Altkanzler Schmidt sezierte deutsche Misere
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Eröffnet am: | 11.10.03 14:15 | von: JoBar | Anzahl Beiträge: | 14 |
Neuester Beitrag: | 14.10.03 12:42 | von: kl.Sieger | Leser gesamt: | 4.065 |
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Lichtblick in dunkler Landschaft
Altkanzler Helmut Schmidt sezierte im oberschwäbischen Weingarten die deutsche Misere
VON DIETER LöFFLER
1980 war er schon einmal da gewesen. Damals war er noch Bundeskanzler, es herrschte Wahlkampf und Franz Josef Strauß rüttelte an den Türen des Kanzleramts: Geduldig wartete die Ravensburger Oberschwabenhalle auf Helmut Schmidt, den sozialdemokratischen Amtsinhaber. Doch der ließ auf sich warten, als habe er diesen CDU-gesättigten Landstrich schon abgeschrieben. Endlich landet der Hubschrauber, Schmidt eilt auf die Bühne. Seine Entschuldigung ist den Ravensburgern bis heute in bester Erinnerung geblieben: "Diese Gegend ist so schwarz, dass der Pilot nichts sehen konnte."
23 Jahre sind seither vergangen. Vieles, sehr vieles hat sich inzwischen geändert - bis auf zwei Dinge: Oberschwaben blieb schwarz, Schmidt blieb schlagfertig. In wenigen Monaten, am 23. Dezember, wird der Altkanzler 85 Jahre alt. Noch immer sagt er mit gewohnter Schärfe, was er zu sagen hat, sei es in der "Zeit" oder aber bei Vorträgen irgendwo in der Republik - beispielsweise in Weingarten, wo er im voll besetzten Kongresszentrum die Ursachen der deutschen Misere analysierte. Schon der Begrüßungsapplaus zeigt: Keinem anderen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker ist es jemals gelungen, so weit ins bürgerlich-konservative Revier vorzudringen wie Helmut Schmidt.
Als Ehemaliger genießt Schmidt die Freiheit, die Dinge beim Namen zu nennen. Auf die Empfindlichkeiten der Wähler muss er keine Rücksicht mehr nehmen. Die Lage Deutschlands fasst er in einem kurzen, gnadenlosen Satz zusammen: "Konjunkturell sind wir in einer Rezession." Das Land befinde sich im Niedergang, denn: "Die wirtschaftlichen Strukturen sind nicht in Ordnung." Bei Sätzen wie diesen betont er jede einzelne Silbe, wie ein Pädagoge, der in der Wiederholung den Grundstock allen Lernens sieht.
Schmidt nennt Beispiele. 80000 Seiten umfasse mittlerweile das deutsche Gesetzes- und Verordnungswerk, ein Paragraphenwust, den niemand mehr überblicke. So ersticke die deutsche Regelungswut jeden Unternehmergeist. "Die Arbeitslosigkeit ist zu zwei Dritteln hausgemacht", sagt der Altkanzler. So kennt man ihn, mit schneidend-kalten Sätzen, die keinen Widerspruch dulden. Weiter geht es mit unangenehmen Wahrheiten. Jeder zehnte Deutsche hat keinen Arbeitsplatz. Es werden immer weniger Kinder geboren. Der Osten holt nicht mehr auf, seit sieben Jahren nicht mehr. Nur die Renten sind dort besser als im Westen, sonst nichts.
"Es ist einiges faul in Deutschland", bilanziert der 84-Jährige, um dann salopp fortzufahren: "Aber bildet euch nicht ein, dass ihr die Einzigen seid, die Probleme haben." Alle Länder Europas, auch die USA, hätten mit der Rezession zu kämpfen, Japan sogar schon seit zwölf Jahren. Die einzige Ausnahme, weltweit, sei China - "ein riesenhaftes Land, 1200 Millionen Menschen, eine immens fleißige Bevölkerung." Nur dort gehe es steil aufwärts, weil alle mit anpackten und mit anpacken müssten. In den Augen Schmidts ist Arbeitslosigkeit nicht nur ein persönliches Schicksal, sondern auch ein volkswirtschaftlicher Irrsinn: Unsere Gesellschaft leiste sich den Luxus, in ungeheurem Umfang Arbeitskraft nicht auszunutzen und Ressourcen brachliegen zu lassen.
