Amerikas Absturz
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Eröffnet am: | 19.10.06 18:38 | von: Malko07 | Anzahl Beiträge: | 23 |
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Amerikas Absturz
Warum der Einfluss Washingtons mehr und mehr schwindet - und warum dies zum Problem für die ganze Welt wird.
Ein Kommentar von Stefan Kornelius
Am 20. September 2002 veröffentlichte das Weiße Haus die "Nationale Sicherheitsstrategie", die wenig später als die Bush-Doktrin bezeichnet werden sollte.
Sie gab dem Präsidenten das fast uneingeschränkte Recht zur Kriegsführung, präventiv, gegen Terroristen, gefährliche Regime, bar jeder Bündnisverpflichtung.
Die Sicherheitsstrategie war ein Zeugnis amerikanischer Hybris, eine Dokumentation des imperialen Augenblicks. Die USA standen im Zenit ihrer Größe.
Ein gutes halbes Jahr später begann der Krieg im Irak, der das Ende der Allmacht einleiten sollte. Heute, nur vier Jahre später, kann die US-Außenministerin nach Japan reisen oder in den Irak, sie kann ihre europäischen Kollegen konsultieren oder ihre Durchsetzungskraft im Libanon testen: Überall stößt sie an die Grenzen amerikanischen Einflusses, überall trifft sie auf zaudernde und ausweichende Verbündete. Das Wort aus Washington wiegt nicht mehr viel.
Amerikas Schwäche wird zum Problem für die Welt. Solange Washingtons imperialer Klammergriff fast schmerzlich zu spüren war, so lange noch konnte ein französischer Präsident von einer multipolaren Weltordnung schwärmen und Achsen nach Moskau bauen.
Heute gilt die Weisheit: Vorsicht, was man sich da wünscht - es könnte in Erfüllung gehen. Ein autokratisches Russland gebärdet sich als Erdgasimperialist, China wird selbst von der konservativen Washingtoner Kolumnistin Anne Applebaum ironiefrei als Supermacht gepriesen (Nordkorea: "Das ist Chinas Problem"), obwohl Peking den Kopf einzieht gegenüber dem nuklearen Nachbarn.
Mangel an Führung
Zwei der drei Bush’schen Achsenmächte des Bösen beweisen, wie leicht und gefahrlos man durch Reibung mit den USA Furcht und Schrecken verbreiten kann - und gleichzeitig den eigenen Marktwert in die Höhe schraubt.
Diese multipolare Welt ist also schneller entstanden, als dies die größten Bush-Kritiker vor vier Jahren erhofft hatten. Indes: Die Welt ist dadurch nicht sicherer geworden. Der Mangel an Führung, die Bindungsunfähigkeit Amerikas und vor allem die moralische und strategische Prinzipienlosigkeit in Washington lassen zentrifugale Kräfte wachsen: Was einmal zusammengehörte, flieht auseinander; kein Bündnis ist mehr stark genug, um Stabilität und Zusammenhalt auszustrahlen.
Das Epizentrum dieser Zerstörungswelle liegt im Irak. Hier zeigt sich die amerikanische Schwäche in Dutzenden Toten täglich. Die Ausläufer sind besonders in Iran und im Nahen Osten zu spüren. Washingtons reduzierte Kraft war im Libanon-Krieg und in Gaza messbar, wo bis heute eine Vermittlung wie einst in Camp David nicht denkbar ist.
Und nun Nordkorea, das seinen lebenserhaltenden Selbstzweck darin gefunden hat, die USA mit einer Nuklearwaffe herauszufordern. Allein die monströse (und durchaus realistische) Vorstellung vom Verkauf der Bombe an Terroristen verbietet es, Kim Jong Il als kleinwüchsigen Spinner abzutun.
Der Mann verfügt über höchstes Erpressungspotenzial. Keine Macht scheint ihn stoppen zu können. Sein Beispiel wird die nuklearen Ambitionen von einem halben Dutzend anderer Staaten beflügeln.
Die Regierung Bush hat diese Probleme nicht geschaffen, aber sie hat sie befördert durch ihre Politik, heute möchte man fast sagen: durch ihre schiere Existenz. Bushs Ursünde, veröffentlicht am 20. September 2002, wird nicht gesühnt durch noch so viele diplomatische Ouvertüren der Außenministerin.
Die imperiale Hybris wird diesem Mann nicht vergeben werden, nicht mehr in den zwei Jahren, die ihm im Amt verbleiben. Im Gegenteil: Auch in den USA wird die Kritik immer schriller. Das verwundert nicht in Zeiten des Kongress-Wahlkampfes und gibt einen leichten Vorgeschmack auf all das, was während der Präsidentschafts-Kampagne in den kommenden zwei Jahren zu erwarten sein wird.
Wenn alle Schadenfreude verflogen ist, wird sich die Erkenntnis breitmachen, dass von dem Mangel an Ordnungskraft die Welt nicht profitiert. Gerade die Staaten der EU müssen sich ihrer Schwäche bewusst werden: Ihr Einfluss ist zu gering, um Russland im Gegengeschäft für sein Gas ein paar demokratische Werte aufzuzwingen.
Kooperation mit China
Der EU-Hebel gegenüber China ist zu klein, um Peking seine Verantwortung angesichts der Nuklearisierung der koreanischen Halbinsel deutlich zu machen. Militärisch ist Europa zu schwach, um Afghanistan vor dem Absturz und den Nahen Osten vor einer neuen Gewaltspirale zu bewahren.
Condoleezza Rice, die sich um die Eindämmung der nordkoreanischen Gefahr bemüht, könnte in Ostasien eine neue Politik testen. Amerika muss sich wieder öffnen, muss verhandeln, muss alle Instrumente der Außenpolitik einsetzen, um seinen Einfluss wiederherzustellen. Gespräche auf höchstem Niveau mit dem Diktator in Pjöngjang verbieten sich noch.
Aber in Zusammenarbeit mit China sollte es möglich sein, die nordkoreanische Politik aus ihrer selbst gewählten Isolation zu locken. Washington muss wieder geben - den Anstoß zu einer neuen Nichtverbreitungs-Initiative etwa. Denn nur wenn Amerika wieder einzahlt auf das globale Sicherheitskonto, kann es eine Rendite erwarten.
(SZ vom 19.10.2006)
http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/148/89059/2/
MfG
$
Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern das er nicht tun muß, was er nicht will.
You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you cannot fool all of the people all of the time." -- Abraham Lincol
aber wenn man nur einen hammer hat, sieht irgendwie alles wie ein nagel aus.
(rüstungsausgaben in höhe von 380 mrd/jahr.)
und abstürzen wird das land nicht, man wird sich nur dran gewöhnen müssen, daß man seine rohstoffe zukünftig auf dem weltmarkt kauft, wie fast alle anderen länder auch.
Welt vor:
Da schlechte Menschen, er jedoch: guter Mensch.
Irgendwie erinnert mich das an meine
Kindergartenzeit.
Muss mir mal als Sympathisant der Neonazis
aufgefallen sein oder irre ich mich etwa?
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Bemi
Von Beruf: Hauptschüler,
er sagt es!
Gute Notdurft
Deutsche Behörden waren offenbar frühzeitig über Folter informiert
BND und BKA wussten angeblich deutlich früher als bisher bekannt, dass US-Organisationen bei ihrem Kampf gegen den Terrorismus Gefangene misshandelten - auch in Gefängnissen auf europäischem Boden.
Das Magazin Stern berichtet, das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesnachrichtendienst (BND) seien bereits wenige Wochen nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 über mögliche Kriegsverbrechen in einem US-Gefängnis im bosnischen Tuzla informiert gewesen. Der Stern bezieht sich dabei auf geheime BND-Unterlagen.
Demnach erfuhren zwei BKA-Beamte und ein BND-Dolmetscher bei einem Besuch auf der amerikanischen "Eagle Base" in Tuzla von den Vorgängen. Dort hatten die Amerikaner nach den Unterlagen einen 70 Jahre alten angeblichen Terrorverdächtigen mit einem Gewehrkolben blutig geschlagen.
Blutverschmierte Dokumente
Der verantwortliche Amerikaner sei auf sein gewalttätiges Vorgehen „offensichtlich stolz“ gewesen. Ein „Großteil“ der damals von US-Seite beschlagnahmten Dokumente sei „extrem blutbeschmiert“ gewesen. Einer der beiden BKA-Männer habe das Vorgehen der Amerikaner in dem Bericht mit serbischen Kriegsverbrechen gleichgesetzt.
Nach Rücksprache mit dem Generalbundesanwalt seien die drei deutschen Beamten damals umgehend wieder abgereist, heißt es in dem Pressebericht. Über die Vorgänge in Tuzla wurden nach Angaben des Magazins neben dem BND und dem BKA auch das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) informiert. Die Behörden lehnten eine Stellungnahme zu den Vorgängen in Tuzla bislang ab.
(AFP/AP)
http://www.sueddeutsche.de/,tt1m4/ausland/artikel/590/89501/
auch nicht zu träumen gewagt.
Und das ist noch lange nicht das Ende! Es wird meiner Meinung nach
noch viel "besser" kommen.
Das amerikanische Jahrhundert war gestern mal schauen was das neue bringt!
oder was ??
wenn kein eigenes statement kommt, fragt man sich, was es soll.
GEHEIMBERICHT
US-Militär sieht Irak vor totalem Kollaps
Die US-Armee schlägt Alarm wegen der Gewalt im Irak: Ein Geheimpapier des Zentralkommandos enthüllt, dass das Land kurz vor dem totalen Chaos steht - und sich die Lage binnen Wochen dramatisch verschlechtert hat. Immer schneller, immer brutaler schlagen die Terroristen und Milizen zu.
Hamburg - Friede ist grün, Chaos ist rot. Dazwischen ist ein Pfeil, der auf einer Zeitskala die derzeitige Gefahrenlage im Irak anzeigt- und inzwischen hat er den tieforangen Bereich hinter sich gelassen. Er zeigt schon auf rot. Die Botschaft der simplen Grafik: Nicht mehr lange, und der Indikator wird das Ende der Skala erreicht haben - das totale Unheil. NYTGeheimgrafik des US-Zentralkommandos zur Lage im Irak (Screenshot von nytimes.com): Der Pfeil verschiebt sich immer weiter von "Frieden" zu "Chaos" - sogar der Unterschied binnen einer Woche ist deutlich
Der Irak schlittert immer weiter ins Chaos. Geheime Zahlen der US-Armee belegen diese Entwicklung. Die "New York Times", der das Papier zuging, veröffentlicht heute ein Schaubild, genannt "Index of Civil Conflict". Es belegt, dass den USA die Lage im Irak entglitten ist. Das abgebildete Chaosbarometer stand im Februar noch auf Orange etwa in der Mitte der Skala zwischen den beiden Endpunkten Friede und Chaos. Inzwischen, nur acht Monate später, hat der Pfeil die zweite Hälfte der Skala fast durchschritten, in den tiefroten Bereich hinein.Die Gewalt nimmt zu, das Tempo und die Intensität steigen. Seit der Bombardierung des Schreins von Samarra im Februar (in der Grafik eigens hervorgehoben) eskaliert die Lage. Sogar die Entwicklung im Oktober von einer Woche zur anderen ist signifikant. Trotz einer erneuten US-Initiative zur Eindämmung der Gewalt, verschiebt sich der Pfeil deutlich nach rechts.
