Wie aktuell ist Marx
Seite 1 von 2 Neuester Beitrag: 04.02.10 11:55 | ||||
Eröffnet am: | 21.02.04 08:55 | von: hjw2 | Anzahl Beiträge: | 38 |
Neuester Beitrag: | 04.02.10 11:55 | von: DarkKnight | Leser gesamt: | 5.726 |
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MARX-BEGRIFFE: GELDKapital beruht immer noch auf der Aneignung der Produkte der Arbeit, und die Entschleierung des Geldfetisch bleibt zentrale Aufgabe der ökonomischen Kritik
Geld ist ein Rätsel, das die ökonomische Theorie bis heute nicht hat lösen können. Das liegt vor allem daran, dass sie die falschen Fragen stellt. Oder sie vergisst das Fragen, weil jemand, der (oder die) Geld hat, sowieso mit der Welt im Allgemeinen und mit dem jeweiligen Gemeinwesen im Besonderen im Reinen ist. Die frühbürgerlichen Theoretiker dachten, die Gesellschaft könne mit einem Vertrag zwischen allen zählenden, das heißt, über Eigentumsrechte verfügenden Bürgern, vereinbart werden. Die politischen Ökonomen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts von Hume über Petty zu Smith und Ricardo begriffen dagegen, dass die Vergesellschaftung schon längst - als Arbeitsteilung vermittelt durch den Markt - stattgefunden hat, bevor die Mitglieder der Gesellschaft an einen Vertrag auch nur gedacht haben.
Marx radikalisierte diesen Gedanken. Die Arbeitsteilung, von deren Vertiefung sich Adam Smith und David Ricardo die stetige Steigerung des Wohlstands der Nationen erwarteten, bedarf des Geldes; denn nur die zählen in der Gesellschaft, die auch zahlen. "Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß", schreibt Marx im ersten Band des Kapital, "dass die Waren eine mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerte höchst frappant kontrastierende, gemeinsame Wertform besitzen - die Geldform." Es gelte nun, das zu leisten, was die bürgerliche Ökonomie nicht einmal versuchte, nämlich die "Genesis" dieser Geldform nachzuweisen, "also die Entwicklung des Wertausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das Geldrätsel ..."
Sichtbare Gottheit und allgemeine Hure
Das Geld erfüllt also nicht nur irgendwelche Funktionen, die von Ökonomen dem Geld zugesprochen wird: Maßeinheit, Wertaufbewahrungsmittel, Zahlungsmittel, Objekt der Begierde zu sein, sondern es ist in erster Linie die Vollendung der Warenform. Arbeitsteilig erzeugte Produkte der Arbeit werden auf dem Markt getauscht. Letztlich ist der Tausch einer Ware vollendet, wenn sie in Geld verwandelt worden ist. Doch "die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln." Im Geld ist die Gesellschaftlichkeit bereits in verdinglichter Gestalt vorhanden, die sonst in jedem Tauschakt qua Vertrag erst aus dem Nichts rekonstruiert werden müsste.
Das Geld ist insofern das "wahre Gemeinwesen". Man muss Geld erwerben, um gesellschaftlich zu gelten. Das Bedürfnis nach Geld ist daher das wahre, von der Nationalökonomie produzierte Bedürfnis. Die Moral der Nationalökonomie ist der Erwerb. Daher liegt Max Weber richtig, wenn er den modernen Kapitalismus als "Erwerbsgesellschaft" beschreibt. Geld vergesellschaftet die Individuen nicht nur, sie entwickeln davon auch ein spezifisches, und in aller Regel verkehrtes Bewusstsein, mit dem es nicht gelingt, die Widersprüche und Entwicklungsdynamik der Gesellschaft zu begreifen.
Zwangssparen für den Kaufrausch
In den frühen Schriften aus den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts äußert sich Marx sarkastisch über die im Geld aufscheinenden Verkehrungen und manchmal klingt Empörung an. Die Befriedigung eines eigennützigen Bedürfnisses durch Betrug und wechselseitige Ausplünderung wird erleichtert durch das Geld, kritisiert er. Der Mensch wird umso ärmer als Mensch, und er bedarf daher umso mehr des Geldes: Geld ist der Kuppler zwischen dem Bedürfnis und dem Gegenstand, zwischen Leben und Lebensmittel, zugleich sichtbare Gottheit und allgemeine Hure. Maßlosigkeit und Unmäßigkeit sind das wahre Maß des Wirtschaftens. Die Nationalökonomie entwickelt sich als Wissenschaft des Reichtums und zugleich des Sparens. Ihr Ideal ist der wuchernde Geizhals und der asketische, aber produzierende Sklave. Und: "Ich, wenn ich Beruf zum Studieren, aber kein Geld dazu habe, habe keinen Beruf zum Studieren, das heißt, keinen wirksamen, keinen wahren Beruf. Dagegen ich, wenn ich wirklich keinen Beruf zum Studieren habe, aber das Wollen und das Geld, habe einen wirksamen Beruf dazu" - das klingt höchst modern.
Im Geld kommen alle Widersprüche der kapitalistischen Marktgesellschaft zum Ausdruck, und sie sind zugleich verdunkelt, weil im Geld der Zusammenhang zwischen Produktion und Tausch, zwischen Erzeugung des Reichtums durch Arbeit und der Aneignung mittels Geld und Kapital unsichtbar wird. Geld erscheint als Schlüssel zur Bewältigung aller Probleme. Wer über Geld verfügt, ist gut dran - und umgekehrt: Wer keines hat, ist ein armer Schlucker. Daher gilt (Zwangs)sparen derjenigen, die nichts haben, auch heute als Tugend, ebenso wie der Kaufrausch der Reichen als Konjunkturspritze gelobt wird. Freilich wird das Sparen heute vor allem von den öffentlichen Einrichtungen erwartet - zu Lasten der sozialstaatlichen Transfereinkommen - und der Kaufrausch von den Privaten, die daher mit entsprechender Kaufkraft durch Steuersenkungen ausgestattet werden, die ihrerseits zur Verarmung der öffentlichen Einrichtungen beitragen.
Biedermännisch narrensicher bewegt sich Kanzler Schröder in diesem Widerspruch: Sparen durch Einkommenskürzungen wird einerseits als Reform geadelt. Zum anderen fordert Schröder die "Mitbürger und Mitbürgerinnen" auf, doch, bitte sehr, aus den reduzierten Einkommen mehr zu konsumieren, denn "von Deiner Nachfrage hängt der Job des Nachbarn ab..."
Mit dem Geld verbindet sich ein Fetischismus, der die gesellschaftlichen Widersprüche und Entwicklungstendenzen in ein verklärendes Dämmerlicht taucht, das deren Konturen nicht mehr erkennen lässt. Besonders trübe ist das Licht, in das die globalen Finanzmärkte getaucht sind. Im Trüben lässt sich gut fischen, und daher tut Aufklärung Not: Entschleierung des Geldfetisch ist eine Aufgabe der ökonomischen Alphabetisierung. Dies umso mehr, als mit der Verselbstständigung des Wertes im Geld auf einmal der schon von Aristoteles bespöttelte Eindruck entsteht, als ob Geld "Junge" bekommen könnte. Die monetäre Sphäre scheint von der realen Ökonomie, also von der Welt der Arbeit, entkoppelt zu sein. Daher rührt die Verachtung, mit der Geldleute und ihre Wasserträger, die sogenannten "Analysten", auf diejenigen herabschauen, die Geld durch Hand- und Kopfarbeit verdienen und nicht, indem sie Geld für sich "arbeiten" lassen. Der Fetischismus verhindert, dass sie auch nur zu ahnen beginnen, dass das "arbeitende Geld" die oftmals brutal-rücksichtslose Aneignung der Produkte der Arbeit, ja die Ausplünderung anderer ist.
Nur manchmal und zumeist sehr kurzfristig kommt zu Bewusstsein, dass Geld ohne Arbeit und produzierte Werte nichts wert ist. Denn Geld ist ein Anspruch an real produzierte Einkommensströme, von denen je nach Höhe der Geldvermögen und der zu zahlenden Zinsen ein Teil abgezweigt werden muss. Das kann dazu führen, dass die Profitrate (die Rendite auf Investitionen) nicht ausreicht, die Zinsen zu bezahlen - und dann unterbleiben Investitionen. Die Beschäftigung sinkt, und es steigt die Zahl der Arbeitslosen oder der prekär Beschäftigten im "informellen" Sektor. Die Lohnkosten werden also gesenkt, so dass die Profitrate steigt.