90 Minuten spricht der 84-Jährige, ohne Manuskript. Allein in den körperlichen Gebrechen macht sich das Alter bemerkbar. Zum Gehen benötigt er einen Stock und ist dem Schicksal doch dankbar, dass er nicht im Rollstuhl sitzen muss wie sein Freund Hans-Jürgen Wischnewski. Auch das Gehör macht nicht mehr mit, nachdem er 1999 einen Hörsturz erlitten hatte. Dazu kam im August 2002 ein schwerer Herzinfarkt. Ein Bypass wurde gelegt, lange bangte man um das Leben des Altkanzlers. Davon freilich spürt man in Weingarten wenig. Wie in alten Tagen zündet sich Schmidt auf der Bühne eine Zigarette an, bald folgt die nächste. Zwischendurch genehmigt sich der Genesene Schnupftabak aus einer blauen Plastikdose, "Gletscherprise", die angestammte Marke.
Dieser Mann, das spürt jeder im Saal, lässt sich von niemand und nichts unterkriegen. Weitsicht und Stehvermögen bescheinigt ihm sein Biograph Michael Schwelien, aber auch Ungeduld und Arroganz. In Weingarten gibt es von allem etwas. Pessimismus verbietet er sich. "Das alles ist nicht zum Verzweifeln", sagt Schmidt, als er sein Bild von der deutschen Misere fertig gemalt hat. Die Situation sei "von Menschen gemacht und kann deshalb auch von Menschen geändert werden".
Was tut in seinen Augen not? "Die Macht des Tarifkartells aushebeln", sagt der Sozialdemokrat Schmidt. Die Gewerkschaften hätten die Löhne ständig höher getrieben und Arbeit immer teurer gemacht - "das ist eine der Ursachen unserer Arbeitslosigkeit". Und: Die Deutschen müssten sich darauf einstellen, dass es für weniger qualifizierte Arbeit in Zukunft weniger Geld gebe und dass der Staat dem Bürger nicht alle Risiken abnehmen könne. Erst dann werde Arbeit billiger und es entstünden neue Jobs. Schröder habe das begriffen, Frau Merkel ebenfalls. Agenda 2010 und die Herzog-Kommission kämen daher zu überaus ähnlichen Lösungsansätzen.
Was taugen solche Ratschläge? In der SPD hört niemand auf den Altkanzler. Schmidt gesteht offen, er fühle sich manchmal wie ein Altbauer, der lange genug selbst den Hof umtrieb und nun sehen muss, wie die Jungen alles anders machen. In allen Parteien seien Taktierer am Werk, und am schlimmsten sei es, wenn sie "in diesen albernen Talkshows auftreten".
Auf bessere Politiker warten also? Schmidt schüttelt den Kopf. Er ist bei seinem Lieblingsthema angekommen, den Medien. Die Zeitung, so sagt er, zwinge den Leser zum Denken. Das Fernsehen hingegen verleite alle zur Oberflächlichkeit, Auftretende wie Zuschauer. Das habe Konsequenzen für die Politik. "Es ist ein großer Unterschied, ob Sie ein lesendes Volk regieren oder ein glotzendes."
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Der Altkanzler zweifelte zugleich die Prognose von Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe an, bis zum Jahr 2019 werde weitgehend eine Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West erreicht sein. "Alle bisherigen Prognosen waren falsch", sagte Schmidt. Deshalb sei Stolpes Prognose sehr mutig. Bei der Wiedervereinigung 1990 seien sowohl in Bonn als auch in Ost-Berlin ökonomische Dilettanten am Werk gewesen. Diese Fehler müsse man jetzt korrigieren.
