ohne CHF kein drittes Reich
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Eröffnet am: | 23.10.05 13:48 | von: dasLicht | Anzahl Beiträge: | 3 |
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Im Spätsommer 1923 war Adolf Hitler in Zürich. Vor Grossbürgern hielt der kommende Führer eine Rede, die jetzt aufgetaucht ist. Sie zeigt ihn als gewieften Taktiker. Die Schweizer, angetan vom jungen Hitler, spendeten fleissig für die NSDAP. Hat dieses Geld die Weltgeschichte beeinflusst?
André Grieder, Mitarbeit: Daniel Arnet, Rolf Hürzeler
Ein prächtiger Donnerstag, dieser 30. August 1923. Morgens um sieben Uhr ist es schon 16 Grad warm. Wolkenloser Himmel. Föhnstimmung in Zürich. Schlafen die drei Herren im Hotel «St. Gotthard» noch, die aus München angereist sind? Oder sitzen sie schon am Frühstückstisch und besprechen ihren mehrtägigen Besuch in der Schweiz?
Es ist ein ungleiches Trio: Dietrich Eckart wirkt mit seinem dicken, runden Schädel grobschlächtig. Der Schein trügt nicht. Der bayrische Dichter würde die Juden am liebsten «in einen Eisenbahnzug stecken und ins Rote Meer damit fahren». Emil Gansser ist kultivierter, auch wenn der Berliner Apotheker den Antisemitismus Eckarts teilt. Der Dritte, gebürtiger Österreicher, hat eine seltsam gutturale Stimme, ein bleiches, mageres Gesicht, wasserblaue Augen, linkische Bewegungen und einen quadratischen Schnauz: Adolf Hitler.
Noch schlummert im 34-Jährigen das Ungeheuer erst, das Europa erobert, das einen Kontinent verwüstet, eine Nation zerstört und das jüdische Volk vernichtet; das 1945 im Bunker unter Berlin Selbstmord mit Blausäure begeht und die Menschen heute noch ebenso ekelt wie fasziniert. In Zürich präsentiert er sich als Trommler aus Bayern, der die deutsche Nation wachrütteln will, um einem starken Führer den Weg zu ebnen. Noch glaubt er nicht, dass er selbst dieser Messias sein könnte.
Die Schweizerische Meteorologische Zentralanstalt sagt für den 30. August rasche Trübung und Niederschlag voraus. Gut, ist der Weg zum wichtigsten Termin der Mission nicht weit. Hitler wird an diesem Tag vor Schweizer Grossbürgern eine Rede halten. Vom Hotel an der Bahnhofstrasse bis zur Villa Schönberg im Enge- Quartier sind es kaum drei Kilometer. Man kann zu Fuss gehen oder das Tram Nummer 7 besteigen. Abfahrt im Sechs-Minuten- Takt. Oder schickt Ulrich Wille junior, der Gastgeber, einen Wagen ins Hotel?
Wille ist Oberstkorpskommandant der Armee und Sohn von General Ulrich Wille, der 1918 den Landesstreik der Arbeiterschaft mit einem Truppenaufgebot in die Knie zwang. Der 46-jährige Wille junior hat Rechtsbürgerliche aus der Schweiz zu Hitlers Auftritt eingeladen. Der Redner soll die illustre Schar von seiner Politik überzeugen, auf dass sie Schweizer Franken für seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei spende.
Hitlers Besuch in Zürich deckte der Historiker Willi Gautschi 1978 auf. Schriftsteller Niklaus Meienberg schmückte die obskure Visite 1987 in «Die Welt als Wille & Wahn» süffig aus. Raffael Scheck vom Colby College in Waterville, Maine, publizierte 1999 neue Erkenntnisse. Keiner aber konnte wissen, was Adolf Hitler in der Villa Schönberg gesagt hatte. Es existierte keine Niederschrift der Rede. Jetzt ist eine Zusammenfassung dieser Ansprache aufgetaucht, entdeckt vom Historiker Alexis Schwarzenbach. In einer Mappe lag sie neben einer Ausgabe des Nazi-Blatts «Völkischer Beobachter» und Geschäftsakten.
