Kaum zu glauben! Es gibt Schlimmere als Rot-Grün!


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Neuester Beitrag: 23.02.04 12:01
Eröffnet am:23.02.04 10:26von: wega2000Anzahl Beiträge:8
Neuester Beitrag:23.02.04 12:01von: moebiusLeser gesamt:1.675
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38 Postings, 7609 Tage wega2000Kaum zu glauben! Es gibt Schlimmere als Rot-Grün!

 
  
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23.02.04 10:26
( im Web gefunden )

Oh, war das eine Nacht!
Lars Jensen


Was Terroristen nicht schafften, erledigt nun Bürgermeister Bloomberg: Er nimmt New York das Leben.


In der Stadt, die niemals schläft, schlafen auch die Inspektoren nicht. Sie kommen nachts und in Zivil, um sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt New York sich nicht unbotmässig amüsieren. Nach Sonnenuntergang mischen sie sich unter die Menschen, die in den Restaurants, Bars und Klubs den Feierabend geniessen wollen. Geschickt werden sie von einer mysteriösen städtischen Agentur ohne Adresse und ohne Telefonnummer, der Multi-Agency Response to Community Hotspots (MARCH). Die Mission der Inspektoren lautet: Wer gegen die Regeln verstösst, kriegt einen Strafzettel.


Regeln gibt es eine Menge in der Stadt, die niemals schläft, sehr viel zahlreichere Regeln als in jeder anderen Stadt der freien Welt: In der U-Bahn die Tasche neben sich liegen zu haben, ist verboten. Auf einer leeren Bierkiste zu sitzen, kostet 105 Dollar Strafe. Ein Aschenbecher auf dem Konferenztisch ist bis zu 2000 Dollar teuer. Das sind allerdings die eher lächerlichen Vorschriften. Es gibt auch Verbote, die dem Lebensgefühl in dieser Stadt das Flair von Pjöngjang verleihen. Sie richten sich vor allem gegen das Nachtleben, und sie verderben den Menschen hier gehörig die Laune. Rauchen ist seit fast einem Jahr in allen öffentlichen Räumen verboten (Trinken von Alkohol auf der Strasse ist eh schon längst untersagt). Wenn sie tanzen wollen, müssen die New Yorker eine der raren Lokalitäten aufsuchen, die eine Cabaret-License besitzen. Willkommen, bienvenue!


Nicht alle mögen sich damit abfinden. Robert Prichard ist der Gründer der Dance Liberation Front (DLF), einer der mächtigsten Lobbyisten-Gruppen gegen das Tanzverbot. Er sagt: «Es gab zwei Orte in der Welt, wo das Tanzen nicht erlaubt war: New York und Afghanistan. In Afghanistan darf man seit einem Jahr tanzen.» Prichard übertreibt natürlich, aber seine Worte geben die Stimmung in der Stadt wieder: New York war lange bekannt für ein Nachtleben, das jenem im Rest der Welt sexuell, musikalisch, modisch um Jahre voraus war. Heute fällt es schwer, in den Ausgehvierteln East Village oder Greenwich Village eine Bar zu entdecken, die nicht auch in jeder Schweizer Stadt vorkommen könnte. Zwei Bar-Sorten teilen sich den Markt: die urige Bierkneipe und die im Wallpaper-Stil designte Trendbar. Richtig gute Laune kommt nirgends mehr auf.


Der ehemalige Bürgermeister Rudy Giuliani hatte das längst vergessene Tanzverbot von 1926 Mitte der neunziger Jahre reanimiert, um die Klubkultur zu zerstören. Seitdem ging die Zahl der Orte, wo Menschen tanzen dürfen, von 12000 auf 200 zurück. Nun ist der Zorn in der Bevölkerung so gross, dass die Administration des amtierenden Bürgermeisters Michael Bloomberg fieberhaft an einem neuen Gesetz zur Regulierung des Nachtlebens arbeitet. Das New York Nightlife Law, das vor sechs Wochen präsentiert wurde, sieht eine neue Lizenz vor für alle Betriebe, die länger offen haben wollen als bis ein Uhr nachts. Und sehr viele neue Möglichkeiten für die Inspektoren von MARCH, diese Lizenz zu kassieren.


