Olympische Winterspiele 2006 in Turin
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Weltmeister Lambiel
Exzentriker auf dem Eis
Aus Turin berichtet Detlef Hacke
Unterschiedlicher können die Rivalen nicht sein. Wenn morgen der Herren-Eiskunstlauf beginnt, misst sich technische Perfektion mit künstlerischer Originalität: Europameister Jewgenij Pluschenko trifft auf Weltmeister Stéphane Lambiel. Der Countdown für das Goldduell läuft.
Auf dem Podium sitzen zwei Eiskunstläufer an einem Tisch, aufrecht und starr vor Schüchternheit, und wispern belanglose Antworten ins Mikrofon. Zäh verrinnen die Minuten - bis plötzlich die Tür auffliegt. Ein schmächtiger junger Mann mit angestrengter Miene weht hinein in den Konferenzraum, er zieht ein Rollköfferchen und seine Entourage hinter sich her. Voilà, der Weltmeister. "Bonjour", sagt Lambiel gehetzt, lässt das Gepäck samt Begleitern stehen und hastet quer über das Podium, hinüber zum einzigen freien Stuhl am Rand. Noch im Gehen streift er seine Winterjacke von den Schultern, bevor er sich leise seufzend setzt. Es ist ein simpler Pressetermin bei der Schweizer Meisterschaft, und Lambiel heischt sofort die Blicke.
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Was soll das sein? Etwa der inszenierte Auftritt eines Stars? Die Wahrheit ist viel schlichter: Lambiel ist es unangenehm, zu spät zu kommen. Statt die Aufmerksamkeit auszukosten, schaut er geistesabwesend auf den Boden und in die Luft. Er schiebt die Ärmel seines Pullovers hoch und knabbert an einem Handgelenksbändchen. Auf Effekt zielende Posen sehen anders aus.
In der Welt des Eiskunstlaufs wimmelt es von Selbstdarstellern, die darauf trainiert sind, sich jeden Augenblick zu produzieren. Anders Lambiel: Er kriegt das nicht hin. Wer wissen möchte, in welcher Stimmung er ist, braucht ihm nur zuzuschauen und ein wenig abzuwarten. Sein impulsives Wesen hat Lambiel, 20, zu einem der weltbesten Eiskunstläufer gemacht. Vor elf Monaten wirbelte der Schweizer bei der WM durch den Moskauer Luschniki-Sportpalast und gewann den Titel. Er brach die Herrschaft der Nordamerikaner, Russen und Ukrainer, die ein Vierteljahrhundert lang den Männerwettbewerb dominiert hatten.
Und wenn die Läufer morgen in den olympischen Wettbewerb starten (19 Uhr Kurzprogramm), bahnt sich ein Duell um Gold an, bei dem Lambiel das Establishment wieder herausfordert: er gegen den Europameister Jewgenij Pluschenko, 23, den Silbermedaillengewinner von Salt Lake City 2002. Der Individualist aus dem Unterwallis gegen den Musterschüler des russischen Auswahlsystems.
Pluschenkos Weg beweist, wie hocheffizient dieses System arbeitet. Aus einem kränklichen Kind aus Sibirien, das die Mutter auf die Eisbahn schickte, um seine Gesundheit zu stärken, wurde in der St. Petersburger Trainingsfron ein Sprungwunder geformt. Pluschenkos Bewegungen sind elegant, weil sie an der Ballettstange geschult wurden, seine Schlittschuhtechnik grenzt an Perfektion. Die Zuschauer reagieren auf seine Programme fast immer gleich: mit respektvollem Applaus.
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Andererseits schwankt Lambiels Laune stark, auch für seinen Trainer ist er nicht immer berechenbar. Als er sich vorige Saison bei der EM anschickt, seine Kür zur melancholischen Filmmusik der "Truman Show" zu laufen, lässt er Grütter wissen, heute zeige er dieses Programm zum letzten Mal, sie sei zu intellektuell, die Leute verstünden nicht, was er damit ausdrücken wolle. Grütter schwant, auf welch großes Risiko sie sich einlassen: Bis zur WM sind es nur noch wenige Wochen; ein Programm sicher einzuüben, dauert normalerweise Monate.