Der Oktober war für die US-Truppen im Irak der blutigste Monat seit fast zwei Jahren: 102 US-Soldaten starben. Die Führung des Zentralkommandos der Armee ist tief besorgt, denn die Entwicklung ist alles andere als ermutigend. Unter dem Schaubild ist in roter Rahmung sinngemäß zu lesen: In Stadtteilen, in denen es zu "ethnischen Säuberungen" kommt, ist die Gewalt dauerhaft hoch und breitet sich weiter aus.
Damals hegte er noch die Hoffnung, dass die Gewaltentwicklung umgekehrt werden könnte. Das Schaubild legt das Gegenteil nahe.
APVerwundeter Iraker in Krankenhaus in Bagdad: Tempo und Intensität der Gewalt nehmen zu
In der Grafik wurden nicht nur klassische militärische Parameter wie etwa die Truppenstärke der Gegner oder die Größe des vom Feind kontrollierten Gebiets verarbeitet, sondern auch solche wie "feindselige Rhetorik" politischer oder religiöser Führer im Irak und deren Einfluss oder die (geringe) Schlagkraft der irakischen Polizei. Die Armee stellt außerdem fest, dass der öffentliche Unmut angesichts der katastrophalen Sicherheitslage weiter zunimmt.Ein Mitglied des Zentralkommandos, das wegen der Vertraulichkeit des Papiers nicht genannt werden will, wird in der "New York Times" zitiert: "Seit dem Angriff auf die schiitische Moschee in Samarra im Februar stehen wir näher am Chaos als am Frieden." Als Hauptgrund für die erhöhte Gefahrenlage wird die zunehmende Aktivität von Milizen genannt und die ungenügenden Fähigkeiten irakischer Sicherheitskräfte.
Ein Sprecher des Zentralkommandos verweigerte jeden Kommentar: "Wir äußern uns nicht zu Geheimpapieren." Das Dokument mit den brisanten Daten wurde am 18. Oktober fertiggestellt, drei Tage vor einem Treffen Abizaids mit Pentagon-Chef Donald Rumsfeld.
asc
klar, hätte ich wissen müssen.
ist mir aber egal, für mich sind beide gleich schlecht.
um wählerverarschung gehts doch immer, oder?
Ende der Hybris
Die Arroganz, mit der Bush in Washington jahrelang regierte, ist vom Wähler bestraft worden. Der Präsident ist nun wahrlich schwach.
Von Stefan Kornelius
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Schadenfreude, eine im Amerikanischen als Lehnwort aus dem Deutschen gebräuchliche Vokabel, wird dieser Tage in weiten Teilen der Welt empfunden.
George W. Bush wurde die Macht genommen - nicht durch Aufständische im Irak oder Bombenbastler in diktatorischen Regimen, sondern durch die Amerikaner selbst.
Die Wähler haben eine Phase des politischen Ausnahmezustandes beendet, und selbst wenn der Präsident nun noch zwei Jahre weiter amtiert: Seine gestalterische Kraft ist geschwunden.
Bush darf die letzte Runde auslaufen wie ein Sprinter im Stadion, der Beifall der Ränge aber gilt nicht mehr ihm.
,,Danke Amerika‘‘, jubelt die britische Zeitung Guardian in schmalzigem Ton. Dabei muss man eher dem Präsidenten selbst danken, der von solcher Prinzipienfestigkeit ist, dass er die Warnsignale ignorierte und stur ins Verderben lief.
In den Kongresswahlen am Dienstag bestraften die Amerikaner nicht nur eine falsche Irak-Politik, Korruption im Parlament und die Ideologisierung ihres politischen und privaten Lebens. Sie bestraften vor allem die Hybris, die Arroganz, mit der in Washington über Jahre hinweg regiert wurde.
Der Irak, die Umweltpolitik, die inneren und äußeren Freiheiten, die wachsende soziale Kluft - das Land hat die von Bush nach dem 11. September 2001 erzwungene Geschlossenheit aufgebrochen. Es ist jetzt keine patriotische Pflichtverletzung mehr, wenn der Präsident geschwächt wird durch ein Votum an der Urne.
Und dieser Präsident ist nun wahrlich schwach. Bush entließ am Tag nach der Niederlage die Symbolfigur der Washingtoner Überheblichkeit: Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
Welch hilflose Geste. Hätte Bush ein paar Wochen früher gehandelt, hätte er wenigstens noch ein paar Abgeordneten-Sitze mehr retten können. Die Entlassung nach der Wahl aber ist ein Eingeständnis der Schwäche und der Arroganz, ein billiges Opfer.
Der Präsident selbst trägt die Verantwortung für das Ergebnis, nicht der Verteidigungsminister. Jetzt ist der Schutzmantel, mit dem sich Bush umgeben hatte, löchrig geworden.
Nun zeigt sich: Das politische Zentrum der republikanischen Ideologie liegt im Weißen Haus, und die Peripherie bröckelt - zuerst die traditionellen Republikaner, dann die Neokonservativen, und schließlich die Bannerträger im Kongress und im Pentagon.
Vendetta in Washington
Amerika erlebt in diesen Tagen einen wichtigen ideologischen Umbruch, der eine Epoche beendet, die 1994 mit der Machtübernahme von Newt Gingrich im Repräsentantenhaus begonnen hatte.
Zwölf Jahre lang beherrschten die Republikaner die untere Kammer des Kongresses, mit Unterbrechung auch den Senat. In dieser Zeit setzte sich ein politischer Stil durch, der außerhalb der USA nur schwer zu vermitteln und nicht zu rechtfertigen war.
Ausdruck dieser ideologisch aufgeladenen Nahkampf-Mentalität war die Haushaltsblockade von Gingrich, die Vendetta gegen Präsident Bill Clinton, die in dem giftigen Amtsenthebungsverfahren gipfelte. Gleiches gilt für die polarisierende Wahlauseinandersetzung im Jahr 2000 mit juristischen Scharmützeln bis hin zum Obersten Gericht.
Ursache all dessen war eine Ideologisierung der gesamten Politik sowie deren Vereinnahmung durch die Religion. Das Land wurde gleichsam überflutet von diesem Gebräu aus konservativ-religiöser Weltanschauung und politischer Verbissenheit.
Amerika erlebte, massiv verstärkt durch den 11. September 2001, einen Kulturkrieg: Abtreibung, Homo-Ehe, Gentechnologie, ethische Grenzfragen der Medizin, der Streit um die Schöpfungslehre - alles wurde für die konservative Grenzziehung missbraucht.
Der 11. September trug zudem die innere Zerrissenheit des Landes nach außen: Mit uns oder gegen uns lautete die Parole des Präsidenten. Bush ließ weder Freund noch Feind die Wahl, die Spaltung erreichte mit dem Irak-Krieg die Welt.
Außenpolitik und Sicherheitsdoktrin von Bush wurden zum Spiegelbild der innenpolitischen Enge, eigentlich: der geistigen Unbeweglichkeit des Präsidenten, der dem Amt in der historischen Ausnahmesituation nach 9/11 nicht gewachsen war.
Verhöhnung der Wähler
Die Wahl am Dienstag signalisiert nun zum ersten Mal, dass die Bürger der USA genug haben von den Allmachtsphantasien ihres Präsidenten und seiner Partei, die sich zeigten in den Antiterrorgesetzen, in der Folter-Debatte, in der Ziellosigkeit im Irak.
Man musste kein Demokratietheoretiker sein, um die Verschiebung der Macht weg vom Parlament, weg von den Gerichten und hin zur Exekutive mit einem allemal übermächtigen Präsidenten zu bemerken. Der Kongress entmachtete sich seit dem 11. September selbst und schuf ein Kräftemissverhältnis in Washington, das demokratieschädlich ist. Die Wahl bietet nun die Chance zur Korrektur.
Der Präsident aber will dies offenbar nicht verstehen. Die Entlassung Rumsfelds muss man als symbolischen Akt deuten, die eigentliche Haltung Bushs offenbart sich am Arbeitsprogramm, das er dem alten Senat mit seiner republikanischen Mehrheit bis zum Amtsantritt der neuen Senatoren im Januar verordnet hat: Bush will zum Beispiel UN-Botschafter John Bolton in dieser kurzen Frist bestätigt wissen. Bolton, der bei der neuen Mehrheit keine Chance hätte, steht für die Arroganz der alten Zeit, er ist einer der wichtigsten Architekten des Irak-Krieges. Bush verhöhnt mit der Nominierung die Wähler nachträglich, belegt seine Missachtung des Parlaments und beweist erneut seine Lernunfähigkeit.
Die Causa Bolton zeigt, dass die letzten zwei Jahre des Präsidenten auf keinen Fall in der nun viel beschworenen Überparteilichkeit vorüberziehen werden. Denn nebenbei: Dies ist Amerika, und am Dienstag wurde nicht nur der Kongress gewählt, sondern auch der Präsidentschaftswahlkampf für 2008 begonnen. Dieser Wahlkampf wird ohne polarisierende Themen nicht geführt werden, die umkämpfte Mitte ist nach rechts gewandert in den vergangenen Jahren. Und das Schlamassel im Irak, das beherrschende Thema des vergangenen Wahlkampfes, bleibt der neuen demokratischen Mehrheit erhalten, ohne dass sie eine vernünftige Lösung anbieten könnte.
So sehr die Demokraten in ihrem Triumph schwelgen - die Aussicht auf den großen Preis in zwei Jahren, auf die Präsidentschaft, ist mit dem Kongress-Sieg nicht unbedingt gewachsen. Nach Jahren der ideologischen Überhitzung sehnt sich Amerika nach einer Balance und nach einem Präsidenten, der das Land nicht nur in einem Zustand von Furcht und Schrecken führen kann.
Die Zeit der Extreme, die Zeit von George W. Bush und die Ära nach dem Schock des 11. September neigt sich dem Ende zu. Amerikas Wähler beherzigen wieder die Regel, die Senator Harry Reid am Tag nach der Wahl so trefflich ausdrückte: ,,Washington in der Hand einer Partei - das funktioniert nicht.‘‘ Reid führt die Demokraten im Senat. Die Präsidentschafts-Aspiranten seiner Partei werden die Botschaft mit Entsetzen vernommen haben.
(SZ vom 11.11.2006)
Öl, wirtschaftliche Sicherheit und
geopolitische Risiken von heute
Vortrag bei der Interpremeco Convention,
München 13.-15. Oktober
Von F. William Engdahl
Bankfachleute und Fondsmanager sind heute sicher, dass sie die Kosten der verschiedensten Risiken abschätzen und von ihnen profitieren können. Das fiktive Kreditrisiko oder Kreditausfallderivate über die letzten fünf Jahre werden nicht in Milliarden, sondern eher in Trilliarden von Dollars beziffert. Neben anderen Maßnahmen haben diese Instrumente unter anderem die Kreditspannen weltweit soweit eingeengt, dass sie bei US-Schatzanleihen so gering sind wie nie zuvor. Die daraus resultierende Zunahme der finanziellen Risiken ist gefährlicher als zu vielen anderen Zeiten.