In 15 Minuten war die Bar zugesperrt


David Rabin ist der Besitzer der Edeldisco «Lotus» und Gründer der New York Nightlife Association (NYNA). Die NYNA vertritt die Interessen der Barbetreiber gegenüber der Stadt. Seit das neue Gesetz in Diskussion ist, erlebt die Organisation einen Boom: 500 Mitglieder zählt die NYNA inzwischen. David Rabin sagt: «Wenn dieses Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, werden wir die Stadt nicht wiedererkennen. Es wäre das Ende des New Yorker Nachtlebens.»


Die New Yorker – viele von ihnen standen schon mal vor Gericht, weil sie ihren Hund nicht an der Leine hatten oder gegen einen Busch pinkelten – ärgern sich schon lange darüber, dass sie von der Stadt wie kleine Kinder behandelt werden. Sie fragen: Soll unser liberales New York ein Polizeistaat werden? Warum mischt sich die Verwaltung immer stärker in unsere privaten Angelegenheiten ein? Norman Siegel, ehemaliger Präsident der New York Civil Liberties Union und Anwalt vieler Barbetreiber, sagt: «Der Kampf um die Freiheit im Nachtleben ist ein Kampf um unsere ureigensten Bürgerrechte. Es kann nicht angehen, dass uns vorgeschrieben wird, wie, wann und wo wir uns zu amüsieren haben. In einer Demokratie müssen das die Bürger selber entscheiden können.»


Geschichten wie die von Dominique Keegan, 31, gehören zum Alltag von New York: Im August 2000 eröffnete er die «Plant Bar» im East Village. Schnell war die für New York typische Nachbarschaftsbar einer der attraktivsten Orte im Nachtleben. Nicht nur, weil der Raum so klein und gemütlich, der Eintritt frei, die Drinks günstig und die Mädchen so fröhlich und hübsch waren. In der «Plant Bar» legten regelmässig einige der besten DJs der Welt auf: Fat Boy Slim spielte hier, Felix Da House Cat, Princess Superstar und DJ Hell kamen vorbei. Keegans einziges Problem war, dass er keine Cabaret-License hatte. Also brachte er am Eingang einen Knopf an, den der Türsteher drücken sollte, sobald jemand auftauchte, der wie ein Inspektor aussah. Auf Knopfdruck würde die Musik des DJ verstummen und untanzbare Musik von Radiohead anlaufen.


Der Inspektor kam im April 2002 und sah leider nicht aus wie ein Inspektor, sondern wie ein DJ. Keegan erinnert sich: «Der Typ bestellte eine Cola und rief meinem Barkeeper zu, er solle mich holen. Dann gab er mir einen Strafzettel: Sechzehn Leute beim Tanzen erwischt. Hundert Dollar Busse. Kommt das nochmals vor, sagte der Mann, «wird die Bar geschlossen, und dann wird’s teuer». Ein knappes Jahr später erschien ein anderer Inspektor und machte zwölf Personen aus, die sich auf der Tanzfläche heftig zur Musik bewegten. Keegan musste innerhalb von bloss fünfzehn Minuten seine Bar schliessen. Am nächsten Morgen war das Lokal «padlocked» – Polizisten hatten ein massives Vorhängeschloss angebracht.


Keegan war gezwungen, das Strafgeld zu überweisen, knapp 30000 Dollar (hundert Dollar für jeden Tag, der zwischen der ersten und der zweiten Busse vergangen war), dann erst durfte er das Vorhängeschloss entfernen. Die achthundert Dollar für den Schlosser musste er selber aufbringen. Ein paar Monate später öffnete Keegan wieder. Ohne DJs, ohne Tanzfläche und ohne genug Kundschaft. An den Wänden verkünden jetzt drei Schilder: «No Dancing Allowed», vorschriftsmässig 2,5 · 1,5 Fuss gross.