Sich einrichten im Fetisch
Der Fetischismus des Geldes hat an dieser Stelle einen Zaubertrick parat, der den Unterschied zwischen realer und monetärer Sphäre der Ökonomie beseitigt: Die Unternehmensrendite wird als "Shareholder value" kalkuliert und somit direkt vergleichbar mit der Rendite jeder Anlage auf den globalisierten Finanzmärkten. Und die Löhne und Gehälter werden als Erträge von Finanzinvestitionen in "Humankapital" verstanden, so dass alle Unterschiede zwischen den verschiedenen Einkunftsarten verschwinden und sich auf Kapitalerträge unterschiedlicher Höhe reduzieren. Der Geldfetisch ist wie der Dämon von Laplace, er schafft Ordnung durch Vereinfachung und er reduziert Komplexität, wo diese gerade durch das Wirken von Geld und Kapital erhöht worden ist. Daher ist das Leben mit dem Geldfetisch einfacher als dessen kritische Dekonstruktion.
In den Finanzkrisen allerdings wird offensichtlich, dass die Einfachheit eine Täuschung ist. Marx hatte hauptsächlich über die zyklisch wiederkehrenden Wirtschaftskrisen geschrieben. Ein wichtiger Aspekt der Akkumulationskrise war immer die Geld- und Kreditkrise; aber diese war zu seiner Zeit nicht so zentral wie der Aspekt der realen Überakkumulation. Das hat sich im globalisierten Kapitalismus grundlegend geändert. Die globalen Krisen der vergangenen zwei Jahrzehnte haben zwar ohne Zweifel ihren Ursprung in der realen Ökonomie. Doch ihre Ausbreitung und die Dynamik sind eine Folge der finanziellen Globalisierung. Denn finanzielle Innovationen haben dazu beigetragen, dass selbst lokal gebundenes Kapital flexibilisiert und mobilisiert werden kann. Die zunehmende Verbriefung von Kapital ("Börsengänge") und dessen Handel auf globalisierten Finanzmärkten bewirken eine Angleichung der finanziellen Bedingungen, ohne dass die realen Verhältnisse (zum Beispiel "Unternehmenskultur" oder Arbeitsproduktivität) mitzuziehen vermögen. Die kurzfristigen Finanzanlagen, immer auf dem Sprung, um bessere Renditen zu erzielen, destabilisieren die Finanzmärkte. Wie die Krisen des vergangenen Jahrzehnts in Asien, Russland, Lateinamerika, Osteuropa gezeigt haben, sind sie geeignet, die Gesellschaft insgesamt in Mitleidenschaft zu ziehen: Armut und Arbeitslosigkeit steigen, die Sozialausgaben des Staats werden reduziert, wenn es vor allem darum geht, die Ansprüche von Gläubigern der Finanzanleihen zu befriedigen. Die reale Ökonomie wird zur Geisel der globalisierten Finanzmärkte.
Elmar Altvater ist Professor für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Zusammen mit Birgit Mahnkopf verfasste er Globalisierung der Unsicherheit - Arbeit im Schatten, schmutziges Geld und informelle Politik (2002) und Grenzen der Globalisierung (Verlag Westfälisches Dampfboot), das 2004 in
6. Auflage erscheint.
MARX-BEGRIFFE: PROLETARIATEin einheitliches Subjekt der Revolution existiert nicht mehr. Neuere Theorien setzen auf die Kraft pluraler Widerstandsformen. In einem verbinden sie sich mit Marx´ Idee des Proletariats: sie wollen die Entwicklung des Kapitalismus nicht bremsen
Das 21. Jahrhundert wird ein nachrevolutionäres Jahrhundert sein. Darin stimmen die Ideologen der Postmoderne mit den Verteidigern eines in den Horizont der liberalen Demokratie eingehegten "Projekts der Moderne" überein. Beide verabschieden die "Große Erzählung" (J.-F. Lyotard) des Marxismus vom revolutionären Proletariat als dem Subjekt universeller Emanzipation. Historischer Fortschritt soll nur noch als partielle Reform möglich sein, wer mehr will, verlässt den Konsens der Demokraten in Richtung Totalitarismus.
Marx selbst hätte sich auf die parlamentarische Prozedur allerdings auch gar nicht vereidigen lassen. Ihm ist die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen, in denen es zuletzt allein um Sieg, Niederlage oder "gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen" geht. Der Kommunismus ist darin weder eine erst zu verwirklichende Utopie noch ein bloß handlungsleitendes Ideal, sondern "die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung." Die wiederum liegt in der im kapitalistischen Weltmarkt erreichten Globalisierung einer dem Kapital vollständig ausgelieferten "Masse von bloßen Arbeitern". Im Begriff des Proletariats fasst er deren elende soziale Lage und zugleich einzigartige Chance, Subjekt kommunistischer Bewegung werden zu können.
Leider haben die Hauptlinien des Marxismus daraus tatsächlich eine Große Erzählung unaufhaltsamen Fortschritts gewoben. Dem lag entweder ein dem Hegelschen Weltgeist nachgebildeter "Gesichtspunkt der Totalität als Subjekt" (G. Lukács) oder die gesetzmäßig geregelte Produktivkraftentwicklung zugrunde - Mischformen eingeschlossen. Der Identifizierung des revolutionären Subjekts im weißen männlichen Industriearbeiter folgte die Hierarchisierung der sozialen Kämpfe nach Haupt- und Nebenwiderspruch, in der die Vielstimmigkeit der Revolten der "Bildung des Proletariats zur Klasse" untergeordnet wurde.
Fortschrittslogik oder Politik der Differenz?
Um Arbeiterklasse aber ist es, darin ist den Postmodernen zuzustimmen, schon seit längerem schlecht bestellt. Klar wurde das nicht erst mit der Niederlage der realsozialistischen Partei- und Staatsapparate Ende des 20. Jahrhunderts, sondern schon in der furchtbaren Gewalt, die sie nicht nur, aber auch gegen ProletarierInnen wie KommunistInnen ausgeübt haben. Darauf antworteten zuletzt die Revolten des Mai 68, indem sie der Fortschrittslogik proletarischer Identitätspolitik Politiken der Differenz entgegensetzten, die sich im Feminismus, der Ökologie und im kulturrevolutionären "Patchwork der Minderheiten" (J.-F. Lyotard) artikulierten.
Aber auch diese Minderheiten zersetzten sich in den Umwälzungen, die die postmoderne Ideologie als "Übergang zur globalisierten Informationsgesellschaft" bezeichnet. Die globalisierte Gesellschaft unterwirft zwar, wie von Marx vorausgesagt, alle gesellschaftliche Tätigkeit kapitalistischer Verwertung, doch geht die universelle Proletarisierung mit der Atomisierung und Pluralisierung gerade des Proletariats einher. Dessen "Bildung" zum Kollektivsubjekt wird praktisch immer unwahrscheinlicher und theoretisch zum leeren Konstrukt.
Doch verfällt, wer sich damit zufrieden gibt, bloß einer anderen Großen Erzählung: der von dem, was "Marxismus" gewesen sei. Sie verdeckt, dass alle produktiven Brüche revolutionärer Theorie und Praxis mit einer Kritik der marxistischen Orthodoxie beginnen. Zu denen, die derart mit Marx über Marx hinausgehen, gehören heute die Philosophen Antonio Negri und Alain Badiou.
Negri übersetzt Marx´ Axiom des Klassenantagonismus in sein Axiom der Antagonismen von Souveränität und Multitude. Während die Multituden - wörtlich mit "Menge" zu übersetzen - unaufhörlich aus den politökonomischen Formen der Souveränität ausbrechen, suchen die Souveränitätsmächte deren "Exodus" unter ihre Disziplin und Kontrolle zurückzuzwingen. Das gelingt ihnen, wenn sie aus den "Singularitäten" einer Menge "Subjekte der Souveränität" einer Klasse, eines Volkes oder einer Nation machen. Wird solche "Korruption" in sozialer Revolte aufgebrochen, treten - wie im Mai 68 geschehen - neue Multituden hervor. Deren Kämpfe sind immer auch Klassenkämpfe, doch zugleich mehr und anderes als "klassistische" Identitätspolitik. Theoretisch wie praktisch finden sich Entstehung und Korruption von Multituden heute in der zugleich informatisierten und globalisierten kapitalistischen Produktion, die primär auf der Verwertung "immaterieller", weil Zeichen, Affekte und Dienstleistungen produzierender Arbeitskraft beruht.