Allerdings verblassen diese Risiken im Vergleich zu anderen, die praktisch kein Risikoprogrammierer im Computerzentrum irgendeiner Bank begreift — weder bei JP Morgan-Chase, der Citibank, Goldman Sachs, Morgan Stanley, noch bei der Deutschen Bank oder UBS. Die Rede ist von den sogenannten „geopolitischen Risiken“. In meinem heutigen Vortrag möchte ich über diese Risiken sprechen und darüber, wie man zumindest ihre Dimensionen erfassen kann. Ihre Auswirkungen auf Investitionen in Gold und auf Anlageentscheidungen ganz allgemein sind enorm.
Der Pariser Gipfel zwischen dem russischen Präsident Wladimir Putin, dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im September 2006 hat deutlich gemacht, dass sich Russland als wichtige Weltmacht zurückmeldet. Das neue Russland steigert seinen Einfluss durch eine ganze Reihe von strategischen Schritten, in deren Mittelpunkt seine geopolitisch bedeutsamen Energiereserven stehen—vornehmlich seine Öl- und Erdgasreserven. Dabei nutzt es die strategischen Irrtümer und massiven politischen Fehltritte Washingtons geschickt aus. Das neue Russland ist sich zudem darüber im Klaren, dass es entschlossen handeln muss, wenn es nicht bald von einem militärischen Rivalen, den USA, eingekreist und übertrumpft werden will, gegen den es nur noch wenige Verteidigungsmöglichkeiten hat. In dem weitgehend verdeckten Kampf geht es um den höchsten Einsatz in der heutigen Weltpolitik. Für die Strategen in Washington sind der Iran und Syrien lediglich Schritte auf dem Weg zu dem großen Endspiel gegen Russland.
Auf der Tagesordnung des Pariser Gipfels stand auch die Frage der zukünftigen russischen Energielieferungen an die Europäische Union, insbesondere an Deutschland. Das war bezeichnend für die neue Stärke Russlands unter Putin. Putin erklärte der deutschen Kanzlerin, dass Russland „möglicherweise“ in Zukunft einen Teil des Erdgases aus seinem riesigen Shtokman-Feld in der Barentsee umleiten werde. Das $20 Milliarden teure Projekt soll 2010 ans Netz gehen, um Terminals in den Vereinigten Staaten mit Flüssiggas zu beliefern.
Seit den verheerenden Fehlschlägen der von den USA unterstützten „bunten Revolutionen“ in Georgien und später der Ukraine, hat Russland begonnen, sehr vorsichtig seine strategische Karte zu spielen—sowohl bei Energieabschlüssen als auch beim Verkauf von Rüstungsmaterial – von Kernreaktoren für den Iran bis zu Rüstungsmaterial für den Iran, Venezuela und andere lateinamerikanische Länder, und strategischen Kooperationsabkommen über Erdgas mit Algerien und dem Iran.
Gleichzeitig hat sich die Regierung Bush durch eine außenpolitische Agenda, die Verbündete und Feinde gleichermaßen rücksichtslos mit Verachtung straft, immer tiefer in einen geopolitischen Sumpf verrannt. Mehr als jeder andere in Washington steht für diese Politik der Rücksichtslosigkeit der frühere Chef von Halliburton, Dick Cheney.
Bushs Präsidentschaft gründet sich auf eine klare Strategie. Sie ist von ihren Kritikern häufig missverstanden worden, weil sie sich auf deren sichtbarste Komponente konzentrierten, also den Irak, den Mittleren Osten, die Falken in der Umgebung des Vizepräsidenten und dessen alten Freund, Verteidigungsminister Don Rumsfeld.
Die Strategie von George Bush besteht in einer US-Außenpolitik auf der Grundlage der Sicherung der direkten Kontrolle der globalen Energiereserven, einer Kontrolle durch die vier großen US- bzw. mit den USA verflochtenen privaten Ölriesen -- ChevronTexaco oder ExxonMobil, BP oder Royal Dutch Shell. Insbesondere zielt sie auf die Kontrolle aller bedeutenden Ölregionen sowie der wichtigen Erdgasfelder. Dieses Kontrollbestreben verläuft parallel mit dem zunehmenden Anspruch der USA auf totale militärische Vormachtstellung gegenüber der einzigen potenziellen Bedrohung für diese globalen Ambitionen—Russland. Wahrscheinlich kann niemand die amerikanische Militär- und Energiepolitik besser zu einer zusammenhängenden Dominanzstrategie verbinden als Cheney, der Anfang der Neunziger Jahre unter Bush senior auch Verteidigungsminister war.
Die Cheney-Bush-Regierung wird beherrscht von einer Interessenkoalition aus Vertretern von Big Oil und der wichtigsten Sektoren des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes. Diese privatwirtschaftlichen Interessen üben ihre Macht dadurch aus, dass sie die US-Regierungspolitik kontrollieren. Dazu gehört wesentlich eine aggressive militaristische Agenda. Ihre Verkörperung ist Cheneys ehemaliger Arbeitgeber, Halliburton Inc., gleichzeitig der weltgrößte Dienstleister im Bereich Energie und Geophysik und der weltgrößte Erbauer von Militärstützpunkten.
Zum Verständnis der Politik muss man sich die Position von Cheney in der Frage zukünftiger Öllieferungen als Chef von Halliburton unmittelbar vor seiner Wahl zum Vizepräsidenten anschauen.
Der Hauptgewinn: Cheneys Londoner Rede von 1999
Schon im September 1999, ein Jahr vor den amerikanischen Wahlen, die ihn zum mächtigsten Vizepräsidenten der Geschichte machten, hielt Cheney vor seinen Kollegen aus der Ölindustrie beim London Institute of Petroleum eine höchst aufschlussreiche Rede. In einer globalen Skizze der Aussichten für Big Oil, sagte Cheney:
Schätzungen zufolge wird in den kommenden Jahren die globale Ölnachfrage um durchschnittlich zwei Prozent im Jahr zunehmen, bei gleichzeitigem natürlichen Rückgang der Produktion aus bestehenden Reserven um drei Prozent, vorsichtig geschätzt. Das heißt, dass wir bis zum Jahr 2010 einen zusätzlichen Bedarf von etwa fünfzig Millionen Barrels pro Tag haben werden. Wo soll dieses Öl herkommen ? Regierungen und staatliche Ölgesellschaften kontrollieren bekanntlich etwa neunzig Prozent der Vorräte. Im Prinzip ist Öl immer noch eine Staatsindustrie. Trotz der großen Möglichkeiten für Öl in anderen Weltregionen bleibt der Mittlere Osten mit zwei Drittel der Ölreserven der Welt und den geringsten Kosten letztlich der Hauptgewinn …
Cheneys Ausführungen lohnen eine sorgfältige Lektüre. Er geht von einem Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage von circa 4 Millionen Barrels pro Tag aus, und zwar kumulativ, d.h. Jahr für Jahr – bis wir im Jahr 2010 bei sage und schreibe 50 Millionen neuen Barrels täglich ankommen. Das sind 50% der gesamten heutigen Weltfördermenge von 83 Millionen Barrels pro Tag. Mit den diversen Peak-Oil-Theorien über das Erreichen der maximalen Ölfördermenge hat das also nichts zu tun. Es entspricht fünf neuen Ölregionen in der Größenordnung des heutigen Saudi Arabien.
Da es sieben Jahre oder länger dauern kann, bis ein neues Ölfeld die volle Produktionskapazität erreicht hat, bleibt also auch nicht mehr viel Zeit, wenn eine horrende Ölknappheit und schwindelnd hohe Preise für Gas und Öl abgewendet werden sollen. Cheneys Schätzung beruhte zudem auf einer viel zu vorsichtigen Schätzung der Nachfrage nach Ölimporten in China und Indien, die mittlerweile die beiden Länder mit dem am schnellsten wachsenden Ölverbrauch auf dem Planeten sind.
Eine weitere denkwürdige Äußerung von Cheney in London 1999 war die Bemerkung, dass „der Mittlere Osten mit zwei Dritteln der Ölreserven der Welt und den geringsten Kosten letztlich der Hauptgewinn ist.“ Allerdings befand sich dieser Öl“gewinn“ des Mittleren Ostens in staatlicher Hand, unzugänglich für eine Ausbeutung durch den privaten Markt und damit weitestgehend der Kontrolle von Cheneys Halliburton und seinen Freunden bei ExxonMobil, Chevron, Shell oder BP entzogen.
Cheneys Bemerkung, „Im Prinzip ist Öl immer noch eine Staatsindustrie,“ und keine private erhält neues Gewicht, wenn man weiß, dass Cheney auch an einem äußerst einflussreichen Bericht einer Denkfabrik mitwirkte, der im September 2000 während des ersten Wahlkampfs von Bush-Cheney erschien. Gemeinsam mit Don Rumsfeld, Paul Wolfowitz und vielen anderen, die später Mitglieder der neuen Regierung Bush wurden, veröffenlichte Cheney einen Grundsatzbericht mit dem Titel „Die Erneuerung der Verteidigung Amerikas“ (Re-building America’s Defenses). Herausgeber war das „Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert“ (Project for the New American Century - PNAC).
Die PNAC-Gruppe um Cheney forderte den neuen US-Präsidenten in spe auf, einen geeigneten Vorwand für einen Krieg gegen den Irak zu finden, um ihn zu besetzen und die zweitgrößten Ölvorkommen des Mittleren Ostens unter die direkte Kontrolle der USA zu bringen. Der Bericht stellt ganz offen fest: „Obwohl der ungelöste Konflikt mit dem Irak die unmittelbare Rechtfertigung (sic) liefert, geht die Notwendigkeit einen substantiellen amerikanischen Truppenpräsenz am Golf über die Frage des Regimes von Saddam Hussein hinaus ...“
Cheney unterzeichnete im September 2000 ein Grundsatzdokument, in dem erklärt wurde, die Schlüsselfrage sei die „amerikanische Truppenpräsenz am Golf“ und ein Regimewechsel im Irak - ganz unabhängig von den moralischen Qualitäten Saddam Husseins. Es war ein erster Schritt zur Verlegung von US-Truppen dahin, wo „letztlich der Hauptgewinn“ lag.
Genau darauf hatte Cheney in seiner Londoner Rede von 1999 angespielt. Holt die Ölreserven des Mittleren Ostens aus den Händen unabhängiger Staaten und in die Hände derer, die von den USA kontrolliert werden. Die militärische Besetzung des Irak war der erste wichtige Schritt in dieser amerikanischen Strategie. Washingtons „Hauptgewinn“ war allerdings die Kontrolle über die russischen Ölreserven.
De-Konstruktion Russlands: der “Hauptgewinn”
Aus naheliegenden militärischen und politischen Gründen kann Washington nicht offen eingestehen, dass seit dem Fall der Sowjetunion im Jahr 1991 die Zerstückelung oder Zerschlagung Russlands und die effektive Kontrolle über dessen riesige Öl- und Gasvorkommen, der „höchste Preis“, sein strategisches Ziel ist. Noch immer hat der russische Bär ein respekteinflößendes militärisches Potenzial, und noch hat er nukleare Zähne.
Das ist der Punkt, an dem uns allmählich eine böse Ahnung beschleicht, was wir unter dem verstehen müssen, dass ich “geopolitisches Risiko” nenne - ein heute häufig missbrauchter Begriff.
Mitte der Neunzigerjahre ging Washington systematisch daran, alle früheren Satellitenstaaten der Sowjetunion nicht nur in die Europäische Union, sondern auch in die von Washington dominierte NATO zu führen. Bis 2004 waren Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien sämtlich in die NATO aufgenommen worden, und die Republik Georgien wurde auf den Beitritt vorbereitet.
