dingen auch die Verflechtung der Ethanolerzeugung mit den übrigen Bereichen der Volkswirtschaft, von denen Vorleistungen in Anspruch genommen werden. Der wesentliche Vorteil der Input- Output-Analyse besteht jedoch darin, dass über entsprechende Multiplikatoren die Auswirkungen der Investitionen sowie der zusätzlich geschaffenen Einkommen auf die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern sowie Dienstleistungen miterfasst werden. Neben der inländischen Nachfrage wird auch eine Nachfrage nach Importgütern hervorgerufen.
Hintergrund der Studie ist das Aufzeigen der nicht zu vernachlässigenden Nebeneffekte durch den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten, die durch politische Vorgaben entstehen, aber in der allgemeinen Diskussion untergehen. So haben Vorgaben gemeinsamer europäischer Energiepolitik und die entsprechenden gesetzgeberischen Aktivitäten der Bundesregierung zum Ziel, den Anteil von Biokraftstoffen am gesamten Kraftstoffverbrauch schrittweise zu erhöhen. Für das Jahr 2010 wird EU-weit ein Anteil von 5,75 Prozent über alle Kraftstoffarten angestrebt. Die Diskussion wird bisher dominiert von den energiepolitischen Zielen sowie den Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die die Rohstoffe liefern soll, und den internationalen Handel (Abhängigkeit vom Öl). Für die Wirtschaft der beteiligten Länder und deren öffentliche Haushalte ergeben sich ganz erhebliche Nebeneffekte: Der Aufbau neuer Wertschöpfungsketten - von der Getreideproduktion über die industrielle Ethanolerzeugung bis hin zur Kreierung von Blendkraftstoffen in den Unternehmen der Mineralölwirtschaft und deren Distribution an die Verbraucher - trägt nicht nur zu einem Anstieg der nationalen Wertschöpfung bei, sondern auch in einem ganz erheblichen Maße zu Einnahmen und Entlastungen der öffentlichen Haushalte. Die aktuelle Untersuchung des ifo Instituts hat diese Effekte mit Blick auf die Zieljahre 2007 und 2010 für den Einsatz von Bioethanol als Bestandteil des Ottokraftstoffs quantifiziert.
Weitere technische Informationen:
Auch wenn unter technischen und ökonomischen Gesichtspunkten verschiedene Rohstoffe zur Bioethanolerzeugung in Deutschland eingesetzt werden können, wurden die Berechnungen zur Wertschöpfungskette exemplarisch für den Rohstoff Ethanolweizen durchgeführt. Dabei wurden zwei verschiedene Varianten gerechnet, wobei die zweite eine ausschließliche Versorgung mit Ethanol aus inländischer Erzeugung unterstellt.
Bei der Herstellung von Bioethanol aus Weizen fallen Nachprodukte an, die in getrockneter Form als hochwertiges Eiweißfuttermittel (DDGS) direkt oder indirekt auf dem Umweg über die Futtermittelindustrie in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen können. Damit kann Sojaschrot, das vom Weltmarkt zu importieren ist, ersetzt werden. Da DDGS unter Berücksichtigung des Proteingehaltes billiger angeboten wird, ergibt sich für die Futtermittelwirtschaft und damit letztlich für die Landwirtschaft ein Kostenvorteil, der sich auf etwa 50 Euro/Tonne verfütterten DDGS beläuft.
Die Mineralölwirtschaft verwendet Bioethanol für die Herstellung von Ottokraftstoff in zweierlei Weise: Es wird zur Erzeugung des Kraftstoffzusatzes ETBE eingesetzt, dieser ersetzt das bisher verwendete MTBE, das auf der Basis von Methanol erzeugt wurde und als weniger umweltverträglich gilt. Der größere Anteil von Ethanol geht als "Zumischung" in den Kraftstoff ein, wodurch allerdings die Zusammensetzung insgesamt neu justiert werden muss. Ottokraftstoff der Zukunft wird aufgrund des im Vergleich zu Benzin niedrigeren Energiegehaltes von Ethanol auch eine leicht geringere Energiedichte aufweisen. Für 2007 dürfte damit der Verbrauch von Ottokraftstoff um 0,75 Prozent, für 2010 um 2,6 Prozent steigen. Da die Mineralölwirtschaft infolge des Einsatzes von Ethanol Mehrkosten gegenüber der bisherigen Produktionsweise zu verkraften hat, ist sie bestrebt, diese über den Markt wieder hereinzuholen. Die Mehrkosten, die 2007 knapp 0,5 Mrd. Euro und 2010 etwa 1,3 Mrd. Euro ausmachen dürften, könnten dann zu Preisanhebungen von 1,25 Cent/Liter und 3,14 Cent/Liter (jeweils inkl. MwSt) führen. Dieser Kalkulation liegt die Annahme zugrunde, dass "nicht mehr benötigtes" Benzin mit deutlichen Preisabschlägen auf dem Weltmarkt abgesetzt werden muss (minus 25 Prozent und Logistikkosten).