Mit einem im Deutschen unübersetzbaren Wortspiel bezeichnet Alain Badiou die im gegebenen "Zustand" einer gesellschaftlichen Situation (état d´une situation) wirkende Souveränitätsmacht als "Staat" (Etat d´une situation). Was Marx im Begriff der "Masse bloßer Arbeiter" zugleich entdeckt und verfehlt, sind Badiou zufolge die in der Situation zwar präsenten, von der staatlichen Identifikation aber nicht re-präsentierten sozialen Kräfte. Deren Ausschluss macht die verborgene Unwahrheit jedes "Etat d´une situation" aus, die im Ereignis eines revolutionären Bruchs - in der Pariser Commune, im Roten Oktober oder den Revolten der Epoche von 1965 bis 1985 - offenbar wird. Doch kann das Ereignis weder auf ein vorgängiges Subjekt noch auf eine durchgängig bestimmte Verkettung von Umständen und Handlungen zurückgeführt werden. Statt dessen konstituiert sich sein Subjekt nachträglich erst in der Praxis, die die herrschenden Verhältnisse im Licht des Ereignisses zu verändern sucht.
Der nächste Zweck der KommunistInnen
Negris und Badious Differenzierungen im Begriff des Proletariats führen zur Neubestimmung der Rolle seiner kommunistischen "Militanten". Denen kann es heute nicht mehr um die identifikatorische "Bildung des Proletariats zur Klasse" gehen und darum nicht mehr um deren Repräsentation im Bezug zur Staatsmacht, sondern nur noch um die Lösung aller Bindungen, in denen Mengen den sozialen Formen der Klasse, des Volkes und der Nation unterworfen werden. Damit aber bleiben die KommunistInnen Negris und Badious denen von Marx und Engels in einer wesentlichen Hinsicht treu: auch sie wollen die Globalisierung des Kapitalismus nicht bremsen - das bleibt Utopisten und Moralisten vorbehalten -, sondern entdecken in ihr die "jetzt bestehende Voraussetzung" des Kommunismus. Der hängt wie bei Marx nur insoweit an der entfesselten Produktivkraftentwicklung, als deren subjektivierende beziehungsweise de-subjektivierende Effekte zum Ausgangspunkt revolutionärer Praxis werden können. Die zerstörerische Gewalt der kapitalistischen Verwertung des Sozialen belegt, dass Negri und Badiou damit eine lebensgefährliche Wette eingehen. Doch folgen sie gerade darin der zentralen Einsicht Marx´, nach der ProletarierInnen nur in "wirklicher Bewegung" eine Welt zu gewinnen haben.
Thomas Seibert ist Philosoph, Redakteur des Halbjahresmagazins Fantômas und Mitarbeiter von medico international. Im April erscheint von ihm ein längerer Beitrag zur Philosophie Toni Negris in Immaterielle Arbeit und imperiale Souveränität (hg. von Th. Atzert, J. Müller, Verlag Westfälisches Dampfboot).
MARX-BEGRIFFE: ARBEITArbeit ist Austausch des Menschen mit und in der Natur - das wird auch heute niemand bestreiten. Nur einen kleinen Einwand müsste Marx sich gefallen lassen: Baumeister sind doch Bienen
Zu Marxschen Grundkonzepten, die - nach dem und wegen des Zusammenbruchs der politischen Herrschaft des zwischen Elbe und Pazifik russisch dominierten europäischen Kommunismus - zu problematisieren sind, gehört das zugehörige Arbeitskonzept wohl weniger. Es ist ja als Fortbildung der in der klassischen deutschen Philosophie hervorgebrachten Erkenntnis zu verstehen, auf die Marx in seinen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten 1844 selbst hinweist: "Das Grosse an der Hegelschen Phänomenologie ... ist, daß Hegel das Wesen der Arbeit faßt und den Menschen, als Resultat seiner eignen Arbeit begreift." Marx urteilt zusätzlich: "Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomen. Er erfaßt die Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende Wesen d[es] Menschen." Marx schränkt ein: Hegel "sieht nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative. Die Arbeit ist das Fürsichwerden d[es] Menschen innerhalb der Entäusserung oder als entäusserter Mensch. Die Arbeit, welche Hegel allein kennt und anerkennt ist die abstrakt geistige."
Ob das eine zutreffende Feststellung ist, sei dahingestellt. Jedenfalls ist klar, dass Marx sein Arbeitskonzept im Anschluss an die philosophische deutsche Klassik (bei deutlicher Erinnerung an Fichte) gewinnt - und mit der zunächst in französischer Sprache erfolgten Rezeption der englischen Nationalökonomie zur Entfaltung seiner eigenen Gedanken übergeht. Die Analyse der von Marx unterstellten "Entäußerung" macht diesen Ansatz aus. Er steht unter dem Programm einer "Kritik der Nationalökonomie", das zuerst von Friedrich Engels konzipiert wurde.
Arbeit in und an der Natur
1867, als Marx den ersten Band seines Kapitals publiziert, ist jenes Programm durch die Absicht, nach englischem Vorbild On the Principles of Political Economy zu publizieren, ersetzt. Dies unterstellt, ist zu sagen, dass Marx´ Ansichten zur Arbeit in und an der Natur wohl als quasi-axiomatische Voraussetzungen aller humanwissenschaftlichen Erkenntnis nach wie vor gelten können - und sollten: "Die Arbeit ist ... ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit." Ich vermag keine seriöse Erwägung zu erkennen, die diese Beschreibung sinnvoll in Frage stellen könnte.
Eher ist zu notieren, dass Marx die Arbeit hier klarerweise nicht als Stoffwechsel des Menschen mit der Natur außer ihm bestimmt, sondern als Vermittlung, Regelung und Kontrolle desselben. Der menschliche Stoffwechsel mit der umgebenden Natur, den jeder zu seinen Mahlzeiten im Verzehr von Lebensmitteln mit anschließender Ausscheidung der unverdaulichen Restbestände betreibt, ist - wie das Schwitzen und andere Stoffwechselarten - nicht Arbeit, sondern einer ihrer Gegenstände. Die Kuriosität, die Arbeit als Stoffwechsel zu denken, hat mit Marx nur dies zu tun, dass sein Text Gegenstand für Interpreten im Kommando bolschewisierter Parteien geworden ist.
In einer Reflexion der Marxschen Grundkonzepte ist ohnehin zu bedenken, dass Marx´ Theorie sowie Ansichten und der "Marxismus" im Sinne seiner Grundlegung in Engels´ Anti-Dühring durchaus zu unterscheiden sind. Und keineswegs meint das Wort Marxismus einen einheitlichen und konsistenten Korpus von Auffassungen.
Mit Blick wiederum allein auf Marx´ Sicht kann auch gegen die Feststellung: "Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel", kaum etwas eingewendet werden. So könnte man weiter fortfahren zu sammeln, was aus dem Werk von Marx die Zeiten überdauern wird, wenn auch Konjunkturen der Rezeption unterworfen. Dann wird sich vielleicht ergeben, dass die Bezeichnung "Marxist" in der Ökonomie, Soziologie, Politologie und anderen Humanwissenschaften nicht mehr Schrecken erregt als die in der Biologie geläufige Bezeichnung "Darwinist". Allerdings ist dafür die kritische Reflexion der Marxschen Konzepte unabweisbar, die - versteht sich - unter Ausschluss jedes Parteikommandos erfolgen muss. Denn sobald ein Vorstand, ein Zentralkomitee oder welche Vereinsspitze immer mit einschneidenden Folgen für Interessierte beschließen kann, was "marxistisch" sei, endet die wissenschaftliche Erkenntnis.
Die Lokomotive: Idee und Tat
Die kritische Reflexion, die zum Schluss mit Bezug auf ein Problem wenigstens angedeutet sei, betrifft die berühmte Darstellung des Arbeitsprozesses im Kapital, in der Marx die Unterscheidung des schlechtesten Baumeisters von der besten Biene vornimmt und behauptet, dass der (menschliche) Baumeister "die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut". Das mag für gegebene Produktarten zutreffen, stimmt aber gewiss nicht für Neuerungen, für die eine wechselseitige Korrektur von Idee und Tat angenommen werden muss.