Die Ausdehnung der NATO auf frühere Staaten der Sowjetunion oder des Warschauer Pakts rund um Russland war für das PNAC eine wichtige Voraussetzung. Bereits 1996 war Bruce Jackson, PNAC-Mitglied, alter Freund Cheneys und damals in leitender Stellung bei dem amerikanischen Rüstungsriesen Lockheed Martin tätig, Vorsitzender des US-Komitees für die Erweiterung der NATO (Committee to Expand NATO), einer mächtigen Lobbyorganisation in Washington.
Dem US-Komitee für die Erweiterung der NATO gehörten auch die PNAC-Mitglieder Paul Wolfowitz, Richard Perle, Stephen Hadley und Robert Kagan an. Kagan ist verheiratet mit Victoria Nuland, die inzwischen US-Botschafterin bei der NATO ist. Von 2000 bis 2003 war sie Cheneys außenpolitische Beraterin. Hadley, ein dem Vizepräsidenten Cheney nahestehender Falke und Hardliner, wurde von Präsident Bush zum Nachfolger von Condoleezza Rice als nationaler Sicherheitsberater ernannt.
Vom PNAC rückten Mitglieder des Falkennetzwerks um Cheney in Schlüsselpositionen in der Regierung Bush auf, wo sie die NATO- und Pentagon-Politik bestimmten. Nachdem Bruce Jackson als erfolgreicher Lobbyist beim Kongress 1999 die Erweiterung der NATO auf Polen, Tschechien und Ungarn erreicht hatte, wandte er sich dem Aufbau der sogenannten Vilnius-Gruppe zu, die die Aufnahme von zehn weiteren ehemaligen Warschauer-Pakt -Staaten an der Peripherie Russlands in die NATO betrieb – in Jacksons Worten, den „großen Knall.“
Nachdem man mit den NATO-Aufnahmen so weit gekommen war, löste Jackson im Jahr 2003 das NATO-Komitee auf, um im selben Büro als neue Lobbyorganisation unter dem Namen „Projekt Übergang zur Demokratie“ (Project on Transitional Democracies) wieder zu eröffnen, das nach seinen eigenen Worten „organisiert wurde zur Nutzung der Möglichkeiten zur Beschleunigung demokratischer Reformen und Integration, die unserer Meinung nach in der erweiterten europäisch-atlantischen Region im nächsten Jahrzehnt bestehen werden“. Mit anderen Worten, um die Serie von bunten Revolutionen und Regimewechseln im russischen Eurasien voranzutreiben. Die drei wichtigsten Akteure des Projekts Übergang zur Demokratie arbeiteten alle für die Republikanische Partei und haben enge Verbindungen zu bedeutenden Rüstungslieferanten, vornehmlich Lockheed Martin und Boeing.
Jackson rief außerdem das „Komitee zur Befreiung des Irak“ (Committee for the Liberation of Iraq - CLI) ins Leben. Zum Beirat des CLI gehörten Neokonservative und stramme Republikaner wie Jeane Kirkpatrick, Robert Kagan, Richard Perle, William Kristol und der ehemalige Direktor der CIA James Woolsey. Stellvertretende Ehrenvorsitzende waren die Senatoren Joe Lieberman (Demokratische Partei-Connecticut) und John McCain (Republikanische Partei-Arizona). Das Weiße Haus hatte Jackson 2002 gebeten, das CRI zu gründen, um den Erfolg zu wiederholen, den er bei der Kampagne für die NATO-Erweiterung mit seinem US -Komitee erzielt hatte. „Im Weißen Haus hieß es: ‘Wir brauchen Sie, Sie müssen für den Irak dasselbe erreichen wie für die NATO',” sagte Jackson in einem Interview im Januar 2003.
Ich fasse zusammen: die Einkreisung Russlands durch die NATO, bunte Revolutionen in ganz Eurasien und der Irakkrieg bildeten ein und dieselbe amerikanische geopolitische Strategie, Teil einer umfassenden Strategie zur letztendlichen De-Konstruktion Russlands als potentiellen Rivalen für eine alleinige Hegemonie der Supermacht USA. Russland—nicht der Irak oder der Iran—war und IST das primäre Ziel dieser Strategie. Welchen Preis hat dieses geopolitische Risiko?
Während einer Zeremonie im Weißen Haus zur Begrüßung der zehn neuen NATO-Mitglieder im Jahr 2004 erklärte Präsident Bush, der Auftrag der NATO habe sich jetzt weit über die Grenzen der Allianz ausgedehnt. „NATO-Mitglieder reichen den Staaten des Mittleren Ostens die Hand, um unsere Fähigkeiten zur Bekämpfung des Terrorismus zu stärken und für unsere gemeinsame Sicherheit zu arbeiten“, sagte er. Mittlerweile allerdings scheint der Auftrag der NATO sogar über die globale Sicherheit hinauszugehen. Bush fügte hinzu: „Wir erwägen Möglichkeiten, um den Impuls der Freiheit im weiteren Mittleren Osten zu fördern und zu verstärken.“ Mit anderen Worten, der Freiheit, sich in den Umkreis eines NATO-Bündnisses unter der Kontrolle Washington zu begeben.
Das Ende der Jeltsin-Ära brachte eine kleine Störung in den Plänen der USA. Langsam und vorsichtig profilierte sich Putin als dynamische nationale Kraft, der sich dem Wiederaufbau Russlands verpflichtet fühlte, nachdem das Land unter der Ägide des IWF von einer Kombination westlicher Banken und korrupter russischer Oligarchen geplündert worden war.
Die russische Ölförderung war seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion so weit gestiegen, dass Russland bis zum Ausbruch des Kriegs zwischen den USA und dem Irak 2003 zum weltweit zweitgrößten Ölförderland nach Saudi Arabien aufgestiegen war.
Die wahre Bedeutung der Yukos-Affäre
Das für die neue russische Energie-Geopolitik entscheidende Ereignis trat 2003 ein, gerade zu dem Zeitpunkt, als Washington deutlich machte, dass es ungeachtet weltweiter Proteste oder diplomatischer Feinheiten der UNO militärische Schritte gegen den Irak und den Mittleren Osten unternehmen würde.
Die spektakuläre Verhaftung des russischen Milliardärs und ‘Oligarchen’ Michail Chodorkowski im Oktober 2003 und die Beschlagnahmung seines riesigen Ölkonzerns Yukos ist wesentlich für das Verständnis der russischen Energie-Geopolitik.
Chodorkowski wurde im Oktober 2003 am Flughafen von Nowosibirsk unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung verhaftet. Die Regierung Putin fror wegen einer Klage wegen Steuervergehen die Aktien der Ölgesellschaft Yukos ein. In einem langwierigen Prozess wurde Chodorkowski zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sein Ölvermögen fiel an den russischen Staat zurück.
In den westlichen Medienberichten, die das Vorgehen der Regierung Putin als einen Rückfall in Sowjetmethoden darstellten, blieb der eigentliche Auslöser für Putin dramatisches Vorgehen unerwähnt.
Die Verhaftung Chodorkowskis kam vier Wochen vor einer entscheidenden Wahl zur russischen Duma, dem russischen Unterhaus, bei der Chodorkowski unter Ausnutzung seines erheblichen Vermögens die Mehrheit der Stimmen gekauft hatte. Die Kontrolle der Duma war der erste Schritt in Chodorkowskis Plan, im folgenden Jahr als Präsidentschaftskandidat gegen Putin anzutreten. Der Sieg in der Duma hätte ihm ermöglicht, die Wahlgesetze zu seinen Gunsten zu ändern, ebenso wie ein kontroverses Gesetz, das damals in der Duma erarbeitet wurde, das „Gesetz über unterirdische Ressourcen“. Dieses Gesetz hätte verhindert, dass Yukos und andere Privatunternehmen die Kontrolle über Bodenschätze übernahmen oder private, von den russischen Staatspipelines unabhängige Pipelinetrassen bauten.
Chodorkowski hatte die Vereinbarung der Oligarchen mit Putin gebrochen, nach der ihr Vermögen – das sie de facto dem Staat in den manipulierten Versteigerungen unter Jelzin gestohlen hatten—unangetastet bliebe, wenn sie sich aus der russischen Politik heraushielten und einen Teil des gestohlenen Geldes an den Staat zurückerstatteten. Chodorkowski, der mächtigste Oligarch zu der Zeit, diente als Vehikel für etwas, das sich zu einem offenkundig von Washington unterstützten Putsch gegen Putin entwickelte.
Vor seiner Verhaftung war Chodorkowski am 14. Juli 2003 insgeheim mit Vizepräsident Dick Cheney zusammengetroffen.
Nach dem Treffen mit Cheney nahm Chodorkowski Gespräche mit ExxonMobil und ChevronTexaco, der früheren Firma von Condi Rice, über die Übernahme eines erheblichen Aktienanteils an Yukos, angeblich zwischen 25% und 40%, auf. Durch die Verbindung zu den großen amerikanischen Ölriesen und damit zu Washington sollte Chodorkowski eine de-facto-Immunität gegen mögliche Interventionen der Regierung Putin erhalten, praktisch ein Vetorecht über zukünftige russische Öl- und Gaspipelines und Ölgeschäfte. Wenige Tage vor seinen Verhaftung im Oktober 2003 wegen Steuervergehen, war Chodorkowski Gastgeber für George H.W. Bush, dem Moskauer Vertreter der mächtigen und verschwiegenen Washingtoner Carlyle Group. Sie besprachen die abschließenden Details des Kaufs von Yukos-Aktien durch die amerikanische Ölgesellschaft.
Yukos hatte außerdem gerade ein Kaufangebot für seinen Rivalen Sibneft abgegeben. Mit 19,5 Milliarden Barrels Öl und Gas wäre YukosSibneft dann nach ExxonMobil Eigentümer der zweitgrößten Öl- und Gasreserven der Welt geworden, YukosSibneft der viertgrößte Produzent der Welt, mit einer Fördermenge von 2,3 Millionen Barrels Crude-Öl. Der Kauf von YukosSibneft durch Exxon oder Chevron wäre im wahrsten Sinne des Wortes ein energiepolitischer Staatsstreich gewesen. Cheney wusste das; Bush wusste es; Chodorkowski wusste es. Vor allem wusste es Wladimir Putin und handelte, um das zu verhindern.
Chodokowskis Verbindungen zum angloamerikanischen Machtestablishment waren eindrucksvoll. Seine Stiftung, die Stiftung Offenes Russland, war der Stiftung Open Society seines Freundes George Soros nachgebildet. Im Rate der Stiftung Offenes Russland saßen Henry Kissinger und dessen Freund Jacob Lord Rothschild, der Londoner Spross der Bankiersfamilie. Auch Arthur Hartman, ein ehemaliger US-Botschafter in Moskau, war Mitglied des Stiftungsrats.
Nach Chodorkowskis Verhaftung berichtete die Washington Post , dass der inhaftierte russische Milliardär Stuart Eizenstat – früher Stellvertretender Finanzminister, Staatsekretär im Außenministerium, Staatsekretär im Handelsministerium unter Clinton – engagiert hatte, um in Washington für seine Freilassung zu agieren. Chodorkowski stand dem angloamerikanischen Establishment sehr nah.
