Stadtschloss der PREUSSEN kann wieder enstehen!


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Neuester Beitrag: 21.01.06 15:32
Eröffnet am:21.01.06 01:05von: prochsikomiAnzahl Beiträge:14
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142 Postings, 6888 Tage prochsikomiStadtschloss der PREUSSEN kann wieder enstehen!

 
  
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21.01.06 01:05
Wunder geschehen!
Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses wird eine dringend benötigte Aufbruchsstimmung erzeugen
Thomas Paulwitz

Wir schreiben das Jahr 2015. Ein Vater nimmt seinen zehnjährigen Sohn mit zu einem Ausflug nach Berlin. Nach dem Besuch des Reichstages gehen sie zum Brandenburger Tor. „Hier hat einmal mitten in der Stadt eine große Mauer die Menschen getrennt“, erzählt der Vater. Der Junge schaut ungläubig. Er kann sich nicht vorstellen, daß hier, wo nun ununterbrochen über eine große Kreuzung der Verkehr rollt, eine Stadt, ein Land, ein Volk auseinandergerissen wurden: „Man sieht ja gar nichts mehr“, antwortet er, beinahe enttäuscht.

Sie gehen weiter „Unter den Linden“ in Richtung Alexanderplatz. Auf halber Strecke erreichen sie die Spreeinsel. „Das ist das Zeughaus, da ist das Alte Museum, da ist der Berliner Dom“, erklärt der Vater. Doch all diese großartigen Bauwerke scheinen sich nur auf einen einzigen Bau auszurichten. So erhebt sich unmittelbar vor den beiden das vor kurzem eröffnete, prächtige Berliner Stadtschloß. Der Vater wird still und schluckt. „Was hast du, Papa?“ Der Vater faßt sich: „Acht Jahre hat es gedauert. Nun ist es fertig.“ – „Was ist fertig?“ – „Unser Schloß!“ – „Unser Schloß?“

Der Vater hält einen Vortrag: „Eigentlich gibt es das Schloß schon lange. 1699 hat es der Architekt Andreas Schlüter zum bedeutendsten weltlichen Bau des protestantischen Barocks ausgebaut. Im letzten Krieg wurde das Schloß jedoch schwer von Bomben getroffen. Walter Ulbricht hat 1950 die Reste gesprengt und 1961 die Mauer errichtet, von der ich dir erzählt habe. Von 2007 an ist das Schloß wieder aufgebaut worden.“

Allmählich wird der Junge ungeduldig: „Aber warum ist es denn unser Schloß?“ – „Erstens ist es ein Teil unserer Geschichte und ein Symbol, zu welchen Leistungen wir fähig sind und zweitens...“ Der Vater deutet triumphierend auf das Schloß: „Siehst du den Stein dort oben in der Fassade? Den habe ich gespendet.“ Jetzt versteht der Junge: „Du hast also dabei geholfen, das Schloß wieder mit aufzubauen. Dann gehört ein Teil dieses Schlosses also tatsächlich uns?“ staunt er. „Ja“, antwortet der Vater und freut sich.

Rückblende in die Gegenwart: Wir schreiben das Jahr 2006. Während der Junge seine ersten Gehversuche unternimmt, geht es in der Hauptstadt dem häßlichen „Ballast der Republik“ endgültig an den Kragen. In „Erichs Lampenladen“, der bisher dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses im Wege steht, gehen für immer die Lichter aus.

Am vergangenen Mittwoch (18. Januar) rollten bereits die ersten Bauwagen für Arbeiter und Architekten auf die Baustelle, die den vor knapp 30 Jahren errichteten Palast der Republik unwiderruflich dem Erdboden gleichmachen werden. Das Wort „Palast“ war immer schon ein Euphemismus für die asbestverseuchte „Kaufhaus-Architektur ohne Bezug zur historischen Stadtstruktur“, wie es die Wiener Zeitung treffend bezeichnete.

In letzter Sekunde wollen verzweifelte DDR-Nostalgiker den Abriß stoppen. An diesem Freitag bringt die SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ im Bundestag einen Antrag ein, um „den für Januar 2006 geplanten Abriß des Palastes der Republik sofort zu stoppen und bis zum Vorliegen eines beschlossenen und finanzierten Anschlußprojektes auszusetzen“. Damit streben Gysi und Genossen nach eigenen Worten die „Aufhebung der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft“ an. Kann denn allen Ernstes die Abschaffung der deutschen Geschichte im historischen Kern der deutschen Hauptstadt das erklärte Ziel sein?

Der Antrag im Geiste der SED gilt als chancenlos, der Abriß kann beginnen. Mehr als ein Jahr soll er dauern. Ab Ostern 2007 könnte dann mit dem Wiederaufbau begonnen werden – wenn das Geld gesichert ist. Gutachter rechnen mit Kosten in Höhe von über 600 Millionen Euro, während Schloßgegner die astronomische Summe von über einer Milliarde Euro veranschlagen. Wenn zügig begonnen wird, könnte das Stadtschloß bis zum Jahr 2013 in neuem Glanz erstrahlen. Die Finanzierung des Neubaus soll mit einer sogenannten Öffentlich-Privaten-Partnerschaft erreicht werden. Das bedeutet, daß neben dem Humboldtforum mit staatlichen Museen, wissenschaftshistorischen Sammlungen und Bibliotheken auch ein Luxushotel und eine Tiefgarage untergebracht werden sollen.