Das Schriftstück, urteilt Schwarzenbach, füllt «eine historische Lücke und konkretisiert Mythen». Mario König, ehemaliger Mitarbeiter der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg, spricht von einem «sehr spannenden Dokument». Für Klaus Urner vom Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich ist es «ein wesentlicher historischer Beleg». In der Tat: Was Hitler an diesem Donnerstag in der Villa Schönberg vor 81 Jahren sagte, bekräftigt auf aussergewöhnliche Weise, dass er schon zu Beginn seiner schrecklichen Karriere ein gewiefter Taktiker war, und spiegelt gleichzeitig die wirtschaftliche, politische und ideelle Gesinnung der Schweizer Zuhörerschaft.
«Bolschewistisch angesteckte Polizei»
«Hitler verwendet viel Raum für eine detaillierte, tagespolitische Situationsanalyse, fast nichts fällt ab für die weltanschaulichen Phantasmen des Nationalsozialismus », fasst Historiker König den Inhalt der Rede zusammen. Hitler fordert: radikaler Kampf gegen Staatsverschuldung, Reduzierung der Staatsausgaben, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, Aufhebung des 8-Stunden-Tags, Senkung der Löhne. Manche Teile, sagt König, «erinnern geradezu an die nationalkonservative Programmatik der Gegenwart».
Adolf Hitler spricht in Zürich aber auch von Reichskanzler Stresemann, der «an der Ernährungsfrage scheitern wird», von den «Bauern, die alles verloren haben», von der «bolschewistisch angesteckten Polizei », vom «Hunger, der sich in den Städten ausbreiten wird». Er geisselt das «dem Bolschewismus verfallene Preussen» und lobt den Weg Mussolinis. Er zeichnet ein apokalyptisches Weltbild und schliesst prophetisch: «Ein Mittelding zwischen der Diktatur des Proletariats oder der Diktatur von rechts gibt es nicht.»
Das Dokument ist mit dem 31. August 1923 datiert und als «vertraulich» bezeichnet. Unter dem Titel «Zur Lage in Deutschland » steht: «Ein bayrischer Politiker, der in der nächsten Zeit eine grössere Rolle zu spielen berufen sein kann, äusserte sich in einer Unterredung am 30. August wie folgt: Die Lage in Deutschland treibt unwiderstehlich der Katastrophe entgegen.»
Geht schon nach dem ersten Satz ein Raunen durch die Zuhörerschaft in der Villa Schönberg? Nicken die Herren zustimmend? Hitlers Privatsekretär Emil Gansser, der schon mehrmals zwecks Spendenäufnung in der Schweiz weilte, beobachtet die Gesichter. Der derbe Eckart hofft wohl, Hitler werde schon noch zu gewohnter Form auflaufen und bald hysterisch sein wichtigstes Ziel herausschreien, «die Ausmerzung des Judentums».
Verkniffener Judenhass
Doch Parteichef Hitler erwähnt sein liebstes Hassobjekt mit keinem Wort. In den Reden, die der NSDAP-Führer Tag für Tag in die rauchgeschwängerten Bierkeller Münchens zu schmettern pflegt, fehlt «der Jude» nie. Im kunstvoll getäferten Wohnzimmer von Ulrich Wille junior verkneift er sich seinen fanatischen Judenhass. Die Schweizer Grossbürger mögen antisemitische Züge haben, aber nicht nur Ulrich Wille junior ist der Meinung, dass «die Elimination der Juden durch Maschinengewehre ein Fehler ist». So dann doch nicht.
Das hat Wille im November 1922 Rudolf Hess brieflich mitgeteilt. Der 29-jährige Hess war 1920 der NSDAP beigetreten, studierte im Wintersemester 1922/23 an der ETH Zürich. Wille junior lud den Deutschen zum wöchentlichen Studentenstammtisch in der Villa Schönberg ein. In München war der junge Hitler-Günstling Lieblingsstudent des Geophysikers Karl Haushofer gewesen. Der Professor, Vertreter einer imperialistischen Expansionsphilosophie, die Hitler zur Lebensraumeroberung im Osten umdeutete, war ein Bekannter Willes und empfahl ihm Hess.
ETH-Student Hess, der Hitlers Besuch in Zürich zusammen mit Wille junior eingefädelt hat, wurde später «Stellvertreter des Führers», flog im Mai 1940 nach Schottland, um angeblich den Krieg zwischen England und Deutschland zu beenden, und sass bis zu seinem Selbstmord 1987 im Gefängnis.
