Der ewige Sozialdemokrat packt aus...
Seite 4 von 4 Neuester Beitrag: 02.09.08 15:55 | ||||
Eröffnet am: | 11.08.06 18:46 | von: Karlchen_II | Anzahl Beiträge: | 80 |
Neuester Beitrag: | 02.09.08 15:55 | von: PRAWDA | Leser gesamt: | 5.735 |
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Brücke zwischen Deutschland und Polen in Görlitz
30. August 2006
Der Schriftsteller Günter Grass will den Görlitzer „Brückepreis“ nicht annehmen. Einen entsprechenden Bericht der Online-Zeitung „FAKTuell“ vom Mittwoch bestätigte der Präsident der Gesellschaft zur Vergabe des Preises, Willi Xylander, auf Anfrage von dpa.
Nach seinem Eingeständnis, als Jugendlicher bei der Waffen- SS gewesen zu sein, hatten sich CDU-Politiker gegen eine Vergabe der Auszeichnung ausgesprochen. Xylander will Grass in einem Gespräch nun umstimmen. Die Jury halte an ihrer Entscheidung fest. Grass sollte die mit 2500 Euro dotierte Auszeichnung im November erhalten. Seine Darstellung der Geschichte von Polen und Deutschen sei exemplarisch für die Geschichte Europas und der Europäer im 20. Jahrhundert, hatte es bei der Zuerkennung im März zur Begründung geheißen.
Text: dpa
MfG
kiiwii
Anmerkungen zum jüngsten Buch von Günter Grass
Von Arno Lustiger
Wer jene Fäulnis, die lange hinter der Zahnpasta lebte,
freigeben, ausatmen will, muß seinen Mund aufmachen.
"Kleine Aufforderung zum Großen Mundaufmachen", 1960
Wir lesen bereits auf der dritten Textseite des Buches "Beim Häuten der Zwiebel": "Schon ist widerlegt, was jeweils auf Wahrheit bestehen will, denn oft gibt die Lüge oder deren kleine Schwester, die Schummelei, den haltbarsten Teil der Erinnerung."
Günter Grass hat in seinem Buch die vielleicht allerletzte Chance verpaßt, sein Renommee als Warner und Moralist zu retten, statt dessen bietet er an allen entscheidenden Stellen Filmrisse. Darum drängen sich mir einige Anmerkungen auf:
Der einfache Anstand hätte es geboten, vor der Bitburg-Zeremonie, wo mehrere seiner SS-Waffenkameraden begraben sind, mit der Wahrheit herauszurücken. Was für eine verpaßte Gelegenheit, der Nation die Gründe für die Verführungen und Verirrungen einer ganzen Generation am eigenen Beispiel zu erläutern.
Grass hat sich in einem Rekrutierungsbüro der Waffen-SS in Dresden zum Dienst, vermutlich freiwillig, gemeldet, denn der Einberufungsbefehl hat sicherlich Danzig als Gestellungsort genannt. Auch hierzu gibt es einen Gedächtnisfilmriß. Übrigens, mehrere Leserbriefe seiner SS-Waffenkameraden in der F.A.Z. widerlegen diesen Teil seiner Autobiographie.
Grass hat angeblich erst nach dem Kriege von dem System erfahren, das "die Vernichtung von Millionen Menschen geplant, organisiert und vollzogen hatte", wie er in seinem Buch schreibt. Erst die Aussagen "seines" Reichsjugendführers Baldur von Schirach beim Kriegsverbrecher-Tribunal in Nürnberg haben ihn davon überzeugt. Die "nachwachsende Scham" hat den mitleidheischenden Grass daran gehindert, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Die ersten Schüsse des Zweiten Weltkrieges fielen am 1. September 1939, als der Panzerkreuzer "Schleswig-Holstein" die polnische Festung Westerplatte vor Danzig beschoß. Am gleichen Tage wurde das Gebäude der Polnischen Post in Danzig angegriffen. Fünf Verteidiger fielen, 58 Postbeamte kapitulierten. Wenige Tage später wurden sie alle völkerrechtswidrig erschossen, unter ihnen auch Franciszek Krause, der enge Verwandte von Grass' slawisch-kaschubischer Mutter. Die Ermordung der polnischen Postbeamten zählt zu den zeitlich ersten Kriegsverbrechen des "Dritten Reichs". Von nun an wurde die ganze Verwandtschaft Krause von der Nazifamilie Grass mit einem Bannfluch belegt. Das war interfamiliärer Rassismus.