Nr. 78
Preiserhöhungen für Gammelfleisch?*
Die Politik muss etwas gegen das Gammelfleisch unternehmen. Zu viele Skandale häufen sich, als dass man untätig bleiben könnte. Doch was geschieht? Während die Bundesländer den Missetätern
an die Gurgel gehen und ihre Kontrollen verschärfen, planen das Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium in Berlin ein Gesetz, das den Weiterverkauf von Fleisch unter dem Einkaufspreis verbieten soll. Damit werde, so das Argument, dem Markt für Gammelfleisch das Wasser abgegraben.
Angesichts dieses Vorhabens reibt sich der Ökonom verwundert die Augen, denn im Kern geht es um den Versuch, mithilfe einer Preiserhöhung für Gammelfleisch das Angebot an Gammelfleisch in
den Läden zu verringern. Der Versuch wird scheitern. Da der Preis des Gammelfleisches sich dem Preis für gutes Fleisch annähert, werden die Anreize, gutes Fleisch zu liefern, verringert.
Bisher konnte der Anbieter von gutem Fleisch, der besondere Anstrengungen für den Qualitätserhalt der Ware wie zum Beispiel in Form der Beschleunigung des Transports und des Aufbaus einer lückenlosen Kühlkette unternommen hatte, darauf setzen, dass er in der Lage war, dafür einen deutlich höheren Preis zu erzielen. Seine Anstrengungen wurden belohnt. In Zukunft entfällt ein Teil der Belohnung. Da die Erlöse ohne die Anstrengung ähnlich hoch sind wie mit der Anstrengung, fehlt der Grund, sich anzustrengen. Mehr Gammelfleisch landet auf den Märkten.
Die Verbraucher können sich zudem bei einer Verringerung der Preisspanne zwischen gutem und schlechtem Fleisch nicht mehr so gut vor Gammelfleisch schützen. Der Preis hat auf einem Markt
stets auch eine Informationsfunktion. Wer bereit ist, einen hohen Preis zu zahlen, kann in der Regel davon ausgehen, dass er auch bessere Qualitäten bekommt. Diese Informationsfunktion wird
beeinträchtigt, wenn die Preise für Gammelfleisch mit den Preisen für gutes Fleisch verwischt werden. Qualitätsbewusste Verbraucher werden in Zukunft ihre Mühe haben, gutes Fleisch vom
Gammelfleisch zu unterscheiden. Sie sind den Gaunern noch schutzloser ausgeliefert als bisher.
Das Verbot, unter Einstandspreis zu verkaufen, wird zudem viele sinnvolle Geschäfte unterbinden, wie sie uns im alltäglichen Leben begegnen. Wenn sich der Wochenmarkt dem Ende zuneigt,
verkaufen die Händler ihre Restbestände unter Einstandspreis an die letzten Kunden, weil sie sich den Rücktransport der Waren und die Kosten ihrer Beseitigung ersparen wollen. Ähnlich handelt der Bäcker, der vor Ladenschluss seine Bestände verkauft. Gerade auch ärmere Bevölkerungsschichten erhalten hier die Möglichkeit, sich günstig ohne wirkliche Qualitätseinbußen zu versorgen.
Wenn ein Autohändler Auslaufmodelle unter Einstandspreis verkauft, um sein Lager zu räumen, dann ist das genauso wenig verwerflich wie der Abverkauf der Computer- oder Fotohändler, die die Modelle des letzten Jahres loswerden wollen, um für Neues Platz zu schaffen. Die Preise für Computer fallen derzeit um bald 25 Prozent pro Jahr. Restbestände im Lager ergeben sich wegen der unsicheren Absatzlage immer, wenn der Händler seine Bestellungen so plant, dass er nicht in Lieferschwierigkeiten kommt. Der Verkauf solcher Restbestände unter Einstandspreis ist wegen des raschen Verfalls der Marktpreise kaum vermeidbar.
