"Geldverdienen ist eine Gottesgabe"
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Eröffnet am: | 26.03.03 23:31 | von: Nassie | Anzahl Beiträge: | 4 |
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John D. Rockefeller erbaute ein Ölimperium. Konkurrenten trieb er in den Ruin, und am Sonntag fegte er die Kirche
Von Wolfgang Uchatius
Die Geschichte des John D. Rockefeller beginnt 303 Jahre vor seiner Geburt, und sie beginnt damit, dass Gott ein Freund des Geldes wird.
Oder zumindest, dass die Menschen anfangen, das zu glauben.
Es geschieht im Jahr 1536 nach Christus, und es geschieht in Basel. Der Reformator Johannes Calvin gibt erstmals seine Institutio Christianae religionis, Unterweisung in der christlichen Religion, heraus. Er schreibt von armen Seelen, die von Geburt an für die Hölle bestimmt sind, und von Auserwählten, auf die das Himmelreich wartet. Eine Frage aber bleibt: Woran mag der Mensch erkennen, wozu Gott ihn ausersehen hat?
Calvin stirbt, doch die Calvinisten leben weiter, und sie geben eine Antwort: Gottes Gunst lässt sich am Geld ablesen, am Lohn für die Fleißigen und Sparsamen. Damit ist geschaffen, was der deutsche Soziologe Max Weber später den kapitalistischen Geist nennen wird. Der Reichtum hat den Gestank verloren. Wer im Leben etwas leistet, hat nach dem Tod nichts zu fürchten. Größer könnte der Anreiz zum Arbeiten nicht sein.
Vom Vater zum Sohn, vom Bruder zum Nachbarn – der neue Glaube verbreitet sich über Länder, Ozeane und Jahrhunderte, er erfüllt Handwerker und Kaufleute, Bauern und Fabrikanten und beseelt schließlich einen Mann, der am 8. Juli 1839 in Amerika zur Welt kommt, in einem Städtchen namens Richford im Bundesstaat New York.
Einen Mann, der als kleiner Junge kiloweise Süßigkeiten ersteht und sie mit Gewinn an seine Geschwister weiterverkauft.
Einen Mann, der jedes Jahr seinen „Jobday“ feiert: den Tag, an dem er seine erste Arbeitsstelle antrat.
Einen Mann, der sagt: „Die Gabe, Geld zu verdienen, ist eine Gabe Gottes, ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen, so gut wir können.“
Einen Mann, der der reichste Mensch der Welt werden sollte.
Sein Name ist John Davison Rockefeller.
Seine Welt ist der wilde amerikanische Osten, Mitte des 19. Jahrhunderts. Millionen Einwanderer aus aller Welt strömen ins Land und wollen leben. Wo gestern noch Bäume wuchsen, stehen auf einmal Häuser und Fabriken, rollen Fuhrwerke und rattern Dampfmaschinen. Mittendrin: Johns Vater, ein Hausierer, der sich in den Dörfern gelegentlich als Arzt ausgibt und Ahnungslosen allerlei Essenzen als Medizin verkauft. Und Johns Mutter, eine gottesfürchtige Bauerntochter, die ihre Kinder mit Bibel und Birkenrute erzieht.
Das Paar hat vier Söhne und zwei Töchter, aber zu wenig Geld, sie anständig zu kleiden. In der Schule dürfen John und sein Bruder nicht aufs Klassenfoto, ihre Anzüge sind zu schäbig. „Ich erinnere mich nicht, jemals vernachlässigtere Kinder gesehen zu haben“, wird ein ehemaliger Nachbar sagen, viel später, als die halbe Welt „den Rockefeller“ kennt und die Journalisten und Biografen sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit machen.
Sie stellen fest, abgesehen von seiner Kleidung fiel der blasse und humorlose Schüler John den meisten Leuten nicht weiter auf. Seine Leistungen sind nicht überragend, außer in Mathematik. Kopfrechnen kann er wie wenige andere, und insofern ist es nur passend, dass John, inzwischen 16 Jahre alt und mit den Eltern nach Cleveland, Ohio, umgezogen, nach der Highschool eine Stelle als Buchhalter in einem Handelshaus antritt. Am 26. September 1855, dem Jobday.