Grass behauptet, daß er an die Echtheit der Fotos über die Greuel in den Vernichtungslagern nicht glaubte. Das halte ich für eine billige Ausrede. Viele SS-Soldaten erzählten ihren Kameraden oft von den Mordtaten, manche tauschten sogar Fotos von den Hinrichtungen.
Im nur sechsunddreißig Kilometer von Danzig entfernten KZ und Vernichtungslager Stutthof wurden zwischen dem 2. September 1939 und 1. Mai 1945 von den 115 000 Häftlingen 65 000, teilweise in Gaskammern, ermordet. Jedem Danziger waren die Existenz des KZ Stutthof und die Massenmorde dort bekannt.
Die Behauptung von Grass, daß er mit direktem Rassismus erst dann konfrontiert wurde, als er hörte, wie weiße GIs ihre schwarzen Kameraden "Nigger" nannten, kommt mir angesichts der Millionen Opfer des deutschen Rassismus so lächerlich vor, daß mir dazu nichts einfällt, um mit Karl Kraus zu sprechen.
Die Juden von Danzig
Grass hat bei seinen Israel-Besuchen 1967 und 1971 Kontakt mit Danziger Juden, insbesondere mit dem Historiker der Juden Danzigs, Erwin Lichtenstein, aufgenommen. Mit dessen Dokumenten hat Grass in seinem Buch "Aus dem Tagebuch einer Schnecke" von 1972 unter anderem das Ende der jüdischen Gemeinde Danzigs und das Schicksal einiger Juden seiner Heimatstadt nachgezeichnet.
Im Pogrom am 12. November 1938 wurde auch die Synagoge im Vorort Langfuhr, wo die Familie Grass wohnte, zerstört. Später ließ der Danziger Senat die Auswanderung der Juden bis zum Herbst 1941 zu. Um die Kosten der Auswanderung zu decken, hat die Gemeinde 1939 ihren gesamten Grundbesitz verkauft. Die große Danziger Sammlung von 342 jüdischen Kunst- und Kultgegenständen wurde nach New York verkauft. Die letzten Danziger Juden wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Nur 22 Mischehepaare blieben am Leben.
Erst 1980 wurden die inzwischen vergessenen Schätze in einer großartigen Ausstellung "Danzig 1939. Treasures of a Destroyed Community" im New Yorker Jewish Museum vorgestellt. Grass wurde vom Museum in New York gebeten, eine Einführung zu verfassen, die im prächtigen, 1982 auch auf deutsch erschienenen Katalog veröffentlicht wurde. Der bewegende Beitrag endet mit folgenden Worten: "Wie sagen wir es den Kindern? Seht die Heuchler. Mißtraut ihrem milden Lächeln. Fürchtet ihre Segen. Die biblischen Pharisäer waren Juden, die gegenwärtigen sind Christen."
Grass, Auschwitz und die Wiedervereinigung
Am 27. Januar 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, hielt ich in der Feierstunde aus diesem Anlaß vor dem Deutschen Bundestag die Gedenkrede, in welcher ich, Auschwitz-Häftling Nr. A-5592, auch den Mißbrauch der Metapher "Auschwitz" beklagte:
"Am 13. Februar 1990, nur neun Wochen nach dem Fall der Mauer, sprach sich der Nobelpreisträger Grass gegen die Wiedervereinigung Deutschlands aus. In einer Vorlesung in der Frankfurter Universität hat er den Zivilisationsbruch Auschwitz mit dem deutschen Verlangen nach Wiedervereinigung konfrontiert. Er sagte am Schluß: ,. . . auch gegen ein Selbstbestimmungsrecht, das anderen Völkern ungeteilt zusteht, gegen all das spricht Auschwitz, weil eine der Voraussetzungen für das Ungeheure, neben den älteren Triebkräften, ein starkes, das geeinte Deutschland gewesen ist . . .'"