Welch ungewöhnliche Vorstellungen vom Marktgeschehen sind es nur, die gleich zwei Ministerien veranlassen, über ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen nachzudenken? Oder sind es
vielleicht gar keine ungewöhnlichen Vorstellungen? Geht es vielmehr um eine geschickte Begründung für Preiserhöhungen, die die Lobbys der Verkäufer zum eigenen Nutzen durchsetzen wollen und sich dabei der Mithilfe des Staates bedienen? Interessanterweise steht ja schon im Koalitionsvertrag, dass
man Verkäufe unter Einstandspreisen verbieten möchte. Kam der Gammelfleischskandal also gerade zur rechten Zeit, um das angestrebte Ziel nun auch in der Öffentlichkeit plausibel zu machen?
Für den Lobby-Verdacht spricht einiges. Dass Anbieter sich die Konkurrenz durch Preisuntergrenzen vom Leibe halten wollen, ist verständlich und kommt immer wieder vor. Die Versicherungsindustrie hatte es jahrzehntelang geschafft, zum angeblichen Schutz der Verbraucher Mindestprämien durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen durchzusetzen.
Entsenderichtlinien sollen die Handwerker vor Preiskonkurrenz aus anderen Ländern, Mindestlöhne ungelernte Arbeiter vor der Konkurrenz durch die Kollegen schützen und so fort. Man kennt das. Stets geht es darum, die Konkurrenz zu verringern und die Nachfrager zu übervorteilen. Der Staat macht sich zum Kartellbruder, der den Anbietern dabei hilft, zum Schaden der Kunden höhere Preise herauszuholen, als es unter Konkurrenzbedingungen möglich gewesen wäre. Leider wird der Kuchen dabei nicht nur umverteilt, sondern auch kleiner. Der geldwerte Verlust der Verbraucher ist höher als die Gewinnsteigerung der Anbieter, weil die Wirtschaftsleistung insgesamt erlahmt.
Ludwig Erhard wusste vom Schaden, den die nationalsozialistische Politik der flächendeckenden Preisbindungen in der Wirtschaft hervorgerufen hatte. Er wusste, dass die Vorstellungen Hjalmar
Schachts nicht mit einer funktionierenden Wirtschaft kompatibel waren, und genau deshalb hat er die nationalsozialistischen Preisbindungen in Deutschland früher aufgehoben, als selbst die Alliierten es wollten. Das war die Basis des deutschen Wirtschaftswunders. Vielleicht sollten sich die Strategen in
den Ministerien noch einmal überlegen, ob sie das alles aufs Spiel setzen und das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen wollen.
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
* Erschienen unter dem Titel "Lobby-Verdacht“, Wirtschaftswoche, Nr. 39, 25. September 2006,
S. 198.
bei dem Artikel fällt mir nur noch ein: "armes Deutschland". Schade, dass nicht jemand mal ein Machtwort spricht und diesen ganzen Lobbyismus in die Schranken weist.
Gruß
Michael
Nr. 79 Weltmeister im Schrumpfen*
Das deutsche Volk schrumpft am schnellsten von allen und weiß es nicht. Die Schrumpfungsrate der in Deutschland ansässigen Bevölkerung, ohne Berücksichtigung der Migration, lag in den Jahren 2000 bis 2005 bei 0,18 % pro Jahr, was der höchste Wert aller westlichen Länder war. Berücksichtigt man die Migration, so wird aus dem Rückgang zwar ein leichter Zuwachs von 0,09 % pro Jahr, aber auch dieser Wert ist der niedrigste unter allen westlichen Ländern.
Die Ursache liegt nicht in einer hohen Sterberate, sondern einer extrem niedrigen Geburtenrate. Mit nur 8,5 Neugeborenen pro 1000 Einwohnern und Jahr ist Deutschland das Schlusslicht in der OECD-Geburtenstatistik. Kein westliches Volk hat im Verhältnis zu seiner Größe so wenig Kinder wie die Deutschen.
Die Deutschen wissen dies nicht, weil sie die Geburtenstatistiken falsch interpretieren. Sie lassen sich nämlich durch die sogenannten Fertilitätsraten blenden. In der Tat: Zwar hatte in Deutschland eine Frau im Jahr 2004 im Schnitt nur 1,37 Kinder, 0,71 weniger als die 2,08, die zum Erhalt der Bevölkerung notwendig sind. Aber in Italien und Spanien lag der Durchschnitt noch niedriger, nämlich bei 1,33 bzw. 1,32, und Japan kommt gar nur auf 1,29 Kinder.