Etwa 3000 solcher Einsätze haben die Inspektoren von MARCH allein zwischen April 2002 und Juni 2003 absolviert, und sie haben dabei mindestens 150 Lokalitäten «padlocken» lassen. Sie verteilen Strafzettel, wenn sich die Nachbarn über Lärm beschweren, wenn sich mehr Gäste als erlaubt in einem Etablissement aufhalten oder wenn sie Zeugen einer Schlägerei werden. MARCH ist ein Zusammenschluss verschiedener städtischer Behörden, von der Polizei bis zum Hygieneamt, mit zwei Aufgaben: Geld einzutreiben und das Nachtleben in Schach zu halten.


Erfunden hat diese Einrichtung Rudy Giulianis Nightlife Enforcement Task Force. Sie führte seinen inzwischen weltberühmten und vielfach kopierten Null-Toleranz-Feldzug gegen alles, was er für kriminell hielt. Giuliani war überzeugt, dass die Klubkultur die Wurzel vieler Übel sei – von Schiessereien bis zum Drogenhandel. Einer seiner beliebtesten Sprüche lautete: «Nachtklubs sind wie Eimer voller Blut.» Die Taktik funktionierte auch deswegen so gut, weil sie keine Rebellion erlaubt. Der Betreiber einer Bar hat zwei Möglichkeiten: Entweder er sorgt für Ordnung, oder er wird früher oder später erwischt und verliert seine Existenzgrundlage. Die Folge: Auch heute noch kann man es erleben, wie ein Wirt handgreiflich wird gegen tanzende Gäste.


Giulianis Nachfolger Michael Bloomberg übernahm 2002 eine wunderbar aufgeräumte Stadt, und viele New Yorker hofften, der Neue liesse sie nun wieder in Ruhe dem Nachtleben nachgehen. Sie hatten sich getäuscht. Bloomberg gab keine Ruhe, sondern führte Giulianis Null-Toleranz-Politik fort – mit einem Unterschied: Er drehte die Schraube noch ein bisschen fester an. Der Bürgermeister, der gerade mit dem Rauchen aufgehört hatte, erliess das Rauchverbot, was ihm den Vorwurf der Selbstherrlichkeit und katastrophale Umfragewerte einbrachte.


Was die New Yorker Bürger besonders deprimierte, war die Gleichgültigkeit der Opposition. Kein Demokrat traute sich, Bloomberg zu kritisieren. Unterdessen stattete der Bürgermeister die Tanzpolizei MARCH mit noch mehr Personal aus und zeigte auch in seinen Statements keinerlei Mitleid mit der Gastronomie: «Wenn die Leute weniger rauchen, ist das gut für die Gesundheit. Die Bars werden das schon überleben», erklärte er der New York Post. Diese Überheblichkeit ist wohl damit zu erklären, dass Bloomberg als Milliardär sowohl in seinem Stadthaus in der Upper East Side als auch in all seinen Wochenendhäusern Privatköche beschäftigt und abends das Haus nur zu Empfängen verlässt.


Protestmärsche gegen das Tanzverbot


Doch die Gastronomie ist nun einmal einer der wichtigsten Arbeitgeber in New York, eine der grossen Attraktionen für die 150 Millionen Besucher, die jedes Jahr in die Stadt kommen, Lebensmittelpunkt der Einwohner, die häufig in beengten Verhältnissen wohnen müssen. Zudem ist Bürgermeister Bloomberg auch nur ein ganz normaler Politiker, der wiedergewählt werden will. Immer mehr Widerstand organisierte sich gegen seine Politik: Die Tanzbefreiungsfront DLF rief zu Protestmärschen auf, zu denen Tausende Teilnehmer erschienen. Eine Raucher-Vereinigung namens CLASH kämpft inzwischen nicht nur gegen das Rauchverbot, sondern gegen alle Restriktionen in der Gastronomie. Bei der NYNA lenkt der Anwalt und ehemalige Lokalpolitiker Bob Zuckerman die Kampagne von seinem Büro im East Village aus. Nach bewährter amerikanischer Lobbyisten-Art will er seine Leute in allen Stadtteil-Parlamenten unterbringen. «Wir brauchen mehr Einfluss in der Stadt. Und wir fangen von unten an», sagt er.