Doch Lambiel legt los. Er wählt einen komplett anderen Musikstil, die kraftvolle Melodie des Heldenepos "König Arthur". Eilends entwirft er das neue Kostüm selbst, erst am Tag des Abflugs ist es fertig geschneidert. Prompt erweist sich in Moskau der Stoff an den Hosenbeinen als zu dick. Trotzdem fegt Lambiel temperamentvoll übers Eis, zeigt wilde Schritte und Pirouetten. Er begeistert sogar die Russen und lässt sie vergessen, dass ihr Held Pluschenko ein paar Stunden zuvor verletzt aufgeben musste. Diesmal ist Lambiels Botschaft unschwer zu begreifen: Hier ist euer neuer König. "Ich wollte allen zeigen", sagt er, "dass ich kämpfen und gewinnen kann."
Wenn er daran zurückdenkt, lächelt Grütter verschmitzt. Lambiel ist der Glücksfall seines Lebens, und "ich bin sein größter Fan". Seit 1965 trainiert Grütter in der Schweiz Eiskunstläufer. Einen Ausnahmeathleten wie Lambiel hatte er zuvor noch nie betreut, und er wird wohl auch nie mehr einen solchen bekommen. Grütter ist jetzt 63, und er ist kein Trainerfürst wie Pluschenkos Coach Alexej Mischin, dem die Talente aus einem Riesenreich zulaufen und der sich herauspickt, wen er für einen künftigen Olympiasieger hält.
Lambiels Karriere begann fern von Auslese und Förderung. Mit acht Jahren tauchte er in der Genfer Eishalle auf, in der Grütter arbeitet. Weil es im Provinzstädtchen Saxon keinen Trainer gab, fuhr ihn seine Mutter fast täglich 300 Kilometer nach Genf und zurück nach Hause, damit der Sohn für zwei Stunden aufs Eis konnte. Grütter merkte, wie schnell sich der Junge entwickelte. "Wenn er in einer Gruppe lief", sagt er, "hat man automatisch zu ihm hingeschaut." Aber Grütter und die Choreografin Salomé Brunner, die wöchentlich aus Zürich dazu stieß, erlebten auch bald die düstere Seite des Sensiblen. Wenn ihm eine Figur misslang, ließ er seinem Zorn freien Lauf. "Er wollte alles immer sofort können", sagt Brunner, 43. Als er in die Pubertät kommt, empfindet Grütter ihn als "charmantes Monster".
Vor eineinhalb Jahren eskalierte die Situation. Im September 2004 wird Lambiel am Knie operiert, zwei Monate muss er pausieren. Nach dem bestandenen Abitur ist er ohnehin in ein Loch gefallen, er grübelt und sucht Orientierung, durch die Verletzung wird er unausstehlich, er motzt und zickt, und Grütter greift zum letzten Mittel: Er trennt sich von Lambiel. Aber es dauert nur bis Januar, bis der Verstoßene reumütig anruft und Grütter ihn wieder aufnimmt. Zwei Monate später ist Lambiel Weltmeister. Heute sagt er: "Ich bin ein Mensch der Widersprüche. Vielleicht musste ich erst ein wenig erwachsen werden."
Warmer Rücken, kalte Flügel
Vor allem hat er gemerkt, wie verloren er ohne seinen Kokon aus vertrauten Personen ist, wie sehr er diese Welt braucht, um erfolgreich zu sein. Alle um ihn herum, ob Trainer, Choreografin, Physiotherapeutin oder Pressesprecherin, sie alle erledigen nicht bloß ihre Jobs, sondern bilden eine Kolonie aus Jüngern und Musen, die das Genie bei Laune halten. "Mein Team gibt mir Struktur und Halt", sagt Lambiel, "ich bin der Kreis in einem Quadrat."
Wie vergeblich die Mühe ist, ihn von einer Idee abbringen zu wollen, die er sich in den Kopf gesetzt hat, erlebte Brunner, als es darum ging, die Kür für den olympischen Winter zu erschaffen. Als Lambiel zu ihr kam, um die passende Musik auszusuchen, hatte er sich längst entschieden, zu der Version des Popgeigers Nigel Kennedy von Vivaldis Klassiker "Vier Jahreszeiten" zu laufen. Zwar hörte er sich jene Stücke an, die Brunner und ihr Mann, ein Orchestermusiker, vorschlugen. Doch dann phantasierte er von einem Zebra, das er darstellen wolle, als ein Tier mit warmem orangenen Rücken und kalten blauen Flügeln. Und fand sich unbeirrbar großartig.
