Wie kann man nur so heucheln


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 22.12.02 00:57
Eröffnet am:22.12.02 00:57von: NassieAnzahl Beiträge:1
Neuester Beitrag:22.12.02 00:57von: NassieLeser gesamt:582
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

16074 Postings, 8202 Tage NassieWie kann man nur so heucheln

 
  
    #1
22.12.02 00:57
„Arbeitslose haben für mich absolut Vorrang"
Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber kündigt harten Widerstand der Union gegen das Zuwanderungsgesetz und die geplanten Steuererhöhungen an - Interview
 
   
WELT am SONNTAG: Herr Ministerpräsident, die Bundesregierung ist in Karlsruhe mit ihrem Zuwanderungsgesetz gescheitert. Sind Sie jetzt in der Sache verhandlungsbereiter?


Edmund Stoiber: Für die Union gilt nach wie vor: Das Gesetz muss grundlegend verändert werden. Wir brauchen weniger Zuwanderung, angesichts der hohen Arbeitslosigkeit allemal. Für mich haben die arbeitslosen Menschen in Deutschland absolute Priorität vor neuen Zuwanderern. Rot-Grün verschweigt uns, dass es vor 20 Jahren genauso viele ausländische Arbeitnehmer in Deutschland wie heute gab, aber die Zahl aller Ausländer sich seitdem auf über 7 Millionen verdreifacht hat. Das heißt, dass die Zuwanderung vor allem in die Sozialsysteme erfolgte. Jahr für Jahr über 500.000 neue Einwanderer zu integrieren, wie Rot-Grün das will, schafft Deutschland einfach nicht! Weil das Geld dazu fehlt, werden viele Ausländer so ins soziale Abseits gedrängt. Deshalb werden wir in Bayern beispielgebend vorangehen: Wir schaffen Sprachlernklassen - ohne nachgewiesene Deutschkenntnisse kommt kein Schüler fortan in den regulären Unterricht.


WamS: Die Union profitiert von den Pleiten der Bundesregierung. Aber haben sie auch die besseren Konzepte?


Stoiber: Natürlich haben wird die. Es zeigt sich doch, dass die SPD unsere Positionen jetzt gleich reihenweise übernimmt: Die SPD hat vor der Wahl unser Mini-Job-Modell als sozialen Kahlschlag diffamiert. Aber wenn die Regierung nun einen Schritt in die richtige Richtung geht, stimmen wir als konstruktive Opposition zu.


WamS: Warum dann nicht gleich eine große Koalition?


Stoiber: Mit dieser SPD ist eine große Koalition nicht möglich! Große Koalitionen sind nur für Notoperationen gut. Außerdem hat die SPD keine klare Linie, weil sie hin- und hergerissen ist zwischen der Forderung von Herrn Müntefering nach mehr Staat und weniger Konsum und Herrn Clement, der sagt weniger Staat. Deshalb geht es bei der SPD einen Schritt nach vorn und einen zurück. Daran krankt die SPD und deshalb die Regierung und das ganze Land.


WamS: Wie wollen sich CDU/CSU in der Wirtschaftspolitik profilieren, wenn Rot-Grün Stück für Stück ihre Positionen übernimmt?


Stoiber: Lassen Sie doch die Kirche im Dorf! Auch wenn sich die Union bei den Mini-Jobs mit ihrem Konzept auf der ganzen Linie durchgesetzt hat, bleibt da der gravierender Unterschied. Anders als die SPD stellen wir nicht die staatliche Regelung, sondern die Eigenverantwortung des Bürgers in den Mittelpunkt. Unsere Alternative heißt: Staatsquote runter auf 40 Prozent. Wir müssen die eigene Kraft und Verantwortung des Menschen fördern und fordern, indem wir die Steuerlast für alle spürbar senken, zu Investitionen anspornen. Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als der, der sich nicht anstrengt! Deshalb muss die Union genauso konsequent, wie sie Arbeitsmarktreformen unterstützt, alle Steuererhöhungen ablehnen. Die Regierung Schröder macht die Deutschen im kommenden Jahr wieder ärmer. Sie will von der Öko- bis zur Firmenwagenabgabe 2003 die Steuern um 9,8 Milliarden Euro erhöhen. Schon zum 1. Januar steigen die Sozialabgaben zusätzlich um sieben Milliarden Euro. Wir müssen daher im Bundesrat von diesen Steuererhöhungen so viele verhindern, wie wir nur können. Daran hängt die Glaubwürdigkeit der Union.


WamS: Aber zuerst einmal wird die Union bei den Landtagswahlen wohl mit einem anderem Thema punkten wollen?