Er sitzt dann mit Armschonern an seinem Schreibtisch und addiert Zahlen. Überträgt die Ergebnisse. Addiert. Überträgt. Addiert. Überträgt. Erledigt eine Arbeit, die andere Menschen langweilen würde, die ihn jedoch begeistert. „Die Systematik der Geldbeträge“ findet Rockefeller „herrlich“. Schon morgens um halb sieben ist er im Büro, wo er oft die halbe Nacht verbringt, obwohl er die freiwilligen Überstunden nicht bezahlt bekommt. „Arbeit befreite ihn, Arbeit gab ihm eine neue Identität“, wird der Rockefeller-Biograf Ron Chernow später folgern. Nur den Sonntag hält John sich frei. Da feiert er den Gottesdienst, da fegt er die Kirche, führt das Protokoll in den Sitzungen des Pfarrgemeinderates und unterrichtet die Kinder aus der Bibel. Von Anfang an spendet er einen Gutteil seines Einkommens der Kirchengemeinde, lebt anspruchslos und voller Abscheu gegenüber allem Geprasse.
Der amerikanische Bürgerkrieg kurbelt die Geschäfte an
Die Arbeit und der Glaube an Gott sind die Pfeiler in Rockefellers noch jungen Leben und werden es bis zum Ende bleiben, weitere Stützen braucht er nicht, um den Beifall der Menschen kümmert er sich wenig. Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung wird Rockefeller in einer Vorlesung einmal als einen Menschen bezeichnen, in dessen Bewusstsein nur Platz für ein einziges Wort war: ich.
Dreieinhalb Jahre nach dem ersten Jobday verweigert sein Chef ihm die gewünschte Gehaltserhöhung. Rockefeller glaubt, genug gelernt zu haben, er gibt seine Stelle auf und gründet ein eigenes Handelshaus, gemeinsam mit einem englischen Freund, Maurice Clark.
Die Geschäfte laufen glänzend. Weiterhin strömen die Einwanderer ins Land, Amerika wächst, der beginnende Bürgerkrieg kurbelt die Nachfrage noch an. Die Soldaten und Fabrikarbeiter benötigen Essen, die Bauern brauchen Saatgut. Clark & Rockefeller verkaufen es ihnen. Sie handeln in Ohio mit Bohnen, in Michigan mit Weizen, in Illinois mit Salz und Schweinefleisch, und bald fangen sie an, ein neues Produkt zu verkaufen, das in immer mehr Häusern des Landes die bisher meist mit Walfischtran betriebenen Lampen füllt: Erdöl aus Pennsylvania.
Mit dem Öl verhält es sich in diesen Tagen ähnlich wie Jahrzehnte später mit Computern oder dem Internet: Die einen glauben, es sei von nun an ein anderes Wort für Gold, die anderen fürchten, besonders lange werde sich damit kein Geschäft machen lassen. Auch Rockefeller zweifelt zunächst, doch dann kaufen er und Clark eine kleine Raffinerie, und da sie Gewinn abwirft, nimmt Rockefeller einen Kredit nach dem anderen auf, um das Ölgeschäft zu erweitern. Die Raffinerie wächst und wächst. Als Clark ob der schnellen Expansion Bedenken anmeldet, kommt es zum Bruch. Die Firma wird aufgelöst und zur Auktion angeboten. Sowohl Clark als auch Rockefeller beschließen, das Unternehmen zu ersteigern.
So kommt es, dass Anfang Februar 1865, an einem der letzten Tage des amerikanischen Bürgerkriegs, in einem kargen Büroraum in Cleveland zwei gegensätzliche junge Männer ihre finanziellen Kräfte messen. Der eine, Clark, fürchtet das unternehmerische Risiko, gibt sich privat aber gern pompös. Der andere, Rockefeller, hebt jede Paketschnur und jedes Stück Packpapier auf, aber wenn er einmal an eine Geschäftsidee glaubt, scheut er keine Gefahr. Clark nennt ihn den „größten Schuldenmacher, dem ich je begegnet bin“. Dieser asketische Erzkapitalist pariert ungerührt jedes Gebot seines Gegners mit einem höheren Betrag, sagt schließlich „72500 Dollar!“ – und hat gewonnen. Clark gibt auf, Rockefeller ist Herr über die bei weitem größte Raffinerie der Stadt. Später wird er sagen: „Ich verweise immer auf diesen Tag als den Anfang des Erfolges, den ich im Leben hatte.“
Es hätte leicht auch der erste Tag seines Untergangs sein können. Zwar wächst auch nach Ende des Bürgerkriegs der Hunger nach Öl. Immer mehr Lampen benötigen Leuchtstoff, immer mehr Maschinen brauchen Schmiermittel. „Statt der Baumwolle regiert jetzt das Öl die Welt des Handels“, schreibt 1865 der amerikanische Kongressabgeordnete James Garfield.