Im Schreiben an Hess begrüsst Wille «die Bemühungen der NSDAP, den Marxismus zu bodigen», registriert aber den Mangel einer wirklich «zündenden wirksamen Idee» im Parteiprogramm. Wille junior, in Potsdam zum strammen Soldaten dressiert und über seine Mutter Clara mit dem Bismarck-Clan verwandt, ist zweifellos der deutschtümelndste Zuhörer in der Villa. Clara Wille über Sohn Ulrich in ihrem Tagebuch, Mai 1923: «Ach, er wäre wohl der Mussolini für Deutschland. Aber das geht nicht, leider.»
Es ist eine chaotische Epoche. Im Europa nach dem Ersten Weltkrieg wächst der Zweifel am parlamentarischen System. Die liberale Demokratie scheint nicht fähig, die Krisen zu meistern: Arbeitslosigkeit, hohe Staatsverschuldung, vom Industrialisierungs- und Emanzipationsprozess überforderte Menschen. Der Kommunismus verspricht Erlösung, extrem nationalistische Gruppierungen formieren sich zum Widerstand. Im Oktober 1922 marschiert Benito Mussolini mit seinen Anhängern nach Rom, etabliert in Italien sein Regime und nährt den Glauben an die Überlegenheit des Faschismus.
Im Dezember 1922 hat Wille junior in München zwei Unterredungen mit Hitler. Er lotet aus, inwiefern der NSDAP-Hetzer für die Errichtung einer Diktatur in München hilfreich sein könnte. Wille hatte mit dem nationalkonservativen Grossadmiral Alfred von Tirpitz einen Umsturzplan ausgeheckt. Nach den Gesprächen schreibt Wille junior an Tirpitz: «Heute will ich nur melden, dass H. mir einen guten Eindruck gemacht hat und seine Person u. Arbeit für die Zukunft von grosser Bedeutung ist.» Und wie: Hitlers NSDAP wächst ab Februar 1923 stark. Bis im November werden 35'000 neue Mitglieder zu den 20'000 bisherigen dazukommen. Die paramilitärische «Sturmabteilung» – SA – vergrössert sich auf 15'000 Mann. Doch der Zuwachs kostet Geld. SA-Mitglieder werden mit 80 bis 90 Franken pro Monat bezahlt, enge Mitarbeiter Hitlers mit 200 Franken. Richtig: Franken, nicht Reichsmark. Denn die Nation wird von einer Hyperinflation heimgesucht. An diesem Tag kostet ein Essen zwei Millionen Reichsmark, am nächsten schon vier Millionen.
Die NSDAP ist Mitte 1923 klamm. Sie braucht dringend Geld. Die härteste Währung in Europa ist der Schweizer Franken. Jetzt genügt es nicht mehr, den kultivierten Gansser in die Schweiz zu schicken. Der charismatische Hitler muss selbst ran, auf dass die Spenden schnell und reichlich nach München fliessen. Das Münchner Staatsministerium des Innern wird nach Hitlers missglücktem Putschversuch vom November 1923 seine Finanzierungsquellen untersuchen. Es kommt zum Schluss, es sei Hitler gelungen, «in Zürich, Winterthur und Basel eine Summe von 30'000 Schweizer Franken aufzubringen. » Nach heutiger Kaufkraft entspräche das etwa 600'000 Franken.
Eine stattliche Summe, die da in Zürich zusammenkam. Es hätte noch etwas mehr sein können, aber Dietrich Eckart fällt vor den hablichen Schweizern aus der Rolle. «Hitlers Auftreten im nationalen Klub ist ein Ereignis von ganz ungeheurer Tragweite gewesen. Die Leute hier wären für die neue Idee fast vollends gewonnen, hätte nicht D. E. (Dietrich Eckart, Red.) in vorgerückter Stunde über den Durst getrunken und mit der Faust auf den Tisch geschlagen und sich wie ein Elefant im Porzellanladen gebärdet. Diese bajuwarischen Methoden sind hier fehl am Orte.» Die Hiobsbotschaft, man habe die benötigten Geldmittel nicht in der gewünschten Höhe flüssig machen können, telefoniert Emil Gansser aus Zürich Ernst Hanfstaengl nach München. Das Gespräch ist überliefert, weil Hanfstaengl es notierte. In Sütterlin-Schrift. Im Gegensatz zu Eckart hat sich Hitler im Griff. Mit taktischem Spürsinn beschwört er das Schreckgespenst der bolschewistischen Revolution herauf: «Es bedarf nur eines Funkens, um die Explosion herbeizuführen. Es kann ein kommunistischer Führer erschossen, oder eine andere unkontrollirbare Tat geschehen, und die Revolution ist da. In Berlin wird sie wahrscheinlich im September, vielleicht auch erst im October stattfinden, je nachdem die Bolschewisten ihrer Sache sicher sind. Aber sie wird kommen, zwangsläufig, und sie wird von Erfolg begleitet sein, weil keine Organisation da ist, die sich ihr entgegenstellt.»