Schmidt forderte Sonderregelungen für den Osten. Ein Bundesgesetz müsse die ostdeutschen Bundesländer bevollmächtigen, bestimmte Gesetze und Paragrafen für die nächsten 20 Jahre außer Kraft zu setzen: "Am wichtigsten sind die Paragrafen, die im Betriebsverfassungsgesetz und im Tarifgesetz die Macht der beiden Tarifpartner zementieren." Die verhinderten weitgehend, dass für die einzelne Firma, für den einzelnen Betrieb an Ort und Stelle Arbeitszeit und Arbeitsnorm betreffende Vereinbarungen gemacht würden. Außerdem sollte für jede Wertschöpfung auf dem Boden der neuen Länder und Berlins nur der halbe Mehrwertsteuersatz verlangt werden.
Und überhaupt: Wo ist das stehenden Fußes gepostete Gegenbeispiel, daß die CDU sowieso ... ?
Du wirst doch nicht allmahlich gescheit werden?
J.
...und "Die Deutschen müssten sich darauf einstellen, dass es für weniger qualifizierte Arbeit in Zukunft weniger Geld gebe und dass der Staat dem Bürger nicht alle Risiken abnehmen könne. Erst dann werde Arbeit billiger und es entstünden neue Jobs. Schröder habe das begriffen, Frau Merkel ebenfalls. Agenda 2010 und die Herzog-Kommission kämen daher zu überaus ähnlichen Lösungsansätzen."
*frechgrinsundindenohrensesselzurücklehn*
J
PS Er hat leider nicht gesagt, daß mit der Korrektur schon begonnen wurde :(
Abgesehen von der hanseatischen Arroganz eines Helmut Schmidt oder eines sonstigen LAkaien aus dieser Stadt, die den Rest der Welt ignoriert, abgesehen von der Tatsache, daß man offenbar 85 werden muß, zweimal Bundeskanzler gewesen sein muß und einen Herzinfarkt gehaben muß, um überhaupt von der Bildzeitungsgesellschaft Sachkompetenz zugeschrieben bekommen kann, muß ich mich schon wundern, daß genau diejenigen, die nicht mehr in der Verantwortung stehen, nun große Reden schwingen.
Ich habe Helmut Kohl nie gemocht: aber er hat die Welt bewegt, und er hält das Maul.
Was soll das NACHTAROCKEN? Was will Helmut Schmidt? Er kann nur noch den Sockel stürzen, auf dem er (noch) steht, so wie einstmals Winston Churchill, dessen Autobiographie posthum als die "verlogensten Memoiren aller Zeiten" qualifiziert wurden.
Was läuft da im Hintergrund? Oder will Schmidt den Schröder abschießen, so wie Schröder damals ein wesentlicher Faktor für die "Wende" war?
Hahaaha ...
Ich sehe das ganz pragmatisch.In der momentanen Phase brauchen wir Leute die unabhängig von allem die Courage haben den Mund aufzumachen,unbequeme Wahrheiten auszusprechen und frei von lobbyistischen Zwängen klar die Lage analysieren können....dies alles um ausserhalb der lobyistisch verzerrten und unter enormem Mediendruck verformten auch ab und zu mal ein klares Bild in die Runde zu werfen über das man dann auch mal nachdenken kann.Wer das tut ist mir erst mal völlig wurscht und natürlich müssen gewisse "Verdienste" erworben,eine gewisse Position und/oder ein gewisses Alter erreicht sein,um sich so frei und damit unbequem für viele über die Medien äussern zu können.....so läuft das Spiel eben,und Du hast recht,es war wohl schon immer so.Nichts desto trotz habe ich Politik mit einem Kanzler Schmidt noch live miterlebt und bleibe bei meiner Aussage,daß er ein ganz anderes Kaliber Politiker und Mensch war als es unsere heutigen Medienheinis,egal welcher Coleur,überwiegend sind.Arroganz die auf einem Rückrat basiert ist mir allemal lieber als eine verformte Figur aufgrund des "Kopf in everybody´s Arsch steck"-Syndrom und einem lustigen "Fähnchen in den Wind-Geschwenkes".Ach ja,Helmut Kohl.....das der Junge ne lange Zeit den Ball verdammt flach gehalten und den Mund gehalten hat (und auch heute noch medial defensiv agiert) hat ja wohl seine guten Gründe...aber keine ehrenwerten.Hinter den Kulissen ist ds genauso ein alter Wolf und Strippenzieher bei seiner Partei wie Schmidt.Der ist mir dann aber lieber weil er offen seine Meinungen äussert und nicht immer noch im Geheimen an den grossen Rädern mitdrehen will...hier hast Du einen etwas zu positiv (wohl parteipolitisch)getrübten Blick.Da mir Parteien am Arsch vorbei gehen (wo sind denn noch die grossen Unterschiede in den Programmen?Was alle eint ist das der andere immer unrecht hat...selbst wenn man seine eigene Meinung und sein eigenes Programm dabei mehrmals umdrehen/uminterpretieren muss...)und ich politisch eher personenorientiert und pragmatisch-lösungsorientiert denke,kann ich da zum Glück frei urteilen.