Man kann zur Bestätigung dieser Sicht die Technikgeschichte thematisieren: Die ersten Automobile zum Beispiel hatten durchweg die Gestalt der alt bekannten Pferdewagen. Kein Zeitgenosse hätte die Anfang des 20. Jahrhunderts gewonnene Grundgestalt der uns bekannten Kraftfahrzeuge angeben können. Man vergleiche die Lokomotive eines ICE mit der, die 1825 erstmals in England einen Zug in Bewegung setzte, und frage sich, ob die Idee der Lokomotive von 1814 (als sie zur Ersetzung des Pferdes mit Hilfe einer fahrbaren Dampfmaschine technisch wirklich konzipiert war) die tatsächlichen Lokomotiven, die wir nach einer fast 200-jährigen Geschichte des fraglichen Arbeitsprodukts kennen, antizipiert habe.
Wer das bezweifelt, wird auch zugeben, dass Arbeit nicht einfach als Ideenrealisation zu denken ist, sondern als ein Vorgang, in dem Ideen ihn ebenso leiten wie durch ihn (Erfahrung gründend) korrigiert oder aufgegeben werden. Aber das ist ein Einwand, den Marx en passant akzeptiert hätte.
Peter Ruben arbeitet als Philosoph in Berlin. Er ist beteiligt an der Zeitschrift Berliner Debatte Initial. Von ihm erschien zuletzt ein Beitrag in Anfänge der DDR-Philosophie (hg. von Volker Gerhardt, Ch. Links Verlag, Berlin 2001).
MARX-BEGRIFFE: ENTFREMDUNGEntfremdung ist ein viel gescholtener Begriff, aber einer, der zu retten wäre. In ihm steckt eine auch heute aktuelle Kritik des Kapitalismus als Lebensform
Entfremdung sei "nur ein undeutlicher Begriff, dem man nicht trauen sollte". Das ist das Fazit, das der entsprechende Eintrag im Kritischen Wörterbuch des Marxismus aus der umstrittenen Stellung zieht, die das Motiv der Entfremdung in der Marxschen Theorie innehat. Und tatsächlich ist der Begriff der Entfremdung - das teilt er mit Begriffen wie "Ideologie" oder "Ausbeutung" - kein spezifisch marxistischer Begriff, sondern ein Begriff, den Marx aufgenommen, umgedeutet und auf charakteristische Weise produktiv gemacht hat. Ob man ihm allerdings "trauen" möchte oder nicht: Es lässt sich schwer bestreiten, dass "Entfremdung" zu Zeiten seiner Hochkonjunktur zu den populärsten und wirkmächtigsten Begriffen des Marxismus gehört hat. Wenn heute "Entfremdung" aus dem gesellschaftskritischen Vokabular nahezu verschwunden ist, so sind doch viele der mit dem Begriff einstmals assoziierten Motive nach wie vor virulent.
Strangers in the world
Entfremdung bedeutet Indifferenz und Entzweiung, Machtlosigkeit und Beziehungslosigkeit sich selbst und einer als gleichgültig und fremd erfahrenen Welt gegenüber. Entfremdung ist das Unvermögen, sich zu anderen Menschen, zu Dingen, zu gesellschaftlichen Institutionen und damit auch - so eine Grundintuition des Entfremdungsmotivs - zu sich selbst in Beziehung zu setzen. Eine entfremdete Welt präsentiert sich dem Individuum als sinn- und bedeutungslos, erstarrt oder verarmt, als eine Welt, die nicht "die seine" ist. Das entfremdete Subjekt erfährt sich nicht mehr als "aktiv wirksames Subjekt", sondern als "passives Objekt" (Joachim Israel), das Mächten ausgeliefert ist, die es nicht beeinflussen kann. Der Entfremdete ist, so der frühe Alasdair MacIntyre, "a stranger in the world that he himself has made".
Nun gibt es viele Gründe dafür, dem Begriff der Entfremdung Undeutlichkeit zu attestieren. Nicht nur deshalb, weil es immer umstritten geblieben ist, wie sich die Entfremdungsdiskussion der Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte zum Werk des "reifen" Marx verhält.
Auch an den Kernstellen der Marxschen Entfremdungsdiskussion ist die Sache alles andere als klar. Schon in den berühmten Passagen über die "entfremdete Arbeit" bleibt es ja diskussionsbedürftig, wie genau die vier Dimensionen der Entfremdung - von der eigenen Tätigkeit, dem Produkt dieser Tätigkeit, dem Gattungswesen und den anderen Menschen - zusammenhängen. Entscheidender aber ist, dass auch innerhalb dieser Dimensionen als "entfremdend" Verhältnisse ganz unterschiedlicher Art firmieren. Von den Produkten seiner Tätigkeit wie auch von der Tätigkeit selber ist der entfremdet Arbeitende einerseits entfremdet, sofern diese ihm nicht gehören beziehungsweise er nicht über sie verfügt; andererseits ist er von ihnen entfremdet, sofern er sie als fragmentiert, beschränkt und sinnlos erfährt.
Marx´ Sozialphilosophie
Gerade in der damit angedeuteten Komplexität liegt nun aber auch das Potenzial des Entfremdungsbegriffs, seine Reichhaltigkeit und Anschlussfähigkeit. So ist es seine Pointe, einen Zusammenhang zu behaupten zwischen Enteignung, Machtlosigkeit und Kontrollverlust und dem, was man als Sinnverlust oder Verarmung bezeichnen könnte. Und gerade weil der Begriff gewissermaßen "unscharfe Ränder" hat, an denen Alltagsgebrauch und philosophische Verwendung sich wechselseitig durchdringen, konnte Marx mit ihm die Entzweiungsproblematik der Moderne einfangen und kapitalismuskritisch wenden. Ähnlich hat später Georg Lukács in seinen Begriff der Verdinglichung - ein enger Verwandter des Entfremdungsbegriffs - die Rationalisierungs- und Versachlichungsproblematik des zur Lebensform gewordenen Kapitalismus integriert.
Entfremdungskritik ist damit - und das macht sie in der heutigen Diskussionslage interessant - eine Kritik des Kapitalismus als Lebensform, Entfremdung einer der Schlüsselbegriffe dessen, was man die - wie auch immer skizzenhaft gebliebene - Marxsche Sozialphilosophie nennen könnte. Selbst- und Weltverhältnis sind im Entfremdungsbegriff verschränkt. Das gelingende Selbstverhältnis (als Verhältnis zu den eigenen Tätigkeiten) hängt ab von der gelingenden Bezugnahme auf Andere und Anderes, von der Möglichkeit, sich diese Verhältnisse "zu eigen" machen, sich als ihr Urheber, der in ihnen und durch sie wirksam ist, verstehen zu können. Entfremdung ist, was dieses Aneignungsverhältnis, diese Bezugnahme verhindert oder "in sich verkehrt". So jedenfalls könnte man die Grundintuition der Marxschen Entfremdungsdiagnose verstehen. Gegenüber geschichtsphilosophisch oder funktionalistisch motivierten Argumenten und gegenüber den heute dominanten gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen wäre die entfremdungstheoretische diejenige Argumentationslinie, die den Kapitalismus als eine Lebensform kritisiert, die eben diese Voraussetzungen für gelingendes Leben untergräbt.
Entscheidend ist dabei die spezifisch moderne Wendung, die Marx dem Entfremdungsbegriff gibt. Der Skandal der von ihm beschriebenen Entfremdung liegt ja darin, dass hier die eigenen zu fremden Mächten werden, dass es - analog zur religiösen Projektion auf den Fetisch - die Produkte der eigenen Tätigkeit sind, die, statt als "Spiegel der eigenen Gattungstätigkeit" zu fungieren, sich gegen ihren Urheber kehren. Ohne in die Debatte über Kontinuität und Nicht-Kontinuität des Marxschen Werks einsteigen zu wollen, lässt sich doch leicht sehen, dass das Motiv der "fremden Gestalt des Eigenen" sich in der späteren Kritik der politischen Ökonomie durchhält. Entfremdungskritik enthüllt den gesellschaftlichen Charakter dessen, was sich als Naturverhältnis ausgibt.
Standard-Kritik
Ist der Entfremdungsbegriff unzeitgemäß? Wenn heute der sex appeal der Entfremdungskritik so offenkundig nachgelassen hat - was ist es, das an ihr problematisch geworden ist?