Schade nur, dass die Organisationen nicht zusammenarbeiten, sondern sich gegenseitig unlautere Motive vorwerfen. Robert Prichard (DLF) behauptet, Zuckermans NYNA kämpfe gegen neue Gesetze, weil sie die grossen Klubs wie das «Lotus» vertrete, die bereits eine Lizenz besitzen. Bob Zuckerman erwidert: «Alles Quatsch. Nur ein Dummkopf kann glauben, dass die neuen Gesetze irgendjemandem helfen werden.»


Einer seiner Berater muss Bloomberg eine Sammlung mit den wütenden Artikeln vorgelegt haben, die in den New Yorker Publikationen – vom linken Stadtmagazin Village Voice bis zur rechten Kampfpresse New York Post – erschienen waren. Die New York Times fragte gar: «Sind wir in der Hand eines Tyrannen? Wird uns bald die Todesstrafe drohen, wenn wir uns amüsieren wollen?» Nach der Lektüre wird er verstanden haben, dass er nur Chancen auf einen Erfolg bei den Wahlen in etwas mehr als einem Jahr hat, wenn er seine Politik gegenüber den New Yorkern, die gerne trinken, rauchen, tanzen und/oder essen – also allen Bürgern seiner Stadt – ändert.


Auch die wirtschaftliche Bedeutung der «nightlife industry» konnte Bloomberg nicht länger ignorieren. Vor dem 11. September 2001 arbeiteten laut einer Studie der New York STAT etwa 220 000 Menschen in der Branche. Die Anschläge, die Wirtschaftskrise, Sars, der Irak-Krieg und ein verregneter Sommer sorgten dafür, dass zurzeit nur noch 160 000 Leute in der Gastronomie ihr Geld verdienen. Allein der Umsatz der Bars und Klubs war von vier auf drei Milliarden Dollar gesunken. Man kann sagen, dass Bloombergs Rauchverbot nicht gerade zu einem günstigen Zeitpunkt kam. Es kostete viele kleinere Bars noch mal ein Drittel ihres Umsatzes. Wahrscheinlich ist es ganz gut für Bloombergs Gesundheit, dass er so gut wie nie ausgeht.


Tanzen um den heissen Brei


Schliesslich liess der Bürgermeister nach seiner besten und wichtigsten Mitarbeiterin schicken: Gretchen Dykstra ist als Commissioner of the Department of Consumer Affairs zuständig für alles, was in der Stadt mit Handel und Kommerz zu tun hat. Die stets mütterlich dreinblickende Beamtin sollte das neue New York Nightlife Law entwerfen. Bloomberg hätte zu ihr genauso sagen können: «Gretchen, fahr nach Bagdad und sorg für Demokratie.» In der New Yorker Politik blockieren sich oft alle Seiten mit taktischen Tricks. Die Grundbesitzer, traditionell sehr mächtig, wollen Mieter, die viel Geld zahlen können; die Stadtteil-Parlamente verlangen Ruhe und Ordnung; die Lobbyisten der Nachtklubs müssen ihren Klienten die Lebensgrundlage sichern; jede einzelne Behörde möchte möglichst viel Einfluss gewinnen. Dazu kommt ein Problem, das es nur hier gibt: Das Stadtgebiet ist nach einem unverständlichen und veralteten Muster in Wohn- und Geschäftszonen eingeteilt, was zu extremen Ungerechtigkeiten führt. In einer Wohnzone (etwa 90 Prozent des Stadtgebiets) bekommt man heute grundsätzlich keine Cabaret-License. In der benachbarten Geschäftszone braucht ein Betreiber sie quasi nicht, weil die Inspektoren dort fast nie vorbeischauen.