Die nun folgenden Proteste der Medien und offizieller Stellen des Westens über den Rückfall in Sowjetmethoden und krasse Machtpolitik übergingen wohlweislich die Tatsache, dass Chodorkowski selbst auch nicht unbedingt ein Ehrenmann war. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte Chodorkowski einseitig seinen Vertrag mit British Petroleum aufgekündigt. BP war eine Partnerschaft mit Yukos eingegangen und hatte sich Bohrungen in dem vielversprechenden sibirischen Priobskoye-Ölfeld 300 Millionen US-Dollar kosten lassen.
Nachdem BP die Bohrungen durchgeführt hatte, drängte Chodorkowski BP mit Gangstermethoden, die in den meisten zivilisierten Ländern illegal gewesen wären, aus dem Geschäft. Bis 2003 hatte die Ölproduktion in Priobskoye 129 Millionen Barrels erreicht, was einem Marktwert von rund 8 Milliarden US-Dollar entspricht. Bereits 1998, nachdem der IWF Milliarden an Russland gezahlt hatte, um den Zusammenbruch des Rubels zu verhindern, zweigte Chodorkowskis Bank Menatep IWF-Gelder in der atemberaubenden Höhe von 4,8 Milliarden US-Dollar für seine handverlesenen Spießgesellen im Bankgeschäft ab, unter anderem für mehrere amerikanische Banken.
Das Duell zwischen Putin und Chodorkowski war das Zeichen für eine entscheidende Wende der Regierung Putin, hin zur Erneuerung Russlands und dem Aufbau strategischer Verteidigungslinien gegen die ausländischen Angriffe unter der Führung von Cheney und dessen britischen Freund Tony Blair. Sie vollzog sich im Kontext des dreisten Griffs der USA nach dem Irak im Jahr 2003 und der unilateralen Ankündigung der Regierung Bush, dass die USA ihre Vertragspflichten gegenüber Russland aus dem in der Vergangenheit abgeschlossenen Raketenabwehrvertrag aufkündigten, um den Ausbau der amerikanischen Raketenabwehr voranzutreiben, was von Moskau nur als feindlicher Akt gegen die Sicherheit Russlands interpretiert werden konnte.
2003 war tatsächlich kein besonderer strategischer Scharfsinn mehr nötig, um zu erkennen, dass den Falken im Pentagon und ihren Verbündeten in der Rüstungsindustrie und Big Oil die Vision eines Amerika vorschwebte, das ungebunden durch völkerrechtliche Verträgen unilateral in seinem ureigensten – natürlich von den Falken definierten - Interesse handeln konnte.
Auf diese Ereignisse folgte schon bald die von Washington finanzierte verdeckte Destabilisierung einer Reihe von Regierungen an der russischen Peripherie, die zum Moskauer Interessenbereich gehört hatten. Dazu gehörte die „Rosa Revolution“ in der winzigen Republik Georgien vom November 2003, bei der Eduard Schewardnadse von einem jungen in den USA ausgebildeten und NATO-freundlichen Präsidenten, Micheil Saakaschwili, verdrängt wurde. Der 37jährige Saakaschwili hatte sich passenderweise bereit erklärt, die Ölpipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan zu unterstützen, mit der die Kontrolle Moskaus über die Ölvorkommen von Aserbeidschan am Kaspischen Meer verhindert werden konnte. Seit dem Machtantritt von Präsident Micheil Saakaschwili unterhalten die Vereinigten Staaten enge Beziehungen zu Georgien. Amerikanische Militärausbilder schulen georgische Truppen, und Washington hat Millionen von Dollar aufgewendet, um Georgien auf den Beitritt zur NATO vorzubereiten.
Nach der Rosa Revolution in Georgien organisierten Woolsey’s Freedom House, die „Nationale Stiftung für Demokratie“ (National Endowment for Democracy - NED), die Soros-Stiftung und andere von Washington unterstützte nichtsstaatliche Organisationen die offen provokative „Orange Revolution“ vom November 2004 in der Ukraine. Ziel der Orange Revolution war es, dort ein NATO -freundliches Regime unter der umstrittenen Präsidentschaft von Viktor Juschtschenko an die Macht zu bringen, in einem Land, das strategisch in der Lage war, die wichtigsten Pipelineströme von russischem Öl und Gas nach Westeuropa zu unterbrechen. Von Washington unterstützte „demokratische Oppositionsbewegungen“ im benachbarten Weißrussland kamen gleichfalls in den Genuss der Großzügigkeit der Bush-Regierung in Form von Millionen von Dollars, ebenso Kirgisien, Usbekistan und entlegenere frühere Staaten der Sowjetunion, die auch zufällig eine Barriere zwischen möglichen Energiepipelines zwischen China und Russland und frühren Sowjetstaaten wie Kasachstan bilden könnten.
Wieder bildet die Kontrolle über Energie-, Öl- und Gaspipelines das zentrale Motiv hinter den Aktionen der USA. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Wladimir Putin sich allmählich fragte, ob sein neuer, wiedergeborener texanischer Gebetspartner George W. Bush nicht in Wirklichkeit, wie die Indianer sagen, mit gespaltener Zunge zu ihm sprach.
Ende 2004 war es Moskau klar, dass sich ein neuer Kalter Krieg massiv anbahnte, diesmal über die strategische Kontrolle der Energie und unilaterale nukleare Vormachtstellung. Aus den unmissverständlichen Muster der Aktionen von Washington seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 war ebenso klar, dass das Endziel der amerikanischen Eurasienpolitik nicht China, nicht der Irak und nicht der Iran war.
Das geopolitische ‘Endziel’ war und ist für Washington die vollständige Zerschlagung Russlands, des einzigen Staats in Eurasien, der in der Lage wäre, unter Einsatz seiner enormen Öl- und Gasvorkommen ein effektives Netz von Allianzen zu organisieren. Natürlich kann man das niemals offen sagen. Welchen Preis hat dieses geopolitische Risiko?
Nach 2003 griffen Putin und die russische Außenpolitik, und besonders die Energiepolitik, wieder auf die das geopolitische Konzept des ‘Kernlands’ von Sir Halford Mackinder zurück, das seit 1946 die Grundlage der sowjetischen Strategie während des Kalten Kriegs gebildet hatte.
Putin ergriff eine Reihe von Defensivmaßnahmen, um angesichts der zunehmend eindeutigen US-Politik der Einkreisung und Schwächung Russlands einen tragfähigen Ausgleich zu schaffen. In der Folge haben diverse strategische Missgriffe der USA Russland diese Aufgabe etwas erleichtert. Nachdem der Einsatz sich mittlerweile auf beiden Seiten—NATO und Russland—erhöht hat, ist Putins Russland zur Sicherung einer besseren geopolitischen Position von der schlichten Defensive zu einer dynamischeren Offensive übergegangen, wobei es seine Energiereserven als Hebel einsetzt.
Mackinders Kernland und Brzezinskis Schachpartie
Man muss den historischen Hintergrund des Begriffs Geopolitik kennen. Im Jahr 1904 hielt ein britischer Geographiewissenschaftler namens Halford Mackinder einen Vortrag vor der Royal Geographic Society in London, der die Geschichte verändern sollte. In seinem Vortrag mit dem Titel „Der geographische Angelpunkt der Geschichte“ versuchte Mackinder eine Definition der Beziehung zwischen den geographischen Gegebenheiten einer Nation oder Region—deren Topographie, Land- und Seeverbindungen, Klima—und ihrer Politik und Position in der Welt. Er postulierte zwei Klassen von Mächten: Seemächte, unter anderem Großbritannien, die USA und Japan; und die großen Landmächte Eurasiens, die seit der Entwicklung der Eisenbahnen in der Lage waren, große Landmassen in einem Staatsgebiet zu vereinen, ohne vom Meer abhängig zu sein.
Für Mackinder war der Schlüssel zur Hegemonie des Britischen Weltreichs nach dem Ersten Weltkrieg 1914-1917, um jeden Preis eine Interessenkonvergenz zwischen den Nationen Osteuropas—Polen, Tschechoslowakei, Österreich-Ungarn—und dem Eurasischen ‘Kernland’ mit dem Zentrum Russland zu verhindern. Bei den Versailler Friedensverhandlungen fasste Mackinder seine Ideen in dem folgenden berühmten Ausspruch zusammen:
Wer Mitteleuropa beherrscht, gebietet über das Kernland;
Wer das Kernland beherrscht, gebietet über die Welt-Insel;
Wer die Welt-Insel beherrscht, kontrolliert die Welt.
Unter dem Kernland verstand Mackinder das Zentrum Eurasiens. Die Welt-Insel war ganz Eurasien, einschließlich Europas, des Mitteleren Ostens und Asiens. Großbritannien, das niemals Teil Kontinentaleuropas gewesen war, war eine eigene Seemacht. Mackinders geopolitische Perspektive war entscheidend für den Eintritt Großbritanniens in den ersten Weltkrieg 1914 und den Zweiten Weltkrieg. Sie prägte Churchills kalkulierte Provokationen des zunehmend paranoiden Stalin seit 1943, die Russland in den späteren Kalten Krieg zogen.
Aus Sicht der USA ging es während der Ära des Kalten Kriegs zwischen 1946 und 1991 ausschließlich darum, wer die Kontrolle über Mackinders Welt-Insel erlangen sollte, konkreter, wie man das eurasische Kernland mit Zentrum Russland eben daran hindern konnte. Ein Blick auf eine Polarprojektionskarte der Militärbündnisse der USA während des Kalten Krieges beweist: Die Sowjetunion war geopolitisch eingedämmt und an jedweder bedeutenderen Verbindung mit Westeuropa, dem Mittleren Osten oder Asien gehindert worden. Im Kalten Krieg ging es um die russischen Bestrebungen, diesen NATO-zentrierten Eisernen Vorhang zu umgehen.
In seiner Beschreibung der wichtigsten strategischen Ziele der USA, den Zusammenschluss von Eurasien zu einem zusammenhängenden Wirtschafts- und Militärblock und damit die Bildung eines Gegengewichts zu der einzigen Supermacht USA zu verhindern, verwendete der amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski 1997 ausdrücklich Mackinders geopolitisches Konzept.
Zum Verständnis der amerikanischen Außenpolitik seit dem Anfang der Bush-Cheney-Präsidentschaft 2001 ist daher ein Zitat aus einem aufschlussreichen Artikel von Brzezinski aus Foreign Affairs vom September/Oktober 1997 hilfreich:
„Die Mehrzahl der politisch durchsetzungsfähigen und dynamischen Staaten der Welt liegt in Eurasien. Im Laufe der Geschichte kamen alle, die globale Machtansprüche erhoben, aus Eurasien. Die bevölkerungsreichsten Bewerber um regionale Hegemonie, China und Indien, liegen in Eurasien, ebenso wie alle potentiellen Herausforderer der politischen oder wirtschaftlichen Vormachtstellung Amerikas. Nach den Vereinigten Staaten liegen die sechs nächstgrößten Volkswirtschaften und Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben in dieser Region, ebenso alle legitimen Atommächte der Welt außer einer und alle heimlichen Atommächte außer einer. In Eurasien leben 75 Prozent der Weltbevölkerung, es produziert 60 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und besitzt 75 Prozent der globalen Energiereserven. Insgesamt übersteigt das Machtpotential Eurasiens sogar das Amerikas.