Der „Förderverein Berliner Schloß“ unter der Führung des Hamburger Kaufmanns Wilhelm von Boddien fertigt bereits Baupläne an und treibt das Projekt voran. Er will Spenden einwerben für die Wiederherstellung der Fassade, ganz so wie sie einmal war. Sie soll 80 Millionen Euro kosten. Der Verein sammelt seit Anfang des Jahres 2004 für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Bislang sind 11,4 Millionen Euro zusammengekommen (Stand: 30. November 2005). Die Einnahmen zwischen 1991 und 2003 – etwa 150 bis 250.000 Euro jährlich – waren allein dafür verwendet worden, das Stadtschloß wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken, was nach mühseliger Aufklärungsarbeit gelang: Am 4. Juli 2002 beschloß der Deutsche Bundestag den Wiederaufbau des Schlosses und bekräftigte diesen Beschluß nochmals am 13. November 2003.

Zahlreiche private Initiativen werden nun benötigt, um den Traum des Schlosses Wirklichkeit werden zu lassen. So sammelt die Privatbäckerei Schnell in ihren 40 Berliner Filialen nicht nur für den Wiederaufbau, sondern hat auch ein eigenes „Berliner-Schloß-Krustenbrot“ kreiert. Von jedem verkauften Brot gehen einige Cent in den Spendentopf, von jeder Schloßtorte ein Euro.

Jeder Bürger kann außerdem Schloßbausteine stiften. Teilbausteine sind bereits ab 50 Euro zu haben, ein ganzer Schloßbaustein kostet 250 Euro. Wer ein ganzes Portal mit seinem Namen verbunden sehen will, muß etwas mehr hinlegen: 2,5 Millionen Euro. Zum Vergleich: Für die Gala der Fußball-WM, die im Berliner Olympiastadion stattfinden sollte und jetzt abgesagt wurde, waren 25 Millionen Euro eingeplant. Unterdessen haben die Berliner Verkehrsbetriebe an einigen Fahrzeugen Werbung für den Schloß-Aufbau befestigt.

Die Wiedererrichtung des historischen Zentrums Berlins ist aber nicht nur eine Sache der Berliner, sondern eine nationale Angelegenheit, sogar mehr noch als der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Dieser hat gezeigt, wie begeisterte Bürger gegen alle Widerstände mit festem Willen etwas Großes erreichen können. Ein wiedererstandenes Berliner Stadtschloß nach historischem Vorbild wird eine Aufbruchsstimmung erzeugen, wie sie dieses Land dringend benötigt.

Wir Deutschen haben es in der Hand, ob der Vater im Jahr 2015 seinem Sohn wirklich „unser Schloß“ zeigen kann oder ob beide an einer riesigen Grill- und Liegewiese vorbeispazieren müssen.



Computersimulation des Berliner Stadtschlosses: Die Wiedererrichtung des historischen Zentrums der deutschen Hauptstadt ist eine nationale Angelegenheit



 

142 Postings, 6888 Tage prochsikomiOho entstehen sollte es heißen:)

 
  
    #2
21.01.06 01:12
sicher wird dieser beitrag ein herzenserwärmer, vor allem bei der ultralinken fraktion hier auf ariva.

was die kommunisten einst wegsprengten, muß wieder entstehen.

unglaublich, daß deren nachfolger im heutigen bundestag sitzen!  

95441 Postings, 8721 Tage Happy EndWieso?

 
  
    #3
21.01.06 01:13
Du postest bei ARIVA, warum sollten "die" dann nicht auch im Bundestag sitzen dürfen?  

142 Postings, 6888 Tage prochsikomiSozialismus ob Rot(PDS) oder BRAUN auf den MÜLL!

 
  
    #4
21.01.06 01:17
vor allem die wortverwandschaft beim nationalSOZIALIMUS ist schon befremdlich.


du hast recht. happy:)  

142 Postings, 6888 Tage prochsikomiEs ist sehr früh, zu früh

 
  
    #5
21.01.06 01:25
sozialismus sollte es heißen.

aber bei happy kann man wieder folgendes politische kindchenschema erkennen:

links = gut

rechts = böse  

42940 Postings, 8620 Tage Dr.UdoBroemmeKeinen Cent dafür!

 
  
    #6
21.01.06 02:02
Klares Signal Nummer Eins: Die Hauptstadt des Staates verzicht aktiv auf Utopien und Entwürfe, etwa einen internationalen Architekten-Wettbewerb für ein Guggenheim-Museum oder dergleichen. Sie setzt vielmehr auf das Exhumieren und Mumifizieren einer architektonischen Leiche aus den Zeiten des Großmachtwahns einer abgelegten Epoche.

Dieses Projekt entspricht der Großen Koalition, es gibt sich parteienübergreifend konsensfähig, und schon Ex-Kanzler Schröder wünschte sich, wenn er "aus dem Fenster" sähe, ein Stadtschloss zu erblicken.

Cui bono? Darum geht es. Denn zweierlei Begehren lässt sich hinter dem Stadtschloss-Phantasma lesen (by the way, der größte Trost ist, das das Ding für die marode Kasse der Republik schlicht zu teuer werden, und maximal Bauruine bleiben wird).

Dies sind die beiden Aspekte des Begehrens nach dem „Stadtschloss“:

Erstens: Das Begehren, etwas „Erhabenes“, ein gigantisches Zauberschloss der Patriarchen von einst wieder in Stein und unter Dach zu bekommen, also den Canyon zu leugnen, den der Zivilisationsbruch der Weltgeschichte bedeutet hat, und direkt anzuknüpfen an erloschene, vom Fortgang der Geschichte diskreditierte Gründermythen. Die infantile Perfidie dieses Harry-Potter-Plans ist kaum zu unterschätzen. In der neu-auf-altgemachten Auferstehung des Klotzes am Bein der Vergangenheit kann der wahre, historische Klotz, der, den wir nicht loswerden, umgedichtet und transfiguriert werden, auf eine Weise vielleicht, wie Diedrichsen sie das „CDU-Koksen“ nennt: Sich hinter der Kulisse modernen Verhaltens am Althergebrachten festkrallend, ohne Veränderung riskieren müssen. Es geht, halten wir das fest, um das Erstellen einer Kulisse für einen Historienfilm, in dem sich das Land neu-auf-alt erfindet und zugleich leugnet. Es geht um eine Phantasmagorie, für deren Verwirklichung jetzt in den Sparkassen Spendendosen aufgestellt werden, ein psychisches Winterhilfswerk der Gesellschaft der Gegenwart.