Student Rudolf Hess und Gansser, Kenner der Schweizer Szene, haben Hitler perfekt gebrieft. Seit dem Landesstreik 1918 fürchten viele Bürger, der revolutionäre Sozialismus Deutschlands könnte auf die Schweiz übergreifen. Geschickt spricht Hitler die politischen Angstvorstellungen seiner rechtsbürgerlichen Gastgeber an, wie Historiker König analysiert.
Doch dann dieser Eckart. Ist die Schar nach Hitlers Rede vom Wohnzimmer ins Esszimmer gewechselt, hat dort ein üppiges Abendmahl zu sich genommen und guten Wein genossen, um dann das «Ereignis von ungeheurer Tragweite» mit ein paar Cognacs zu begiessen? Der angetrunkene Eckart hat dann wohl vom «ewigen Juden » gezetert und auch noch die Schweiz heim ins Reich holen wollen.
Damit wäre Hitlers Rede endgültig verschandelt gewesen. Den Anwesenden sind zwar die Nationalsozialisten lieber als die Kommunisten, die Neutralität der Schweiz aber liegt ihnen trotz aller Deutschtümelei immer noch am nächsten. Im Mai 1920 war die Schweiz – dank den Westschweizer Voten – dem Völkerbund beigetreten, einem Staatenbund zur Sicherung des Weltfriedens. Die Schweizer Eliten – Industrielle, Offiziere, Professoren, Rechtsanwälte – fürchteten den Verlust der Neutralität. 1921 gründete sie den Volksbund für eine Unabhängige Schweiz, VUS. Sein Ziel, die volle Neutralität zurückzugewinnen, propagierten vor allem die «Schweizerischen Monatshefte», die noch heute erscheinen. Ihr damaliger Chefredaktor, Hans Oehler, sucht an diesem 30. August Hitler im Hotel «St. Gotthard» auf. Mit dabei sind Mitglieder der Kreuzwehr, einer paramilitärischen Gruppe. Oehler sagt später aus, er habe aus rein journalistischen Gründen mit Hitler diskutiert.
Sicher ist: Am Tag nach seinem Zürcher Besuch macht Hitler General Wille in Feldmeilen seine Aufwartung. Es ist ein Freitag mit wolkenlosem Himmel und einer leichten Bise. Der Besucher trägt sich nicht ins Gästebuch des Guts Mariafeld ein, das prächtig über dem See liegt. Doch Clara Wille, geborene Bismarck, schreibt entzückt ins Tagebuch: «Hittler äusserst sympathisch! Der ganze Mensch bebt, wenn er spricht; er spricht wunderbar.» Ihr Gatte ist nicht begeistert. Seine Enkelin Annemarie Schwarzenbach hört ihn klagen, «um Gottes willen, warum muss der Mann die ganze Zeit so schreien?» Tags zuvor in Zürich schlug Hitler einen gemässigteren Ton an. Wohl auch inhaltlich. Denn er wollte ja Geld und musste sich, so Experte König, «als nüchterner Analytiker und scharfer Denker profilieren, der eine politische Situation mit Geschick erkennen kann und nicht mit dem Vorschlaghammer arbeitet». «Wolf», wie ältere Bewunderinnen Hitler nannten, hatte Kreide gefressen.
Der Abstecher in die Schweiz lohnte sich – trotz Eckart. Der Seeoffizier Helmut v. Mücke, der zum weiteren Führungskreis der NSDAP gehörte, sagte später im Reichstag aus: «Im Herbst 1923 reiste Hitler nach Zürich und kehrte, dem Vernehmen nach, mit einem Kabinenkoffer, gefüllt mit Schweizer Franken und Dollarnoten, von dort zurück.»