Eurasien ist ein Superkontinent, die Achse der Welt. Eine Macht, die die Vorherrschaft in Eurasien hätte, hätte entscheidenden Einfluss auf zwei der produktivsten Weltregionen, Westeuropa und Ostasien. Ein Blick auf die Karte zeigt zudem, dass ein Land mit einer dominierenden Rolle in Eurasien fast automatisch auch den Mittleren Osten und Afrika kontrollieren könnte. Da Eurasien derzeit das entscheidende geopolitische Schachbrett ist, ist es nicht mehr damit getan, eine Politik für Europa und eine für Asien zu entwerfen. Die Entwicklung der Machtverteilung auf der eurasischen Landmasse hat entscheidende Bedeutung für Amerikas globale Vormachtstellung ….’(Hervorhebung durch den Autor -w.e.)
Wenn wir die Worte des Washingtoner Strategen Brzezinski betrachten und die Axiome des Halford Mackinder als zentrales Motiv der britischen und später der amerikanischen Außenpolitik über mehr als ein Jahrhundert verstehen, wird allmählich klar, warum der neu organisierte russische Staat unter der Präsidentschaft von Wladimir Putin sich in Bewegung gesetzt hat, um sich gegen die von Washington im Namen der Demokratie geförderten Angebote und offenkundigen Bestrebungen zu seiner Zerschlagung zur Wehr zu setzen. Was hat Putin getan, um die russischen Verteidigungslinien zu stärken? Die Antwort besteht aus einem Wort: Energie.
Die russische Energie-Geopolitik
Nach Lebensstandard, Sterblichkeitsrate und wirtschaftlichem Wohlstand gemessen rangiert Russland heute nicht unter den Weltmächten. Gemessen nach seinen Energiereserven ist es ein Koloss. Nach seiner Landmasse ist es immer noch die größte Einzelnation der Welt, mit einer Staatsfläche, die sich vom Pazifik bis an die Schwelle Europas erstreckt. Es besitzt ein riesiges Territorium, reiche Bodenschätze und die weltgrößten Vorkommen von Erdgas, der Energiequelle, die derzeit im Mittelpunkt bedeutender globaler Machtspiele steht. Zudem ist es trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des seitdem erfolgten Verfalls des Militärs die einzige Macht der Welt, die mit einer Militärkapazität den USA Konkurrenz machen könnte.
Russland besitzt über 130.000 Ölquellen und etwa 2000 Öl- und Gasvorkommen, von denen mindestens 900 bisher nicht ausgebeutet werden. Seine Ölvorkommen werden auf 150 Milliarden Barrels geschätzt, die gleiche Menge wie im Irak. Sie könnten noch erheblich umfangreicher sein, wurden aber wegen der Schwierigkeit von Bohrungen in entlegenen Regionen der Arktis noch nicht abgebaut. Bei Ölpreisen von über 60 US Dollar pro Barrel wird die Exploration in diesen entlegenen Regionen wirtschaftlich interessant.
Derzeit gibt es drei Transportwege für das russische Öl in die ausländischen Märkte: nach Westeuropa über die Ostsee und das Schwarze Meer; über die Nordroute; in den Fernen Osten nach China oder Japan und die ostasiatischen Märkte. An der Ostsee hat Russland einen Ölterminal in St. Petersburg und einen erweiterten Ölterminal in Primorsk.
Zu dem staatlichen russischen Netz von Erdgaspipelines, das „Gastransportverbundnetz“ gehört ein umfassendes Netz von Pipelines und Kompressorstationen, das sich mit über 150.000 Kilometern Länge über ganz Russland zieht. Nach dem Gesetz ist nur die staatseigene Gazprom zur Nutzung der Pipeline berechtigt. Das Netz ist vermutlich neben dem Öl und Gas selbst der wertvollste Posten im russischen Staatsvermögen. Dies ist das Herzstück von Putins neuer Erdgas-Geopolitik und der Hauptkonfliktpunkt mit westlichen Öl- und Gasgesellschaften und der Europäischen Union, deren Energiekommissar Andras Piebalgs aus dem neuen NATO-Mitgliedsland Lettland stammt, das früher zur UdSSR gehörte.
Als Moskau 2001 klar wurde, dass Washington einen Weg finden würde, die baltischen Republiken in die NATO zu führen, trieb Putin den Bau eines neuen, 2,2 Milliarden US Dollar teuren, großen Ölhafens in Primorsk an der Ostsee voran. Dieses Projekt, das Baltische Pipeline-System (BPS), verringert die Abhängigkeit der Exporte von Lettland, Litauen und Polen erheblich. Das BPS ist Russlands wichtigster Transportweg für den Ölexport, auf dem Rohöl aus Russlands Ölprovinzen in Westsibirien und Timan-Pechora nach Westen zum Hafen von Primorsk im russischen Teil des Finnischen Meerbusens transportiert wird. Das BPS wurde im März 2006 fertiggestellt und kann pro Tag über 1,3 Millionen Barrels russisches Erdöl in die westlichen Märkte in Europas und darüber hinaus transportieren.
Im gleichen Monat, März 2006, wurde der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Vorsitzenden eines russisch-deutschen Konsortiums für den Bau einer Ergasleitung ernannt, die etwa 1200 km unter der Ostsee verlaufen soll. Mehrheitsaktionär in diesem Projekt einer Nordeuropäischen Gas-Pipeline (NEGP) ist mit 51% die russische staatlich kontrollierte Gazprom, das größte Erdgasunternehmen der Welt. Die deutschen Firmen BASF und e.on halten jeweils einen Anteil von 24.5%. Das Projekt, dessen Kosten auf 4,7 Milliarden Euro geschätzt werden, wurde Ende 2005 begonnen und wird den Gasterminal in dem russischen Ostseehafen Vyborg bei St. Petersburg mit dem deutschen Ostseehafen Greifswald verbinden. Das Erdgasfeld von Yuzhno-Russkoye in Westsibirien wird in einem Joint Venture von Gazprom und der BASF erschlossen, um die Leitung zu beliefern. Dies war Schröders letzte größere Amtshandlung als Bundeskanzler und führte zu wütenden Protesten der Washington -freundlichen polnischen Regierung und der Ukraine, die damit beide die Kontrolle über die Gastransporte aus Russland verlieren würden. Trotz ihrer engen Beziehungen zur Bush-Regierung musste Bundeskanzlerin Merkel die Kröte schlucken und das Projekt akzeptieren. Für die deutsche Industrie sind die russischen Energieimporte schlicht unentbehrlich. Russland ist bei weitem Deutschlands größter Erdgaslieferant.
Das riesige Erdgasvorkommen von Shtokman im russischen Teil der Barentsee nördlich der Hafenstadt Murmansk wird langfristig ebenfalls die NEGP mit Gas beliefern. Nach ihrer Fertigstellung wird die NEGP mit ihren zwei parallel verlaufenden Leitungen Deutschland pro Jahr bis zu 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas zusätzlich liefern.
Im April 2006 begann die Regierung Putin mit der Ostsibirien-Pazifik-Pipeline (ESPO), einer 11,5 Milliarden US Dollar teuren Ölpipeline von Taishet in der Region von Irkutsk in Ostsibirien an die russische Pazifikküste. Gebaut wird sie von Transneft, der staatseigenen russischen Pipelinegesellschaft. Nach ihrer Fertigstellung wird sie täglich bis zu 1,6 Millionen Barrels von Sibirien in den Fernen Osten Russlands und von dort in die energiehungrige asiatisch-pazifische Region, hauptsächlich nach China, pumpen. Die erste Baustufe soll Ende 2008 abgeschlossen sein. Bisher kann sibirisches Öl nur per Schiene an den Pazifik transportiert werden
Für Russland bringt die Leitung von Taishet nach Perevoznaya den maximalen strategischen Nutzen und ermöglicht gleichzeitig Ölexporte nach China und Japan. In Zukunft kann das Land von dem Hafen von Nakhodka Öl direct nach Japan exportieren. Das ölabhängige Japan sucht verzweifelt nach neuen sicheren Ölquellen außerhalb des instabilen Mittleren Ostens. Die ESPO kann zudem sowohl Süd- als auch Nordkorea durch den Bau von Nebenpipelines von Wladiwostok in beide Länder und China über eine Nebenpipeline von Blagoveshchensk nach Daqing beliefern. Die Taishet-Pipeline bietet einen klaren Rahmen für die energiepolitische Zusammenarbeit zwischen Russland und China, Japan und anderen Ländern der asiatisch-pazifischen Region.
Sachalin: Russland zügelt Big Oil
Ende September 2006 brach eine scheinbar unwichtige Auseinandersetzung aus und führte zum Widerruf einer Umweltgenehmigung für das Projekt Erdgasverflüssigung Sachalin II der Royal Dutch Shell, das Japan, Südkorea und andere Kunden von 2008 an mit Flüssiggas beliefern sollte. Shell ist der Konsortialführer in einem britisch-japanischen Öl- und Gasprojekt auf der großen Insel Sachalin im Fernen Osten Russlands, nördlich des japanischen Hokkaido.
Dann verkündete die Regierung Putin, dass sich auch ExxonMobil nicht an die Umweltauflagen für ihren Ölterminal in De Kastri auf Sachalin gehalten habe, der zu deren Öl- und Gasprojekt Sachalin I gehört. In Sachalin I lagern schätzungsweise 8 Milliarden Barrels Öl und erhebliche Gasmengen, womit es einer der seltenen „Super Giant“-Ölfunde ist, wie Geologen es nennen.
Anfang der Neunzigerjahre, als der russische Staat pleite war und die Ölpreise im Keller, machte die Regierung Jelzin einen verzweifelten Versuch, die nötigen Investitionsmittel und Technologie für die Entwicklung der russischen Eröl- und Gasregionen ins Land zu ziehen. In einer kühnen Aktion vergab Jelzin an amerikanische und andere wichtige westliche Ölgesellschaften großzügige Schürfrechte für zwei große Ölprojekte, Sachalin I und Sachalin II, beide unter einer sogenannten Produktionsquotenvereinbarung.
Die Bestimmungen der Produktionsquotenvereinbarungen, die für Geschäftsbeziehungen zwischen großen angloamerikanischen Ölgesellschaften und schwachen Ländern der Dritten Welt typisch sind, besagen, dass der russischen Regierung die Öl- und Gasrechte mit einem Anteil an dem eventuell schließlich geförderten Öl bzw. Gas vergütet werden. Allerdings erst nach Deckung aller Projektkosten würden die ersten Tropfen Öl an Russland fließen. Produktionsquotenvereinbarungen wurden ursprünglich von Washington und Big Oil entwickelt, um den Ölgesellschaften die Kontrolle über Ölgroßprojekte in Entwicklungsländern zu erleichtern. Die großen amerikanischen Ölriesen, die mit dem James Baker Institute zusammenarbeiteten, das wiederum Dick Cheneys Energy Task Force Review von 2001 erstellte, nutzten die Möglichkeiten der Produktionsquotenvereinbarung, um sich wieder die Kontrolle über die irakische Ölproduktion zu verschaffen, und verbargen das Ganze hinter der Fassade einer staatseigenen irakischen Ölgesellschaft.