Zweitens: Das Begehren, mit dem physischen Ausradieren der „sowjetischen Kaaba“ im Zentrum von Berlin, also mit dem Abriss vom „Palast der Republik“, diesen Teil der Geschichte, die DDR in nuce, eins ihrer Herzstücke, das „andere Deutschland“, diese fortgesetzte Unterwerfung unter umgekehrten Vorzeichen („Völkerverständigung“, „Brüderlichkeit“) in den Orkus des Vergessens zu werfen. Damit sollen sowohl die unrühmlichen Loyalitäten der Bürgerinnen und Bürger des „anderen Deutschland“ weiter vergessen gemacht werden, es soll verdrängt werden, was einmal war, vom Spießigsten bis zum vage Utopischen, das im „Palast“ so lose wie staatstragend umhertrudelte.

Es geht also tatsächlich im doppelten Sinn darum, den „Ballast der Republik“ loszuwerden. Was nichts anderes darstellt, als eine einzige, großangelegte, sehenden Auges geplante, nicht-demokratische, politische Verdrängung. Dass und wie sie ein Skandalon darstellt, wird vielleicht erst die Nachwelt vollends erfassen können, Bastionen von Architektur-Soziologen und Kunstwissenschaftlern der kommenden Generationen. Einstweilen erklärt sogar einer der brillantesten Kunsthistoriker der Gegenwart, einer von denen, die Walter Benjamins „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ ihren Studenten als Hauptspeise auszuteilen pflegten, dass der Palast erstehen müssen, schon allein um jenem Baudenkmalschützer der Ex-DDR posthum Genugtuung zu verschaffen, der sich seinerzeit beim Abriss des alten Palastes, um den er gekämpft hatte, das Leben genommen hatte. In der Tragödie dieses Mannes mögen sich noch so viele anrührende Elemente vereinen, den Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses legitimiert sie, in retroaktiver Identifikation mit ihm, ganz sicher nicht.

Aber so wird jetzt gern gedacht, von links bis rechts in immer rein in nach „Mitte“.

Wie radikal anders sich mit dem Palast der Republik verfahren ließe, ja lässt, bewies das Projekt „White Cube“, der Space inside the Space, den Künstler und Kuratoren vorübergehend im Kern des Ex-DDR-Kerns untergebracht hatten. Im White Cube, zuletzt bei der Ausstellung zeitgenössischer Arbeiten von Berliner Künstlern zwischen den Jahren, entstand ein utopischer Raum par excellence, der sich ohne Pathos beidem widersetzte: Den Spolien der DDR-Diktatur und der hypertrophen, verlogenen, künftigen Baustelle. In diesem Raum schien alles möglich, jede Fantasie, jede Kritik, jede Position, jede Erkenntnis, solange sie sich auf Reflexion und Freiheit zurückführen ließ, um neue Optionen zu eröffnen. Wer den White Cube mit offenen Augen besucht hat, dem ist umso zorniger bewusst, was das Vorhaben „Stadtschloss“ in erster Linie symbolisiert: Eine gezielte Auslöschung von Möglichkeiten. Denk ich an Deutschland und die Macht, dann bin ich um den Traum gebracht – oder? Melancholie, also? Die wäre Aufgeben, und das würde dieser reaktionäre Strömung gut in den Kram passen. Darum kann es nicht gehen. Sondern darum, den internationalen Architekturwettbewerb wenigstens im eigenen Inneren stattfinden zu lassen, um die Resultate, wo es geht und Sinn hat, mit andern zu teilen.

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Never argue with an idiot -- they drag you down to their level, then beat you with experience.  

95441 Postings, 8721 Tage Happy Endproxi, Du solltest

 
  
    #7
1
21.01.06 02:11
nicht so viel in der "Junge Freiheit" lesen.  

185 Postings, 7219 Tage belliniWas versteht Madame von Berlin? Oder von Preussen?

 
  
    #8
21.01.06 02:40
Die Autorin





Caroline Fetscher, geboren 1958, schloss 1979 die Gruner und Jahr Journalisten-
schule in Hamburg ab, und studierte dann ab 1980 Literatur- wissenschaft und Psychologie an der Universität Hamburg, wo sie ihren Magister über koloniale Sprache und Afrikaklischees im Werk von Albert Schweitzer machte.

Von 1981 bis 1989 arbeitete sie hauptamtlich bei Greenpeace, die meiste Zeit als Chefredakteurin des Greenpeace Magazins. Ihr Spezialgebiet waren Atomwaffentest und der Atomwaffensperrvertrag. Als Publizistin schrieb sie unter anderem für den Spiegel, GEO, die Süddeutsche Zeitung und die taz. Seit 1997 ist Fetscher beim Tagesspiegel.

Zu ihren Schwerpunkten gehören die Region Südosteuropa, Menschenrechte, das Jugoslawien-Tribunal, transatlantische Beziehungen, Gender-Debatten, sowie soziale und kulturelle Themen. Buchveröffentlichungen: "Die Tropen als Text" (Europäische Verlagsanstalt, 1993), "Der Tropenkoffer"( dtv, 1994), "Srebrenica. Ein Prozess." (Suhrkamp, 2002)




ciao
vincenzo b.  