Louis Althussers Kritik des Marxschen "Humanismus" war gewissermaßen die Vorhut eines generalisierten "Antiessentialismus", der die (Nach-)Foucaultianische Linke bei allen internen Differenzen eint. Entfremdung, so der Standardeinwand, scheint immer Entfremdung von einem vorausgesetzten "Wesen" oder einer "Bestimmung" des Menschen zu sein. Wo uns dieser Bezugspunkt aber abhanden gekommen ist, kann er als Grundlage der Kritik nicht mehr taugen. Nun lässt sich gegen diese Kritik wiederum einiges einwenden, denn das "gesellschaftliche Wesen" des Menschen ist gerade nicht das metaphysische "Wesen" im Sinne einer unveränderlichen Substanz. Dass aber die Entfremdungsthematik immer so etwas wie eine "Selbstmächtigkeit" von Subjekten einfordert und eine "Transparenz" der von ihnen geschaffenen Verhältnisse, lässt sich schwer leugnen. Im Motiv der Entfremdung als verhinderter Wiederaneignung der eigenen Arbeit ist nicht bedacht, dass es vielleicht auch eine unaufhebbar notwendige Fremdheit und Eigengesetzlichkeit von Handlungsfolgen geben könnte.
Das "antipaternalistische" Credo des zeitgenössischen politischen Liberalismus trägt ebenfalls zum Eindruck bei, die Entfremdungskritik sei veraltet. War in ihrem Zusammenhang nicht auch die Rede von "objektiv falschen Bedürfnissen"? Und führt die Bezugnahme auf vorgeblich wahre Bedürfnisse nicht unweigerlich zu einer Position, die es von einer übergeordneten Warte aus paternalistisch "besser weiß" und damit die moderne Freiheit des Individuums, "sein eigenes Leben zu leben" in Frage stellt? Auch hier lässt sich einwenden, dass Marx alles andere als einen "festgestellten" Bedürfnisbegriff hat. Und entgegen der "ethischen Sparsamkeit" des Liberalismus: Es müssen sich Lebensformen kritisieren lassen - das bleibt der Kern einer Bezugnahme auf die Entfremdungskritik. Hier stellt sich dann allerdings die Frage nach dem dieser Kritik zugrundeliegenden Maßstab.
Eine weitere zeitdiagnostische Dimension der möglichen "Unzeitgemäßheit" des Entfremdungsbegriffs drängt sich auf: Lebt der "neue Geist des Kapitalismus" (wie Luc Boltanski und Eve Chiapello in ihrem gleichnamigen Buch zeigen) nicht gerade von der Entfremdungskritik? Setzen die zeitgemäßen Ich-AGs nicht auf authentisch motivierte "allseitig entwickelte" Persönlichkeiten, für die es zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen beruflichen Netzwerken und Freundeskreisen gar keine Grenze mehr gibt? Ist also in den vielfältigen Anforderungen an Flexibilität und Kreativität der modernen "Arbeitskraftunternehmer" die Marxsche Utopie des "morgens fischen, mittags jagen, abends kritisieren" nicht auf zynische Weise aufgehoben? Der Ansatzpunkt für eine Kritik der Entfremdung jedenfalls scheint damit obsolet zu werden.
Gibt es also keine Entfremdung mehr - oder nur nicht mehr ihren Begriff? Mit der Entfremdungsdiskussion könnten Fragen auf dem Spiel stehen, die man so leicht nicht loswird. Die große Beachtung, die Richard Senetts Buch The Erosion of Character (dt.: Der flexible Mensch) gefunden hat mit seiner These, der "flexible Kapitalismus" bedrohe Grundvoraussetzungen der Identität des Einzelnen und den sozialen Zusammenhang der Gesellschaft, oder auch die zunehmend geäußerten Bedenken gegenüber Tendenzen einer Vermarktlichung oder "Kommodifizierung" immer größerer Lebensbereiche, sind Anzeichen für eine wiedererwachenden Sensibilität gegenüber Phänomenen, die man mit Begriffen wie "Entfremdung" oder "Verdinglichung" in Verbindung bringen kann.
Unbefangen allerdings lässt sich an den Begriff der Entfremdung nicht anknüpfen. Wer seinen Gehalt wiedergewinnen möchte, muss dies in Form einer kritischen Rekonstruktion der in ihm versammelten Motive tun.
Rahel Jaeggi ist Wissenschaftliche Assistentin am Philosophischen Institut der GoetheUniversität Frankfurt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Sozialphilosophie, politische Philosophie und Ethik. Im kommenden Jahr wird von ihr ein Buch zum Thema erscheinen: Entfremdung - Zur Rekonstruktion eines sozialphilosophischen Begriffs.
MARX-BEGRIFFE: BASIS / ÜBERBAUIn der bildlichen Rede von Basis und Überbau geht es auch um die Ökonomie der Geschlechter
Die Rede von "Basis und Überbau" scheint heute hoffnungslos veraltet. Die Gesellschaft habe keinen Angelpunkt, nicht in der Staatsspitze, aber auch nicht in der Ökonomie, sondern in ihr mischten sich viele Prozesse und "Subsysteme", sagen die Soziologen. Oder sie sagen, es könnten in einer Gesellschaft überhaupt keine Naturgesetze wirksam sein außer dort, wo man Dinge tue, ohne über sie nachzudenken, was aber nie ein Zustand von Dauer sei. Damit falle der Basisbegriff dahin, der eben gerade die Dauerhaftigkeit von Quasi-Naturgesetzen in einer gegebenen Gesellschaft behaupte.
Mag sein. Als Begriffe fallen "Basis und Überbau" schon deshalb dahin, weil sie gar keine sind. Als Bild aber halten sie etwas Störendes fest. Gibt es wirklich keinen Angelpunkt der Gesellschaft? Wenn wir unterstellen wollten, dass eine gegebene Gesellschaft - zum Beispiel unsere - endlich ist, hätten wir sehr wohl eine Art Fundament anzunehmen: einen Boden, auf dem sich entscheidet, ob die Gesellschaft noch die Kraft hat, ihr Ende aufzuhalten, oder ob sie bereits am Verfaulen ist. Das Bild von Basis und Überbau benutzt Marx gerade da, wo er auf die Signatur des Endes von Gesellschaften zu sprechen kommt. In der Basis kommt es zu bestimmten Widersprüchen, sagt er. Diese werden im Überbau bewusst (Klassenbewusstsein) und dort auch ausgefochten (Klassenkämpfe). Die Widersprüche lassen ein Weiterwursteln der Gesellschaft nicht mehr zu. Vielmehr lassen sie Kämpfende auf den Plan treten, die sich anstrengen, Neues zu errichten (aus den Klassenkämpfen gehen die Institutionen hervor, die den Überbau der neuen Gesellschaft bilden).
Im Hintergrund steht der Marxsche Satz, es sei "das Bewusstsein nur das bewusste Sein". Damit ist nicht gesagt, dass der Überbau nur aus Bewusstseinsphänomenen bestünde - er besteht auch aus Kämpfen und Institutionen -, sondern dass dem Bewusstsein der Kämpfe und Institutionen keine Wahl bleibt als die, um jenes "Sein" zu kreisen, von dem schon Hamlet sprach: Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.
Kunst der Hebamme
Wenn man der Bildlogik in den Texten von Marx und Engels, später von Antonio Gramsci nachgeht, stellt man leicht fest, dass "Basis und Überbau" tatsächlich Ausdrücke sind, die um das Ende kreisen. Das verrät sich auch in dem Text, in dem sie unmöglich fehlen könnten: dem berühmten Marxschen "Leitfaden" in Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort. Da hören wir, eine Gesellschaft gehe nie unter, bevor nicht die materiellen Existenzbedingungen der Folgegesellschaft in ihrem eigenen "Schoß" schon "ausgebrütet" seien. Der Widerspruch in der Basis einer Gesellschaft ist also einer auf Leben und Tod: Damit eine zunächst nur embryonal existierende Basis ins eigenständige Leben übergehen kann, muss erst einmal sozusagen der "Mutterboden", die "Mutterbasis" sterben.
Gramsci hat sich nach der Hebamme umgeschaut. Er fand den Überbau. Dort entwickle sich, schreibt er, "ein neues, umfassenderes, höheres gesellschaftliches Bewusstsein, das sich als einziges ›Leben‹, als einzige ›Wirklichkeit‹ setzt" gegenüber einer "so gut wie toten Vergangenheit, die nicht sterben will". Eine solche Interpretation kann sich auf viele Passagen bei Marx stützen. So wird im Kapital die "tote Arbeit" analysiert, die über die "lebendige" herrsche. Sie herrscht so lange, wie sich das Lebendige noch im Gefängnis des toten Schoßes befindet. Ja, noch während die Mutter gebiert, ist sie in einem höheren Sinn schon tot! Und noch wenn das Kind geboren sein wird, wird es "Muttermale" tragen, fügt Marx in der Kritik des Gothaer Programms hinzu.
