Manager - gescheitert an Visionen


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 23.12.02 11:40
Eröffnet am:23.12.02 11:40von: DeathBullAnzahl Beiträge:1
Neuester Beitrag:23.12.02 11:40von: DeathBullLeser gesamt:395
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

10873 Postings, 8741 Tage DeathBullManager - gescheitert an Visionen

 
  
    #1
23.12.02 11:40


GASTKOMMENTAR

Manager - gescheitert an Visionen

Für die deutsche Krise sind nicht nur Politiker verantwortlich. Viele Manager tragen erhebliche Mitschuld.
Hamburg - So politisch wie in diesem Jahr waren die Deutschen schon lange nicht mehr. Eine Reihe saftiger Skandale, die Bundestagswahl und der Zickzackkurs der Koalition haben 2002 mehr Gesprächsstoff geliefert als jedes andere Thema. Viele Entscheidungen der Bundesregierung zur Wirtschaftspolitik waren so absurd, dass es leicht fiel, die Verantwortung für die Misere allein beim Kabinett zu suchen. Herrschende Meinung im Lande ist heute, dass Kanzler Gerhard Schröder persönlich die Hauptschuld für Haushaltsloch, blauen Brief, Nullwachstum, Abgabenschock und Massenarbeitslosigkeit trägt.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Ein Kanzler muss zwar daran gemessen werden, wie er externe Schocks pariert und Probleme bewältigt. Die Fairness gebietet aber, ihm nicht auch die Schuld für diese Schocks und Probleme an sich zu geben. Verantwortlich dafür sind oft jene, die am lautesten über die Politik klagen - die Manager.

In den vergangenen Jahren hat die Kaste der Spitzenmanager immer wieder eklatant versagt. Vor allem vier Eigenschaften wurden ihr zum Verhängnis: Gier, überspannte Visionen, zu große Nachsicht bei der Kontrolle und Passivität auf dynamischen Märkten. Fast alle Firmenskandale gehen auf eine dieser Schwächen zurück.

Vier verhängnisvolle Eigenschaften

Nackte Gier löste Betrugsfälle wie Enron, Worldcom, Comroad oder Flowtex aus. Übertriebene Visionen brachten France Telecom, Kirch Media und die Allianz in Schwierigkeiten. Schwache Kontrolle verursachte das Scheitern von Quam, Rover, Mobilcom und den meisten anderen Firmen am Neuen Markt. Beharren auf dem Status quo und mangelnde Reformbereitschaft manövrierten United Airlines und die "Frankfurter Rundschau" an den Rand des Ruins.

Durch Unvermögen haben Manager Tausende von Milliarden vernichtet. Verschwindend klein wirken dagegen die Ausfälle der Politik. Finanzminister Hans Eichel kämpfte 2002 gegen ein Haushaltsloch von vergleichsweise bescheidenen 15 Mrd. Euro. Werner Seifert, Chef der Deutschen Börse, und sein Management haben durch die desaströse Konstruktion des Neuen Markts und den Leichtsinn, mit dem sie ungeeignete Firmen auf das Parkett ließen, die Vernichtung von über 100 Mrd. Euro ermöglicht.

Wäre die Deutsche Börse sorgfältiger gewesen, hätte sie der Volkswirtschaft diese enorme Summe nicht entzogen oder sie "umverteilt", wie Börsianer gerne sagen. Weil besonders Kleinanleger Seifert vertraut hatten und Millionen Haushalte auf den Zauber hereinfielen, fehlte das Geld später vor allem im Konsum. An der Schwäche der Binnennachfrage trägt die Deutsche Börse nicht viel weniger Schuld als der Bundeskanzler. Zum Vergleich: Die Verschiebung der nächsten Steuerreformstufe zwecks Finanzierung der Flutschäden entzieht den privaten Haushalten und Firmen im kommenden Jahr 7,1 Mrd. Euro. Die Deutsche Börse ist mit ihrem gescheiterten Lug-und-Trug-Segment für das 14fache verantwortlich. Wer Gerhard Schröder kritisiert, sollte Werner Seifert nicht vergessen.

Ein spektakuläres Beispiel für Kapitalvernichtung hat jüngst auch die Allianz geliefert. Ihre Entscheidung, die Dresdner Bank zu kaufen, war - nach allem, was man heute weiß - wohl falsch. Sie beruhte über der übertriebenen Annahme von Synergien. So viele Versicherungen kann die Allianz gar nicht zusätzlich über die Dresdner Bank verkaufen, als dass sie damit die Verluste aus deren schwachem Geschäft wettmachen könnte. Fehler wie diese zerstören Vertrauen, mindern die Investitionskraft von Anlegern und bremsen das Wachstum. Politiker, die Irrtümer dieser Größenordnung begehen, würden ein für alle Mal von der Bühne verschwinden. Andrea Fischer etwa ist aus geringerem Anlass als Ministerin zurückgetreten.

Wegloben in den Aufsichtsrat

Henning Schulte-Noelle dagegen, Vorstandsvorsitzender der Allianz, darf nach seinem Abgang den Vorsitz des Aufsichtsrates übernehmen. Das ist so, als würde Andrea Fischer demnächst Bundespräsidentin. Solange Konzerne derart einfühlsamen Umgang mit ihrem abgesetzten Personal pflegen, sollten sie ihre Kritik an der Politik mäßigen.

Auch kann die Wirtschaft nicht über den Reformstau der Politik klagen, wenn sie eines ihrer wichtigsten Projekte im Schneckentempo vorantreibt: Der deutsche Corporate-Governance-Kodex hat noch immer nicht den Rang eines Gesetzes erreicht, obwohl Wirtschaft, Wissenschaft und Kommissionen seit Jahren daran laborieren. Die meisten Spitzenmanager stört es nicht weiter, dass die Deutschen in Jahren nicht schaffen, was die Amerikaner nach der Enron-Krise in wenigen Monaten durch den Kongress gepaukt haben.

"Corporate Governance" ist ein beliebtes Kongress- und Talkshow-Thema, doch die meisten Konzerne tun nicht viel, um dem Regelwerk, das Vertrauen spenden soll, mehr Geltung zu verschaffen. Zum Beispiel könnten sich Firmen freiwillig auf den Kodex verpflichten, bevor er verabschiedet wird. Davon aber ist, bis auf wenige Ausnahmen, bisher keine Spur.

Für Reformen und Wachstum ist nicht nur der Bundeskanzler zuständig. Auch die Unternehmen müssen ihren Teil beitragen. Sie sollten Abschied nehmen von Strategen, die weit entfernt vom Tagesgeschäft die Wirklichkeit verkennen. Gefragt sind Manager, die ehrlich rechnen und ihren Markt kennen. Wendelin Wiedeking von Porsche ist nicht umsonst ein Vorbild für viele. Er nimmt keine Subventionen an, lehnt Jobangebote von größeren Firmen ab und hasst gedrechselte Strategien. Er liebt Verantwortung, kennt seine Autos und seinen Markt, sagt offen seine Meinung und versteckt sich nicht hinter Verbänden. Richtig ist: Das Land braucht weniger Münteferings. Aber es braucht auch mehr Wiedekings.

Christoph Keese ist Chefredakteur der Financial Times Deutschland

 

   Antwort einfügen - nach oben