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Bitte einfach nur Socken

Autor im Ressort Stil
Durch die Einkaufszonen hetzen verzweifelte Menschen: Warum es immer schwieriger wird, zu Weihnachten Geschenke zu kaufen, erklärt Adriano Sack

Selige katholische Kirche. Auf die Frage, welches Geschenk ihn am meisten gefreut habe, antwortet Kardinal Karl Lehmann: "Das Geschenk des Lebens". Wer jemals in die Augen eines Fünfjährigen geblickt hat, der nur das Piratenschiff, nicht aber zusätzlich die Ritterburg von Playmobil unterm Weihnachtsbaum fand, der weiß, daß wohl erst einige Jahre Theologiestudium und Zölibat zu derartiger Bedürfnislosigkeit erziehen.

Ein Streifzug etwa durch die Münchner Innenstadt in der Vorweihnachtszeit belegt dagegen zweierlei: zum einen, daß in den begüterten Teilen der Republik noch immer eine imposante Feistigkeit vorherrscht. Die 50er Jahre werden derzeit nicht zufällig in Medien und Fernsehen verklärt. Selbst ein grundfreundlicher, konservativer Politiker wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers tönt über seine Sparpolitik: "Wir werden so reinschneiden, daß es richtig weh tut." Da wächst die Sehnsucht nach einer Zeit des erfüllten Wohlstandsversprechens, des bedenkenfreien Konsums.

Zum anderen aber sind die urbanen Einkaufsparadiese gerade an den Adventswochenenden Orte der Verzweiflung. Die Blaskapellen, Kinderchöre und "White Christmas"-CDs erzeugen eine heimelige Kakophonie, selbst in Berlin sind die Boulevards prächtig erleuchtet, doch den Menschen stehen Panik und Hast im Gesicht geschrieben. Es sind guttrainierte Egomanen, die sich durch die Fußgängerzonen rempeln, und sie haben ein Problem: Sie dürfen bedenkenlos Geld ausgeben - aber sie müssen es für andere tun. Und da gehen die Schwierigkeiten los.

68 Millionen Euro betrug der Gesamtumsatz des deutschen Einzelhandels in November und Dezember vergangenen Jahres. Was klingt wie eine gewaltige Summe, war tatsächlich das schlechteste Ergebnis seit zehn Jahren. Dieses Mal wollen die Deutschen laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen wieder etwas mehr Geld für Geschenke ausgeben. Und ein paar Signale geben Hoffnung: Noch steht nicht in jedem Haushalt ein Exemplar des neuen "Harry Potter", noch sind die für die anstehende Fußball-WM unverzichtbaren Plasmabildschirme nicht flächendeckend verbreitet. Wenn vor Weihnachten auch in Rezessionsphasen die notorische deutsche Konsumverweigerung für ein paar Momente aussetzt, stellt sich heraus: Einkaufen ist wie Fremdsprachenkenntnis - wenn man nicht ständig übt, verlernt man schnell.

So gibt es in jedem Jahr die sogenannten Konsensgeschenke, die sich in jeder der Zeitgenossenschaft verpflichteten Familie mehrfach unter dem Tannenbaum finden. Was einmal die Robbie-Williams-CD "Swing when you're winning" war, ist dann wieder der iPod. Und in diesem Jahr - tja, vielleicht die gesammelten Werke des französischen Komikers Louis de Funès auf DVD?

Der Kritiker und Menschenkenner Hellmuth Karasek nannte im "Literarischen Quartett" einmal die wichtigste Voraussetzung, damit ein Buch ein Bestseller wird: Es muß sich als Geschenk eignen. Das heißt, es muß gut aussehen, es muß schon mal im Fernsehen gewesen, also im Gespräch sein. Was offenbar überhaupt keine Rolle spielt, sind Schenker und Beschenkter. Zwar wird man seiner frommen Großmutter (falls es so etwas noch gibt) nicht unbedingt den neuen Roman von Michel Houellebecq überreichen. Aber im Prinzip gilt: Anything goes for anybody. Was sicher auch den seit Jahren bestaunten Kochbuch-Boom erklärt. Warum kaufen Menschen in Tiefkühlpizza-Kulturen immer mehr Rezeptsammlungen? Weil es noch unverbindlichere Bücher sind, die noch nicht einmal zum Lesen verpflichten. Gleiches gilt natürlich für Hörbuch-CDs.

Wertkonservative geben sich freilich mit Allerweltsgeschenken nicht zufrieden. So wie in unserer postbürgerlichen Gesellschaft Partnerschaften noch immer zu einem Dreiklang aus sexueller Leidenschaft, intellektuellem Hochamt und Zugewinngemeinschaft in einem verklärt werden, so verlangt ein im Kern der Romantik geschuldetes Ideal, daß ein Geschenk eine Art individuelle Liebeserklärung sei. Dieser Anspruch jedoch ist in Zeiten der kulturellen Zersplitterung sehr kühn. Das zeitgemäße Geschenk ist eher unpersönlich und stromlinienförmig mit kleinen Brüchen.

Ein Blick in die großen Buchläden zeigt, wie weit fortgeschritten die Uniformierung der Individualität bereits ist. Kaum ein Buch kommt noch aus, ohne mit illustren Marken, Namen oder Einbänden aufgemotzt zu werden. Die "SZ"-Reihe, die "Elke Heidenreich"-Reihe, die bibliophilen Klassiker des Rowohlt-Verlages, die Originaleinbandreihe des S.-Fischer-Verlags. Und natürlich die Flut von flink zusammengeschusterten Bildbänden über Designerhotels, Softpornographie oder weltbekannte Künstler. Wer sich mit geschlossenen Augen in eine Buchhandlung stellt, kann einfach zugreifen und ein passables Geschenk in den Händen halten.

Diese kulturelle Verflachung bekämpfen quasi im Alleingang die Kritiker. Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit veröffentlichen die Feuilletons Tabellen mit Tips, mit denen die Redakteure sagen: Dieses Buch oder jene CD haben wir euch doch schon das ganze Jahr gepredigt (siehe auch S. 79).

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Geister, die sich radikal gerieren, lehnen die programmierte "Schenkerei" ab, mit dem Hinweis darauf, daß "spontane Geschenke" viel ehrlicher seien. Tatsächlich handelt es sich dabei um faule Geizhälse, die ihr Phlegma mit verstaubter Ideologie zu vernebeln versuchen. Man sollte ihnen pünktlich zum Jahreswechsel die Freundschaft kündigen. Dabei ist Schenken so einfach: Man macht sich richtig viel Arbeit und Gedanken - oder, fast noch besser, gar keine. Und verschenkt Socken (wenn es die Sonderedition von Burlington in schreienden Farben ist). Oder irgendwas von Meissen, Tiffany oder Hermès. Für die bescheideneren Naturen von Schiesser, American Apparel oder der Glasmanufaktur Riedel, die ihren 250. Geburtstag begeht.

Hauptsache, nichts Selbstgebasteltes. Sonst klappt das nie mit der Binnennachfrage.

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