Der sexistische Charakter dieser Bildwelt ist unverkennbar: Es ist die, die Luce Irigaray in ihrer Studie über Platons Höhlengleichnis aufgedeckt hat (Speculum, Spiegel des anderen Geschlechts). Schon bei Platon geht es um Kinder, die durch revolutionäre Hebammengewalt aus der mütterlichen Höhle ins Sonnenlicht herausgeholt werden sollen. Marx´ "Leitfaden" hangelt sich also seinerseits an einem Leitfaden entlang, und der ist so alt, dass es Marx nicht einmal gelingt, sich ihn auch nur bewusst zu machen. Er ist auch selbst in einem Überbau gefangen - was die Plausibilität des Basis-Überbau-Bilds ja nur unterstreicht. Keineswegs aber kann dieses Bild auf den sexistischen Subtext reduziert werden. Es ist vielmehr gar nicht erstaunlich, dass Menschen, die über Leben und Tod nachdenken, unbewusst und ungewollt auf Geschlechtliches kommen. Denn die Metapher, dass die Geschlechter einander lebendig machen, aber auch füreinander den Tod darstellen, ist noch weit älter als Platon; es ist wahrscheinlich die älteste Metapher überhaupt.
Das ändert ja nichts daran, dass eine Gesellschaft, die endlich ist, mit dem steht und fällt, wovon sie sich reproduziert. Also mit ihren "Lebensmitteln". Der Bereich, in dem es sich entscheidet, ob Mittel zum Leben da sind oder nicht, verdient es in allem Ernst, als die Basis der Gesellschaft ausgezeichnet zu werden. Das bedeutet nicht, dass hier irgendwelche "Gesetze" automatisch und unwiderstehlich wirken. Es bedeutet: Was hier (nicht) gedacht und (nicht) getan wird, entscheidet über alles. Daraus, dass Menschen nur leben, wenn sie Lebensmittel haben, folgt ein Zwang zur Produktion solcher Mittel natürlich nur dann, wenn sie leben wollen, was durchaus nicht immer der Fall ist. Man denke nur an die Beliebtheit von Kriegen. Nicht der Bereich des Lebens allein ist entscheidend - was sollte das sein: ein Bereich des Lebens ohne Tod? -, sondern der Bereich, wo es um Leben und Tod geht.
Produktion des Lebens
Der Bereich der Produktion von Lebensmitteln ist insoweit entscheidend, als mit ihnen das Leben reproduziert wird. Daraus folgt, dass genauso entscheidend wie die Produktion der Lebensmittel die Produktion des Lebens selber ist. Das haben Marx und Engels ausdrücklich gesagt: Unter der ökonomischen Basis verstünden sie beides. Deshalb bezeichnen sie das Verhältnis von Mann und Frau als das historisch erste Produktionsverhältnis. Das ist keine Aussage über den sexuellen Zeugungsvorgang, sondern über das Ökonomische daran - über die dabei stattfindende Produktion. Also über das, was die Geschlechtlichkeit zur gesellschaftlichen Basis beiträgt. Marx und Engels beginnen mit der Ausarbeitung dieser Seite der Sache recht spät (Marx: Ethnologische Exzerpthefte, Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates), sie wird aber schon früh (in der Deutschen Ideologie) als zentral benannt. Wenn wir das Bild der Basis von der Geschlechtlichkeit her aufdröseln, führt es rasch in Debatten hinein, die auch dem aktuellen nichtmarxistischen Bewusstsein geläufig sind, und zeigt seinen Realitätsgehalt.
Man kann der Aussage über die sexuelle Produktion des Lebens nicht vorwerfen, sie bilde das Verhältnis der Geschlechter ökonomistisch ab. Denn sie beansprucht gar nicht, es umfassend zu behandeln. Sie wirft nur die Frage nach den Auswirkungen der Ökonomie der Geschlechter auf alles andere Gesellschaftliche auf, auch auf alles Gesellschaftliche im Umgang der Geschlechter selber. Ökonomie der Geschlechter? Das ist nicht nur "Hausfrauenarbeit" und dergleichen; es ist zuerst und vor allem die Arbeit an der Lebensentstehung. Welche Folgen hat es für die Geschlechtsrollen, wenn Mann und Frau in ihrer Eigenschaft als Arbeiterin und Arbeiter, Kapitalistin und Kapitalist dazu übergehen, das Leben ganz anders zu produzieren als bisher, nämlich vermittels des Reagenzglases und ohne physischen Kontakt? Oder umgekehrt gefragt: Was wäre die Ursache, wenn der Kontakt zwischen den Geschlechtern abnähme und sie sich mehr und mehr separierten? Oder hätte das gar keine Ursachen? Würde es nur zeigen, wie frei wir sind? Es ist nicht veraltet, so zu fragen. Vielmehr wäre es Verdrängung, die Frage auszulassen. Mir scheint, dass wir Heutigen noch mehr in die Verdrängung der basalen Sachverhalte flüchten als unsere Vorfahren.
Friedrich Engels schrieb einmal, die Basis-Überbau-Konzeption sei gar nicht deterministisch, da ja vom Überbau eine "Rückwirkung" auf die Basis ausgehen könne. Das klingt zunächst grauenhaft physikalistisch, ist aber auch wieder nur eine - diesmal der Mechanik entlehnte - Metapher. Auch hier dürfen wir die Metapher nicht mit der ausgesagten Sache verwechseln. Es geht um die Frage, ob man auf die Basis überhaupt "wirken" will. Nun, dann müsste man sie gedanklich und tätlich berühren. Man dürfte die Fragen von Leben und Tod nicht verdrängen. Engels fragt gleichsam zurück: Ihr sagt, die Basiskonzeption sei deterministisch? Ja, dann werft die Basis doch um! Ich sage nicht, das sei unmöglich, sondern im Gegenteil: Ich bin derjenige, der euch drängt, es zu tun. Was, ihr wollt nicht? Das macht mich nicht irre. Ich werde euch weiter in den Ohren liegen.
Michael Jäger
MARX-BEGRIFFE: GESCHICHTEMarx´ Modell von Geschichte muss man als offenes begreifen. Historische Konstellationen sind Ergebnisse von Kämpfen, deren Akteure sich im Prozess selbst erst bilden
Karl Marx, dessen können wir uns immer noch sicher sein, hat die Art und Weise, wie wir an Fragen der Geschichte herangehen, von Grund auf verändert. Nur müssen wir uns offenbar, nachdem die "offiziellen Marxismen" gescheitert sind, erneut fragen, worin diese Umwälzung bestanden hat. Dass es darum geht, die Welt zu verändern, ist keine Einsicht, für die Marx ein Copyright zusteht. Damit steht er vielmehr in der philosophischen Tradition. Der Gedanke, dass die geschichtliche Welt schon so vollkommen sei, dass wir besser daran nichts mehr verändern sollten, ist erst mit den konterrevolutionären Neigungen der Bourgeoisie seit der Französischen Revolution aufgekommen, wie sie von Burke bis Hayek artikuliert worden sind. Dass wir materialistisch an die zu klärenden Fragen herangehen müssen und uns dabei nichts vormachen dürfen, ist spätestens seit Vico und Montesquieu ausgemacht. Daran hat Marx nur im Angesicht des ideologisierten Idealismus in den deutschen Verhältnissen erinnert. All das hat heute keine besondere welthistorische Bedeutung mehr.
Viele haben sich inzwischen überzeugen lassen, dass Marx´ Beitrag darin liege, eine bestimmte Konzeption der menschlichen Natur entworfen zu haben, die durch den historischen Prozess der gesamten Menschheitsentwicklung von einer ursprünglichen Einheit (dem Urkommunismus) über die wachsende Entfremdung (in den Klassengesellschaften) bis zu ihrer Befreiung und eigenständigen Entfaltung fortschreite. Demnach wäre es seine Leistung gewesen, den theoretischen Humanismus Ludwig Feuerbachs unter Zuhilfenahme der Hegelschen Dialektik "auf die Geschichte" anzuwenden.
