Beitrag drucken | Ausgetrickst Wie der Einzelhandel mit Mitarbeiterinnen umgeht
Autor: Mirko Tomic SR | 26.10.2004 | 21.55 Uhr
Jeder von uns kauft gute Ware gerne dort ein, wo sie richtig billig ist. Aber was sie billig macht ist nicht allein das kaufmännische Geschick der Einkäufer, sondern auch deren gnadenlose Personalpolitik. Diesen Monat haben Spar und Schlecker angekündigt, Arbeitsplätze im großen Stil abzubauen. Die Methoden, mit denen die Einzelhandelsbranche schon lange still und leise, aber sehr effektiv, Mitarbeiter abbaut, werden immer subtiler. Gabriele R. kämpft um ihren Ruf Das Amtsgericht Hannover vor zwei Wochen. Gabriele R. in Begleitung ihres Ehemannes. Es geht in einem Strafverfahren um ihren Fall und den Discounter Lidl. Die Verkäuferin Gabriele R.: „Mein guter Ruf ist ruiniert worden, mein Name und mein Arbeitsplatz sind mir weggenommen worden und alles nur wegen so einer Falschaussage.“
Fünf Jahre hatte die heute 39-Jährige bei Lidl gearbeitet. Zuletzt in einer Filiale in Hannover. Dann ist Gabriele R. in Ungnade gefallen. „Ich habe dafür gesorgt, dass die Leute ihre Pause kriegen und nicht von morgens sieben Uhr bis abends 21 Uhr arbeiten ohne Pause. Das geht nun mal nicht. Dafür habe ich gesorgt und habe mich natürlich auch aufgeregt. Das habe ich auch dem Filialleiter und dem damaligen Bezirksleiter mitgeteilt. Und da steht man sich schon ein bisschen hoch mit den Leuten. Deshalb war ich auch ein bisschen unbequem, denke ich.“
Der Vorwurf Eines Tages wurde sie in den Aufenthaltsraum zitiert und von zwei Bezirksleitern in die Mangel genommen, erinnert sie sich weiter: „Der eine Bezirksleiter war sehr gereizt und sehr bestimmend. Ich hätte eine Flasche Brause geklaut. Ich habe immer wieder gesagt: „Das stimmt nicht.“ Und irgendwann war ich dann völlig fertig, weil die mir das immer wieder gesagt haben.“ Schließlich wollte sie ihren Mann zu Hilfe rufen, aber das wurde ihr verweigert: „Dann wurde mir mit der fristlosen Kündigung gedroht - oder aber ich hätte die Möglichkeit, einen Zettel zu unterschreiben. Und irgendwann habe ich dann diesen Zettel unterschrieben.“
Für die Gewerkschaft nichts Neues Der Zettel war ein Aufhebungsvertrag. Wer aufmuckt oder wegen seiner langen Dienstzeit Anspruch auf mehr Geld hätte, steht schnell auf der Abschussliste, weiß Gewerkschaftssekretär Peter König vom Fachbereich Handel in Ver.di: „In meiner täglichen Praxis erlebe ich es immer wieder und gerade bei Discountern, dass sie so versuchen, Personal abzubauen. Ein Arbeitgeber hat immer gewisse Probleme, gerade ältere Beschäftige zu kündigen. Er muss ja eine soziale Auswahl beachten, und da wird konkret mit den Vorwürfen Diebstahl und Veruntreuung gearbeitet. So versucht man, ältere Beschäftigte, die denen zu teuer sind, aus der Firma rauszuschmeißen.“
Gabriele R. wehrt sich mit allen Mitteln Als sich Gabriele R. wieder gefasst hatte, ging sie zur nächsten Polizeistation und erstattete Strafanzeige. Die Polizei ermittelte, und die Staatsanwaltschaft erhob schließlich Klage wegen Nötigung gegen die beiden Lidl-Bezirksleiter. Auf die Frage des [plusminus-Reporters an die beiden: „ Kann ich mit Ihnen sprechen über den Vorwurf, der Ihnen gemacht wird?“ gab es die lapidare Antwort: „Kein Kommentar.“
So kalt wie die Begegnung im Gerichtsflur war auch das Klima damals bei dem Gespräch im Aufenthaltsraum. Gabriele R. war allein auf sich gestellt, ohne Telefon, ohne Zeugen. Dafür will sie die beiden Lidl-Manger zur Verantwortung ziehen. Dabei ist es fast schon ein kleines Wunder, dass dieser Prozess überhaupt stattfindet, sagt Peter König von Ver.di: „Im Normalfall erleben wir auch bei der Staatsanwaltschaft kein großes Engagement, diese Praxis auch wirklich aufzudecken“
Kein Einzelfall Auch Schlecker arbeitet so. Wie bei Ilona O. Die 57-Jährige war dort fast sechs Jahre als Verkäuferin beschäftigt. Dann wurde ihr Kassenmanipulation unterstellt - in Höhe von 64 Euro - was sie vehement bestreitet. Vier Bezirksleiterinnen drängten sie in den Aufenthaltsraum, erinnert sie sich: „Im Aufenthaltsraum musste ich eineinhalb Stunden mit den vier Frauen verbringen. Ich wusste, dass ich nicht mehr raus komme, ohne dass ich den Aufhebungsvertrag unterschreibe. Das ist menschenunwürdig. In meinen Augen ist das Freiheitsberaubung, was die mit den Menschen machen.“