Hitler ist auf das Geld dringend angewiesen. Die NSDAP kann mit den Schweizer Franken ihre Propagandamaschinerie erst richtig anwerfen und manchen SAMann entlöhnen. Nach dem Besuch in Zürich geht Hitler auf Konfrontationskurs zur verhassten Reichsregierung unter Gustav Stresemann. Hitler gibt am Abend des 8. November 1923 das Signal zum Kampf gegen die «jüdisch-marxistische Brut» in Berlin. Er ruft die «Nationale Revolution » aus und erklärt die bayerische sowie die Reichsregierung für abgesetzt. Hitlers dilettantisch durchgeführter Putschversuch bleibt isoliert. Ein Marsch mit zum Teil schwer bewaffneten Teilnehmern, den Hitler anführt, endet am Morgen des 9. November im Feuer der Polizei.
Hitler wird der Hochverratsprozess gemacht. Doch durch teuflisch geschickte Reden stilisiert er sich zum zukünftigen Führer hoch. Jetzt beginnt er daran zu glauben, dass er selbst Deutschlands auserwählter Erretter sei. Hitler wird zu fünf Jahren Haft verurteilt, mit der Zusicherung, bei guter Führung nur sechs Monate absitzen zu müssen. Der Putsch ist missglückt, er sei aber «sein Glück» gewesen, wird Hitler später sagen.
Haben die Schweizer Franken den Putsch erst ermöglicht? Hat das Schweizer Geld die Weltgeschichte beeinflusst? Hitler- Besucher Hans Oehler gab später gegenüber dem Bundesrat an, es seien 8000 Franken von Deutschen in der Schweiz, 3000 von Schweizern geflossen. Oehler: «Und zwar von Protestanten und Katholiken, in der Hauptsache von Antisemiten, um das gleich auch noch zu sagen.» Gesichert ist, dass der Basler Senffabrikant Franck der NSDAP im selben Jahr 20'000 Franken zukommen liess. Offen bleibt hier nur, ob diese Spende Hitler oder Gansser während eines anderen Besuchs sammelte. Als höchste Spendenschätzung geistern 123'000 Franken herum. Das mag übertrieben sein. Trotzdem kommt Historiker Raffael Scheck zum Schluss: «Die Schweizer Franken sind wahrscheinlich entscheidend gewesen dafür, dass die NSDAP im Herbst 1923 ihren Aktivismus hat aufrechterhalten können.»
Sicher ist: Die NSDAP pfiff damals finanziell aus dem letzten Loch. Half auch Ulrich Wille junior aus? Er hatte wie sein Vater, der General, viel Geld mit deutschen Kriegsanleihen verloren, soll indes Hitler 2000 Franken überreicht haben, als er im Dezember 1922 in München weilte. Hitlers Sekretär Gansser deponierte kurz danach denn auch fast exakt diese Summe auf sein Konto. Historiker Schwarzenbach aber bezweifelt, dass Wille junior zu einer solchen Spende in der Lage war. Wenn, dann sei das Geld eher von Alfred Schwarzenbach gekommen, dem reichen Seidenstoff-Fabrikanten und Urgrossvater von Alexis.
Schwarzenbach hat auch später ein Herz für die Nazis. 1928 heiratet Rudolf Hess, mittlerweile Hitlers Privatsekretär. Hess muss eine Ablösesumme von 3000 Mark für die neue Wohnung bezahlen. Hitler kann ihm das Geld nicht vorschiessen. Schliesslich macht der Schweizer Textilkönig Schwarzenbach die 3000 Mark für Hitler-Intimus Hess locker.
Des Spenders Namen, Alfred Schwarzenbach, steht handschriftlich oben rechts auf dem Dokument, das Hitlers Zürcher Rede wiedergibt. Es war hektografiert, also vervielfältigt worden. Das nun aufgetauchte Exemplar ging offensichtlich an Alfred Schwarzenbach. Er ist somit nicht in der Villa, als Hitler spricht. Neben Gastgeber Wille junior sind wahrscheinlich Chefredaktor Hans Oehler und VUS-Sekretär Hektor Ammann anwesend. Ammann hat Hitler mehrmals getroffen, so schon 1920 im Münchner Bürgerbräuhaus.