Mein Zwischenruf gegen diese falsche Einschätzung ging im Beifall für Grass unter. Ich halte diese Behauptung für skandalös, denn Grass propagierte das Weiterleben der staatsterroristischen, demokratiefeindlichen DDR als Garantie gegen die Wiederholung von Auschwitz und sprach damit unserer Republik die Möglichkeit der wirksamen Auseinandersetzung mit Hitlers Staat und dessen Verbrechen ab.
Zur gleichen Stunde hat mein Cousin, der Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger, im Auftrag des Papstes Johannes Paul II. die Gedenkrede in Auschwitz gehalten, wo seine Mutter, meine Tante Gisele, ermordet wurde
Grass über die Vereinigten Staaten und Israel
Im Juli 2004 veröffentlichte der Publizist Leo Ginster eine Studie über Grass' Weltsicht und insbesondere über Israel. Hieraus einige Zitate;
"Israel sollte sich von seinen Freunden nicht nur Hilfe gefallen, sondern auch Kritik bieten lassen. Nichts wäre schlimmer als das oberflächliche Harmonisieren der bestehenden Konflikte; nichts wäre beschämender als die kritiklose Feigheit vor dem Freund." Bei einem solchen Freund braucht man sich vor Feinden nicht zu fürchten.
"Israel muß aber nicht nur die besetzten Gebiete räumen. Auch die Besitznahme palästinensischen Bodens und seine israelische Besiedelung ist eine kriminelle Handlung. Das muß nicht nur aufhören, sondern rückgängig gemacht werden."
Grass fordert also nicht nur den Rückzug aus den besetzten Gebieten, sondern darüber hinaus wohl das Palästina vor der israelischen Staatsgründung. Israel hat sich aufzulösen, sonst wird es keinen Frieden geben.
"Wilhelm Gustloff" und "Cap Arcona"
Grass brauchte 57 Jahre, um in der Novelle "Im Krebsgang" von 2002 die größte Katastrophe der Seefahrtsgeschichte, die Tragödie des Schiffes "Wilhelm Gustloff", zu beschreiben, das am 30. Januar 1945 mit etwa 9300 deutschen Flüchtlingen an Bord von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde. Jeder trauert um diese Opfer in den letzten Monaten des Krieges. Ich aber trauere auch um 7500 Häftlinge des KZs Neuengamme. Es war geplant, die seeuntüchtigen Schiffe "Cap Arcona" und "Thielbek" mit den Häftlingen an Bord mit Dynamit zu versenken. Damit wollten die SS-Mörder Kosten für Verpflegung und Munition bei einem Todesmarsch sparen und gleichzeitig die Zeugen ihrer Mordtaten ertränken. Durch einen fatalen Irrtum der britischen Luftwaffe wurden die beiden Schiffe vor Neustadt in Holstein am 3. Mai 1945 versenkt.
Günter Grass hat also nicht nur seine SS-Vergangenheit lange verschwiegen, sondern auch das Elend des eigenen Volkes, die Leiden der Deutschen im Krieg. Aber solche traurigen Wahrheiten paßten eben nicht ins linke Klischee der antifaschistisch umerzogenen jungen Menschen. Und so überließen sie in Deutschland jahrzehntelang den alten und neuen Nazis das Monopol, solche peinlichen Wahrheiten offen auszusprechen.
Grass und der deutsche Widerstand
"Ja, wir haben bis heute so viele Widerstandskämpfer, daß man sich wundert, wie Hitler an die Macht kommen konnte." So Grass im Interview mit dieser Zeitung am 12. August 2006. Er weiß offenbar wenig vom deutschen Widerstand, wenn er ihn derart bagatellisiert. Grass war 1947 in Göttingen. Er schreibt: "Was aber suchte ich in Göttingen? Gewiß nicht die Universität." Das ist schade, denn er hätte am 7. März 1947 bei einer Veranstaltung der dortigen "Sozialistischen Gruppe" in der Universität einen Vortrag des Asta-Vorsitzenden und Jurastudenten Axel von dem Bussche über seinen Anteil an den Versuchen, das Regime zu zerstören, hören können, ein Regime, das Grass mit aller Kraft verteidigt hat. Von dem Bussche plante ein Selbstmordattentat auf Hitler und entging der Hinrichtung, weil er von den Mitverschwörern nicht verraten wurde und nach einer Beinamputation im Lazarett lag. Auch weitere Offiziere wie Tresckow, Gersdorff, Kleist und Breitenbach wollten Hitler, leider ohne Erfolg, töten. Fast alle bezahlten es mit dem Leben.