42940 Postings, 8620 Tage Dr.UdoBroemmeMoin BeMi, auch noch auf?

 
  
    #9
21.01.06 02:46
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Never argue with an idiot -- they drag you down to their level, then beat you with experience.  

185 Postings, 7219 Tage bellinida muß ein irrtum vorliegen

 
  
    #10
1
21.01.06 02:52



ciao
vincenzo b.  

42940 Postings, 8620 Tage Dr.UdoBroemmeNa wenn nich BeMi dann eben kiiwii.

 
  
    #11
21.01.06 02:56
Ist ja auch irgendwie egal :-)

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185 Postings, 7219 Tage bellinidas ist zuviel der ehre

 
  
    #12
21.01.06 03:02



ciao
vincenzo b.  

185 Postings, 7219 Tage belliniauch interessant von derselben dame

 
  
    #13
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21.01.06 03:10
2005: Die Farben der Naturkatastrophen und das Schwarze Weiße Haus


Als „Jahr der Naturkatastrophen“ suchen Jahresrückblick-Bastler „2005“ auf einen Nenner bringen. Gegen Ende Dezember wird es jedes Mal schwierig für die Fragmente produzierende Medienindustrie: Sie soll zeitlich und örtlich kontingente Ereignisse gebündelt und mit verknüpfendem Sinn versetzt noch einmal vor Augen führen und ein Großes Fazit ziehen aus Papst, Tsunami, Merkel, New Orleans, Abu Mazan, Gazprom usw. Geht natürlich nicht. Aber es muss sein, so das Branchencredo. Da tauchte nun dieser praktische Sammelbegriff auf: Jahr der Naturkatastrophen. Natur? Jedes einzelne der Desaster gilt es ja auch politisch zu lesen, unter anderem als Ergebnis defizitärer oder kurzsichtiger Planung.

Beim Heranbrausen der Tsunami-Welle fehlten südpazifische Frühwarngeräte, in New Orleans Versicherungspolicen für Häuser und Haushalt, in Pakistan und Kaschmir adäquate Bergungslogistik. Man spräche hier im Land sicher gerade von einer „Naturkatastrophe“, gäbe es nicht überall genügend Heizungen und solide, deutsche Schneeräumgeräte. (In der Ukraine setzt man sich jetzt, angesichts der Putin´schen Gas-Erpressung, mit so einem potentiellen Szenario auseinander.)

Auch erfuhr jede der Naturkatastrophen 2005 ihre jeweils eigene, spezifische politisch bis ideologisch gefärbte, mediale Reaktion.

Der „Tsunami“, das türkisblaue südostasiatische Tourismus-Unglück zog scharenweise Techniker, Meteorologen und Ozeanographen neben überlebenden, europäischen Resienden in die Fernsehstudios zur Befragung. Wie unzulänglich war die Technologie? Wie ungerecht sind Natur und Weltenlenker, wenn sie Hunderttausende mit einem gigantischen Wasserschlag aus dem Leben reißen? Das gelbbraun getönte Kaschmir-Erdbeben mit seinen Betontrümmern erinnerte daran, dass es Regionen gibt, an die wir uns nicht erinnern, und dass dort arme Teufel leben, an die sich deren eigenen Regierungen ebenso ungern erinnern wie die Milliardäre der frommen Öl-Scheichtümer, die ja keineswegs daran dachten, den muslimischen Brüdern und Schwestern massiv Hilfe zu senden, wonach allerdings selten gefragt wurde.

Anders erging es der Hurrican-Katastrophe in New Orleans, der schwarzen Katastrophe der Schwarzen. In pseudo-metaphysischer Erregung wurde sie gern laut oder flüsternd zu „Gottes Strafe“ für die Hybris der USA umgedichtet, oder sie gerann, eher säkular, zum triumphalen Beweis dafür, dass auch die USA ihre Schattenseite haben, den Ort, wo African Americans verlassen auf Wellblechdächern hocken und die US-Army erbarmungslos hungernde Plünderer jagt. Vor unsern Augen entfaltete sich das wahre Bild eines von Rachegöttern oder der eigenen Arroganz heimgesuchten antisozialen Polizeistaats, der ein Empire sein will und in Wahrheit nichts weiter ist als ein ethischer Bankrotteur und Blender, gelenkt von Profiteuren, die – nicht nur in den Augen des Iraners Ahmadinedschad – größtenteils „jüdisch“ sind. Ein Abgrund, die Vereinigten Staaten – man hat es ja gewusst, aber erst die kluge Natur brachte es voll ans Licht. Mithin kann „die Naturkatastrophe 2005“ uns im Rückblick, inklusive Opferkitsch und projektiver Zuweisungsdynamik, auch dazu dienen, ihrer Instrumentalisierung durch den Rest der Welt auf die Spur zu kommen. Interessant ist daher dieses signifikante Beispiel für den Antiamerikanismus, dem hier einmal mehr ein großes Spielfeld ausgebreitet wurde.

Als globales Ressentiment Nummer Eins deckt der Antiamerikanismus so zahlreiche Facetten des Politischen ab – und auf – dass es sich lohnt, ihn weiter im Auge zu behalten. Bleiben wir beim Ressentiment als solchem. Gelegentlich wird da zum Beispiel erklärt, das Misstrauen der „christlichen“ Kultur gegen die „jüdische“ verdanke sich nicht allein der Mischung von nationalistischem Romantizismus mit gläubigem Szientismus, sondern auch einem aggressiv verhandelten "Ödipus-Komplex" der Sohnes-Religion der Christen gegenüber der älteren, der mosaischen Vater-Religion. Das führe unweigerlich zu Regression, da die von der väterlichen Kultur geforderte, kluge Trennung zwischen Natur und Kultur (daher: Das Gesetz) in der christlichen Ideologie aufgehoben werden soll. Übertragen wir solche sozio-analytischen Denkbewegungen auf das heute produzierte Schisma zwischen „USA“ einerseits und „Rest der Welt“ andererseits, in dem sich die seltsamsten Allianzen aus Demokratien und USA-feindlichen arabische Staaten ergeben, spiegelt sich in dem Schisma die generell und nicht allein in Europa zu beobachtende, Ödipalisierung der anderen Staaten gegenüber den USA.