Stoiber: In Hessen und Niedersachsen haben am 2. Februar 14 Millionen Menschen stellvertretend für alle Deutschen die Möglichkeit, über konkrete politische Fragen abzustimmen. Ohne die Mehrheit der unionsregierten Länder im Bundesrat ginge zum Beispiel das rot-grüne Zuwanderungsgesetz durch. Das heißt, die Union ist der politische Garant gegen die Ausweitung und für eine klare Begrenzung der Zuwanderung. Auch deshalb sind die Wahlen in Hessen und Niedersachsen nicht nur landespolitisch, sondern auch bundespolitisch von großer Bedeutung.


WamS: Aber das allein wird in Niedersachsen wohl nicht reichen für die CDU?


Stoiber: Schauen sie sich doch die desolate sozialdemokratische Bildungspolitik an. Wir in Bayern stellen dagegen 2003/2004 über 2500 neue Lehrer ein, ohne neue Schulden zu machen. Wir schaffen nicht zentralistisch neue Elitehochschulen, sondern vernetzen die bestehenden Elite-Studiengänge im ganzen Land. So werden wir mit den Spitzen-Unis beispielsweise in den USA mithalten. Auch hier gilt der Grundsatz: Subsidarität, Eigenverantwortung und Wettbewerb.


WamS: Glauben Sie, dass Schröder nach einem Unionssieg in Hessen und Niedersachsen das Handtuch werfen würde?


Stoiber: Möglich, aber Schröder wäre jedenfalls zu politischen Korrekturen gezwungen, die unserem Land gut täten.


WamS: In der Union - fern der Macht - streiten derweil Merz und Merkel ...


Stoiber: ...wir erwarten als kompakter und stabiler Teil der Union, dass alle in der CDU ihren Beitrag dazu leisten, dass sich solche Auseinandersetzungen wie in der letzten Woche nicht mehr in der Öffentlichkeit wiederholen. Ich denke, dass sich fortan alle ausschließlich darum kümmern werden, die Dinge in Deutschland zu wenden.


WamS: Die Diskussion in der Union dreht sich derzeit vor allem um die Behebung der wirtschaftlichen Probleme...


Stoiber: ...sicherlich, aber bei der Lösung dieser Probleme geht es doch auch darum, was für einen Staat wir wollen. Und dazu machen wir uns vielerlei Gedanken.


WamS: Welche?


Stoiber: Zum Beispiel um die deutsche Identität. Wir müssen uns um die Bindekräfte kümmern, die unser Land, wie jedes freiheitliche andere Land auch, im Inneren zusammenhalten. Wir brauchen die Diskussion: Was macht Deutschland aus? Neben unserer gemeinsamen Sprache ist es die Geschichte, die gemeinsame Erinnerung an gute und auch an dunkle Stunden, die Erinnerung an die großen Persönlichkeiten, die unser Land hervorgebracht hat, in denen sich jeder in irgendeiner Weise wiederfindet.


WamS: Ist das nicht ein zu idealisiertes Gesellschaftsbild?


Stoiber: Natürlich ist mir klar, dass wir keine homogene Gesellschaft haben, sondern eine vielgestaltige. Aber die gemeinsame Geschichte und die auch dadurch erhalten gebliebenen Bindungen in unserer Gesellschaft bilden den Kitt, der die Nation zusammenhält. Wenn der verloren ginge, würde Deutschland seinen Zusammenhalt verlieren. Dies gilt umso mehr, weil die EU bald zehn neue Mitgliedsländer integrieren muss. Die europäische Identität können wir nur über unsere nationale Identität formulieren. Wer glaubt, man könne über die multikulturelle Gesellschaft auf eine europäische Identität unter Verzicht einer ungeliebten deutschen Identität kommen, der täuscht sich!


WamS: Passt ein EU-Mitglied Türkei in dieses Bild?


Stoiber: Wir müssen uns klar machen, wo Europa geographisch endet, bis wohin sich die abendländische Kultur mit ihren Werten durchgesetzt hat. Im Falle der Türkei haben sich CDU/CSU klar entschieden: Wer die Türkei in die EU aufnimmt, der wird die politische Union nicht mehr bekommen. Der europäische Verfassungskonvent wäre dann Makulatur, die EU würde zu einer bloßen Freihandelszone werden. Deswegen stimme ich hier den Warnungen von Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt ausdrücklich zu.


WamS: Aber der Türkei sind doch Versprechungen gemacht worden?


Stoiber: Um diese zu halten, müssen wir dem großen Land Türkei, mit dem wir freundschaftlich verbunden sind, eine besondere Form der Zusammenarbeit und Anbindung an Europa bieten.


Das Interview führten Ralf Georg Reuth und Wolfgang Stock.


 

   Antwort einfügen - nach oben