Aber auch immer mehr Menschen wollen mit dem in Pennsylvania geförderten Öl Geld verdienen. Ob Cleveland, Pittsburgh, New York, Philadelphia oder Boston – überall stehen die Raffinerien, und bald sind es zu viele. Da sich das von ihnen hergestellte Petroleum und Schmieröl kaum unterscheidet, können sie miteinander nur über den Preis konkurrieren. Wer am kostengünstigsten produziert, gewinnt.
Der Gewinner heißt Rockefeller. Anders als Gottfried Daimler, der Erfinder des Automobils, entwickelt er kein neues Produkt. Anders als Henry Ford, der Vater des Fließbands, entdeckt er kein neues Produktionsverfahren. Worauf Rockefeller baut, ist so banal wie revolutionär. Es ist die Macht der Masse. Mit seinem neuen Partner Henry Flagler, einem ehemaligen Salzfabrikanten, gründet er die Standard Oil Company, die erste Erdölgesellschaft der Vereinigten Staaten. Als eines der ersten Industrieunternehmen der Geschichte macht sich Standard Oil im großen Stil zunutze, was heute zum Grundwissen jedes Betriebswirtschaftlers gehört: die Economies of Scale, die Vorteile der Größe.
Rockefeller kauft Wälder und Dampfschiffe, er produziert eigene Ölfässer und verfrachtet sie selbst über die Kanäle und Seen, um sich nicht mehr von plötzlich steigenden Holz- oder Transportpreisen die Gewinnmargen verkleinern zu lassen. Er arbeitet mit Strohmännern und Spionen, kauft konkurrierende Raffinerien auf, legt einige still, legt andere zusammen. Er erhöht die Produktion, senkt dadurch zuerst die Stückkosten und dann die Preise, wodurch er weitere Rivalen zur Aufgabe und zum Verkauf zwingt. Innerhalb eines Jahres übernimmt Standard Oil allein in Cleveland 22 seiner 26 Konkurrenten.
Die riesigen Mengen an Öl, über die Rockefeller bald befiehlt, machen ihn zum begehrten Verhandlungspartner der Eisenbahngesellschaften, die sich darum reißen, das Öl Amerikas zu transportieren. Nur Rockefeller kann garantieren, ihre Züge zu füllen, und so muss sich im April 1868 der ergraute Eisenbahn-Magnat Cornelius Vanderbildt, genannt der Commodore, in das Büro dieses 29-jährigen gefühlskalten Emporkömmlings begeben, um ihn zum Vertragsabschluss zu bewegen. Rockefeller schlägt ein, die Eisenbahn gewährt ihm großzügigen Rabatt, was er dazu nützt, die Preise weiter zu senken und weitere Konkurrenten „zum Schwitzen zu bringen“, wie er sagt.
Wenige Jahre später hat sich das Spielfeld verändert, Öl wird jetzt in Pipelines quer durchs Land befördert, die wichtigste Spielregel aber ist immer noch dieselbe: Der Größte gewinnt. Rockefeller kauft ganze Landstriche auf, damit die Konkurrenz dort keine Rohre verlegen kann, und überzieht den Westen Pennsylvanias mit einem riesigen eigenen Pipeline-Netz. „Sobald ein Ölsucher auf Öl stieß, war Standard Oil da, um seine Quellen anzuschließen – das sicherte die Existenz des Ölproduzenten ebenso wie seine unwiderrufliche Abhängigkeit vom Konzern“, so Rockefeller-Biograf Chernow.
Die mächtige Unternehmensmasse wächst zum Monopol. Anfang der 1880er Jahre kontrolliert die Standard Oil mit ihren Tochterfirmen, inzwischen zusammengefasst in einer Holding mit Sitz am Broadway 26 in New York, rund 90 Prozent des amerikanischen Raffineriegeschäfts. Rockefeller konzentriert fast die gesamte Produktion auf drei riesige Raffinerien, die viel rentabler arbeiteten als die zuvor übliche Vielzahl kleinerer Anlagen. Jahrzehnte später wird der Harvard-Ökonom Alfred D. Chandler zu dem Schluss kommen, dass dieser Schritt die Gewinnspannen noch einmal fast verdoppelt und damit das Fundament gelegt habe für eines der größten Vermögen der Industriegeschichte.