Kurz bevor die russische Regierung ExxonMobil mitteilte, dass sich bei deren Terminal auf Sachalin Probleme ergeben hätten, hatte ExxonMobil eine weitere Steigerung der Projektkosten angekündigt. ExxonMobil, die von dem Rechtsanwalt James Baker III vertreten wird und eng mit dem Weißen Haus unter Cheney und Bush zusammenarbeitet, kündigte eine Kostensteigerung von 30% an, womit ein etwaiger russischer Anteil an den Ölflüssen unter der Produktionsquotenvereinbarung in noch weitere Ferne rückte. Die Ankündigung erfolgte unmittelbar vor der Veröffentlichung von Plänen der ExxonMobil, in De Kastri auf Sachalin einen Ölterminal zu eröffnen. Daraufhin erklärten das russische Umweltministerium und die Agentur für die Ausbeutung von Bodenschätzen plötzlich, der Terminal erfülle „nicht die Umweltauflagen“, und erwägt angeblich auch einen Produktionsstopp für ExxonMobil.
Die britische Royal Dutch Shell hält unter einer anderen Produktionsquotenvereinbarung die Erschließungsrechte für die Öl- und Gasvorkommen der Region Sachalin II sowie Rechte zum Bau des ersten russischen Flüssiggasprojekts. Das 20 Milliarden-Dollar-Projekt mit über 17.000 Arbeitsplätzen ist zu 80% abgeschlossen. Es ist das größte integrierte Öl- und Gasprojekt der Welt und umfasst auch das erste russische Offshore-Ölproduktionsvorhaben Russlands sowie die erste integrierte russische Offshore-Gasplattform.
Die eindeutigen Schritte der russischen Regierung gegen ExxonMobil und Shell wurden in der Branche als Versuch der Regierung Putin gewertet, die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen wiederzuerlangen, die sie während der Jelzin-Ära abgegeben hatte. Im Rahmen von Putins neuer Energiestrategie wäre das nur stimmig.
Das russisch-türkische Gasprojekt Blue Stream
Im November 2005 schloss die russische Gazprom die letzte Stufe ihrer 1.213 Kilometer langen und 3,2 Milliarden US Dollar teuren Gasleitung Blue Stream ab. Das Projekt führt Gas aus ihren Felder in Krasnodar heran und dann weiter in Unterwasserpipelines durch das Schwarze Meer bis an dessen türkisches Ufer. Von da aus versorgt die Pipeline Ankara mit russischem Gas. Wenn sie 2010 ihre volle Kapazität erreicht, wird sie jährlich 16 Milliarden Kubikmeter befördern.
Gazprom erwägt jetzt den Transit von russischem Gas in die Länder Südeuropas und des östlichen Mittelmeers auch auf der Grundlage neuer Verträge mit höherem Liefervolumen. Griechenland, Süditalien und Israel stehen alle in Verhandlungen mit Gazprom, um über die Türkei Zugang zu Gas aus der Blue-Stream-Pipeline zu erhalten. Ein neuer Transportweg für Gaslieferungen ist geplant, und zwar über Ost- und Mitteleuropa. Das Projekt heißt Südeuropäische Gaspipeline. Ziel ist der Aufbau eines neuen Durchleitungssystems für Gas sowohl aus russischen Quellen als auch aus Drittländern.
Auch ohne das Potential, das sich aus ihrem Eintritt in den weltweiten Entwicklungsmarkt Flüssiggas ergibt, steht die Gazprom im Zentrum der russischen Bestrebungen, mit Energie aus Öl, Gas und nuklearen Quellen neue Wirtschaftspartner und Bündnisse in ganz Eurasien für das bevorstehende Duell mit den USA zu erschließen.
Amerikanische Pläne für eine „nukleare Vormachtstellung“
Für Russland unter Putin liegt der Schlüssel zum Erfolg in seiner Fähigkeit, seine eurasische Energiestrategie durch glaubhafte militärische Abschreckung zu verteidigen und die mittlerweile offenkundigen militärischen Pläne Washingtons für die vom Pentagon als „Full Spectrum Dominance“ bezeichnete ganzheitliche Konztrolle zu konterkarieren.
In einem Artikel mit dem Titel ‘The Rise of US Nuclear Primacy’ in Foreign Affairs, der Zeitschrift des Council on Foreign Relations in New York, vom März 2006 behaupten Kier Lieber und Daryl Press:
„Zum ersten Mal in fast 50 Jahren stehen die Vereinigten Staaten an der Schwelle zur nuklearen Vormachtstellung. Vermutlich werden die Vereinigten Staaten bald in der Lage sein, Russlands oder Chinas Arsenale nuklearer Langstreckenwaffen in einem Erstschlag zu zerstören. Diese dramatische Verlagerung des nuklearen Machtgleichgewichts resultiert aus einer Reihe von Verbesserungen in den Nuklearsystemen der Vereinigten Staaten, dem ungeheuer raschen Verfall des russischen Arsenals und der eiszeitlichen Modernisierungsgeschwindigkeit der nuklearen Waffensysteme Chinas. Wenn sich die Politik Washingtons nicht ändert und Moskau oder Peking keine Schritte unternehmen, die Größe und Bereitschaft ihrer Streitkräfte zu steigern, werden Russland und China -- und der Rest der Welt – noch viele Jahre im Schatten der nuklearen Vormachtstellung der USA leben.“
Die beiden amerikanischen Autoren behaupten - ganz richtig - dass sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 Russlands Arsenal an strategischen Atomwaffen „dramatisch verschlechtert“ hat. Sie kommen weiterhin zu dem Schluss, dass die USA bewusst eine globale nukleare Vormachtstellung anstrebt, und zwar bereits seit geraumer Zeit. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Regierung Bush vom September 2002 stellt ausdrücklich fest, dass die offizielle Politik der USA auf das Erreichen einer globalen militärischen Vormachtstellung abzielt, was angesichts der jüngeren Maßnahmen Washingtons seit den Ereignissen von September 2001 für viele Nationen heute eine beunruhigende Vorstellung ist.
Eines der Lieblingsprojekte von Verteidigungsminister Rumsfeld war der Aufbau einer amerikanischen Raketenabwehr. Den amerikanischen Wählern wurde sie als Verteidigungsmaßnahme gegen mögliche terroristische Angriffe verkauft. In Wirklichkeit richtet sie sich gegen die einzigen beiden echten Atommächte, Russland und China, wie die Regierungen in Moskau und Peking klar erkannt haben.
Der Artikel in Foreign Affairs führt aus: „Eine Raketenabwehr von der Art, wie die Vereinigten Staaten sie plausiblerweise bereitstellen könnten, wäre in erster Linie in einem offensiven und nicht in einem defensiven Kontext sinnvoll – als Ergänzung einer amerikanischen Erstschlagskapazität, nicht als einziger Schutzschild. Im Falle eines nuklearen Angriffs der Vereinigten Staaten gegen Russland (oder China) verbliebe dem Zielland -- wenn überhaupt -- nur ein winziges Arsenal. An diesem Punkt würde selbst ein relativ bescheidenes oder ineffizientes Raketenabwehrsystem ausreichen zum Schutz gegen etwaige Vergeltungsschläge, denn der schwer geschädigte Feind hätte nur noch sehr wenige verbleibende Sprengköpfe und Scheinanlagen.“
Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten die Truppen ihrer NATO-Partner aktiv nach Afghanistan und jetzt in den Libanon in Bewegung gesetzt haben und ganz eindeutig das frühere UdSSR-Mitglied Georgien unterstützen, das heute ein kritischer Faktor im Zusammenhang mit der kaspischen Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan/Türkei ist, darf es kaum überraschen, dass Moskau die Versprechen des amerikanischen Präsidenten, dem von den USA definierten Erweiterten Mittleren Osten die Demokratie zu bringen, möglicherweise mit einer gewissen Besorgnis hört. Dieser Kunstbegriff „Erweiterter Mittleren Osten“ ist die Schöpfung diverser Cheney nahestehender Denkfabriken in Washington, zu denen auch dessen „Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert“ gehört, und bezeichnet die nicht -arabischen Länder Türkei, Iran, Israel, Pakistan, Afghanistan, die zentralasiatischen (ehemaligen UdSSR-) Staaten, sowie Aserbeidschan, Georgien und Armenien. Präsident Bush verwendete diesen Begriff zum ersten Mal auf dem G-8-Gipfel im Sommer 2004 und bezeichnete damit das Zielgebiet für Washingtons Projekt der Verbreitung der „Demokratie“ in der Region.
Am 3. Oktober warnte das russische Außenministerium, Russland werde „geeignete Maßnahmen ergreifen“, falls Polen Bestandteile des neuen amerikanischen Raketenabwehrsystems in Stellung bringen sollte. Polen ist heute Mitglied der NATO. Sein Verteidigungsminister Radek Sikorski war früher einmal Gastwissenschaftler in Washington bei Richard Perles Falken-Denkfabrik AEI. Er war außerdem Geschäftsführer der „Neuen Atlantischen Initiative“ (New Atlantic Initiative), eines Projekts mit dem Ziel, unter dem Deckmantel der Verbreitung der Demokratie die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Osteuropas in die NATO zu führen. Über die NATO bauen die Vereinigten Staaten zudem ein europäisches Raketenabwehrsystem auf.
Einziges denkbares Ziel eines solchen Systems wäre Russland, in dem Sinne, dass es einen Erstschlagerfolg für die USA ermöglicht. Die Vollendung des europäischen Raketenabwehrsystems, die Militarisierung des gesamten Mittleren Ostens, die Einkreisung Russlands und Chinas ausgehend von einem Verbund neuer US-Militärstützpunkte, von denen viele im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus errichtet werden, all dies erscheint dem Kreml mittlerweile als Teil einer systematischen amerikanischen Strategie der „Full Spectrum Dominance“. Das Pentagon bezeichnet es als auch als „Escalation Dominance“, also die Fähigkeit einen Krieg auf jedem Niveau der Gewalt bis hin zum Atomkrieg zu gewinnen.
Der militärische Status Moskaus
In seiner Rede zur Lage der Nation vom Mai 2003 sprach Wladimir Putin von einer Stärkung und Modernisierung der russischen Nuklearabwehr durch die Entwicklung neuartiger Waffen auch für Russlands strategische Streitkräfte, die die „Verteidigungsfähigkeit Russlands und seiner Verbündeten langfristig sicherstellt“. Russland stoppte den Abzug und die Vernichtung seiner SS-18-MIR-Ved-Raketen, nachdem die Bush -Regierung einseitig das Ende des ABM-Vertrags sowie ihre faktische Annullierung des Start-II-Vertrags erklärt hatte.
Russland ist immer ein mächtiges Gebilde geblieben, das modernste Waffentechnologien entwickelt. Auch wenn sich seine Armee, Marine und Luftwaffe in einem desolaten Zustand befinden , bleiben die Voraussetzungen für Russlands Wiederaufstieg zu einem militärischen Kraftzentrum bestehen. Russland stellt auf diversen internationalen Messen kontinuierlich erstklassige Waffentechnik vor und hat seine Fähigkeiten überzeugend unter Beweis gestellt.
Nach einer Analyse der Washingtoner Denkfabrik Power and Interest News Report (PINR) aus dem Jahr 2004 produziert Russland trotz finanzieller und wirtschaftlicher Schwierigkeiten weiterhin modernste Waffensysteme. Eine seiner größten Leistungen nach der Auflösung der Sowjetunion war das Panzerfahrzeug BMP-3, dem die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman gegenüber westlichen Fahrzeugen bei ihren Rüstungslieferungen den Vorzug gaben.