Die Fertilitätsrate misst aber nicht, wie viel Kinder jedes Jahr geboren werden, sondern nur, wie viele Kinder eine Frau hat. Deutschland schrumpft nicht nur deshalb so schnell, weil seine Frauen nicht gebärfreudig sind, sondern auch, weil es nur noch wenige Frauen im gebärfähigen Alter hat. Hier
zu Lande fiel nämlich die Fertilitätsrate bereits in den frühen siebziger Jahren, eher als anderswo. Die italienische Rate fiel etwa sieben Jahre nach der deutschen und die spanische nochmals vier Jahre später. Die deutschen Baby-Boomer, die Mitte der sechziger Jahre geboren wurden, sind heute schon über vierzig, und die Gruppe der Dreißigjährigen, die Mitte der siebziger Jahre geboren wurde, ist bald
um die Hälfte dünner besetzt. Die Kombination aus einem sehr niedrigen Anteil von Frauen im gebärfähigen Alter und einer ebenfalls sehr niedrigen Geburtenzahl pro Frau ist in dieser Form einzigartig auf der Welt. Sie erklärt die deutsche Schwindsucht.
Natürlich ist dieses Bild nur eine Momentaufnahme, ähnlich wie die Wachstumsrate einer Volkswirtschaft auch nur die momentane Dynamik darstellt. In einigen Jahren könnten andere Völker
schneller schrumpfen als wir. Italien und Spanien gehören zur Gruppe jener Länder, an die Deutschland seinen unrühmlichen Rekord vermutlich abgeben wird. Aber heute schrumpfen wir nun
mal schneller als die anderen.
Man kann nur spekulieren, warum es zu dem frühen Rückgang der Fertilitätsraten kam, der die heutige Schrumpfweltmeisterschaft erklärt. Es gibt viele mögliche Gründe. Ein nahe liegender ist, dass die Anti-Baby-Pille in Deutschland früher als anderswo Verbreitung fand. Schließlich wurde die Pille von der deutschen Firma Schering erfunden. Ein zweiter Grund ist die Achtundsechziger Revolution, die eine Abkehr von den traditionellen Werten der Gesellschaft im Hinblick auf die Rolle der Frau und der Familie bedeutete. Die Revolution fand zwar auch in Frankreich statt, aber die
Franzosen tun extrem viel für Familien mit jungen Kindern, so dass dieser Effekt nicht so durchschlagen konnte.
Ein dritter Grund liegt in der deutschen Geschichte: Von den verlorenen Kriegen demoralisiert haben die Deutschen den Glauben an sich und ihre Zukunft verloren. Bedenkt man, dass auch die Kriegsverlierer Italien und Japan sowie das ehemals faschistische Spanien zu den Schlusslichtern der Geburtenstatistiken gehören, so kann man auch hier einen gewissen Effekt vermuten.
Ein vierter Grund ist die Rentenversicherung. Die Rentenversicherung sozialisiert die Früchte der Investition in die eigenen Kinder, weil sie die Beiträge, die diese Kinder als Erwachsene zur Versorgung der Alten zur Verfügung stellen, unter allen alten Menschen, auch den Eltern anderer Kinder und den Kinderlosen, verteilt. Da Deutschland die Rentenversicherung erfunden und früher als andere eingeführt hat, wundert es nicht, dass die Menschen hier eher als anderswo gelernt haben,dass man besser fährt, wenn man sich im Alter von den Kindern anderer Leute ernähren lässt, anstatt
selbst Kinder großzuziehen.
Der Weg in die Kinderlosigkeit ist vorübergehend recht angenehm für ein Volk. Die Kraft der Frauen wird für die Erzeugung von Markteinkommen verwendet, und der Lebensstandard vervielfacht sich. Mit zwei Einkommen und ohne Kinder ist das Pro-Kopf-Einkommen fünfmal so hoch wie mit einem Einkommen und drei Kindern. Die Investition in die Zukunft der Gesellschaft, die die Erziehung von Kindern bedeutet, weicht dem Gegenwartskonsum. Hinzu tritt die Genugtuung jener Frauen, die
sich nun endlich vom Joch der Mutterschaft befreit fühlen und den Rollenwechsel in die Erwerbsarbeit als Selbstverwirklichung verstehen. Die große Party kann steigen.
Freilich kann sich ein Volk eine solche Party nur einmal leisten. Danach muss die Zeche bezahlt werden, und Katerstimmung ist angesagt. Rentenkrise, Altersarmut und wirtschaftliche Stagnation sind die unvermeidbaren Konsequenzen. Das neue deutsche Gesellschaftsmodell hat viele
Befürworter, aber keinen Bestand. Die Evolution und Selektion der Gesellschaftsmodelle ist weltweit in vollem Gang, und schon heute ist klar, dass das deutsche Modell mit den Deutschen sterben wird. Befindlichkeiten und ideologische Prädispositionen können daran nichts ändern.
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
* Erschienen unter dem Titel "Einmalige Party“, WirtschaftsWoche, Nr. 35, 28. August 2006, S. 138.