Rockefeller verkauft sein Petroleum bis nach Asien und vor allem nach Europa, auch nach London, wo 1883 ein Mann stirbt, der wenige Jahre zuvor einen Satz sagte, der auf niemanden besser passt als auf den alle Rivalen verdrängenden Rockefeller: „Je ein Kapitalist schlägt viele tot.“ Es ist Karl Marx.
Rockefeller hasst Gewerkschaften und jede Art von Arbeiterbewegung, trotzdem ist er eine Art positiver Marxist. Wie der 20 Jahr ältere deutsche Philosoph glaubt auch er an die Unvermeidbarkeit von immer weiter wachsenden Unternehmen, von Kartellen und Monopolen. Während Marx in den Monsterunternehmen jedoch die Symptome eines siechenden Kapitalismus sieht, hält Rockefeller sie für lebenswichtig. Nur so lasse sich Ordnung in die chaotische Welt des Marktes bringen. Rockefeller, der Freund Gottes und des Geldes, empfindet sich als den Retter der Ölindustrie.
Kein Wunder, dass er nicht recht versteht, weshalb ihm zunehmend Hass entgegenschlägt. Es würde all die kleinen, aus dem Markt gedrängten Ölunternehmer womöglich besänftigen, hätte Rockefeller einfach das bessere Produkt. Doch ihnen bleibt bloß das Gefühl, von einem Riesen ruiniert zu werden, der nicht intelligenter ist, sondern nur stärker. Und vor allem hungriger.
Die Wut schwelt, langsam wächst in Politik und Öffentlichkeit das Gefühl, dass ein freier Markt den Schutz des Gesetzes braucht, um frei zu bleiben. Der Monopolist Rockefeller wird zum Symbol unheimlicher Wirtschaftsmacht. Doch es dauert Jahrzehnte, bis aus dem Gedanken ein Paragraf, bis aus dem Unmut ein Gerichtsverfahren und aus der Anklage ein rechtskräftiges Urteil wird. Erst im Jahr 1911 ordnet der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Zerschlagung von Standard Oil an.
Er verschenkt sechs Milliarden Dollar
Der Riese wird in 34 Teile zerlegt, aus denen Ölkonzerne wie Exxon, Chevron, Mobil und Amoco hervorgehen, aber da hat sich Rockefeller längst aus dem Management zurückgezogen. Hat von außen erlebt, wie die Glühbirne die Petroleumlampe überflüssig macht und wie das Raffineriegeschäft trotzdem weiterlebt, weil fast gleichzeitig das Automobil den Pferdekarren ersetzt. Hat sich ein wenig öfter seiner Frau und seinen fünf Kindern gewidmet, aber nur ein wenig, denn noch immer meidet er den Müßiggang, noch immer ist er viel beschäftigt. Jetzt nicht mehr damit, Geld zu verdienen, sondern es auszugeben.
Der reichste Mann der damaligen Welt wird auch ihr größter Spender. Nicht aus schlechtem Gewissen, wie manche mutmaßen, sondern weil er dies für den Wunsch Gottes hält. Das Geld, das der Herr ihm gab, will er nicht für sich behalten. Rockefeller ermöglicht die Gründung der University of Chicago, er finanziert das modernste medizinische Forschungsinstitut Amerikas, er stiftet Schulen, Museen und Bibliotheken. Insgesamt verschenkt er, nach heutigem Geldwert, sechs Milliarden Dollar.
Für sich und seine Familie hat er nicht ganz so viel übrig, er raucht nicht, trinkt nicht, geht nicht auf Partys und nicht ins Theater, seine Kinder bekommen weniger Taschengeld als ihre Mitschüler, und als der größte Kapitalist aller Zeiten 1937 im Alter von 97 Jahren stirbt, hat er ein Leben gelebt, das sich nicht so sehr von dem eines frommen Bauern aus Ohio unterscheidet. Er ist früh aufgestanden, hat hart gearbeitet, ging gleich danach ins Bett, und am Sonntag war er in der Kirche.
Nur dass er es nicht gern hatte, wenn der Bauer vom Nachbarhof ihm Konkurrenz machte.