Dykstra sagte: «Wir müssen das Nachtleben regulieren, um den Lärm und die Chaoten zu vertreiben.» Um Zeit zu sparen, sprach sie nie mit einem Vertreter aus der Gastronomie. Was sieht ihr Gesetz im Detail vor? Dykstra will die Cabaret-License abschaffen und durch eine Lizenz für alle Etablissements ersetzen, die länger als bis ein Uhr nachts geöffnet haben und Musik spielen, die lauter ertönt als 90 Dezibel (etwa die Lautstärke eines gut gefüllten Restaurants). 1200 Dollar soll diese Lizenz kosten, für zwei Jahre gelten und dann regelmässig erneuert werden. Dominique Keegan von der «Plant Bar» frohlockte bereits: «Wenn das Gesetz kommt, kann ich endlich wieder DJs spielen lassen.» Doch er freut sich wohl zu früh. Anruf bei Gretchen Dykstras Büro. Leider ist Dykstra selber nicht zu sprechen, also gibt ihre Assistentin Auskunft: «Wird man in einer typischen Nachbarschaftsbar wie etwa der ‹Plant Bar› in Zukunft tanzen können?»


Antwort: «Wo man bislang tanzen konnte, wird man auch in Zukunft tanzen können.»


«Wird man in Zukunft dort tanzen können, wo man momentan nicht tanzen darf?»


«Dazu kann ich nichts sagen.»


Es scheint, als folge das Gesetz einem fürs Nachtleben verheerenden Grundgedanken: Die Verwaltung soll noch stärkere Kontrolle ausüben können. Norman Siegel von der New Yorker Bürgerrechtsorganisation NYCLU erklärt: «Man kriegt heute in einer Wohngegend keine Cabaret-License, weil das Zonengesetz alle expressiven Tätigkeiten untersagt. Das Zonengesetz wird durch die neue Regelung nicht angetastet. Tanzen bleibt also auf 90 Prozent des Stadtgebiets verboten.» Dykstras Entwurf sieht eine fürs Nachtleben schädliche Zusatzregelung vor: Zwei geringfügige Vergehen – sagen wir eine Schlägerei und eine Ruhestörung – würden den Inspektoren genügen, um dem Betreiber die Lizenz abzunehmen. Im Nu wäre die Stadt, die niemals schläft, eine tote Stadt.


Allerdings hat Bloomberg selbst dafür gesorgt, dass die Zahl der Beschwerden wegen Ruhestörung explodiert ist. Seit Einführung des Rauchverbots stehen nachts Zehntausende Menschen vor den Bars, weil sie drinnen nicht mehr rauchen dürfen. Nach einer Umfrage des New Yorker Bar- und Klubbetreiberverbands NYNA halten sich an einem Samstagabend ein Viertel der Gäste eines Klubs vor der Tür auf. Manche von ihnen sind betrunken, sie schreien, sie telefonieren. Die Nachbarn wählen entnervt die Beschwerdenummer 311.


Bei der Diskussion um das Nachtleben in New York und die Arroganz der Administration geht es um mehr als die Öffnungszeiten von ein paar tausend Bars. Es geht um das Lebensgefühl einer ganzen Stadt.


Im Monatsmagazin Vanity Fair machten sich der Chefredaktor Graydon Carter und der Autor Christopher Hitchens lustig über die kafkaesken Zustände. Hitchens schrieb: «Heutzutage ist das Gesetz dieser Stadt eine klare Sache. Es besagt, dass sich New York City in der Hand der mittelmässigen Bürokraten befindet. Der gelangweilte Inspektor hat die Macht und der stumpfsinnige Cop, der seine Nase ins Regelbuch steckt, und der Beamte, der dem friedlichen Bürger das Geld aus der Tasche zieht, und ein Bürgermeister, der die abscheulichste und armseligste Kreatur von allen ist.» Bilder zeigen Hitchens, wie er all die verbotenen Dinge tut: rauchen, Tauben füttern, Füsse von den Velopedalen nehmen – ein Beamter der Stadt rechnete alles zusammen und schickte eine Zahlungsaufforderung. Auch Graydon Carter hat inzwischen dreimal 200 Dollar Strafe zahlen müssen. In seinem monatlichen Editorial-Foto lehnt er am Konferenztisch, und darauf steht ein Aschenbecher.


Verboten, verboten, verboten


Vielleicht ist das die Touristenattraktion der Zukunft, wenn alle Bars um eins schliessen: Einmal in die Mühlen der New Yorker Bürokratie zu geraten, das muss man erlebt haben.