Der treue Waffen-SS-Mann Grass hat keinen Grund, sich über den christlichen "Mief" und über den Widerstand zu entrüsten. Der deutsche Widerstand war der längste und einsamste in Europa, weil ihn die Mehrheit der Deutschen damals ablehnte. Um so mehr müssen wir der wenigen und ihrer Opfer gedenken, ohne Unterschied der politischen Richtung.
Grass und die jüdischen DPs
Als Kriegsgefangener arbeitete Grass in der Küche einer amerikanischen Luftwaffeneinheit in Bayern und kam mit den dort ebenfalls beschäftigten jüdischen Überlebenden, displaced persons zusammen. Auch ich arbeitete bei den Amerikanern als DP und uniformierter Armee-Dolmetscher, nachdem mich eine amerikanische Panzer-Patrouille nach der Flucht vom Todesmarsch fand und rettete. Die jungen Leute, Juden und Deutsche, belegten sich gegenseitig mit Flüchen. Statt die Juden über ihre Erlebnisse während des Holocausts zu befragen, schrien sie: "Haut bloß ab, nach Palästina!"
Der Internationale Brückepreis von
Görlitz
Dieser Preis wird seit 1993 an Personen verliehen, die sich "um die Völkerverständigung in herausragendem Maße verdient gemacht haben". Zu den bisherigen Preisträgern gehörten unter anderen Freya von Moltke, Wladyslaw Bartoszewski und vor sechs Jahren ich selbst. In diesem Jahr sollte Günter Grass geehrt werden. Auf Befragen erklärte ich, daß ich dagegen sei. Grass ist leider gerade dabei, den moralischen Kredit zu verspielen, den er sich in den Jahrzehnten zuvor erarbeitet hat. Er hat auf den Preis verzichtet, um sich die Absage zu ersparen.
Grass war nie ein Dissident, sondern praktizierte immer die jeweilige political correctness um jeden Preis. Um so mehr schätze und verehre ich deshalb das Gegenteil von ihm, meinen lieben mutigen Freund Wolf Biermann, der mein Laudator in Görlitz war und den ich für das wirkliche moralische Gewissen Deutschlands halte.
Zum Schluß: Was verbindet mich trotz allem mit Günter Grass? Wir beide waren und sind große Schweiger und Verschweiger. Beide haben wir unsere Kinder über unsere Vergangenheit belogen. Auf die Frage meiner Töchter, was die Tätowierung an meinem linken Unterarm bedeute, sagte ich, daß das meine Telefonnummer sei. Ich schwieg über meine Erlebnisse in sechs KZs und über das Überleben von zwei Todesmärschen genau vierzig Jahre lang, bis 1985. Grass hielt es um 21 Jahre länger aus.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10.09.2006, Nr. 36 / Seite 28
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kiiwii
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Streit um SS-Bekenntnis
Grass attackiert die "FAZ"
Günter Grass hat sich mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" überworfen. Auf der Buchmesse beschuldigte er die Blattmacher, im Zusammenhang mit seiner SS-Mitgliedschaft sein Urheberrecht verletzt zu haben, die guten Sitten des Journalismus zu verhunzen und Methoden wie "Bild" anzuwenden.
Frankfurt am Main - Die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" habe sich im Umgang mit seinen Kriegserinnerungen nicht korrekt verhalten, sagte Grass, 79, auf der Frankfurter Buchmesse. Laut Nachrichtenagentur dpa hat der Literaturnobelpreisträger über seinen Anwalt Paul Hertin am Berliner Landgericht einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen die "FAZ" gestellt.