Gegen diese Art von Marxlektüre gibt es gute philologische und theoretische Argumente. Hier muss der Hinweis, genügen, dass der junge Marx, der Marx der Pariser Manuskripte von 1844, die Möglichkeiten politischen Handelns tatsächlich und ganz grundsätzlich reduziert. Da das Ziel des Geschichtsprozesses ohnehin feststeht, kann politisches Handeln nur daran arbeiten, diesen Prozess entweder zu beschleunigen oder zu bremsen. Rosa Luxemburg hat diese bis in das Manifest der Kommunistischen Partei (1848) wirksame geschichtsteleologische Konzeption relativiert. Sie tat das, indem sie den Gedanken des "gemeinsamen Unterganges der kämpfenden Klassen", den Marx und Engels auf die Übergangsprobleme vorbürgerlicher Gesellschaften beschränkten, auch auf die Überwindung des Kapitalismus bezog: In der Alternative "Sozialismus oder Barbarei" (Junius-Briefe) formuliert sie, dass es nicht sicher ist, ob das Ziel der Geschichte sich auch verwirklicht.
Diese Zuspitzung reicht aber noch nicht. Wir müssen vielmehr auch die andere Seite des Gedankens konsequenter entfalten, welcher in der Unterscheidung zwischen "Geschichte" und "Vorgeschichte" enthalten ist, derer sich Marx und Engels bedienen. Indem sie die eigentliche Geschichte der Menschheit in die Zukunft der "klassenlosen Gesellschaft" verlegen, berücksichtigen sie, dass menschliches Handeln immer wieder neue Konstellationen schaffen und ganz unterschiedliche Prioritäten setzen kann. So lange wie dies unter den Bedingungen einer Herrschaft von Menschen über Menschen geschieht, ist dieser Möglichkeitsraum beschränkt. Das gilt ganz besonders für die "sachlich vermittelte" Herrschaft des Kapitals über seinen Gegenpol, die "abhängige Arbeit" im weitesten Sinne, und für die Herrschaft der "kapitalistischen Produktionsweise" in unseren Gesellschaften. "Geschichte", wie sie aus wirksamem politischen Handeln resultiert, gibt es aber - allen strukturellen Beschränkungen zum Trotz - auch jetzt schon. Dabei sind immer wieder Optionen erkennbar, die sich nicht auf eine einfache Alternative reduzieren lassen.
Unter den jeweiligen Bedingungen eine Handlungsdynamik in Gang zu setzen, die mit struktureller Herrschaft zu brechen beginnt, erfordert politische Initiativen, die sich nicht auf das einfache Muster von Beschleunigen oder Bremsen reduzieren lassen. Nicht jedes Beschleunigen ist progressiv - die italienischen Futuristen landeten mit ihrem Beschleunigungswahn in den Armen des Faschismus. Nicht jedes Bremsen ist reaktionär - denken wir nur an die Entschleunigungsdebatten in der Umwelt- und Verkehrspolitik. Damit Emanzipation wieder gedacht werden kann, genügt es nicht, das utopische Denken wieder von jenen Tabus zu befreien, die sowohl der neoliberale Mainstream als auch die offiziellen Marxismen verhängt haben. Notwendig ist vielmehr, die gegenwärtige Situation als Ergebnis vergangener Kämpfe und die Zukunft als offene Auseinandersetzung zu begreifen.
Hier treffen wir wieder auf Marx, auf den reifen Marx als kritischen Wissenschaftler. Marx hat uns wohl so etwas wie einen Schlüssel zur wissenschaftlichen Untersuchung der gesamten Menschheitsgeschichte geliefert. Diesen Schlüssel aber werden wir nur dann auch praktisch nutzen können, wenn wir die anderen Schlüssel nicht vergessen, die später hinzugekommen sind, wie beispielsweise die Analyse der Geschlechterverhältnisse, die politische Ökologie und die Psychoanalyse. Die Umrisse eines wissenschaftlichen Begreifens hat Marx uns für diejenigen historischen Verhältnisse geliefert, in die er selbst verwickelt war und in denen wir uns immer noch bewegen - derjenigen "Gesellschaften, in welchen die kapitalistische Produktionsweise herrscht" (erster Satz im Kapital). Erst seit den sechziger Jahren haben wir gelernt, einigermaßen zuverlässig zu beschreiben, was der Gegenstand dieses "unvollendeten Projektes" gewesen ist, worum es in ihm ging, und in welchen historischen Praktiken es verankert war. Jedenfalls können wir es heute als kritische Zeitgenossen fortsetzen, ohne hinter die von ihm erreichte Problematik zurückzufallen, wie dies immer wieder geschehen ist. Wir können artikulieren, was die darin liegenden wissenschaftlichen Durchbrüche heute bedeuten - für andere wissenschaftliche Untersuchungen, für gesellschaftliche und politische Praxis und für die öffentliche Selbstverständigung unserer Gesellschaften.
Die kapitalistische Produktionsweise, die Marx analysiert, ist nichts außerhalb konkreter Gesellschaften existierendes und deshalb abstraktes Allgemeines, sondern eine Anordnung von Formen beziehungsweise von Verhältnissen, deren jeweiliges Gewicht in konkreten Situationen immer wieder bestimmt werden muss. Die Widersprüche, die im Zeitverlauf zu Tage treten, tragen ihre Lösungsform nicht immer schon in sich. Unter dem Damoklesschwert des drohenden Untergangs wird immer wider aufs Neue ausgefochten, inwieweit sich Herrschaftsverhältnisse reproduzieren, einschränken und überwinden lassen. Das Ergebnis solcher Kämpfe ist nichts ein für alle Mal Vorgegebenes. Vorherbestimmt ist auch nicht, welche Rolle die kollektiven Akteure dabei spielen, oft bilden sie sich erst in den Auseinandersetzungen. Geschichte mit Marx wieder als einen offenen Prozess zu verstehen, wäre selbst schon ein Stück Befreiung angesichts eines zu Marxens Zeiten noch kaum vorstellbaren Zynismus der ökonomischen "Eliten".
Frieder Otto Wolf ist Privatdozent für Philosophie in Berlin. Er arbeitete als grüner Europapolitiker. Zuletzt erschien von ihm Radikale Philosophie. Aufklärung und Befreiung in der neuen Zeit (2002) und Die Tätigkeit der PhilosophInnen. Beiträge zur radikalen Philosophie (2003).
Welches ist sein wirklicher Gott? Das Hirn (denn es fehlt ihm)
Wir erkennen also im faulen Sack ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element
Die Sackemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Community vom faulen Sack.
MT
PS Hier verzichte ich einmal gerne auf Argumente - das gönne ich mir!
steht sie da
und wartet auf den Start,
alles klar.
Experten streiten sich
um ein paar Daten,
die Crew hat dann noch
ein paar Fragen, doch
der Countdown läuft.
Effektivität
bestimmt das Handeln.
Man verläßt sich blind
auf den ander'n,
jeder weiß genau
was von ihm abhängt.
Jeder ist im Streß,
doch Major Tom
macht einen Scherz,
dann geht es ab!
Völlig losgelöst
von der Erde
schwebt das Raumschiff
völlig schwerelos.
Die Erdanziehungskraft
ist überwunden,
alles läuft perfekt
schon seit Stunden.
Wissenschaftliche
Experimente,
doch was nützen die
am Ende, denkt
sich Major Tom.
Im Kontrollzentrum
da wird man panisch,
der Kurs der Kapsel, der
stimmt ja gar nicht.
Hallo Major Tom,
können Sie hören,
woll'n Sie das Projekt
denn so zerstören, doch
er kann nichts hör'n.
Völlig losgelöst
von der Erde
schwebt das Raumschiff
völlig schwerelos.
Die Erde schimmert blau.
Sein letzter Funk:
Grüßt mir meine Frau,
und er verstummt.
Unten trauern noch
die Egoisten.
Major Tom denkt sich,
wenn die wüßten.
Mich führt hier ein Licht
durch das All,
das kennt ihr noch nicht,
ich komme bald,
mir wird kalt.
Völlig losgelöst
von der Erde
schwebt das Raumschiff in
scheinbare Leere.
Das ist aber interessant. Wohl kaum ein Land hat den Irakkrieg mehr gewollt als Israel, und jetzt beschwert sich der Mossad über die Folgen.
Ach ja, der Link: http://news.independent.co.uk/world/politics/story.jsp?story=461945
wer den talmud liest stellt viele parallelen fest zur nazi ideologie:
wärend die nazis glaubten, sie wären auf grund der evolution das auserwählte volk (herrenrasse) so basiert der jüdische glauben darauf, dass sie die auserwählten sind weil gott es so wollte (gottes volk).
für den talmud sind alle nicht-juden unreine wesen (untermenschen) , der talmud stellt klar, dass nicht-juden, nicht auf einer stufe stehen wie juden , sie sind nicht teil des volkes gottes.
jeder kann morgen buddist, moslem oder christ werden, aber er kann nicht jude werden. denn hier spielt die blutsvererbung eine rolle.
wie rassistisch die semiten sein können zeigt ein bericht über etiopische-juden in israel.
aber auch äusserungen ultraortodoxer rabbiner zeigen sehr deutlich wie diskriminierend diese religion ist.
der fanatismus vieler juden ist auf dem selben niveau wie islamistische fundamentalisten, dies wird nun auch öffentlich in vielen jüdischen gemeinden diskutiert.
sehr viele musiker, künstler und artisten verlasssen deshalb zunehmend israel.
antisemitismus?