Hitlers Visumsantrag für die Schweiz
Doch welcher Zuhörer verfasste das Dokument? «Mit grösster Wahrscheinlichkeit Ulrich Wille junior», sagt Alexis Schwarzenbach. Wille war die Schlüsselfigur der Schweizer Kontakte zu Hitler, er hatte Hitler in seine Villa eingeladen, er hatte vermögende Bürger zum Gang ins Enge-Quartier überredet. Wer nicht kommen konnte, dem schickte Wille eine Zusammenfassung der Rede. Historiker König zweifelt ebenso wenig an der Authentizität des Dokuments wie Klaus Urner vom ETH-Archiv für Zeitgeschichte. Doch weshalb wollte der Verfasser anonym bleiben, warum wird nicht Adolf Hitler, sondern nur «ein bayrischer Politiker» erwähnt?
Hitler hatte am 25. August 1923 im schweizerischen Generalkonsulat in München ein Visum beantragt. Er erhielt es nur, weil er versicherte, er reise nicht, um politisch tätig zu werden, sondern zu Studienzwecken. Seine Mission musste geheim bleiben. Daran lag auch den Schweizer Sympathisanten. Es war gefährlich für Professoren, Unternehmer, Offiziere und Rechtsanwälte, mit Hitler in Verbindung gebracht zu werden. Denn keiner hätte sich herausreden können, er habe nicht gewusst, wer Hitler war und welche Politik er vertrat. Die Schweizer Presse hatte ihn schon in unzähligen Artikeln entlarvt.
Das sozialdemokratische «Volksrecht» schreibt am 19. Januar 1923: «Hitler ist der rücksichtsloseste und gewissenloseste Aufwiegler.» Das katholisch-konservative «Vaterland» am 2. Februar 1923: «Der Hysteriker Hitler kann mit seiner krankhaften Veranlagung und seiner rednerischen Gewandtheit die Massen faszinieren, und das macht ihn so gefährlich.» Doch die Herren in der Villa Schönberg, wo sich heute die Administration des Museums Rietberg und ein Institut der Uni Zürich befindet, lasen die NZZ. Am 25. 2. 1923 stand im freisinnig- demokratischen Blatt: «Gefährlich an der Partei (NSDAP) ist zunächst ihr Führer selbst. Sein Hauptthema ist der Antisemitismus. Mit dem Sündenbock Judentum ködert er Leute verschiedenster Herkunft.»
Mit so einem wollte man nicht auf einem Foto verewigt werden. Und dass man ihm hohe Summen spendete, damit er den Bolschewismus vertrieb, durfte erst recht nicht publik werden. Die Schweizer Bundesanwaltschaft registrierte weder Hitlers Besuch in Zürich noch die Aktivitäten seines Geldsammlers Emil Gansser. Hitler verneinte im Putschprozess, in der Schweiz gewesen zu sein. In den Tischgesprächen mit Privatsekretär Martin Bormann sagte er 1942 dann aber, er habe einst Zürich besucht und ein üppiges Mahl vorgesetzt erhalten. Es habe ihn mit Abscheu vor einem Land erfüllt, das sich solchen Luxus habe leisten können. Das Schweizer Geld freilich war ihm sehr willkommen.
Historiker Alexis Schwarzenbach, 32, ist auf das Hitler-Dokument im Zuge von Recherchen für eine Biografie über seine Urgrossmutter Renée Schwarzenbach-Wille gestossen. Die Thalwiler Firma ihres Gatten Alfred war damals eines der grössten Seidenunternehmen der Welt. François Schwarzenbach, Vater des Finders, benutzt heute das Büro seines Grossvaters Alfred. In einem Aktenschrank dieses Büros befand sich die Hitlerrede. Die Schwarzenbachs gehören zum Wille-Clan, seit Renée, die Tochter des Generals, 1904 den Seidenfabrikanten Alfred Schwarzenbach heiratete.
Die Verbindung Schweiz-Berlin hielt bis in die Neuzeit an. Ulrich Wille junior, ehemals Oberstkorpskommandant unserer Armee, hielt Kontakt zum Führerstellvertreter Rudolf Hess, als dieser längst im Alliierten-Gefängnis Spandau einsass. Das nennt man treue Kameradschaft.
Quelle: http://www.facts.ch/dyn/magazin/kultur/420966.html
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