Entstanden angesichts der „Potenz des Patriarchen der Weltpolitik“, dessen Handeln überall in der Welt die kleinen Länder als „Söhne und Töchter“ tatenlos, neidvoll, zerstritten und häufig blind für die eigenen, internen Konflikte zuzusehen verurteilt fühlen, birgt die Neid-Konstellation noch einen weiteren Affekt. Ihn zu erkennen erscheint fast wichtiger. Der Zweite Neid auf die USA entspringt mit großer Wahrscheinlichkeit der Furcht, das „kleine Jenseits des Nationalstaats“, dass die USA für sich und durch sich geschaffen haben, bilde eine Vorausprojektion des „großen Jenseits des Nationalstaats“ ab, auf das die Welt glücklicherweise zusteuert. Denn in den USA ist der Inhalt von „Nation“ seit ihrer Gründung anders codiert als in Europa, in den postkolonialen Staaten Asiens, Afrikas und Amerikas oder im Weltreich China. „An American National“ ist jeder, der auf dem Territorium der USA geboren wurde. Jeder und jedem, gleich welcher Provenienz, gehören juristisch, theoretisch und in der Gegenwart auch durchaus praktisch Verfassung, Flagge, Gründungslegenden und so fort, ganz gleich ob jemand hispanische, afrikanische, asiatische oder europäische („kaukasische“), gescheckte oder ungeklärte Herkunft aufweist. Wie anders Europas Regierungen und Öffentlichkeit die Frage der Citizenship ihrer Bürgerinnen und Bürger noch immer einordnet, bewiesen die Konflikte um nichtintegrierte Bevölkerungsgruppen, um „Parallelgesellschaften“ - wie anlässlich des temporären Ausbruchs von Anarchie in französischen Banlieus im Herbst 2005. Sie verwiesen auf ein Hauptproblem des aktuellen Europa, akuter und drängender als je zuvor. In den Jahresrückblicken blieben sie gleichwohl fast überall Marginalien oder wurden gleich ganz ausgespart.

Im „Schmelztiegel“ USA, dem ersten Vorboten einer Offenen Weltgesellschaft der möglichen Migration aller, vermischen sich die Herkunftsindizes inzwischen so sehr, dass das Angebot der neu konstruierten Identität als „Amerikaner“ nichts anderes bedeutet, als das eines post-nationalen (post-ethnisch, post-rassisch definierten) Citoyen dabei herauskommt. Nicht die Hybris Amerikas ist das eigentlich Bedrohliche, sondern die Hybridität seiner Staatsangehörigen, die alles in Frage stellt, was sich nach Ethnie, Nation, Clan, Sippe, „Blut“, Territorium und „Heimat“ organisiert sehen will. Dieser Umstand könnte an sich noch bedrohlicher auf New Europe wirken, wo Ethnizität und Nation jetzt serienweise retroaktiv konstruiert werden. Doch dort erinnert man sich daran, wer im Kalten Krieg zu wem hielt, und was Europas Intellektuelle unternahmen bzw. unterließen. So kann man das Modell Amerika großzügiger und vorurteilsfreier wahrnehmen, während es Old Europe weitaus heftiger erschreckt, ebenso die post-kolonialen Staaten, die arabischen Länder oder die lateinamerikanischen – überall dort hat sich Antiamerikanismus als Ideologie „rampant“ ausgebreitet. In den ehemaligen Kolonien europäischer Nationen regt sich, erstaunlicherweise, eher allgemeiner Unmut wider die USA, als gegen die britischen, belgischen, französischen, deutschen oder portugiesischen Colons von einst und deren fatale Hinterlassenschaften wie Korruption, willkürliche Grenzziehungen, brachiale Rohstoffausbeutung zu Ungunsten des Primärproduzenten, synthetisch produzierte „ethnische“ Konflikteskalation („Hutu“ versus „Tutsi“ und dergleichen mehr).

Retrospektiv werden die Vereinigten Staaten – selber eine ehemalige Kolonie mit einer stupenden Befreiungsgeschichte - in einer nahezu weltweit funktionierenden Phantasmagorie zum quasi einzigen „Mega-Colon“ konstruiert, den es je gab. Der „Rest der Welt“ ist faktisch, tendenziell oder potentiell „Opfer der USA“. Ob Indien und Pakistan einander atomar bedrohen wollen – egal, irgendwie stecken auch da die USA dahinter, wie sogar - nach Meinung von bis zu zwanzig Prozent der in Deutschland befragten - hinter den Attentaten auf die New Yorker Zwillingstürme 2001. Diese globale Schuld-Verschiebung, eine psychische Kontinentalverschiebung gewissermaßen, geschieht ausgerechnet in jener Phase der internationalen Entwicklung, in der Amerika, nach dem Ende des Kalten Krieges und nach den Massenmorden des 11. September deutlicher denn je erkannt hat, dass es in seinem eigenen Interesse liegt, dauerhafte Demokratien aufzubauen und zu unterstützen, als den zweifelhaften Status Quo zweifelhafter, autoritärer Regime zu erhalten.