Im Übrigen gibt es Lakaien überall da wo kleine Könige herrschen....nicht nur in hanseatischen Gefilden........
Zu Deinem Satz:
"In der momentanen Phase brauchen wir Leute die unabhängig von allem die Courage haben den Mund aufzumachen,unbequeme Wahrheiten auszusprechen und frei von lobbyistischen Zwängen klar die Lage analysieren können....dies alles um ausserhalb der lobyistisch verzerrten und unter enormem Mediendruck verformten auch ab und zu mal ein klares Bild in die Runde zu werfen über das man dann auch mal nachdenken kann."
Genau das isses doch: jeder sieht den gordischen Knoten, keiner schneidet ihn durch.
Gehörst Du nicht auch zu denjenigen, die vom Lobbyismus ein gutes Einkommen haben?
Dem Lobbyismus verdanke ich eher die Tatsache,daß aufgrund nicht ganz unbeträchtlicher Steuerzahlungen ziemliche viele Typen von meiner Arbeit mitprofitieren,was ich a) so oder so nicht immer ganz nachvollziehen mag, und b)wenn schon Solidarprinzip,dann bitte für alle (da gibts noch ganz andere Typen wie mich die viel eleganter aus manchen Dingen rauskommen...da bin ich wirtschaftlich ein ganz kleines Licht) und dann nicht unbedingt in der Höhe in der es sich heute für gute Verdiener die ehrlich versteuern bewegt,aber ich will hier nicht jammern..so viel nur zu Deiner Frage....
Zu Deiner Weltanschauung..... den gordischen Knoten als einzelner kann man gar nicht mehr durchschneiden..dazu hat keiner heutzutage mehr auch nur annähernd die Macht.Aber den Knoten den alle sehen wenigstens mal genau darzustellen und ohne Rücksicht auf Verluste auch mal offen anzusprechen und zu beschreiben....das kann und sollte man unbedingt.....dann allerdings gibt es von allen Seiten nur polemisch und parteiideologisch auf die Fresse (siehe Schmidt,der seinen erjkannten Knoten wenigstens öffentlich darstellt)anstatt sich sachlich damit auseinanderzusetzen..Du machst da leider keine Ausnahme(siehe Posting 7),trittst Du damit Deine eigene Weltanschauung nicht mit Füssen??Oder richtet die sich,wie bei vielen anderen leider auch,ausschliesslich nach Parteibuch??
Vielleicht noch einen 20 Jahre alten Armagnac hinterher.
Dann bin ich wieder fähig, für die Belange der Arbeiterklasse einzutreten.
Bis später, Gigolo.
Das ist das Problem aller Politiker, wie wollen sie rechtfertigen, Kritik zu üben an den Kleinen und Mittleren, wenn sie selbst vielfach ohne große Verdienste fette Pensionen beziehen, für die die Gescholtenen 300 Jahre ARBEITEN müssten?
Das Jammern allerdings sei wohl eine Mentalität, die Ost- und Westdeutschland gleichermaßen teilen würden. Er sprach hier von 'leicht masochistischen Zügen' der Deutschen. Weiterhin in der Kritik steht Schmidt bei Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck (SPD).
Quelle: www.bbv-net.de