War seine Kreativität mit ihm durchgegangen? Brunner, eine nicht gerade phantasielose Frau, war "erst einmal geschockt über das, was er sich da zusammengereimt hatte. Wenn ich Vivaldi höre, kommt mir kein Zebra in den Sinn. Aber es ist kein schlechter Start, wenn man richtig durchgeschüttelt wird. Ich habe auf seine Vision vertraut." Ohnehin brauchen Preisrichter und Publikum nicht alles so genau zu verstehen, was sich der Läufer so denkt - solange die Kür schön aussieht.
"Ich bin zu weit weg"
Wenn man Oliver Höner solche Geschichten erzählt, nickt er meist nur undeutlich. Höner kennt sie alle. Er war einmal Lambiels persönlicher Manager. Es dauert nicht lange, um zu begreifen, warum er es nicht mehr ist. Höner, 39, das Haar makellos zurückgekämmt, sonore Stimme, ließe sich nie von irgendwelchen Künstlerzirkeln vereinnahmen. In Lambiels Kokon war er ein Fremdkörper. Lambiel, sagt Höner, "braucht diesen engen Kreis um sich herum. Ich bin zu weit weg."
Von Zürich aus organisiert Höner Reitturniere, ein Model-Casting und Pavarotti-Konzerte. Kunst ist für ihn Geschäft. Er war selbst ein passabler Eiskunstläufer und elfmal Schweizer Meister. Heute sind sein größter Erfolg die aufwendig inszenierten Shows "Art On Ice", in denen Eiskunstlauf- und Musikstars in vier europäischen Ländern auftreten. Kartenpreise ab 60 Euro. "Ein High-End-Produkt", sagt er. Dafür zahlt Höner gute Gagen, Lambiel und Pluschenko zählen zu seinen Attraktionen.
Diesen Winter ließen sich die beiden selten bei Eisshows engagieren. Olympia ist zu wichtig. Gewinnt einer von ihnen Gold, wird derjenige sich wahrscheinlich ganz auf die lukrativen Galas konzentrieren. Pluschenko, dreimal Welt- und fünfmal Europameister, spürt nach Jahren des Drills den Verschleiß am Körper. Und Lambiel? Auf dem Höhepunkt des Schaffens abzutreten, ist für einen Künstler eine allzu verlockende Geste. Und als Vollzeitkraft wäre er bei Höner willkommen: "Er spult sein Programm nie einfach so runter, sondern genießt die kreativen Freiheiten."
Hier die Hoffnungsträger;-)
SPIEGEL ONLINE - 14. Februar 2006, 00:54
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Dienstag-Vorschau
Deutsche mit großen Medaillenhoffnungen
Der Dienstag kann ein erfolgreichter Tag für das deutsche Team werden. Die Biathlonmänner sind Topfavoriten im Sprint, die Rodelfrauen gelten als unschlagbar, im Teamsprint der Langläufer ist Edelmetall drin - und im Eisschnelllauf ruhen Hoffnungen auf einer Außenseiterin.
Turin - Um 13.30 Uhr (Liveticker SPIEGEL ONLINE ) gehen die Biathleten auf die Sprintstrecke, und die ist bei den Skijägern 10 Kilometer lang. Michael Greis, Alexander Wolf, Ricco Groß und Sven Fischer bilden das deutsche Team. 20-Kilometer-Sieger Greis ist dabei der Topfavorit auf seiner Paradestrecke - doch die Norweger Ole Einar Bjørndalen und Frode Andresen werden ihm das Leben schwer machen.
AFPBiathlet Greis: Topfavorit auf seiner Paradestrecke |
Bei den Rodlerinnen (16 Uhr erster Lauf, 17.30 Uhr zweiter Lauf) heißt es: Man spricht deutsch. Nach den ersten beiden Läufen führen Sylke Otto, Silke Kraushaar und Tatjana Hüfner - das sieht nach einem Dreifachtriumph aus. Allerdings muss Hüfner die Amerikanerin Courtney Zablocki fürchten, die knapp hinter ihr auf Rang vier liegt.