Denn gegen die in der Vergangenheit häufig verfehlte und, etwa im Fall Lateinamerikas, phasenweise ans Paranoide grenzende Außenpolitik der USA setzt sich in diesen eine Erkenntnis durch, die Condoleezza Rice Mitte 2005 an der American University in Kairo offensiv und selbstkritisch formuliert hat: „We tried to obtain stability at the expense of democracy and we achieved neither.“ In Chile, Argentinien, Nicaragua, und fatalerweise im Afghanistan der Achtziger Jahre hatten die USA versagt, falsche Fraktionen unterstützt, Demokratie und Sozialstaat verhindert oder behindert. Die Quittung hätte verheerender nicht sein können – die lesson learned nicht luzider begriffen.

Nun regt sich im „Westen“ verspäteter oder verschleppter, ressentimentgeladener Einspruch, just dann, als in den USA sogar eine republikanische Administration von Democracy spricht und Democracy meint. Denn es handelt sich dabei weder um reine Rhetorik noch um die spontane Verwandlung einer mächtigen, kapitalistischen Demokratie in eine reine Menschenrechts-Agentur. Vielmehr haben die USA erkannt, dass kaum etwas für ihre Sicherheit, ihren Handel „and the world at large“ existentieller ist, als das Funktionieren transparenter, nicht-totalitärer Staaten - in denen kein Terror ausgebrütet wird. In der postnationalen Nation ist man den antiquierten Nationalstaaten einen Schritt mindestens voraus. Gewiss, es existieren im Weißen Haus wie im Pentagon mindestens drei Gruppierungen von Leuten mit unterschiedlicher Motivlage. Wer immer mit US-Diplomaten und Politikern off the record offen sprechen kann, weiß das und hört die Untertöne. Neben zutiefst überzeugten Menschenrechtlern, die von Afghanistan bis Zimbabwe bessere Verhältnisse wünschen gibt es krude Rechner, die von Irak bis Somalia Ruhe im Karton oder gut bewachte Pipelines wollen. Und es gibt eine erhebliche Anzahl an Leuten, die zwischen den Positionen differenziert zu vermitteln wie zu unterscheiden wissen, eine so ethisch empfindende wie pragmatische, demokratische Fraktion durchaus humanitär orientierter Business-Realisten.

Statt nun zu erkennen, dass der nach außen gestülpte McCarthyismus des Kalten Krieges tatsächlich beendet ist, dass die Epoche der Verfolgung aller Manifestationen von Individuen und Gesellschaften, die auch nur peripher mit Sozialismus, linker Sozialdemokratie, Kommunismus assoziiert waren, vorüber ist, blüht globales Anti-USA Ressentiment von attack bis Ahmadinedschad, im „Westen“ wie im Süden und Südostasien. Nur zum Teil hat Bush´s Administration sich das auch selbst zuzuschreiben, denn das Image der USA ist eine Frage auch der Kommunication, mitunter ein symbolpolitisches Fiasko. Wie konnte es geschehen, dass US-Soldaten der Kopf der zu stürzenden Saddam-Statue mit einer US-Flagge verhüllten? Keine Minute dauerte das Szenario, und trotzdem wusste man als Live-Zuschauer auf BBC oder CNN, dass dieses Bild um die Welt gehen würde, auch wenn Teile der Bevölkerung Bagdads noch so sehr jubelten. Zwar lag hinter der Selbstverständlichkeit mit der das Szenario ins Bild gesetzt wurde eher eine naive Nonchalance im Umgang mit der eigenen Rolle als Befreier als ein Gestus der Arroganz und Suprematie. Aber ein undemokratisches Umfeld auf der Suche nach Munition gegen den „Satan USA“ würde ein solches Symbole begierig aufsaugen, was ein guter Psy-Ops-Officer hätte wissen können. Mangelhafte und erratische „Communication“ ist sicherlich Mitverursacher eines symbolpolitischen Fiaskos, ebenso die Ignoranz mit der die seit Beginn des Jahrtausends attackierten Diktaturen vor Nine Eleven behandelt wurden. Weder die von der Schule ferngehaltenen Mädchen in Afghanistan noch Lage der Schiiten im Irak, von denen hunderttausende 1991 ihr Leben verloren, als die US-Armee sie im Stich ließ, hatten Amerika - oder Europa! – vor Nine Eleven besonders berührt und gerührt. Als das Interesse an ihnen allen wuchs und in Taten mündete, hätten die USA zuallererst ihre Fehler in der Vergangenheit eingestehen müssen, wie Bush und Rice es erst 2005 wirklich und wörtlich taten.

„Das schwarze Weiße Haus“ entstand nicht von ungefähr und nicht aus den Ressentiments allein, doch die Ursachen des globalen, ödipalen Epidemie „USA als erstes Feindbild bei rechts wie links, liegen keineswegs allein in der verfehlten Öffentlichkeitsarbeit. Vielmehr manifestiert sich offenbar in Deutschland, Europa und den anderen nach Meinungsumfragen deutlich als Anti-USA-Gesellschaften zu markierende, ein Begehren, im Prozess der bedrohten ongoing self-construction einen gemeinsamen Feind zu finden. In Deutschland zum Beispiel hatte ein – damals weitaus aggressiver auftretendes – Amerika nach 1945 eine andere Bedeutung erlangt – genau die, die heute verdrängt werden soll?