Die russischen Boden-Luft-Raketensysteme, die S-300 und deren stärkere Nachfolgerin S-400, gelten als schlagkräftiger als die amerikanische Patriot-Rakete. Die ursprünglich einmal geplante Militärübung mit Patriot- und S-300-Raketen kam nie zustande, so dass der unbestrittene, allerdings auch unbewiesene Anspruch auf Überlegenheit der russischen über die amerikanischen Systeme weiterhin im Raum steht. Fortgesetzt wird diese Liste mit den Militärhubschraubern aus der Kamow-50-Familie, deren hochmoderne und innovative Technik und Taktik sie dem besten militärischen Gerät der USA ebenbürtig macht. Aus Kreisen europäischer Hubschrauberproduzenten wird das bestätigt.
In den jüngsten gemeinsamen indisch-amerikanischen Luftwaffenmanövern, in denen die indische Luftwaffe mit modernen russischen Su-30-Kampfflugzeugen ausgerüstet war, war sie in der Mehrzahl der Einsätze den amerikanischen F-15 überlegen, was den General der US-Luftwaffe Hal Homburg zu dem Eingeständnis bewegte, dass russische Waffentechnik in indischer Hand die US-Luftwaffe „wachgerüttelt“ habe. Das russische militärische Establishment arbeitet weiter an der Konstruktion weiterer Hubschrauber, Panzer und Panzerfahrzeuge, die sich mit den besten westlichen Produkten messen können.
Waffenexporte waren neben Öl und Gas eine der besten Möglichkeiten für Russland, an die dringend benötigten Devisen zu kommen. Schon jetzt ist Russland zweitgrößter Waffenexporteur nach den USA. In diversen Magazinen und Zeitschriften wird berichtet, dass die moderne russische Militärtechnik derzeit wegen der bestehende finanziellen Schwierigkeiten und Beschränkungen in den russischen Streitkräften eher exportiert als den eigenen Armeen zur Verfügung gestellt wird. Für Amerikas zukünftige militärische Operationen hat das Konsequenzen, da praktisch alle Kampfformationen von aufständischen, Guerilla, Splitter- oder Terroristengruppen auf der Welt – eben die Formationen, denen die Vereinigten Staaten in ihren zukünftigen Kriegen am ehesten gegenüberstehen werden – mit russischen Waffen oder deren Derivaten ausgerüstet sind.
Das russische Nukleararsenal spielt seit dem Ende der Sowjetunion eine wichtige politische Rolle, denn es gibt dem russischen Staat eine grundlegende Sicherheit. 2003 musste Russland von der Ukraine strategische Bomber und Interkontinentalraketen kaufen, die dort gelagert waren. Seit dieser Zeit hatten strategische Nuklearwaffen Priorität. Heute stehen die russischen Staatsfinanzen, größtenteils dank der hohen Exporterlöse für Öl und Gas auf einer festen Grundlage. Die russische Zentralbank hält mittlerweile mit mehr als 270 Milliarden US Dollar die fünfthöchste Dollarreserve.
Trotz der allgemeinen Belastung durch militärisches Engagement und Rüstungsausgaben bauen die USA derzeit ohne großes Aufhebens ihren Einfluss und Militärpräsenz im Mittleren Osten aus . Warum? Zum einen sicherlich wegen des Öls. Geopolitisch betrachtet geht es aber auch darum, die eurasische Landmacht Russland zu neutralisieren oder sie am Zugang zum Meer zu hindern – ganz im Sinne von Mackinder. Der Griff der USA nach der „nuklearen Vormachtstellung“ über Russland ist der weltpolitische Faktor, der am ehesten das Potential hat, die Welt wegen einer Fehlkalkulation mit einem nuklearen Flächenbrand zu überziehen.
Vor einigen Jahren wurde die Shanghai Co-operation Organization (SCO) von Russland und China gegründet, um ausgewählte eurasische Länder zu einem Dialog zusammenzuführen. Bei ihrer Gründung im Juni 2001 durch China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan bestand ihr erklärtes Ziel zunächst darin, ‘die Zusammenarbeit auf dem Gebiet von n Politik, Wirtschaft und Handel, Wissenschaft und Technik, Kultur und Bildung ebenso wie Energie …’ zu fördern. Im vergangenen Juni war der iranische Präsident Achmadinedschad als Beobachter willkommen, und der Iran wird von Russland und China ermutigt, der SCO beizutreten. Bisher ist die SCO allem Anschein nach eher ein ziemlich unstrukturiertes Diskussionsforum. Mit ein bisschen Provokation von Seiten der USA und der NATO könnte sie allerdings rasch zum Kern eines breiteren eurasischen Militär- und Energiebündnisses als Gegengewicht gegen die nukleare Vormachtstellung der USA mutieren. Halford Mackinders Alptraum könnte somit in Erfüllung gehen, ironischerweise hauptsächlich aufgrund der unilateralen und aggressiven Außenpolitik eines zu selbstsicheren Amerika.
In seinem zentralen Punkt bleibt Mackinders geopolitisches Konzept relevant: ‘Die großen geographischen Realitäten ändern sich nicht: Landmacht gegen Seemacht, Kernland gegen Randland, Zentrum gegen Peripherie...’ Das ist Russland ebenso klar wie Washington.
Wer einmal lügt...
Irak, Anti-Terror-Politik, Absolutheitsanspruch: Nach den zahlreichen Irrwegen des US-Präsidenten George W. Bush kann nur ein demokratischer Reinigungsprozess das Land wieder von seiner Hybris befreien.
Ein Kommentar von Stefan Kornelius
Der Zeitung Washington Post ist die interessante Statistik zu verdanken, wonach der Präsident während einer einstündigen Pressekonferenz gleich 18 Mal seine Politik mit den Worten bekräftigte, dass er ,,daran glaube‘‘.
George Bush glaubt daran, dass die USA ihre ,,Grenzen (gegen Einwanderer) festigen‘‘ müssten, dass ,,die Nato eine positive, stabilisierende Kraft‘‘ gegenüber Russland sei, und dass seine Nahost-Politik ,,den Frieden bringen wird, den wir alle wollen‘‘.
Nun hat dieses Glaubensbekenntnis nichts mit der religiösen Überzeugung des Präsidenten oder dem vermeintlich missionarischen Eifer seiner Regierung zu tun, sondern deutet auf einen ganz banalen Missstand hin: George Bush gehen endgültig die Argumente aus, der US-Präsident überzeugt nicht mehr mit harten Tatsachen für seine Politik, sondern er fordert Gefolgschaft aus Überzeugung.
In den ersten Jahren seiner Amtszeit wurde Bush diese Gefolgschaft noch gegönnt. Dann aber kamen Irak, die Anti-Terror-Politik, der Umgang mit Bündnispartnern und der Absolutheitsanspruch seines Kurses.
Scheinheiligkeit aus Washington
Vieles ist zerstört, wofür die USA einmal standen. Es ist einsam geworden um Amerika und seinen Präsidenten. Die Glaubwürdigkeit des Landes, das moralische Vorbild, die demokratiestiftende Rolle, die politische Führung - alles weitgehend dahin. Bush hat nun noch zwei lange Jahre im Amt vor sich. Die Erosion amerikanischer Autorität in der Welt ist bereits so stark, dass der Schaden in dieser letzten Phase die bisherige Bilanz nur verschlimmern kann. Bush wird den Trend nicht mehr umkehren können.
Diese Erkenntnis ist eigentlich nicht neu; neu ist indes die Geschwindigkeit, mit der sich Amerika selbst isoliert, und neu ist die jetzt spürbare Verschiebung im Kräftegleichgewicht.
Den amerikanischen Senatoren und Kongressabgeordneten im Saal musste es ein Erweckungs-Erlebnis gewesen sein, als der russische Präsident am vergangenen Wochenende zu seiner Tirade gegen die USA ausholte. Unwidersprochen und getragen vom heimlichen Beifall vieler fuhr Wladimir Putin weiter nach Nahost, um Waffen zu verkaufen. Doppelmoral aus Moskau gilt inzwischen als weniger beklagenswert, als die Scheinheiligkeit aus Washington.
Was auch immer Bush nun anfasst: Es gerät zum Nachteil für das Land. Sein Unterhändler bringt ein Abkommen über die nukleare Kontrolle Nordkoreas mit nach Hause - wo bereits die Geier warten, um die Trophäe zu zerreißen. Seine Militärs liefern Belege für iranische Waffen im Einsatz gegen amerikanisches Militär - woraus Bush den Beweis für einen iranisch befohlenen Einsatz gegen das amerikanische Militär konstruiert.
Eine überparteiliche Kommission mit dem Segen Bushs empfiehlt eine neue Strategie für den Irak mit mehr Diplomatie und immer weniger Truppen - der Präsident aber befiehlt immer mehr Truppen, und Diplomatie liegt ihm fern.
Diese Widersprüche ergänzen das Bild von einer allemal wenig belehrbaren Regierung, oder umgekehrt: Von einer belehrenden und besserwisserischen Regierung, deren moralischer Anspruch allen anderen, nur nicht ihr selbst gilt. Die jetzt endgültig installierten Gefangenen-Tribunale, die CIA-Entführungen, die Zustände in den entfachten Krisenherden passen nicht mehr zum Führungsanspruch einer Nation, die sich als Leuchtturm für die Welt versteht.
Kein Grund zur Schadenfreude
Der harte Gegensatz zwischen Realitätssinn und Sendungsbewusstsein hat George Bush schon immer gekennzeichnet, nun aber ist die Glaubwürdigkeitslücke so groß, dass andere - siehe Putin - mit Getöse hineinstoßen und Amerika irreparable Verletzungen zufügen können. Es ist gefahrlos geworden, sich an Bush zu reiben und dafür noch Beifall zu kassieren.
Wer in dieser Situation Schadenfreude empfindet oder gar Gerechtigkeit walten sieht, sollte seine Gefühle zügeln. Bilanz wird selten gezogen in dem Geschäft der endlosen Aufrechnerei. Es ist eine historische Binsenwahrheit, dass die Schwäche Amerikas noch nie zur Stärkung Europas beigetragen oder den inneren Zusammenhalt des alten Kontinents gefördert hat. Umgekehrt wird Europa wenig Einfluss haben auf die innere Justierung Amerikas.
Washington selbst muss zu der Erkenntnis gelangen, dass die Politik der Bush-Regierung das Land stranguliert und Amerika langfristig schadet. Washington, das ist in diesem Fall der Kongress, der so schmählich versagt hat bei der demokratischen Kontrolle vor Irak und im illegitimen Anti-Terror-Kampf der Tribunale und Gefangenenlager. Die USA werden ihre Glaubwürdigkeit nicht wiedererlangen mit Hilfe großer Strategieschwenks im Irak, durch diplomatische Offerten an die Verbündeten oder durch kluge Verhandlungen mit Iran.
Einzig ein demokratischer Reinigungsprozess kann das Land von seiner Hybris befreien. Dazu gehört ein standfester und unangenehmer Kongress, dazu gehören Untersuchungsausschüsse, dazu gehören Wahlen. Und wenn bei alledem ein Glaubensbekenntnis erlaubt ist: dann ist es jenes zu den berühmten Selbstheilungskräften eines Landes, das auch den Irrweg seines Präsidenten überleben wird.
(Quelle: SZ vom 16.2.2007)