Der Psycho-Druck wirkt in den meisten Fällen Schon allein aus Angst vor Dorfklatsch und übler Nachrede sind viele Mitarbeiterinnen leicht erpressbar – völlig egal, ob an den Vorwürfen etwas dran ist oder nicht. Der Gewerkschafter Peter König: „Gerade bei Schlecker, die ja auch in kleinen Ortschaften vertreten sind, macht so was in der Ortschaft selbstverständlich die Runde. Da war ein Diebstahl. Also oft zerreißt sich die Ortschaft den Mund darüber, dass da einer gestohlen hat, was ja in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist. Aber sie hat weitere Probleme. Dass sie ein ungerades Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses hat. Jeder neue Arbeitgeber weiß ja sofort, da war wohl irgendwas, wenn sie Mitte des Monats unvermittelt das Arbeiten aufgehört hat. Und weiter: Sie kriegt natürlich eine Sperre vom Arbeitsamt, zwölf Wochen kein Geld vom Arbeitsamt; sie muss sich auch noch selber versichern und hat dann natürlich große Probleme.“
Die Sache mit den Wiedergutmachungserklärungen Fast scheint es so, als ob im Einzelhandel eine Art Wettbewerb um die mieseste Art der Personalführung herrscht. Beim Lebensmitteldiscounter Netto, einer 100-prozentigen SPAR-Tochter mit 1000 Filialen bundesweit, finden wir ein besonders krasses Beispiel. Hier werden die angeblich des Diebstahls überführten Mitarbeiterinnen sofort nach dem Verhör zum Notar geschleppt, um eine hohe Wiedergutmachungserklärung zu unterschreiben. Danach ist juristisch kaum noch etwas zu machen. Ohne nähere Erläuterung werden einfach mal 5.000 Euro oder mehr als Schadensersatz verlangt. Und Notare dienen dabei als willige Vollstrecker.
In dem [plusminus vorliegenden Fall hatte die Netto-Kassiererin angeblich den Diebstahl einer Kollegin gedeckt, was sie bis heute bestreitet. Aus Angst hat sie sich noch nicht einmal ihrem Ehemann anvertraut. Deshalb will sie anonym bleiben. „Wir waren ungefähr sechs Stunden in der Mangel. Immer wieder und immer wieder sagten sie: Sagen sie doch die Wahrheit, sagen sie die Wahrheit und immer wieder und immer wieder Druck. Ich durfte nicht telefonieren. Wir mussten sofort zum Notar mit den Bezirksleitern. Die Formulare waren im Großen und Ganzen schon fertig, dass ich fünftausend Euro zahlen muss, und das musste ich unterschreiben. So wie ich geschockt war, also da hätte ich alles unterschrieben, ich hätte sogar mein Todesurteil unterschrieben.“
Was sagt die Geschäftsleitung? Jetzt stottert die mehrfache Mutter die 5.000 Euro mit monatlich 100 Euro ab. Vom Arbeitslosengeld. Wir fragen bei der Netto-Geschäftsführung nach. Der Personalchef, Herr über 19.500 Mitarbeiter, empfängt uns, will sich aber vor der Kamera nicht äußern. Die Netto Selbstjustiz-Methode bezeichnet er als menschlich, räumt aber eine mögliche Fehlerquote ein. Und immerhin hat der Netto-Personalchef [plusminus zugesagt, den hier geschilderten Fall noch einmal gründlich überprüfen zu lassen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis.
Grundsätzlich raten Gewerkschafter wie Peter König, den Beschäftigten, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Unterschreibt nichts, lasst euch zu nichts nötigen. Und da, wo Beschäftigte auf ihr Recht beharren und wirklich hart bleiben, da passiert sogar selten was und die sind – so meine Erfahrungen – nach wie vor noch in der Firma beschäftigt, weil sie sich eben nicht mürbe haben machen lassen.“
Denn nach einer geleisteten Unterschrift sind die juristischen Chancen gering. Die beiden Lidl-Vorgesetzten wurden nach drei Stunden Verhandlung vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Lidl spart vielleicht bei den Kassiererinnen. Aber nicht bei seinen Anwälten. Dieser Text gibt den Fernseh-Beitrag vom 26.10.2004 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
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