--viele haben gern und sehr schnell dieses wort im mund und verhindern jegliche debatten und sorgen selber deshalb zur verbreitung von antisemitismus.
wärend jeder einig ist radikale und fundamentalistische elemente aus christentum und islam zu verbannen ist es bei der jüdischen religion noch ein tabu.
zionismus ist rassismus!!!
der talmud enthält rassistische und fundamentalistische züge!!!
radikal jüdischer fundamentalismus ist genau wenn nicht gefährlicher als der islamistische fundamentalismus, denn viele drücken hier beide augen zu aus einer falschen rücksicht.
deshalb NEIN zu jeglichem religions-wahn.
Ich möchte hier nicht weiter ins Detail gehen, ich sage nur: unsere westliche Gesellschaft hat (gottseidank) definitif ausgeschissen, es wird der Tag kommen, wo keiner mehr eine Rechnung bezahlt oder zur Arbeit geht, wozu auch?
Es wird der Tag kommen, wo der Bauer mit seinen fünf Kartoffeln der König ist und es wird der Tag kommen, wo die große Kleidernot ausbricht, weil wir eine neue Eiszeit sehen werden.
Aber ansonsten bin ich kein Pessimist: ich habe es noch gelernt, wie man Hasen ausweidet und überhaupt geht mir das Geschwätz von der Altersvorsorge eh auf den Sack: am Ende sind doch eh alle pleite.
Ich kauf Dörrfleisch, fertig.
Und was Marx und Engels angeht: die haben Recht (abgesehen von meiner subversiven Frage), aber: who cares?
Wer die Schäfchen im Trockenen hat, denkt über solche Dinge nicht nach. Wer davon betroffen ist, hat keine Lobby.
Die einzige sozialverträgliche Rettung ist der totale Untergang, sei es durch Krieg, Klimakatastrophe oder Staatsbankrott.
ist der kapitalismus parasitär?
DIE FRAGE IST BEANTWORTETNur werden die Menschen mit der Antwort nicht fertig
Philologie, richtig betrieben, könnte eine nützliche Beschäftigung sein. Interessant wäre zum Beispiel eine Untersuchung, die klärt, wie während des 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache vom Kapitalismus geredet oder auch geschwiegen wurde. Hier eine Hypothese: Verklärung wechselte ab mit Ressentiment.
Letzteres findet sich schon beim Erfinder des Begriffs "Kapitalismus" (soweit darunter nicht nur eine Betriebsweise verstanden wurde, sondern eine Gesellschaft): Werner Sombart, 1902. Er konnte diese Ordnung nicht leiden und kritisierte sie zunächst von links, dann von rechts. Erst neigte er dem Marxismus zu, später dem Faschismus. Der Feind blieb der gleiche: der Kapitalismus. Dieser sei eine künstliche Ordnung, zerre die Menschen aus ihren natürlichen und nationalen Bindungen in einen kalten Rationalismus und Universalismus und komme im Übrigen von den Juden. Auch als Wegbereiter der Nazis war Sombart seinem Selbstverständnis nach Sozialist: dem jüdischen Kapitalismus stellte er seinen "Deutschen Sozialismus" entgegen. Dies war massenwirksamer als die kalte Sachlichkeit Max Webers.
Das Ressentiment überdauerte 1945, teilweise wurde es um eine korrekte Erkenntnis ergänzt. "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden." So stand es im Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947. Hier mischte sich einiges: katholische Soziallehre, Taktik, Erfahrung, aber vielleicht auch noch bisschen vom alten Ressentiment. Als dieselbe Partei mit Ludwig Erhard und den Düsseldorfer Leitsätzen von 1949 den Kapitalismus wieder forcierte, verleugnete man ihn zugleich, indem man ihn verklärte. Er hieß jetzt Soziale Marktwirtschaft. Seit ihrem Godesberger Programm von 1959 sahen die Sozialdemokraten das ebenso, sprachen aber zwischendurch immer wieder einmal vom Demokratischen Sozialismus. Der Unterschied zwischen diesem Konstrukt und der Sozialen Marktwirtschaft war zumindest auf dem rechten Flügel der SPD minimal. Beide Male war gemeint: der Kapitalismus ist tot, jetzt haben wir etwas Besseres.
Die Verleugnung durch Verklärung hatte zwei Gründe. Erstens: Die in der DDR regierenden Kommunisten behaupteten, in der Bundesrepublik sei ein Schoß noch fruchtbar, aus dem der Faschismus gekrochen sei. Ihnen war kein Zugeständnis zu machen. Zweitens gab es weiterhin das alte anti-westliche Ressentiment, jetzt höflich versteckt.
Ab 1989 hätte das anders werden können. Stattdessen wurden weiterhin Decknamen benutzt, zum Beispiel "Bürgergesellschaft". Vom Kapitalismus wurde weniger geredet als von den "Märkten". Diese avancierten nun zur Norm - nicht nur für die Wirtschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft, auch das Privatleben. Ein Nobelpreisträger, Gary S. Becker, meint beweisen zu können, dass Liebe und Heirat sich aus Kosten-Nutzen-Kalkülen ergeben.
Allerdings gilt der Ist-Zustand als eine schlechte Wirklichkeit, die den Märkten noch lange nicht gerecht wird. So sehen es die Neoliberalen, die Bewegung zur Reinigung des Kapitalismus von Sozialklimbim. Sie wollen einen Zustand von vorgestern: der Kapitalismus der Industriellen Revolution vor 1848. Der gegenwärtige Zustand dieser Gesellschaftsordnung gilt ihnen als parasitär.
Die Gegenseite - zum Beispiel Teile der Gewerkschaften - argumentiert warmherzig, aber ähnlich nostalgisch. Hier beklagt man das angebliche oder tatsächliche Verschwinden der Sozialen Marktwirtschaft. Der produktivitätsorientierte Kapitalismus sei durch die sogenannte Shareholder-Gesellschaft ersetzt.
Hier muss wohl etwas gerade gerückt werden. Seit Aktiengesellschaften der vorherrschende Unternehmenstyp sind - also seit dem 19. Jahrhundert - gibt es Shareholder, Aktionäre eben. Neuerdings haben diese teilweise ihre Interessen etwas anders sortiert: nicht Dividenden und langfristige Vermögenssicherung sind vorrangig gewünscht, sondern hohe Kurse und gewinnträchtiger Weiterverkauf - von Papieren oder von ganzen Werken.
Ob das ein grundsätzlicher Wandel ist, lässt sich noch nicht sagen. Die Spekulation ist jedenfalls nichts Neues. Das Heimweh nach dem "Goldenen Zeitalter" des Keynesianismus beschönigt. Produktive Auslastung der Kapazitäten war damals immer auch an die Rüstungsindustrie gebunden. Wo dies anders zu sein schien - in der Bundesrepublik Deutschland während des Korea-Krieges, in Skandinavien und Japan -, wurden die zivilen Lücken genutzt, die die Warfare States ihnen übrig gelassen hatten.
Ist der jetzige Kapitalismus - gemessen an irgendwelchen Wunschbildern - parasitär? Die Antwort: Im Prinzip ja, aber nicht erst seit heute. Von Anfang an schon beruhte er auf dem arbeitslosen Einkommen von Eigentümern aus der Arbeit anderer. Auch Investitionen in die Produktion sind Spekulationen - nämlich auf einen künftigen Gewinn.
In seiner industriellen Form ist der Kapitalismus nunmehr über 200 Jahre alt, in seiner allgemeinen ein halbes Jahrtausend. Dennoch fällt es den Menschen, nicht nur hierzulande, offenbar schwer, ihn ohne Ressentiment oder Umbenennung wahrzunehmen. Vielleicht ist das nicht nur schlecht - zeigt es doch, dass sie sich noch immer nicht völlig mit ihm arrangieren konnten und dass das vielleicht auch gar nicht geht. Laut Marx stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann. Wird sie mit dem Kapitalismus vorderhand nicht fertig, muss sie sich etwas über ihn einbilden. So entsteht Religion.
Georg Fülberth