Ich fuhr beispielsweise auf einem Velo im Schritttempo durch eine Wohnstrasse, ein offenes Bier in einer Papiertüte in der Linken. Ich lernte schnell: So etwas tut man in New York nicht. Nach fünfzig Metern stellte mich ein Polizist und notierte meine Vergehen:


- offenes Bier auf offener Strasse
- eine Hand zu wenig am Lenker
- kein Fahrradhelm
- mehr als zehn Meter Fahren auf dem Trottoir
- keine Klingel am Fahrrad (hört im Ernstfall sowieso niemand)
- verkehrt in die Einbahn fahren (tun eh alle).


Der Polizist überreichte mir sechs Strafzettel, der Gerichtstermin war bereits notiert: 2. Dezember.
Ich erschien pünktlich um neun Uhr und reihte mich in die Schlange aus Hausfrauen, Geschäftsleuten und Pitbullbesitzern ein. Dann durfte ich Platz nehmen im Saal und auf meine Verhandlung warten. Die meisten andern waren in Schwierigkeiten geraten, weil sie ein Hund nicht angekettet oder seinen Kot nicht entsorgt hatten. Schliesslich war ich an der Reihe: Ich trat vor den Richter, neben mich stellte sich ein ungepflegter, entnervter Mann, der mir als mein Anwalt vorgestellt wurde. Er war streng:


«Da haben Sie ja einen schönen Mist gebaut. Haben Sie eine Erklärung, warum Sie mit einem Bier in der Hand Fahrrad fahren?»


«Nein. Ähh. Entschuldigung.»


Der Anwalt sprach zum Richter: «Mein Mandant ist neu aus Deutschland in die Stadt gekommen und kannte die Regeln nicht. Ich plädiere auf Freispruch in allen sechs Verfahren.» Der Richter hatte einen guten Tag. Er liess mich gehen mit der Auflage, bei der Polizei einen Fahrradhelm vorzuzeigen. So funktioniert das Prinzip Null-Toleranz: Jede Kleinigkeit wird streng geahndet.


Nun will ja niemand wieder im New York leben, wie es vor Giuliani war. Er hat dafür gesorgt, dass statt 2500 nur noch 500 Menschen ermordet werden. Dank seiner Arbeit kann eine Frau um Mitternacht sorglos durch den Central Park spazieren. Und trotzdem denkt man mit Wehmut an die Zeiten, als nicht jede Ecke unter totaler Kontrolle war und der New Yorker Times Square kein Disneyland.


Gemeinsam haben die Politiker und die Hausbesitzer alles Wilde in dieser Stadt ausradiert – mit harten Gesetzen, immer mehr Strassenpolizisten und hohen Mieten. Das ist nicht neu, schliesslich wurde schon die Cabaret-License vor fast achtzig Jahren erfunden, um dem «wilden Treiben» in Harlems Klubs ein Ende zu bereiten. Doch so trostlos wie momentan war es nie: Gibt es einen Klub in New York, für den jemand aus Europa anreisen würde, bloss um dort eine Nacht zu verbringen? Nein. Im letzten Jahr eröffneten etwa zehn Klubs. Zumeist in den neuen In-Quartieren Chelsea und Meatpacking an Manhattans Westrand. Dorthin zieht es seit einigen Jahren Galerien und Boutiquen und nun auch die Klubs – weil die Gebiete zu einer Zone gehören, in der man eine Lizenz zum Tanzen erwerben darf.


Hohe Preise, miese Musik, wenig Spass


Ein Samstagabend in Chelsea reicht, um sich die Laune für eine ganze Woche zu verderben: Es ist Mitternacht, und in den Strassen stauen sich die Stretch-Limousinen, mit denen die «bridge-and-tunnel crowd» - neureiche Vorstädter - wochenends in New York einfällt. Wir versuchen unser Glück im «Lotus» (hätten auch ins «Marquee», «Bungalow 8», «PM», «Avalon», «Deep», «Crobar» gehen können, das macht keinen Unterschied). Nach einer Stunde lässt uns der Türsteher in den Klub; Sicherheitstest wie am Flughafen; Eintritt 25 Dollar pro Person; ein Publikum wie aus der Benetton-Werbung. Das Bier kostet 15 Dollar, meine Begleitung möchte ein Glas Champagner, ich verziehe das Gesicht und lege einen Fünfzig-Dollar-Schein auf den Tresen. Kein Rückgeld. Die Musik ist schlecht, die anderen Gäste langweilig. Wir bewegen uns trotzdem ein wenig. Da kommt ein riesiger Mann im schwarzen Anzug und mit Freisprechanlage am Kopf und brüllt: «Bewegt euch da rüber, aber schnell!» Wir hatten die fürs Tanzen vorgesehene Fläche verlassen. So sieht das Nachtleben aus, wie es sich die Vermieter und die Stadt wünschen: teuer und totalüberwacht.