Am Nachbarhaus meiner Kinderzeit, in einer kleinen Straße in Frankfurt am Main, war eine Bronzetafel festgeschraubt. Anne Frank hatte in diesem Haus ihre ersten drei Lebensjahre verbracht. Ihr Leben und Sterben sei „unser Vermächtnis“ steht da zu lesen, unterzeichnet „die Frankfurter Jugend“. Wie es dem Nachbarmädchen später erging, erfuhren wir, wie hunderttausend andere Jugendliche auch, aus ihrem Tagebuch, das seine Funktion erfüllte, so sehr es auch instrumentalisiert, ikonisiert und sentimentalisiert wurde. 1945 waren die Sieger über den Faschismus gekommen: Etwas Besseres, begriffen wir, hätte nicht geschehen können als der Einmarsch der Alliierten – aller Alliierten. Auch und vor allem der Amerikaner. Amerikanische Militärs fuhren in Jeep und Uniform, durch die Stadt. Sie wohnten nicht nur in Frankfurt und Berlin in weitläufigen Siedlungen, unterhielten Junior High Schools, Baseballplätze und eine Radiofrequenz für ihr American Forces Network, AFN. „Amis“ in Jeeps gehörten Straßenbild, ihre Anwesenheit bedurfte keiner Fragen. Im Kopfarchiv findet sich eine weitere Szene. 1969 oder 1970 lud das Bürgerzentrum Haus Dornbusch ein vietnamesisches Mädchen ein, eine Augenzeugin des Krieges, gegen den man damals auf die Straße zog. Als Überlebende des Massakers von US-Soldaten im Dorf My Lai, wurde das Mädchen von Unterstützern der Vietcong weltweit auf Tournee geschickt. Sie war vielleicht dreizehn Jahre alt, sprach, einen Übersetzer neben sich, mechanisch und unbewegt über die grauenvolle Geschehnisse. Heute, mit unserem klareren Bewusstsein für Traumata, würde eine solche eine Tour de Force ebensoviel Entsetzen auslösen, wie damals die Geschichte des Mädchens selbst, die keiner vergessen konnte, der dieses Opfer eines amerikanischen Kriegsverbrechens wie einer linken Völkerschau erlebte, das im Namen des Anti-Imperialismus und des Friedens so erbarmungslos und arglos auf Bühnenbrettern gestellt wurde.

Die beiden Sphären – hier die zu Recht präsenten Army-Vertreter, dort die GIs im erbarmungslosen Kampf gegen Dörfler und Kinder – berührten einander kaum. „Die“ Amerikaner als Dämonen gab es nicht, sondern die gerade entstehende Kategorie der Menschenrechte. Um die Siedlungen der Amerikaner rankte sich kein Stacheldraht, es gab keinen Polizeischutz vor der Botschaft, allenfalls Demonstrationen vor offiziellen Einrichtungen. Latent präsent, war die Erinnerung daran, wie die Westalliierten unter der Leitung der Amerikaner in Deutschland zwischen 1945 und 1949 alle vorhandenen Strukturen umgekrempelt, wie sie mittels Reeducation und ab 1947 Reorientation die Hitlerjugend in Pfadfinder – nach dem Modell Boyscouts, Girlscouts - umgebaut hatten, dass sie Unterricht und Medien, Wirtschaft und Kultur das Signum der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verliehen hatten, mit einem Umbau-Aufwand, wie es ihn in der Geschichte noch nie gegeben hatte. Auch das geschah im Kalten Krieg und durchaus nicht ohne Eigeninteresse. Doch obwohl schon damals rechte wie linke reflexionsarme Antiamerikanismen in den öffentlichen Diskurs einschossen - McDonalds „überfremdet“ uns, „USA-SA-SS!“ als skandierte Demo-Parole – kam kaum eine dieser verkürzten Denkfiguren dem strukturell an Rassismus grenzenden Ressentiment nah, wie wir es heute bei uns und in weiten Teilen der Welt vorfinden.

Was ist passiert? Antiamerikanismus entsteigt trübem Wasser, das nur im Labor der Denkanalyse untersucht werden kann. Entnehmen wir eine Probe – nehmen wir an, die Tropfen seien die Worte der Antiamerikanisten. Wie sie von rechts wie links einander in einer neuen Mitte zu treffen drohen, wurde schon deutlich, als die Mainstream-Demonstranten vor der Militärintervention gegen die Hussein-Diktatur in einem Dauer-Delirium Hitler und Bush gleichsetzten, was bis heute immer wieder gern getan wird – obwohl jetzt Saddam Husseins Verbrechen in seinem Prozess zur Sprache kommen, obwohl unlängst im Irak die ersten freien Wahlen stattgefunden haben. Von radikalen Palästinensern über die Hausfrauen und Soziologie-Studenten europäischer Städte, von der post-faschistischen NPD bis zu großen „Volksparteien“ oder jenem Tagesthemen-Moderator damals, der sich dann für seine Parallelisierung von Osama bin Laden und George Bush entschuldigen musst, wurden den USA frevlerische, verbrecherische und krude ökonomische Motive nachgesagt. Das Wir-Gefühl jener Tage ergriff den Globus, malaysischen Kioskbesitzer oder brasilianische Gewerkschafter oder europäische Intellektuelle sind sich einig – schon dieser summarische Konsens sollte misstrauisch stimmen. Kondensiert findet sich ja in den Äußerungen der Antiamerikanisten „alles Übel“ dieser Welt. Ein bisschen zuviel, könnte man immerhin probeweise annehmen, angesichts der Vorurteile, Verschwörungsthesen, Ressentiments.

Obwohl Amerika gerade heute radikaler umdenkt, als lange zuvor, förderte das friedliche Ende des Kalten Krieges, an dem die USA größeren Anteil hatten, als irgendein anderer Staat oder Staatsmann, mit Ausnahme Gorbatschows (und der polnischen Gewerkschaften) eine groteske, dialektische Wendung zutage. Mit dem Aufbrechen der Blöcke – lustigerweise ist bei dieser Formulierung auch der gesamte Westen ein „Block“ – ging der Verlust der Antipoden, der Orientierung durch ein Wir-gegen-die-Schema einher, das sich solange ins Bewusstsein der Nachrichten-Macher wie -Konsumenten eingeschrieben hatte. Statt weiter den jeweils anderen „Block“ als das zentrale Bedrohungspotential der eigenen Gesellschaft definieren zu können, quollen aus den Fugen der zerbrochenen Blöcke in West wie Ost neue Nationalismen mit ihren jeweils einzelstaatlichen Mythen hervor. Ihnen tritt der allgemeine antiamerikanische Zorn entgegen, als Zorn einer (insgeheim verfeindeten und eifersüchtelnden) Brüderhorde wider den Vater, das „us-against-them“ weicht einem „US-against-all“ – eben weil das US der USA ein anderes us oder we buchstabiert, als das die „ethnisch“ ausgerichteten Nationalisten aller Länder wahrhaben und haben wollen.