Die Langläufer des erstmals im olympischen Programm vertretenen Teamsprints sind die Frühstarter dieses Tages. Jeweils um 10 Uhr (Liveticker SPIEGEL ONLINE) gehen die Zweiermannschaften der Frauen und Männer an den Start. Bei den Deutschen wurde Evi Sachenbacher-Stehle rechtzeitig noch das Startrecht zugesprochen, sie geht mit Viola Bauer auf die Strecke. Beide haben Aussichten auf eine Medaille, werden aber vor allem die Norwegerinnen Hilde Pedersen und Marit Björgen auseinandersetzen müssen. Zu beachten sind aber auch Kanada und Schweden. Das deutsche Männerteam wird gebildet von Jens Filbich und Andreas Schlütter. Topfavoriten sind die Weltmeister Ruud Hofstad und Tor Arne Hetland (Norwegen).
Im Eisschnelllauf ruhen die Hoffnungen auf Jenny Wolf. Die Sprinterin aus Berlin steht zwar im Schatten der Stars Anni Friesinger und Claudia Pechstein, ist aber in diesem Winter in Topform und strebt eine Medaille auf der 500-Meter-Strecke an (erster Lauf 16 Uhr, zweiter Lauf 18 Uhr).
Ohne deutsche Beteiligung verläuft die Kombination der alpinen Skiläufer der Herren. Die Abfahrt wird 12 Uhr gestartet, der Slalom 17 Uhr (Liveticker SPIEGEL ONLINE). Die Favorten sind Bode Miller (USA) und Rainer Schönfelder
Bronze für Schwarz-Rot-Gold: Martina Glagow (dpa) | |
Deutsche Medaille unter "belgischer Flagge"
Es war niemandem aufgefallen. Den Trainern nicht, den Funktionären nicht und auch nicht den Sportlern: Auf die Olympia-Mütze für die deutschen Biathleten und Kombinierer ist eine falsche Streifen-Kombination aufgedruckt: Schwarz, Gelb, Rot statt Schwarz, Rot, Gold. Erst als am Montag Martina Glagow die Bronzemedaille im Biathlon holte, sah man offenbar genauer hin. Die Mittenwalderin war ganz offensichtlich unter "falscher Flagge" unterwegs, namentlich unter belgischer.
Vor ihr waren bereits Biathlon-Kollege Ricco Groß und der Kombinierer Ronny Ackermann mit der Belgien-Mütze in der Spur gewesen.
Ausstatter nimmt's auf seine Kappe
Olympia-Ausstatter Adidas nimmt die kleine Peinlichkeit auf seine Kappe und entschuldigt sich. Der Fehler sei in der Schweizer Herstellung begangen worden, heißt es. Das Problem betrifft nur die Mützen. Auf den Anzügen der deutschen Biathleten, Langläufer und Kombinierer sind die Nationalfarben in der richtigen Reihenfolge. Bis zum Wochenende sollen neue, staatssymbolmäßig korrekte Kopfbedeckungen nachgeliefert werden.
Sorgen um den Medaillenspiegel muss sich Deutschland nicht machen. Glagows Edelmetall zählt ohne jeden Zweifel für Schwarz-Rot-Gold. Und Belgien? Das Königreich ist im Wintersport nicht gerade eine Großmacht, mit gerade mal vier Athleten in Turin vertreten. Einmal in der Olympiageschichte glänzte Schwarz-Gelb-Rot tatsächlich. 1948 in St. Moritz, als vier Belgier die Silbermedaille im Bobfahren holten. (N24.de)
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(Sorry, falls es ein JIMPS ist - habe kaum Zeit, diese Tage... Bin nur sporadisch hier...)
allerdings starten da insgesamt 10 Teams. Na dann mal viel Glück und Erfolg!
Beste Grüße vom Gesellen
Gold geht an Schweden, Silber an Kanada und Bronze an Finnland.
Sachenbacher-Stehle + Bauer belegen Platz 5
greetz joker
Damit Gold für die Schweden Tobias Fredriksson und Björn Lind, Silber für Jens Arne Svartedal und Tor Arne Hetland aus Norwegen und Bronze für die Russen Ivan Alypov und Vassili Rotchev.
Filbrich und Schlütter auf dem 4.Rang
zusätzlich gute Durchgangszeit auf der ersten Runde und liegt hinter Andresen auf dem 2.Platz!