David Rabin, der Besitzer des «Lotus», befürchtet, sein Klub müsse schliessen, sollte das neue Gesetz in Kraft treten. «Erst haben sie unsere Strassen sicher gemacht», sagt er. «Und jetzt wollen sie, dass wir unsere Häuser nicht mehr verlassen.» Am Donnerstag vergangener Woche konnten Rabin und die anderen 20000 Gastronomen einen kurzen Freudentanz vollführen: Bloomberg gab bekannt, das Gesetz werde wegen der Proteste überarbeitet. Nun hoffen alle, der Bürgermeister beginne, auf die Sorgen und Wünsche seiner Bürger einzugehen.


Vielleicht kann man denen noch das Konzept des "Blockwarts" verkaufen?
Oder ist das der Trend des uns aus den USA droht?


Wega  

13793 Postings, 9187 Tage Parocorpunglaublich o. T.

 
  
    #2
23.02.04 10:35

376 Postings, 7942 Tage godotich habe jahrelang in NY

 
  
    #3
23.02.04 11:21
gearbeitet, gelebt und gefeiert.
alles quatsch da theorie. wie will man ca. 10 mio
people kontrollieren?
glaubt weiter diese ausnahmen als regel oder

wartet doch lieber
auf godot  

38 Postings, 7609 Tage wega2000godot: War das in den letzen Jahren?

 
  
    #4
23.02.04 11:34
Die Weltwoche ist ja nicht gerade für BILD-like Artikel  bekannt :))
http://www.weltwoche.ch/...t_bericht.asp?asset_id=7039&category_id=60

Ich war in den letzten fünf Jahren nicht da gewesen, deshalb kenne ich die Situation nicht aus erster Hand. Die Raucher-Schikanen sind jedoch unbestritten. Neulich las ich in einen Spiegel(?)-Artikel von  dem nicht enden wollenden Strafzettel-Regen - wegen mickiger Kleinigkeiten.

Wega  

17174 Postings, 7629 Tage sue.vi weltklasse o. T.

 
  
    #5
23.02.04 11:43

15130 Postings, 8467 Tage Pate100kann man den artikel ernst nehmen?

 
  
    #6
23.02.04 11:46
wenn ja dann fällt mir dazu wirklich nix mehr ein...
wer so eine regierung bzw. in diesen Fall solche Bürgereister wählt hatt genau das verdient und noch viel mehr!



 

376 Postings, 7942 Tage godoterst wieder letzten Dezember

 
  
    #7
23.02.04 11:58
als nichtraucher finde ich das schon immer
sehr gut. vieles an kleinen verboten (öffentliches
saufen) ist lange bekannt und für Deutschland
nachahmenswert.
trotzdem sollte man sich zu bestimmten zeiten nicht unbedingt in "High Crime Areas" aufhalten (gebiet mit besonders hoher kriminalität). zu diesen gebieten gehört East Harlem nördlich der 96th Street oder der osten der Lower East Side höhe Chinatown (besonders nachts). in den anderen vierteln die South Side in Williamsburg, East New York oder teile der Bronx.

wartet lieber
auf godot  

1424 Postings, 8928 Tage moebiusUnd...

 
  
    #8
23.02.04 12:01
Grafitti Künster dürfen auch nicht mehr öffentlich arbeiten. Schlimm schlimm! Dabei heisst es doch immer in US Filmen, in denen Ungerechtigkeiten angeprangert werden: "It´s a free country" hahaha, von wegen free, das ist eingebildetet Freiheit!  

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