DerSpiegel: Und es ist vor allem eines: krank.
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 24.09.01 23:50 | ||||
Eröffnet am: | 24.09.01 23:18 | von: boomer | Anzahl Beiträge: | 5 |
Neuester Beitrag: | 24.09.01 23:50 | von: Marc_Johans. | Leser gesamt: | 1.035 |
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Q33NY
Von Frank Patalong
Nach der Katastrophe von New York wuchern im Internet Verschwörungstheorien wie Schimmelpilze in den Tropen. Das kann man belächeln, aber vieles davon ist gefährlich. Lebensgefährlich.
Wingding-Zeichenfolge: "Q33NY" - eine Flugnummer?
Es gibt diese Momente, in denen man sich fragt, warum kranke, kreative Hirne solche Dinge tun. Dinge wie die "Q33NY"-E-Mail, zum Beispiel.
Das ist eine kleine Legende, die sich mit rasender Geschwindigkeit um die Welt verbreitet. In aller Regel sind diejenigen, die dieses Schauerstück erreicht, so geschockt, dass sie nicht mehr an ihre Bekannten weitergeben als dieses "Hast du das schon gesehen?" - und dann erklären sie kurz, was es mit Q33NY auf sich hat.
Q33NY, lernt man da, sei die Flugnummer eines der gekaperten Passierflugzeuge, die bei dem Attentat auf das World Trade Center eingesetzt wurden.
Nun nehme man Microsoft Word und schreibe diesen fatalen Schriftzug: Q33NY. Probieren Sie es ruhig aus.
Sodann markiere man die Buchstaben und stelle eine Schriftgröße von 72 ein (Damit man es besser sieht).
Dann wähle man als Schrift "Wingdings". Und? Und? Gesehen?
Kann das Zufall sein?, fragen zahlreiche Leser-E-Mails, manche davon mit 15 Fragezeichen.
Nein, Zufall ist das nicht
Es ist volle Absicht. Die Frage ist vielmehr, warum?
Warum zeigt Q33NY etwas dermaßen Symbolträchtiges? Doch die Frage sollte eher lauten: Warum setzt jemand so etwas in die Welt?
Das Spiel mit den Buchstaben soll uns zum Denken bringen. Hier noch einmal die Zeichenfolge: Q33NY.
Das ergibt in Wingdings:
Ein Flugzeug, zwei Hochhäuser, ein Totenkopf und ein Davidsstern. Noch Fragen? Alles beantwortet?
Eine versteckte Botschaft sei das natürlich, suggerieren die Mail-Autoren uns. Sie soll uns etwas über die Schuldigen sagen. Über die wahren Täter von New York und Washington. Versteckt in der Schrift Wingdings in einem Microsoft-Programm, vor vielen Jahren schon; versteckt in der Flugnummer eines Fluges, den man wohl genau deshalb für den Terroranschlag ausgesucht hat. Alles klar?
Es passe ja auch zu der Nachricht, so schreiben manche, die am 14. September 2001 in der Aufmachung einer seriösen Zeitungsmeldung durch zahlreiche Newsgroups gereicht wurde: "4000 jüdische Angestellte des WTC nahmen am 11.9. frei".
Finstere Demagogie
Das ist perfide, und es ist kein Einzelfall.
Zeiten von Krieg und Katastrophe waren von jeher die Hochsaison für Bauernfänger, finstere Ideologen, Volksverhetzer und -verdummer. Dinge wie die Q33NY-Mail - das einzige Stück Code, das derzeit schnellere Verbreitung findet als das Virus Nimda - zeigen, wer hier gerade auf welchen Zug aufspringt.
Rassisten und Faschisten wittern Morgenluft. Dieser fatale Klimamix aus Schock, Angst, Wut, Rachegefühlen und der latenten Bereitschaft, zum fröhlichen Sündenbock-Halali auf Minderheiten zu blasen, ist für sie ein idealer Nährboden. Und das gilt nicht nur für Amerika.
Die starke Hand ist gefragt, wie seit Jahrzehnten nicht, und es scheint Menschen zu geben, die sichergehen wollen, dass sie schlagend auch "die Richtigen" trifft. Siehe oben.
Apropos siehe oben: Q33NY ergibt doch nun einmal diese schockierende Zeichenfolge. Das kann man doch nicht wegdiskutieren!
Kann man nicht.
Braucht man aber auch nicht. Wie zu Goebbels Zeiten greifen auch hier die Grundprinzipien der Demagogie, der bewussten Fehlinformation.
Q33NY ergibt als Wingding-Zeichenfolge tatsächlich Flugzeug, Hochhäuser, Totenkopf und Davidsstern.
Was hier nicht stimmt, ist die Grundvoraussetzung, die "Definitionsmenge", wie man in der Schule gesagt hätte.
Denn es gab keinen Flug mit der Nummer Q33NY.
Der Rest ist "Reversed Engeneering". Man nehme die Wingding-Zeichenfolge, übersetze sie zurück in Normalschrift - und schicke eine empörte Mail auf den Weg. So einfach ist das, in zwei, drei Tagen Millionen Leser zu finden.
Das Konzept setzt auf das Prinzip "steter Tropfen": Wird ein hanebüchener Schwachsinn nur oft genug wiederholt, bleibt schon was kleben. Der Versuch, der derzeitigen Wut und Trauer eine antisemitische Richtung zu verleihen, ist weder originell noch überzeugend. Leider, die Geschichte beweist das, funktioniert so etwas.
Der Rest der Geschichte ist vorhersehbar: Sollten harte Beweise dafür vorgelegt werden, wer die Schuldigen wirklich waren, wird auch das antisemitisch verdreht werden. Wenn sie dann nicht Täter waren, wird man sie per Verschwörungstheorie zu den eigentlichen Zielen des Anschlages erklären. Frei nach dem Motto: "Wenn diese Israelis nicht da gewesen wären, hätte es nicht so viele unschuldige Amerikaner erwischt."
Verschwörungstheorien sind in dieser Hinsicht unendlich vielfältig und kreativ - und funktionieren doch immer mit denselben platten Mechanismen. Das ist gefährlich, weil es Menschen gegeneinander aufbringt. Und es ist vor allem eines: krank.
© SPIEGEL ONLINE 2001
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,158516,00.html