Autor Grass: "Wider bessere Kenntnis ein Bekenntnis"
Der Schriftsteller wirft der Zeitung eine Verletzung des Urheberrechts vor. Die "FAZ" hatte vor genau einer Woche zwei Briefe von Grass an den früheren Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller aus den Jahren 1969 und 1970 abgedruckt. Darin hatte Grass an den SPD-Politiker appelliert, seine NS-Vergangenheit offen zu legen. Die von der "FAZ" im Zusammenhang mit der Enthüllung der SS-Vergangenheit Grass' veröffentlichten Briefe seien "persönlich" gewesen und hätten nicht publiziert werden dürfen, sagte Grass in Frankfurt.
Der Angriff gegen das Blatt ging noch weiter: Die "FAZ" "verhunze" die guten Sitten des Journalismus. Sie trete als gutbürgerliches Blatt auf, greife jedoch zu Methoden, wie er sie nur von der "Bild"-Zeitung kenne. Er empfinde "Ohnmachtsgefühle" gegenüber der Medienmacht dieses Blattes, sagte Grass bei einem öffentlichen Interview mit dem "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo.
Auch das Aufsehen erregende SS-Geständnis sei nicht von ihm selbst initiiert worden. Die "FAZ" habe aus Passagen seines Erinnerungsbuchs "Beim Häuten der Zwiebel" "wider bessere Kenntnis ein Bekenntnis gemacht". Dass er Mitglied der Waffen-SS gewesen sei habe er keineswegs der "FAZ" gestanden, sagte Grass: "Das steht im Buch drin." Trotz der Aufregung über sein Geständnis würde er die Passage in seinem Buch heute noch genauso schreiben. "Ich würde mich aber nicht mehr mit der 'FAZ' einlassen."
Die "FAZ" hat die von Grass geforderte Unterlassungserklärung nicht unterschrieben. "Das öffentliche Interesse an diesen Briefen ist evident", sagte "FAZ"-Geschäftsführer Roland Gerschermann der dpa. "Deshalb hat sich die FAZ für eine Veröffentlichung entschieden, zumal die Briefe in einer Dissertation zitiert werden." Im Übrigen seien sie nicht an den Privatmann Karl Schiller gegangen, sondern an seine Dienstadresse als Bundeswirtschaftsminister in Bonn adressiert gewesen. Es gehe hier, so Gerschermann, um die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Person Günter Grass, der die Debatte durch sein verspätetes Bekenntnis, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, selbst ausgelöst habe.
Dagegen sieht Grass-Anwalt Hertin einen gravierenden Verstoß gegen das Urheberrecht. "Wenn das Schule macht, unveröffentlichte Briefe abzudrucken, dann müsste man allen Schriftstellern und sonstigen Urhebern sowie ihren Erben dringend empfehlen, unveröffentlichte Korrespondenzen umgehend aus allen Archiven abzuziehen."
Bei der Zeitung hält man die ganze Aufregung des Schriftstellers für unangebracht. Denn schließlich habe Grass durch das von ihm redigierte Interview in der "FAZ" die Öffentlichkeit vor Erscheinen seines Buches über seine Vergangenheit im Dritten Reich informieren wollen. "Grass hat die öffentliche Rezeption vollkommen unterschätzt", sagte "FAZ"-Feuilleton-Chef Patrick Bahners zu SPIEGEL ONLINE. Im Verhalten des Schriftstellers zeige sich die "tiefe Verletzung" Grass', aber auch seine Hilflosigkeit. "Er wusste ja, was er tat", sagte Bahners. "Er wollte das Interview bei der 'FAZ' veröffentlichen, und jetzt will er uns zum Sündenbock machen."
bor/dpa
© SPIEGEL ONLINE 2006
MfG
kiiwii
Ob der (außerdem bereits vorveröffentlichte)Brief von Grass an Schiller ein "Werk" im Sinne des Urheberrechtsgesetzes ist, darf im übrigen bezweifelt werden. Da versucht wieder mal jemand, das Urheberrecht zum Maulkorb zu machen.