Minxin Pei vom Carnegie Endowment for International Peace versuchte in der Zeitschrift Foreign Policy („The Paradoxes of American Nationalism“) schon vor zwei Jahren zu ergründen, was die USA in ihrem Fremd- und Selbstverständnis am meisten plagt. Er sieht den US-Nationalismus, anders als übliche und traditionelle Nationalismen auf universalistischen Idealen wie Demokratie, Recht und freier Marktwirtschaft basieren. Nahezu alle Bürgerinnen und Bürger der USA sind Immigranten oder Nachkommen von Immigranten: Der Blick einer solchen Gesellschaft ist daher zukunftsorientiert. Jenseits dieser Situation und dieses Konzepts sieht es anders aus. Dort entstammen die Nationalismen ethnischen, religiösen, sprachterritorialen Quellen, der Blick solcher Gesellschaften ist auf die entweder ruhmreiche oder leidvolle Vergangenheit (Helden und Opfer usw.) gerichtet. Für diese Unterschiede, folgert Minxin Pei, fehle den USA die empathische Ausstattung. Woher sollten sie sie haben? Jeder, der dort lebt, ist irgendwann der Enge solcher nationalistischen Gesellschaften entronnen, eine ziemliche Zahl als Flüchtlinge vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Faschismus. In der Tat sind die multikulturellen USA nicht nur der fortschrittlichste Staat der Erde mit dem ersten Ansatz eines „postnationalen Patriotismus“. Dabei sind sie in ihren Debatten über race and religion, affirmative action und political correctness, democracy and patriotism, business and entrepreneurship so sehr vom eigenen Bild oder Vorbild belegt, dass sie andere darin zu spiegeln wünschen, anstatt deren rückschrittliche – oder milder gesagt: deren andere - Realität zu erkennen. Sollte man solche Leute ranlassen, wenn es ans Projekt der globalen Demokratisierung geht? Pei und andere fragen das nicht – sie wünschen es sich ja. Und wünschen sich zugleiche von den USA mehr Bewusstheit eben dieser Konstellation (zukunftsorientierte vs. vergangenheitsorientierte Gesellschaft)

Immerhin hat „Democratisation“ als politisches Ziel unter der Ägide der USA schon mehrmals in der jüngeren Geschichte massiv und positiv gewirkt, ohne dabei kulturelle Eigenschaften in einem wegzuschwemmen (Japan, Korea, Germany).

Wenn Europa glaubt, soviel besser zu sein, warum sind dann die USA weltweit für Migranten immer noch begehrenswerter, als die meisten der EU-Länder? Weil Migranten die Perspektive haben, innerhalb weniger Jahre oder doch einer Generation dazuzugehören. Weil sie arbeiten dürfen. Eine Situation wie die von Asylbwerbern in Deutschland, die mehr als ein Jahrzehntlang hier festsitzen können, ohne arbeiten, studieren und ihren Wohnort verlassen zu dürfen, ist in Amerika schlicht undenkbar – auch, weil kein Sozialamt und keine Behörde verstehen würde, warum man in all den Jahren nur zahlen soll. Dieses Symptom allein ist indikativ für das, was wir in unserer „vergangenheitsorientierten“ Gesellschaft von einer zukunftsorientierten Gesellschaft kopieren könnten.

Hier sind wir wieder beim „Jahresrückblick 2005“, in dem New Orleans als Debakel der Vereinigten Staaten seine ostentative Rolle spielen soll, während die Banlieues Europas am Rand auftauchten, so wie sie selbst am Rand unserer Städte und unserer Wahrnehmung liegen bleiben. Sehr bald schon muss uns in Europa klar werden, dass wir „uns“ nicht in Abgrenzung zu den USA konstruieren können, sondern nur als Kosmopoliten und in vieler Hinsicht in Anlehnung an Amerika und dessen Erfahrungen. Wer nicht die Schiffe vor Lampedusa und Mellila kentern sehen will, die Banlieues brennen und die „Naturkatastrophen“ zählen will, den sollte die Demokratisierung und das Prosperieren der anderen Ländern mindestens so interessieren, wie die USA jetzt die Demokratisierung und Aufklärung des Mittleren Osten, Öl hin, Öl her. Stimmt: Von Schweden bis Malta gibt es bessere Sozialversicherungssysteme als die Leute in den USA, etwa in New Orleans. Dafür interessiert es uns kein Stück, dass man etwas weiter südlich der Union auf unserer Erde überhaupt keine hat. Es ist an Europa - und es liegt in unserm Interesse - so bald als möglich den alten Cocktail aus Ressentiments wegzukippen, um im Loslassen des ödipalen und anderer Anti-US-Ressentiments dahin zu gelangen, wo intelligentes Lernen möglich wird. In zwei Aspekten: Bei der Inklusion der „Anderen“ in den eigenen Ländern, und beim Mitarbeiten am globalen Projekt der Demokratisierung. Perfekt? Wird am Ende gar nichts. Nie. Aber viel besser.




ciao
vincenzo b.  

95441 Postings, 8721 Tage Happy Endproxi, Du fängst ja schon wieder an

 
  
    #14
21.01.06 15:32

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